Ich will mit dem gehen, den ich liebe
Ich will mit dem gehen, den ich liebe.
Ich will nicht ausrechnen, was es kostet.
Ich will nicht nachdenken, ob es gut ist.
Ich will nicht wissen, ob er mich liebt.
Ich will mit dem gehen, den ich liebe.
~Bertolt Brecht~
„Du solltest ihn suchen gehen."
Ein weiteres Mal verdrehte ich die Augen.
„Was denkst du denn, was ich den ganzen Tag gemacht habe? Hier herumgesessen und Däumchen gedreht?"
Sie schürzte nachdenklich die Lippen.
„Wer weiß, was du tust. Aber bist du dir sicher, dass du überall warst? Oder dass
er nicht mittlerweile in euer Hotel zurückgekehrt ist?"
Ich nickte.
„Ziemlich sicher. Ich habe die Dame am Empfang darum gebeten, mich zu informieren sollte irgendjemand, der auf Chris Beschreibung zutrifft, das Hotel betreten, auch wenn sie nur annähernd zutrifft. Bisher hat sie sich noch nicht gemeldet."
„Okay, gut. Ich kenne ein paar Läden, die auch spät abends noch geöffnet sind. Wir könnten da vorbeischauen."
Ich nickte, hielt dann jedoch inne.
„Wir?"
„Ja, wir. Ich habe euch ja irgendwie in diesen Schlamassel gebracht, also sollte ich es auch wieder gut machen. Außerdem habe ich mir für heute sowieso schon das Taxi geliehen und einen Haufen Freizeit. Hier in der Gegend passiert nicht gerade viel."
Zögerlich nickte ich.
„Okay, dann suchen wir zusammen. Lass und aber erst einmal aufessen. Geht auf mich."
Mar grinste mich breit an, dann tätschelte sie meine Hand.
„Sollten wir Chris nicht finden, kannst du gerne mein Freund werden. Ich habe noch etwas Platz im Bett, du musst dich nur mit meinen Haustieren abwechseln."
Ich schüttelte den Kopf über diese seltsame junge Frau. Ich war wirklich ein Magnet für Menschen, deren Charakter nicht weiter dem meinigen entfernt sein konnte. Zuerst Chris, jetzt Mar. Mein Magen zog sich zusammen, als ich ein weiteres Mal an meine erste Begegnung mit ihm zurückdachte.
Damals war alles so unkompliziert gewesen. Ich hatte geschrieben, mich hin und wieder mal menschlichem Kontakt ausgesetzt und ansonsten mein Leben als alleinstehender Mann genossen. Nur selten hatte mich die Einsamkeit überkommen, die Sofia aber immer mit ein paar netten Worten wieder vertrieben hatte, wohlwissend, dass dieses Gefühl mich in meiner Kreativität einschränkte. Und jetzt?
Jetzt saß ich in irgendeiner Kleinstadt in Spanien in irgendeinem kleinen Lokal mit einer Taxifahrerin und plante, nach einem Kerl zu suchen, in den ich mich in den letzten Wochen langsam, aber unaufhaltsam verliebt hatte. Und ganz ehrlich? Selbst wenn Chris mich hassen würde, wenn wir ihn fänden: Ich würde die Zeit um kein Geld der Welt zurückdrehen wollen.
Nie hatte ich mehr geschrieben und mich lebendiger gefühlt. Ich sehnte mich geradezu nach der Nähe zu anderen Menschen, doch diese Sehnsucht war kein Vergleich zu meiner vorherigen Einsamkeit. Viel eher war sie ein Zeichen für die Charakterveränderung, die mich, wie auch immer, überkommen hatte. Als Autor hätte ich mir wahrscheinlich selbst gratuliert, so eine Veränderung hinzubekommen. Und gleichzeitig fiel es mir schwer, tatsächlich zu verstehen, wie genau all das hier hatte passieren können.
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„Okay, hier wären wir."
Mar gestikulierte wild mit beiden Händen und deutete auf ein großes, beinah klobig wirkendes Haus. Die anderen Häuser in der Straße waren klein, mit gepflegten Gärten, das beinah perfekte Bild einer Vorstadt-Siedlung.
Doch das „Casa de ocio" besaß eine massige Fassade aus rotem Backstein mit großen, weißen Fenstern und einem einladenden Vorhof, auf dem mehrere teure Autos parkten. Trotz der Tatsache, dass die Mittagszeit längst eingebrochen war, strömten immer wieder junge Menschen durch die großen Türen, fröhlich miteinander redend und ein paar torkelten sogar.
Auf der Fahrt hierher hatte Mar mir erklärt, dass die meisten Leute, die hier in der Gegend Lust auf etwas Abwechslung hatten, das „Haus des Vergnügens" aufsuchten. Anscheinend gab es hier alles, was das Herz begehrte. Eine Art Kasino, einen Club, einen Kinosaal und sogar eine große Badelandschaft. Am Eingang entschied man sich, welche Bereiche man gerne besuchen wollte, dann zahlte man und bekam ein kleines Gummiarmband, welches mit einem Chip versehen war. Dieser Chip erlaubte es dem Besucher, die Türen zu öffnen und die Bereiche zu betreten oder verlassen.
