4➳ Schockstarre

Kyrenia | Zypern
{3 Jahre später}

Arzu

𝕳ektisches Atem fusioniert mit Augen voller sich hinaufkämpfenden Tränen behinderten meine Sicht.
Lautes, unkontrolliertes, ein beinahe schon absolut gerissenes Keuchen, das in meinem Ohren so unbekannt erklang, war das einzige Lebenszeichen meinerseits durch das man ansatzweise schlussfolgern konnte, dass ich noch mit einem Bein in der Menschenwelt verharrte. Und das, obwohl meine Seele schon längst Adieu gesagt und das Weite gesucht hatte.

Meine Hände zitterten durchgängig, als würde mich ein Erdbeben durchrütteln, derweilen ich meinen fünften Versuch startete den Schüssel in das Türschloss zu stecken. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob es sich bei dem Schlüssel in meiner Handinnenfläche um besagtes handelte mit dem ich die Wohnung betreten konnte. Jedoch war mein Körper so sehr darauf bedacht lediglich auf meine Bewegungen zu reagieren, um meinem jämmerlichen Schluchzen dabei keinerlei Beachtung schenken zu müssen, dass es wie ein ferngesteuerter Roboter mechanische Handlungen vollführte.

Letztlich war es dann sogar selbst für mich ein Rätsel gewesen, als das gewünschte und lang ersehnte Klick ertönte und ich übereilt und mit ungeschickten Schritten beinahe über meine eigenen Füße gefallen in unsere Wohnung stolpert wäre.

In dem Moment, als ich mit dem Eintreten in die Wohnung direkt im Wohnzimmerbereich landete, spürte ich auch schon ein Augenpaar an mir haften, welches sich durch ein erfreutes Lachen zu bekennen gab und meine Vermutungen bestätigte.

»Hey ! Du bist aber früh da. War denn... ?«

Stille.

Daphne, die es sich auf dem Sofa mit einer Zeitschrift gemütlich gemacht hatte, hielt inne. Mein Körper bebte so sehr, dass ich mich nicht einmal zu ihr drehen konnte, aus Angst, dass meine Füße unter mir jeden Moment nachgeben könnten.

Ich hörte Schritte, aufgeregte, schneller werdende Bewegungen und dann ein Gestolper, ehe sie im letzten Moment ihr Gleichgewicht wieder herstellte.

»Arzu...«

Daphnes so jungen unkonventionellen Gesichtszüge zierte ein großes Fragezeichen, als sie mich ansah und meine ganze Erscheinung ins Visier nahm.
Kurzzeitig inspizierten ihre hell leuchtenden Augen meine verschmierte Wimperntusche, die durch die Tränen unebene senkrechte Linien auf meiner reinen Haut erzeugt hatten, ehe sie den Blick sinken ließ, meine nasse Kleidung begutachtete und an meinen bebenden Schultern zum Halt ansetzte.

Sie streckte sorgevoll und behutsam langsam die Hand nach mir aus, doch als sie das Entsetzen in meinem Gesicht sah und bemerkte, wie ich beim Anblick ihrer Hand einem scheuen Reh ähnelnd zusammenzuckte, da erschrak auch sie selbst, sodass sie ihr Vorhaben auf halber Strecke verwarf.

Ich sah ihr an, dass ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete, dass sie etwas sagen wollte und gleichermaßen auch so unschlüssig darüber war, wo sie überhaupt anfangen sollte. Auf der anderen Seite schien mich ihr direkter Blick ebenfalls anzuflehen etwas von mir zu geben, nur etwas, damit sie anhand dieser weiter voranschreiten konnte. Doch während sie gebannt an meinem Lippen hing, trocknete meine Kehle, mit einer welkenden Pflanze konkurrierend, aus.

Diesem Anblick konnte ich nicht länger standhalten. Meine Unterlippe fing von erneutem verräterisch an zu zucken und bevor sie mich in diesem miserablen Zustand noch länger ertragen musste, zwängte ich mich neben ihr durch und huschte in mein Zimmer.

Mit einem lauten Knall, der das Donnern meines inneren Zustandes nicht bei weitem überbrücken konnte, drehte ich im nächsten Augenblick, wie automatisch geleitet, den Türschlüssel im Türloch um, ehe ich rückwärts zurücktrat und auf die Tür starrte.

