Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens

Der Mensch lebt durch den Kopf
Der Kopf reicht ihm nicht aus
Versuch es nur, von deinem Kopf
Lebt höchstens eine Laus.

Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlau genug
Niemals merkt er eben
Dieses Lug und Trug.

Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.

Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höh'res Streben
Ist ein schöner Zug.

Ja, renn nur nach dem Glück
Doch renne nicht zu sehr
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.

Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht anspruchslos genug
Drum ist all sein Streben
Nur ein Selbsttrug.

~Bertolt Brecht~

Für ein paar Sekunden starrte ich Chris stirnrunzelnd an, dann schüttelte ich den Kopf. So war das doch gar nicht gemeint! Ich setzte mich etwas gerader auf, dann öffnete ich den Mund, doch bevor ich auch nur einen Laut von mir geben konnte, sprach Chris wieder.

„Sie meinte es ja bloß nett. Ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen wie das Arschloch, für das du mich ja anscheinend hältst."

Ein zweites Mal setzte ich an, etwas zu sagen, doch schon wieder unterbrach er mich.

„Sag das nächste Mal doch selber etwas, wenn du ein Problem hast. Aber mach mich jetzt nicht zu deinem persönlichen Prügelknaben."

„Ich meinte es doch gar nicht so!"

Dieses Mal war es an Chris, eine Augenbraue zu heben.

„Ach ja? Wie war es dann gemeint? Ist es dir peinlich, wenn Leute dich für schwul halten? Ist das Alter ein Problem?
Rede dich nicht mit so bekloppten Ausreden raus, ich lasse mich nicht anlügen."

„Ich wollte bloß eine verdammte Tatsache feststellen, Chris. Mach die Augen auf! Ich will dich doch nicht angreifen, bloß weil ich so etwas sage. Benimm dich nicht so kindisch."

Sobald der letzte Satz raus war, bereute ich meine Worte. Denn, statt dass sich seine Gesichtszüge entspannten, schienen sie noch dunkler zu werden. Verdammt, ich hatte mich schon wieder falsch ausgedrückt!

„Ich bin dir also zu kindisch, ist das dein Problem? Dann häng dich doch lieber an Leute in deinem Alter, die mit deinem ach so tollen Intellekt besser arbeiten können, als irgendein armer Student wie ich."

Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten, während ich einen wohlbekannten Stich in meinem Herzen fühlte. Was hatte ich ihm bitte getan?

„Wie bitte?"

Er verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht wischen würde.

„Was denn? Sind wir doch mal ehrlich, mit wie vielen Leuten hast du dich in den letzten Wochen getroffen, die nicht mit dir arbeiten? Ich meine ja nur, vielleicht ist das ja der Grund, weshalb du noch immer allein bist."

Am liebsten hätte ich etwas nach ihm geworfen, doch weder mein Notizbuch noch meinen Laptop konnte ich riskieren, deswegen starrte ich ihn einfach zu Boden.

„Weißt du was, ich diskutiere nicht mit dir. Lenk deine Aufmerksamkeit wieder auf dein Handy, wie der Süchtige, der du bist, und lass mich in Ruhe daran arbeiten, deine blöde Idee zu retten. Du wärst mir dabei sowieso keine große Hilfe."

Schwungvoll erhob Chris sich, dann griff er nach seinem Handy und lief ein paar Schritte auf mich zu.

„Du bist ein aufgeblasener, besserwisserischer Idiot, Elias. Ich verstehe nicht, warum so viele Leute deine Bücher für Meisterwerke halten, wenn sie eigentlich totaler Müll sind."

Wut stieg in mir auf. Das hätte er nicht sagen sollen. Alles andere hätte ich kommentarlos ertragen, doch wenn er die eine Sache, die ich wirklich liebte, angriff, dann war er fällig.

„Ich kann damit leben, ein Idiot zu sein. Aber wag es nicht, meine Bücher da mit reinzuziehen. Denn das lässt dich nur homophoben, realitätsfernen Eltern oder deiner Großmutter ähnlicher erscheinen."

Kurz blinzelte Chris mich an, dann stürmte er aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. Für ein paar Minuten blickte ich ihm, mit einer Mischung aus Wut und Verwirrung, hinterher. Oder viel eher auf die Tür, durch die er verschwunden war.

