Freudvoll und leidvoll

Freudvoll
und leidvoll,
gedankenvoll sein,
Langen

und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
zum Tode betrübt,
Glücklich allein
ist die Seele, die liebt.

~Johann Wolfgang Goethe~

27. Januar. Um sechs Uhr in der Frühe riss mich mein Wecker aus dem Schlaf. Schlecht gelaunt, es war schließlich ein Samstag, quälte ich mich unter die Dusche und schlüpfte in einen dunklen Pullover und eine schwarze Hose.

Mit ungekämmten und noch nassen Haaren ließ ich dann eine Kanne Kaffee durchlaufen und machte mir eine wunderbare Schüssel Müsli. Während ich mein Frühstück verdrückte checkte ich meine Emails auf meinem Handy. Wie zu erwarten war tauchten nur Spam-Benachrichtigungen auf, die ich geflissentlich ignorierte.

Dann rief ich meine Messenger-App auf. Mit einem kleinen Lächeln stellte ich fest, dass Chris der erste in meiner Kontaktliste war, der angezeigt wurde.

Ehrlicherweise war genau das der Grund dafür, dass ich überhaupt so schlecht drauf war. Da ich mit ihm geschrieben hatte belief sich die Dauer meines Schlafes auf vier Stunden. Aber das war es Wert gewesen.

In den letzten Tagen hatten wir oft viel geschrieben. Chris schrieb zu den seltsamsten Uhrzeiten und ich antwortete zu den gleichen, seltsamen Uhrzeiten. Und, man glaube es kaum, ich verstand teilweise die neuen Abkürzungen, die beim texten verwendet wurden. Wunder gab es noch.

Müde quälte ich mich dann wieder die Treppen hinauf und föhnte meine Haare. Als diese halbwegs gut lagen überprüfte ich, ob alle Fenster in meinem Haus verschlossen waren und sammelte dann das Zeug zusammen, das ich heute brauchen würde.

Da ich immer noch keine gute Idee für einen neuen Teil hatte schnappte ich mir zuerst mein Notizbuch. Dann brauchte ich noch meine Powerbank, eine Ausgabe meines neuesten Buchs, Portemonnaie, Handy und Schlüssel.

Nachdem ich meine Schuhe angezogen und meinen Mantel übergeworfen hatte holte ich noch den Kaffeebecher. Dann verließ ich auch schon das Haus. Auf mich wartete eine fünf Stunden lange fahrt. Um 15 Uhr würde dann die Vorlesung stattfinden und mit viel Glück wäre ich um 22 Uhr zuhause. Sehr viel Glück.

Der Verlag hätte mir auch ein Hotelzimmer gestellt, aber ich hasste es in Zimmern zu schlafen, die nicht mein Schlafzimmer waren. Darum fuhr ich auch lieber um sieben Uhr los.

Die Fahrt dauerte, dank einem Stau, noch länger als erwartet. Ich traf etwa um 13 Uhr vor dem Saal ein, indem ich bald die Leute unterhalten würde. Glücklicherweise fand ich einen Parkplatz, der nicht weit von der großen Halle entfernt war.

Nachdem ich dreimal nachgesehen hatte, ob mein Wagen auch wirklich verschlossen war, begab ich mich zu Eingang C. Während ich lief rief ich Sofia an.

„Ich komme jetzt gleich."

Weder ließ sie mir Zeit für eine Begrüßung noch, um mich bei ihr zu bedanken. Typisch. Sobald sie einmal begann etwas zu planen, dann konnte man sie nicht mehr davon abhalten. Nur Perfektion akzeptierte sie, weshalb meine Outfits ihr auch regelmäßig missfielen.

Aber ich würde nicht, bloß weil es besser zu den Räumen, meinen Büchern oder dem Publikum passte etwas an meinen Klamotten ändern.

Zu meiner endlosen Überraschung stellte ich fest, dass schon die ersten Leute in einer kleinen Schlange vor dem Eingang warteten. Keiner von ihnen schien mich zu bemerken, während ich dem separaten Weg für das Personal folgte, doch ich bemerkte die ein oder andere Ausgabe meines neuesten Teils.

Eigentlich hielt ich mich, trotz all der Leser, nicht für einen Autor, den man unbedingt treffen wollte. Es gab da draußen tausende und abertausende talentierte Menschen, deren Talent das meine übertraf. Und dennoch, obwohl ich keine abenteuerhaften oder gar lustigen Anekdoten von mir geben konnte wollte man mir zuhören.