Im selben Moment, als ich die Tür abgeschlossen hatte, wurde die Türklinke auch schon von Außen nach unten gedrückt. Als sich nichts tat, versuchte sie es einige Anläufe annehmend von erneutem.

»Arzu... Arzu was ist denn los ? Bitte mach die Tür auf, du machst mir Angst !«

Automatisch presste ich beide Hände, zur Faust zusammengeballt, an meinen Mund, nachdem ich das Herabgleiten einer nassen Spur auf meiner Wange zu spüren bekommen hatte. Bevor mein Schluchzen mich jedoch verraten konnte und Daphne hinter der Tür womöglich einen Kollaps erlitt, war es das Beste keinen Mucks von mir zu geben.

Es folgten weitere Rufe und auch das Klopfen an der Tür wiederholte sich, doch je länger dies anhielt, desto stärker wurde mein Wille dadurch angespornt, dem nicht nachzugehen.
Mit schweren Herzen und dazu bildlich passend meinen Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, ging ich rüber zu meine Kommode an dessen Antrichte ich mich abstützte und hektisch nach Atem schnappte.

Diese Augen ! Dieses Bild... diese Frau... die war ich nicht mehr !

Ich schüttelte den Kopf, wie wahnsinnig, weil ich dieses Bild von mir aus meinen Gedanken bekommen wollte. Ich wollte mein Spiegelbild nicht mehr sehen, nicht mehr daran erinnert werden, weil ich mich ansonsten mit den Ereignissen dazu außereinander setzen müsste und alles automatisch wieder hoch kam. Mein schwaches Herz würde dies nicht mitmachen. Ich würde erneut fallen, viel zu tief, als dass ich die Kraft besaß wieder aufstehen zu können. Das durfte nicht passieren !

Nachdem das Klopfen an der Tür nachließ, mein Puls sich einigermaßen regenerierte, ich mich hingegen gefühlsmäßig an meinem persönlichen Tiefpunkt befand und einzelne Tränen über meine Kiefer hinab wanderten, da schritt ich auf mein Bett zu, legte mich ganz an den Rand und zog meine Beine dicht an meinen Brustkorb, sodass ich eine Embryonenform einnehmend, mich einfach nur starr auf meine Decke niederlegte, bis ich von allem Weinen keine Kraft mehr besaß und letztlich in einen viel zu komfortablen Schlaf abdriftete. Ich ließ meine Hand über meine Bettwäche gleiten, suchte nach dem Bilderrahmen, welches ich immer entweder in meinem Kissenbezug oder seitlich meiner Bettkante versteckte. Als ich dies zu ertasten bekam, drückte ich es an meine Brust und weinte mir liegend die Augen aus.

Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte. Als ich hingegen das nächste Mal wach wurde und die Augen öffnete, schrie ich. Ich schrie laut, sehr laut, dass selbst meine unempfindlichen Ohren zu Schmerzen begannen. Hindern konnte ich mich aber dennoch nicht, ich tat es, ununterbrochen, während sich der Schweiß auf meinem Körper mit meinen Tränen mischte. Ich schob meine Decke von mir, die ich mir nach meinem kurzen Toilletengang übergestreift hatte, winkelte meine Beine so an, dass ich mich mit dem Kopf dagegen lehnen konnte und schluchzte je länger ich über den Albtraum nachdachte, der mich heimgesucht hatte, nachdem ich vor lauter Erschöpfung eingeschlafen war.

Deine Schuld ! Deine Schuld ! Es ist nur deine Schuld !

Die Zimmertür kam mit einem lauten Knall an der Wand an, anschließend die Lampe meines Zimmers angeknipst wurde. Mein Kopf auf meinen Knien. Meine Augen waren fest zusammendrückt, derweilen die Tränen radikaler herabströmten und ich meine Fingernägel fest in meine Knie krallte.

»Du meine Güte...«

Ich spürte Hände auf meinen Schultern, die meinen bebenden und zugleich verkrampften Körper wieder gerade zu rücken versuchten, doch widerstrebend stellte ich mich dem entgegen. Ich wollte nicht, dass sie mich so sah... in diesem Zustand.

Doch je gerissener mein Schluchzen, je verzweifelter mein Inneres wurde, desto mehr schien mein Gegenüber gewillt zu sein mich in meiner Gerissenheit zu stoppen.