Während wir dem Strom an Neuankömmlingen folgten und Mar sich neugierig umsah und immer wieder auf die Autos um uns herum deutete, war ich froh um die große Zahl an Menschen. Denn seit unserem letzten Stopp, ein kleines Motel mit einem recht guten Restaurant, wie Mar mir erzählt hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Eigentlich war ich kein paranoider Mensch, doch nach dem, was in den letzten Wochen alles passiert war – einschließlich der Verwüstung meines Hotelzimmers – war es schwerlich abzuschütteln. In dieser Menge jedoch stieg die Anonymität an und wer auch immer uns verfolgte, falls uns überhaupt jemand folgte, würde ein Problem haben, uns im Auge zu behalten.
Die Schlange im Inneren des Gebäudes war lang, bewegte sich aber zu meiner Erleichterung schnell voran. Der rote Teppich, auf dem wir standen, schluckte die Geräusche der vielen Menschen und auch die reduzierte Beleuchtung durch hohe Vorhänge vor den Fenstern und nur wenige Lichter verstärkten den Eindruck davon, allein zu sein. Der Besitzer wusste, wie er den Gästen das Gefühl von Exklusivität gab, so viel stand fest.
Nach wenigen Minuten, die wir hinter einer Gruppe kichernder Mädchen verbracht hatten, die, wenn mein Wissen mich nicht täuschte, über das Aussehen eines der Wachmänner geschwärmt hatte, erreichten wir schließlich eine der Kassen. Die Frau dahinter lächelte uns freundlich an, dann wollte sie wissen, wofür wir uns interessierten. Selbstbewusst wie eh und je erklärte Mar ihr in schnellem Spanisch, dass wir jeden Bereich haben wollten, dann stieß sie mich mit dem Ellenbogen an.
Na klar, ich durfte zahlen. Doch ich beschwerte mich nicht, schließlich war ich nicht zum Spaß hier, sondern zahlte wortlos die unverschämt hohe Summe, die die Kassiererin mit demselben blöden Lächeln annahm. Wahrscheinlich würde sie später über den blöden Ausländer lästern, der wohl noch nie so einen Laden besucht hatte.
„Warn mich nächstes Mal vor, wenn du mein Geld ausgibst", murmelte ich leise, nachdem wir die Sicherheitskontrolle passiert hatten.
„Wenn du dich dann besser fühlst", antwortete sie mit einem fröhlichen Lächeln, dann blickte sie sich in dem Bereich um, den wir betreten hatten, das Kasino.
Der Raum war groß mit einer hohen Decke, von der Kronleuchter hingen, die die vielen Tische beleuchteten. Trotz der Uhrzeit waren die meisten Tische besetzt, oftmals von Leuten in Abendgarderobe, die sich immer wieder Flöten voller Champagner von Tablets reichen ließen, die Angestellten ihnen reichten. Ich war nicht sicher, ob dieser Ort mich aufgrund dieses scheinbaren Reichtums beeindrucken sollte, oder ob ich stattdessen auf die eindeutigen Makel, wie die bereits abgenutzten Sitze, hinweisen sollte.
„Wie cool ist das denn. Oh, mira, dort drüben ist einer dieser Automaten, aus denen man sich Plüschtiere greifen kann. Wie wäre es..."
Ich ließ das Mädchen gar nicht erst ausreden.
„Nein Mar. Wir sind hier, um nach Chris zu schauen, nicht um zu spielen, schon vergessen?"
Sie schmollte, nickte aber. Dann richtete sie sich etwas auf und stolzierte los. Überrumpelt folgte ich ihr durch den Raum, bis sie schließlich vor einer Bar aus dunklem Holz – Ein Imitat, wie ich aus der Nähe erkannte – hielt. Ich stellte mich neben sie und sah sie fragend an, doch Mar schüttelte bloß grinsend den Kopf. Stattdessen lächelte sie den Barmann an, der vor uns zum Stehen gekommen war und begrüßte ihn mit zuckersüßer Stimme.
Für ein paar Sekunden schien sich das Gesicht des Mannes zu erhellen, wahrscheinlich geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte. Dann plötzlich fiel sein Gesichtsausdruck zusammen und seine Körperhaltung veränderte, bis sie weniger offen als viel eher abwehrend wirkte.
„No he mirado ningún hombre como él. Pides algo o te vas, por favor."
Überrascht über die Worte des Mannes zuckte Mar zusammen, dann nickte sie.
„Sí, claro."
Und dann zog sie mich mit sich weg. Ein weiteres Mal überrumpelt folgte ich ihr in eine Ecke des Kasinos. Dort stellte sie sich auf die Zehen, um mir leise ins Ohr zu flüstern: „Wir sind hier richtig. Er hat zwar gesagt, dass er niemand kennt, der auf Chris' Beschreibung passt, aber hast du gesehen, wie sein Verhalten sich verändert hat?"