Automatisch, wie durch den tickenden Zeiger einer Uhr, wurden meine Gedanken zu Chris geleitet. Was sah er in mir? Es musste schließlich einen Grund geben, weshalb er mir so bereitwillig bei unserem zweiten Treffen geholfen hatte. Was auch immer es war, ich war froh, dass es existierte.

Allein das nur vor mir selbst zuzugeben erleichterte mich, wie ich verblüfft feststellte. Es beunruhigte mich. Nicht nur, wie wichtig er mir trotz ein paar Treffen schon war, sondern auch, wie glücklich ich war, ihn zu kennen.

„Ah, Elias, da bist du ja endlich."

Mein Kopf, den ich gedankenverloren gesenkt hatte, schoss abrupt in die Höhe. Keine zwei Schritte entfernt stand meine Agentin, die Arme in die Hüften gestemmt und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.

„Komm mit, ich muss dir noch ein paar Sachen zeigen."

Ein lautloses Seufzen entkam meinen Lippen während ich hinter ihr hertrottete. Ich hatte jetzt nun wirklich keine Lust darauf, mir Details über irgendwelche Blumen im Saal anzuhören.

Dementsprechend schlecht gelaunt war ich dann auch, als ich nach 1,5 Stunden endlich in einen Raum geschoben wurde, in dem eine große Couch, Essen und noch mehr Blumen auf mich warteten.

Die bunten Sträuße ignorierte ich einfach und ließ mich auf das dunkle Leder fallen. Dann streckte ich mich und griff nach einem Stück Kuchen, das mit weiteren auf dem kleinen Couchtisch wartete.

Sofia schoss derweil durch den Raum und inspizierte die Sträuße.

„Du solltest dir unbedingt einmal diese Blumen ansehen. Ein paar deiner Fans haben sie geschickt und es wäre Schade, wenn du ihnen nicht die Ehre gebühren lässt, sie kurz anzusehen."

Immer noch mit etwas Kuchen im Mund ließ ich mich vollends gegen die Sofalehne fallen und stöhnte genervt.

„Du hast mich anderthalb Stunden lang Blumen anschauen lassen. Also gib mir die Chance zu einer Erholung. Ich muss schließlich gleich noch da raus, etwas aus meinem Buch vorlesen, unnötige Fragen beantworten und mich mit Menschen unterhalten die so blöd sind und Geld dafür ausgeben, mit einem unsozialen Menschen wie mir zu reden."

Versteht mich nicht falsch, ich liebte meine Fans, aber wenn mir in einer Viertelstunde dreimal die Frage gestellt wurde, welches das Lieblingsessen des Nebencharakters Guilio, der für genau zwei Sätze erwähnt wurde, war, dann zweifelte ich.

Aber von so etwas wollte Sofia ja nichts hören. Wobei man auch anmerken musste, dass sie mich auch manchmal solche Dinge fragte. Am Anfang hatte mich do etwas überfordert, aber mittlerweile hatte ich Standardantworten entwickelt.

Wenn ich nach Lieblingsessen oder ähnlichem gefragt wurde, dann zwinkerte ich den Frauen zu und antwortete mit „Was auch immer Sie gerne mögen, es würde ihm bestimmt gefallen" oder bei den Herren mit „Kann man sich da überhaupt entscheiden?". Vielleicht nicht die kreativsten Antworten, aber sie entsprachen manchmal dem Level der Kreativität meiner Leser.

„Elias, komm schon, steh auf. Du musst noch etwas trinken und dir die Stellen, die du vorliest, anschauen. Hast du dir überhaupt schon welche rausgesucht?"

Seufzend griff ich nach meinem Buch und deutete auf die Post-Its, du oben und an der Seite herausragten. Dann trank ich demonstrativ einen Schluck Wasser und räusperte mich.

„Es wird alles gut gehen, Sofia. Das ist nicht das erste Mal, dass ich eine Vorlesung halte."

Sie nickte und atmete tief durch.

„Du hast recht, ich sollte mich entspannen."

Dennoch huschte sie einige Minuten später wieder umher um sicher zu gehen, dass auch alles nach Plan verlief. Oh Gott, diese Frau würde wahrscheinlich noch ihre eigene Beerdigung planen und später als Geist heimsuchen um sicher zu gehen, dass alles nach Plan verlief. 

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_Amnesia_Malum_

07/02/19

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