Ich griff mit meinen Fingern in meine Haare und zog von einem tief anliegenden Bedürfnis gepackt ganz feste an ihnen, ehe ich aufschrie. Ich strampelte widerstrebend mit den Füßen, schüttelte mein Kopf hin und her, dem meine Haare Folgschaft leisteten. Meine Arme kratzten wie besessen an meinem Oberarmen, bildeten lauter rote Streifen auf meinem Körper.

»Arzu!« Ich wurde so plötzlich an den Armen gehalten und gerüttelt, dass ich nach Luft schnappte. Einen kurzen Moment lang blickte ihr verdutzt in ihr Gesicht. Doch nur wenige Sekunden später zitterte meine Unterlippe erneut und ein entsetzter Ausdruck machte sich in den Zügen meines Gegenübers breit. Es war Daphne anzusehen, dass sie sichtlich überfordert und aus der Bahn geworfen war. Denn so kannte sie mich nicht, so hatte sie mich noch nie erlebt. Niemals.

Ich wimmerte, zunächst ganz leise, bis mein Wimmern drohte sich wieder in einen Mark erschütternden Schrei umzuwandeln. Ich konnte einfach nicht bei mir halten, als die Bilder meines Albtraumes immer wieder wie Blitze aufflackerten.

Daphne hatte währenddessen angefangen langsam mit ihrer Hand meinen Rücken rauf und runter zu fahren und flüsterte mir beruhigende Worte zu.

»Ich... du musst mir glauben. Ich wusste nicht, wer er ist... Ich... ich kenne nichts außer seinen Namen. Das schwöre ich. Ich wusste nicht, dass...«

Ich warf mit den Wörtern wild und unklar um mich. Weder ergaben meine gesagten Satzfetzen einen Sinn, noch stellten sie einen gewissen Anhaltspunkt dar, an den sich Daphne festklammern konnte. Ich stotterte und wiederholte mich in meinem Wortlaut, immer und immer wieder, bis ich mich selbst darin verschanzte, auch Daphne völlig den Überblick verlor und überforderte mit den Augen über mein Gesicht wanderte.

»Arzu...bitte beruhige dich. Beruhig dich damit ich dir helfen kann. Ist irgendetwas während der Auktion passiert ? Hat dir jemand weh getan ?«

Sie klang besorgt und auch ihre Stimme hatte zu zittern begonnen, denn sie wusste nicht, wie sie mich noch zu halten hatte, bevor ich endgültig zerfiel.

Ich schüttelte den Kopf, nicht imstande dazu die Verzweiflung, die Scham, die ich verspürte ansatzweise in Worte zu fassen.

Doch dann stoppte sie mitten in ihren beruhigenden Bewegungen, als sie meinem Blick folgte, der nun auf den Bilderrahmen in meinen verwüsteten Bettlacken gerichtet war und von meiner dünnen Decke fast komplett verdeckt wurde.

Langsam streckte sie die Finger danach aus. Als sie nun das ganze Bild in dem Bilderrahmen zu sehen bekam, da zog sie die Luft ein und blickte hypnotisiert auf das glücklich vermählte Paar, welches in die Kamera lächelte.

Ihre Augen öffneten sich einen ganzen Spalt und sie blinzelte, wie als könnte sie nicht glauben, was sie soeben vor sich hatte.

»Du... du bist... warst verheiratet ?«

Ich blickte traurig auf das Bild nieder, ehe mich die Sehnsucht packte und ich den schönen Mann auf dem Bild betrachtete.

Ich vermisse dich ! Ich vermisse dich so sehr.

Und bevor überhaupt eine erneute Welle der Trauer meinen Körper zu zerschmettern drohte, ließ Daphne den Bilderrahmen auf den Laken fallen und schloss mich fest in ihre Arme.

Und ich ließ zu, mich einmal fallen zu lassen. Das erste Mal meine Schwächen offen darzulegen. Die stets positive, sich zurück haltende, immer nett auftretende Arzu... Diese Maske legte ich ab, sodass meine Schattenseite, die mir das Leben bescherrt hatte zu Ausdruck kam. Daphne hatte nun auch zu sehen bekommen, dass die Stille, die mich beherbergte tiefe Quellen vorzuweisen hatte. Ganz ganz tiefe.