Ich nickte, dann flüsterte ich besorgt zurück: „Klingt logisch. Die Frage ist jetzt bloß, weshalb er uns nichts sagen wollte."
Mar lehnte sich zurück und blinzelte mich an, Besorgnis zum ersten Mal an diesem Tag in ihren Augen.
„Denkst du, dass er in Schwierigkeiten steckt?"
Ich versuchte, nonchalant mit den Schultern zu zucken, doch ich versagte miserabel, denn mein scheinbar unbesorgtes Verhalten schien sie nur noch weiter zu irritieren. Also legte ich vorsichtig meine Hände auf ihre Schultern und sah sie fest an.
„Hey, mach dir mal keine Gedanken. Es gibt bestimmt eine gute Erklärung hierfür, die Chris uns erzählt, wenn wir ihn finden. Was bald geschieht."
Mar nickte, doch überzeugt schien sie nicht. Ihr Gesichtsausdruck zeigte noch immer Sorge und Anspannung, Gefühle, die mich seit heute Morgen selbst nicht verlassen hatten. Im Gegensatz zu ihr versteckte ich es aber besser, einer musste schließlich ruhig bleiben. Statt selbst in meiner Sorge zu ertrinken, gab ich ihr einen leichten Schubs.
„Zieh nicht so ein Gesicht, steht dir nicht. Lass uns lieber weitersuchen, vielleicht finden wir ja jemanden, der mehr zu sagen hat."
Mar nickte, dann setzte sie sich in Bewegung, wenn auch um einiges weniger fröhlich als zuvor. Wir suchten unseren Weg durch die Menge, bis wir eine weitere Tür erreichten, die uns in den Club führte. Auch hier wollte die Barfrau partout niemanden gesehen haben, der auf Chris' Beschreibung zutraf, obwohl mindestens drei andere Männer an der Bar standen, die er hätten sein können.
Das Personal des Kinos war auch keine Hilfe und die Badelandschaft durften wir gar nicht erst betreten, weil wir keine Badesachen dabeihatten. Also verließen wir das „casa de ocio" wieder. Dabei bemerkte ich die scharfen Blicke der Security, die mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließen. Anscheinend hatte man sie über uns und unsere Fragerei informiert.
Mar schien es gar nicht zu bemerken, während sie mit hängendem Kopf neben mir her zu ihrem Taxi trottete. Wir blieben daneben stehen und Mar seufzte, bevor sie mir einen traurigen Blick zuwarf, der meinem Herzen einen Stich verpasste.
„Tut mir leid, dass das hier passiert. Ich wollte doch nur, dass ihr wisst, dass es Leute gibt, die die Community und euch unterstützen, keinen Streit vom Zaun brechen."
Ich schüttelte den Kopf, dann tat ich etwas total uncharakteristisches: Ich umarmte Mar. Es war zwar etwas ungelenk, denn ich wusste nicht, wohin genau mit meinen Armen, doch es schien sie nicht sonderlich zu interessieren. Zitternd umarmte Mar mich ebenfalls, ihre Hände fest im Stoff meines Shirts.
„Das ist weder deine noch meine Schuld, Mar. Wenn, dann waren hier ein paar blöde Zufälle am Werk. Wir finden Chris, da bin ich mir ganz sicher."
„Okay", murmelte sie gegen meine Schulter, dann schienen ihre Arme sich noch etwas zu festigen.
Für ein paar Sekunden blieben wir so stehen. Dann jedoch spürte ich, wie ihre Hände und dann ihre Arme sich lösten und ich tat es ihr nach, während ich einen Schritt zurücktrat. Schniefend wischte Mar sich mit einer Hand über die Augen und versuchte sich an einem Lächeln. Plötzlich jedoch hielt sie inne, ihr Mund klappte auf. Aus dem Augenwinkel fiel mein Blick auf etwas, dass ein heller Audi sein könnte, dann spürte ich einen harten Schlag auf den Kopf, der mich schmerzerfüllt nach vorne taumeln ließ. Mar sah mich aus weit aufgerissenen Augen an.
„Elias..."
Ein weiterer Schlag sorgte dafür, dass ich Schwarz sah. Ich war weg, bevor mein Körper auf den Boden treffen konnte.
aaaaaaaaa
Wer hätte damit gerechnet? Ich lebe noch. Und ich möchte sagen, dass es mir sehr leid tut, dass so lange nichts gekommen ist. Irgendwie hat mir die Motivation gefehlt und ich war etwas unglücklich mit dem, was ich zu schreiben versucht habe.
Auch habe ich überlegt, zuerst das Buch zu beenden, bevor ich weitere Kapitel hochlade, aber irgendwie hat das noch weniger funktioniert. Jetzt jedoch bin ich zufrieden mit dem Geschriebenen und hoffe, dass euch dieses Ostergeschenk gefällt.
Over and Out sowie ein schönes rechtliches Osterfest (an die, die es feiern),
_Amnesia_Malum_
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