Dann schließlich, als das laute Rauschen meines Blutes abklang und ich nicht mehr das krampfhafte Verlangen verspürte, jemanden zu erwürgen, ließ ich mich auf mein Bett fallen, den Blick an die Decke gerichtet.

Ich wusste, dass meine letzten Worte unter der Gürtellinie gewesen waren, doch im Moment interessierte mich das nicht. Denn er hatte einen wunden Punkt getroffen.

Meine Eltern waren schon immer davon besessen gewesen, mich zu kritisieren oder zu ändern. Vielleicht waren sie nicht so eindeutig vorgegangen wie Chris Großmutter, doch sie hatten es mich immer spüren lassen.

Meine Zurückhaltung, mein Unwille, in Kontakt mit anderen Menschen zu treten, waren einer ihrer liebsten Problempunkte. Und seit ein paar Jahren natürlich meine Bücher. Denn für sie waren alle Bücher, die nicht auf Fakten basierten oder zum Lernen geeignet waren, unnütz und verdienten den Titel „Buch" nicht. Im besten Fall nannten sie sie „nette Geschichtchen" oder „fantasievolle Wünschelwelten". Spoiler, meine Geschichten waren nichts von beidem.

Stattdessen waren meine Bücher, um meinen Vater zu zitieren, „ein Abklatsch einer vergangenen Zeit, über die es sich nicht lohnt, nachzudenken, weswegen alles, was du, Elias, tust, Zeitverschwendung ist".

Ich seufzte, dann wälzte ich mich auf die Seite und starrte aus dem Fenster.

Ein Teil von mir wollte Chris anrufen und ihm meine Reaktion erklären. Gerne hätte ich mich für meine letzten Worte entschuldigt oder ihm erklärt, dass meine Formulierungen von zuvor keinesfalls als Beleidigungen gemeint waren, sondern einfach aus der Angst vor einer Zurückweisung entstanden waren.

Auf der anderen Seite weigerte ich mich jedoch, denn selbst wenn ich ihn verletzt hatte, so hatte er weder das Recht, mir nicht zuzuhören, noch das, mich zu verurteilen und zu beschimpfen, besonders, wenn er es eigentlich besser wissen müsste.

Unentschlossen griff ich nach meinem Handy und warf einen vorsichtigen Blick darauf. Vielleicht hatte Chris ja angerufen. Oder Sofia. Oder vielleicht irgendjemand anderes. Selbst ein Anruf meiner Eltern wäre mir lieber gewesen als die bedrückende Stille, die mich umgab.

Wie zu erwarten, hatte ich weder einen verpassten Anruf, noch eine Nachricht oder irgendetwas, was mich ablenken könnte. Also ließ ich das Smartphone neben mich auf die Matratze fallen und starrte wieder an die Decke. Spannend.

Leider, je länger ich an die Decke starrte, desto schlechter fühlte ich mich und desto mehr wurde mir die Stille in dem Hotelzimmer bewusst. In den letzten Tagen war es selten leise gewesen und selbst wenn, dann hatte Chris Anwesenheit immer einen beruhigenden Faktor gehabt.

Tatsächlich bemerkte ich in diesem Moment, dass die Stille, die in den letzten Jahren zu meinem ständigen Begleiter geworden war, plötzlich seltsam lästig erschien.

Dennoch weigerte ich mich, jetzt gerade etwas daran zu ändern. Schließlich war ich wütend. Und ein belebter Platz würde meine gegenwärtige Einsamkeit nur noch verschlimmern. Ich würde einknicken, Chris anrufen und ihn darum bitten, zurück zu kommen. Dann würde ich mich wie der Vollidiot, der ich war, entschuldigen und vergessen, was für verletzende Dinge er mir vorgeworfen hatte.

Unzufrieden, da keine Option wirklich toll war, seufzte ich und schloss die Augen. Vielleicht konnte ein kleines Nickerchen meine Gedanken und Gefühle beruhigen. Und wenn ich die Augen wieder aufmachte, dann war Chris bestimmt zurück und wir könnten reden.

Wer weiß, vielleicht half ein netter Traum mir ja sogar, herauszufinden, wie ich diesen Streit zum Positiven wenden konnte. Es wurde nämlich langsam einmal Zeit, dass ich eine großartige Eingebung hatte.

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Sorry, dass letzte Woche kein Kapitel kam, aber irgendwie habe ich vollkommen verschlafen, dass ich ja was hochladen musste. Mir ist es erst Freitag eingefallen.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

17/10/19

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