Sie wusste nicht, um was es dabei ging, aber zumindest erkannte sie nun, dass ich aus einem bitteren Krieg, der mir all diese tiefe Wunden bescherrt hatten, zurückgekehrt war.

~∞~

Ich konnte mir nicht erklären woran es lag, ob es eher davon abzuleiten war, dass ich sowieso in letzter Zeit bei meiner Arbeit viel zu viel meinen Körper überlastet hatte oder an der Begegnung von vor einigen Tagen, die meine Vergangenheit über mich hatte einstürzen lassen. Doch, nachdem ich in derselben Nacht weinend in Daphnes Armen eingeschlafen war, hatte der darauf folgende Tag den nächsten Ärger herzlich willkommen geheißen.

Ich hatte mich nicht mehr aufrecht stellen können. Mein Körper war wie gelähmt und meine Augen brannten höllisch, sodass ich sie nur einen kleinen Spalt öffnen konnte, da meine Leider zum einen angeschwollen waren und da sie zum anderen bei jeder kleinsten Regung schmerzten. Als diese Schlappheit auch im weiteren Verlauf des Tages nicht von mir ließ, hatte Daphne es letztlich nicht mehr ausgehalten und war mit mir zum Arzt gefahren.

Zusätzlich zu all dem ganzen Drama nämlich hatte ich mir also auch noch nebenbei eine schreckliche Erkältung eingeholt, durch die ich zur Bettruhe verdonnert wurde.

Daphne hatte mich im Anschluss sofort bei meinen beiden Nebenjobs krank gemeldet und hatte sich obendrein dazu auch noch selbst einige Tage freigenommen, damit die junge Griechin mich gesund pflegen konnte, trotz dass ich meinte es sei nicht nötig. Schließlich wusste ich ebenso wie sie, dass sie auf dieses Geld angewiesen war um über die Runden zu kommen.

Sie hatte mich nicht angehört und hatte ihre Sturköpfigkeit wie immer exzellent unter Beweis gestellt.

Die letzten Tage hatten nicht viel mit sich gebracht. Denn obwohl Daphne so sehr bemüht war, war ich keineswegs ansprechbar gewesen. Permanent in meinen Gedanken versunken, hatte ich mich von der Außenwelt abgeschottet. Und nach mehreren Fehlversuchen hatte auch meine Mitbewohnerin eingesehen, dass Schweigen im Augenblick die beste Methode war, die sich anbot.

Sie hatte mir nur um die selbe Uhrzeit immer wieder zwei bis drei Mal am Tag, meine Medikamente und ebenfalls etwas zu essen vorbeigebracht, anschließend sie mir meinem Freiraum gewährte. Ich wusste, dass ihre reservierte Zurückhaltung eng mit meiner Verhaltensweise zusammenhang, und trotzdem konnte ich nicht reagieren, oder wenigstens eine kleine Entschuldigung für mein Verhalten kund geben. Ich versuchte im Moment nichts Weiteres, als Tag täglich dafür zu kämpfen diese Bilder aus meinem Kopf zu bekommen.

Und dann fielen mir mittendrin auch noch die Blicke der Gäste ein.
Wie mich diese Menschen angestarrt hatten. Wachsam, kritisch mit neugierigen Blicken und wie ihre Augen dann auf das Gemälde gehuscht waren.

Nichts war mehr von dieser selbstbewussten Frau übrig geblieben. Wir waren ein und dieselbe und doch so unterschiedlich wie Tag und Nacht.

Und dann war da noch er... Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich wusste nicht einmal bis vor einigen Tagen, dass er hier wohnte, und, dass er einen ansehnlichen Namen hatte. In Wahrheit kannte ich gar nichts von ihm... Ich hatte ihn nie wirklich kennengelernt, bis auf die eine Nacht, die mein Verderben symbolisierte.

Als diese Gedanken mich wieder zu übernehmen drohten, schmiss ich meine Decke zur Seite und rückte bis zur Kante des Bettes vor. In einer Leggins und einem dicken Strickpullover bekleidet, erhob ich mich, zog mir meine am Bett liegenden Pantoffeln über und ging auf meine Zimmertür zu. Wenn ich einen Tag länger mit diesen Gedanken verbrachte, wie die letzten Tage auch, dann würde ich womöglich durchdrehen.

Also wühlte ich in meinen verwüsteten Gedanken nach meinem schlummernden Kämpferwillen, zog regelrecht meinen ganzen Mut aus dem Tiefschlaf und entschloss mich, ab dem heutigen Tag wieder meinen Weg forzusetzen.

Ich wollte zur Küche gehen bevor Daphne gleich um dieselbe Uhrzeit mit einer Tasse Tee und einer Kleinigkeit zu mir rüber kommen würde.
Mit dem Verspeisen meiner Mahlzeit in der Küche wollte ich ihr zeigen, dass ich mich langsam wieder in Griff hatte und nach vorne schauen würde. Denn ich konnte mich nicht für ewig in mein Zimmer einsperren und mich entweder von meinen Gedanken runterziehen lassen oder einen Buch nach dem anderen still vor mich hinlesen. Außerdem war auch Daphne nicht dazu angewiesen mich wie eine Mutter zu bevormunden. Sie hatte selbst ein Leben um das sie sich kümmern musste.
Ich war so verstrickt in meine eigenen Gedanken, dass ich sie nicht einmal gefragt hatte, wie das Date mit Taylan gelaufen war. So durfte ich nicht weiter machen.

Leise öffnete ich die Tür und steckte zunächst einmal meinen Kopf raus, um den Blick auf den Wohnzimmerbereich unmittelbar vor mir zu richten. Als es auch nach Sekunden mucksmäuschen still blieb, setzte ich den ersten Schritt über die Türschwelle, anschließend weitere nacheinander folgten. Bevor mich der Mut verließ und ich auf halbem Wege kehrt machte, um mich erneut in meinem Zimmer zu verschanzen, legte ich unauffällig leise den Weg in die Küche an.

Vor der großen bogenförmigen Wand setzte ich erstmals wieder zum Halt an, denn Daphnes blonden Locken stachen mir sichtlich wie eine Atombombe entgegen, als ich sie am Herd unserer altmodischen kleinen Küchenantrichte entdeckte, die wir uns anhand vieler Überstunden bei der Arbeit hatten leisten können. Sie hatte ein eintöniges, unterhalb mit Fransen versehenes Kleid an und ihre Haare waren mit einer Bandana nach hinten gebändigt worden, sodass einzelne Strähnen ihres Stufenhaarschnitts sie nicht unnötig nerven konnten.

In Gedanken versunken, hatte sie die eine Hand an ihre Hüfte gestemmt, derweilen sie in der anderen einen Kochlöffel hielt, mit der sie in der Brühe rührte, die sich durch den dampfenden Rauch aus dem silbernen Topf vor ihr bemerkbar machte.

Kurz musste ich bei diesem Anblick aufschmunzeln, da ich wusste, wie viel Überwindung es Daphne kostete sich Tag täglich nun vor den Herd zu stellen und zu kochen. Im Gegensatz zu mir nämlich war das Kochen für sie die reinste Foltersache.

Gerade als ich diesen Anblick einige Sekunden länger genießen wollte, drehte sie sich auch schon um und erstarrte, als sie mich am Türrahmen erblickte. Erstaunt über mein Erscheinen richteten sich ihre Augenbrauen auf, ehe sie sich wieder um einen gefassten Ausdruck im Gesicht bemühte.

»Ich habe dir Suppe zubereitet und wollte sie dir gleich bringen.«

Seit Tagen hatte ich keine ordentliche Mahlzeit zu mir genommen und trotz dessen hatte sie jeden Tag aufs neue ein warmes Gericht für mich zustande gebracht und mir diese ins Zimmer gebracht. Dabei hatte ich sie ignoriert, hatte nur geradeaus auf die Wand gestarrt. Das schlechte Gewissen zermahlte mich, weshalb ich, um meinen Willen nochmal deutlich darzulegen auf die Kochinsel zusteuerte und mich auf eine der Hocker setzte.

»Ich möchte heute in unserer Küche essen«, sagte ich.

Sie schwieg Sekunden, ihre Augenbrauen erhoben sich, aber damit ich dies nicht mitbekam, wandte sie sich erneut der Suppe zu. Konzentriert, um ihre Gedanken wieder auf eine glatte Ebene zu bringen, ging sie stumm ihrer Arbeit nach, kochte und schüttete letztlich in eine kleine Schüssel die Suppe rein, anschließend sie weiterhin schweigend diese von der gegenüberliegenden Seite der Kochinsel in meine Richtung schob, sodass sie danach beide Hände an der Theke abstützend, ihre Augen wachsam auf mich fokussierend, jeder meiner Regung, die ich tat, verfolgen konnte. Verwunderlich fand ich diese Verhaltensweise hingegen nicht, denn zugegeben, mich würde es auch stutzig machen, wenn ich an ihrer Stelle wäre und die 180 Grad Wendung einer Person von einem auf der anderen Tag vor mir zu sehen bekommen hätte.

Also ließ ich mich trotz dieser Unannehmlichkeit ihrer fokussierten Blicke nicht wieder in mein Schneckenhaus verschanzen, sondern nahm den Löffel, den sie mir danach reichte, in die Hand und tunkte es in die Brühe. Vorsichtig nahm ich einige Schlücke davon und gab einen wohligen Laut von mir, als ich den leichten Zitronengeschmack ausmachen konnte.

Ich hob lächelnd den Kopf an.

»Das schmeckt wirklich köstlich, Daphne.«

Sie nickte, lächelte nicht, freute sich nicht über meinen Kommentar. Dies verunsicherte mich dann doch etwas, doch ich brachte kein Wort heraus, sondern entschied mich weiter zu essen, bis sie mich mit ihrem Seufzen davon abhielt.

»Mach das nie wieder Arzu.«

Irritiert hob ich den Kopf an.

»Ich habe mir Tage lang Sorgen gemacht, habe in den Zeitungen nachgeschaut, auf der Suche danach ob da irgendetwas vorgefallen ist, ob dich jemand überfallen, dir etwas angetan hat. Ich war sogar gewillt meinen Chef anzurufen und ihm die Wahrheit zu beichten, nur damit mir irgendjemand endlich erzählt, was da verdammt nochmal passiert ist, dass dich das so sehr hat verstören lassen.«

»Daphne ich...«

Sie hob die Hand, brachte mich damit unweigerlich zum Schweigen.

»Ich bin noch nicht fertig. Ich möchte nicht unfair sein und alle Aufmerksamkeit auf mich lenken. Es gab etwas, was dich bedrückt hat und das verstehe ich. Ich verstehe auch, dass du vielleicht Zeit für dich gebraucht hast, aber sich so sehr abzuschotten war nicht gesund ! Ich bin gestorben vor Sorge...«

Sie blickte gen Küchendecke, weil es sie eine Menge Überwindung kostete ihre nächsten Worte auszusprechen.

»Ich habe in meinem Leben viele Menschen zerbrechen sehen, Arzu und es hat mich jedes Mal fertig gemacht, weil ich diese Menschen zu nah an mich ran gelassen habe. Das will ich nicht noch einmal durchmachen müssen. Denn ich habe nicht mehr die Kraft diese Hürde zu überwinden.«

Ich biss mir bei ihren Worten auf die Unterlippe.

Daphne und ich hatten, bevor wir uns kennenlernten, Erfahrungen in unserem Leben gemacht, die wir in der Vergangenheit ruhen lassen wollten. Ich hatte weder sie, sie noch mich bedrängt. Wir hatten es akzeptiert, hatten dies nicht hinterfragt. Doch unsere Bindung zueinander wuchs von Tag zu Tag an und sie hatte gerade etwas von sich Preis gegeben, wenn auch nur verschlüsselt, was ihr in der Vergangenheit viel Leid zugefügt hatte. Ich schämte mich plötzlich für mein egoistisches Verhalten, dass ihr Tage lang dargelegt hatte.

»Daphne... es tut mir leid. Du... du hast vollkommen recht. Mein Verhalten war inakzeptabel. Das wird nicht wieder vorkommen.«

Sie bedachte mich mit einem prüfenden Blick, lange, stillschweigend. Sie glaubte mir, das erkannte ich daran, dass sie sich wieder entspannte, doch lag etwas in ihrem Blick, was mich dennoch dazu wies auf der Hut zu bleiben.

»Ok.« Sie lächelte.

Ich lächelte zurück, in der Hoffnung, alles geklärt zu haben und mich endlich wieder meinem Alltag widmen zu können. Doch da hatte ich mich zu früh gefreut, wie die nächsten Worte meines Gegenüber mich bestätigten.

»Aber eine Frage hätte ich da noch Arzu: Wo ist dein Ehemann

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