2➳ Tiefblau

Emran

𝕿ief atmete ich aus und blickte mich im Spiegel an. Mein Ebenbild repräsentierte einen nicht zu überragenden Geschäftsmann, dem die Welt wie immer unter den Füßen lag. Der maßgeschneiderte Anzug, die schwarzen Lackschuhe, die extra aus Mailands exquisitsten Modehäusern importiert wurden und das weiße Hemd, was ich unter dem vornehmen Jackett trug, ließen mich makellos erscheinen.

Lediglich einige offene Knöpfe meines Hemdes und die darin umschlungene Krawatte, die noch nicht ordnungsgemäß angepasst wurde, verpasste dem Look einiges an Lässigkeit. In den Spiegel blickend fokussierte ich meine Krawatte und hob die Hände an, um diese zuzubinden. Nachdem ich dem nachgegangen war und meine Augen erneut Richtung Spiegel gerichtet hatte, zog ich mürrisch gestimmt, die Krawatte mit einem Ruck wieder aus meinem Hemdkragen raus. Ich war mit meinen 29 Jahren immer noch der festen Überzeugung, dass Krawatten mir nicht standen. Sie sahen nicht gut oder elegant aus, sie waren spießig.

Ich warf das Stück Stoff auf das Bett hinter mir und griff nach dem Glas Wein, aus dem ich ein Schluck nahm. Ich hatte mich nicht rasiert, weshalb ein drei Tage Bart meine ausgeprägten Gesichtszüge zierte und somit meine hellen Augen näher zur Geltung brachte. Einen langen Atemzug nehmend, fuhr ich mir über die -von der Schlaflosigkeit gekennzeichneten Augen, ehe ich im Zimmer auf und ab lief.

Ich war heute Morgen bewusst früh aufgestanden, da ich sowieso die letzten Tage über von einem unruhigen Schlaf umgeben worden war. Aus diesem Grund hatte ich mich also mit dem Aufgehen der Sonne in das neu errichtete private Fitnessstudio in der untersten Etage meines Anwesens begeben und hatte versucht mich auf andere Gedanken zu bringen. Vergebens.
Das Krafttraining und das Laufen auf dem Laufband hatten mir zwar jegliche Energie geraubt, sodass ich in der nächsten Nacht mit großer Wahrscheinlichkeit einige Stunden mehr an Schlaf abbekommen würde. Nichtsdestotrotz hatte dies jedoch nicht zur Besserung meiner Stimmung beigetragen.

Erneut wollte ich nach meinem Glas greifen, als es zaghaft an meiner Zimmertür klopfte.

»Herein«, verkündete ich einsilbig und recht tonlos. Als ich hingegen die karamellfarbigen Haare meiner einigen Jahre jüngeren Schwester Efthalia am Türrahmen aufblinzeln sah, löste sich für einen kurzen Moment die Anspannung von meinem Körper und ein leichtes Lächeln zierte meine Lippen.

»Darf ich reinkommen ?«, fragte sie mit aufleuchtenden grünen Augen, die die einzige äußerliche Gemeinsamkeit war, die wir vorwiesen, derweilen sie mit dem Kopf durch die Tür blickte und der Rest ihrer zierlchen Gestalt zwischen Raum und Türschwelle verharrte.

Als ich ihr zustimmend zunickte, trat auf ihrem so süßen Gesicht ein herzerwärmendes Lächeln auf, anschließend sie komplett in mein Gemach hereintrat und den goldenen Knauf der massiven Tür hinter sich ließ.

Nun hatte ich einen uneingeschränkten Blick auf das jüngste Mitglied meiner Familie und der wertvollsten Person in meinen Leben. Meine Schwester war der einzige Mensch, dem mein bedingtes Interesse galt und das entging selbst einem Blinden nicht.

Ich war zwar nicht asozial veranlagt...

Angesichts der Branchen, in denen ich tätig war, würde ich mich mit dieser Eigenschaft selbst bekreuzigen, doch um der Wahrheit willen, war es nicht gelogen, dass mich nur die wenigstens Menschen faszinierten und demensprechend es in meinen Augen wert waren meine kostabre Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich hatte nicht vor mich über den Tellerrand hinweg für andere Arten von Beziehungen zu bemühen. Ich konnte es auch nicht.

Intakte Beziehungen waren nicht mein Spezialgebiet und das wusste fast die ganze Insel.

Ich verdrängte den Gedanken und die Bilder, die in Bezug auf mein altes Verhaltensmuster unmittelbar, wie blitzartige Momentaufnahmen auf mich einwirkten, ehe ich mich der wachsam blickenden kleinen Dame von einer Körpergröße von 1,60 zuwandte, die selbst nicht einmal mit ihren nervig klappernden Stöckelschuhen meine Schultern erreichte.

Ebenso wie ich hatte auch sie sich aufgebrezelt und zurecht gemacht. Mit dem Perlen überdeckten mindfarbenen Kleid und den hellbraunen Haaren, in denen sich leichte Karamellakzente bemerkbar machten, die in einer modernen aber gleichzeitig locker sitzenden Hochsteckfrisur gebunden waren, sah sie aus wie eine Prinzessin. Meine schlechte Laune, die den ganzen Tag über schon anhielt, wurde bei ihrem Anblick leicht abgedämmt, als ich mir dadurch wieder in Erinnerung rief, dass meine kleine Schwester heute mitkommen und mir zur Seite stehen würde.

Ich bückte mich kurz runter und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, was sie seit ihrem zwölften Lebensjahr zum Lachen brachte, da meine leichten Bartstoppeln sie dabei immer wieder kitzelten.

»Du siehst bezaubernd aus«, sprach ich sanft aus, was sie mit einem geschmeichelten Schmunzeln quittierte, ehe sie mich am Kragen meines offenen Hemdes packte und die letzten paar Knöpfe zuknöpfte, die ich stressbedingt geöffnet hatte.

»Aber mein großer Bruder siehst auch ganz toll aus. Ich muss heute wohl Acht auf dich geben. Nicht, dass man dich am heutigen Abend den ganzen Frauen als Fraß vor die Füße wirft. Da wirst du nicht Heil bei rauskommen.«

In dem Augenblick, wo sie mein Hemd mit den Händen glättete, bebte meine Brust unter ihrer Hand, da ich in ein leises Gelächter ausbrach. Dann glitt ihr Blick über meine komplette Erscheinung und kam an meinen Hemdärmeln zum verharren.

»Du hast deine Manschetten noch nicht dran gemacht«, sagte sie die Stirn runzelnd, ehe sie auch schon einige zielstrebige Schritte in Richtung meiner Kommode machte.

Ich betrachtete sie amüsiert, ehe mein Blick auf die Fensterbank glitt, an der immer noch die Weinflasche anlehnte, die ich seit heute morgen bis zur Hälfte ausgetrunken hatte.

»Magst du auch etwas trinken ?«, fragte ich in den Raum hinein und deutete mit einer einfacher Handbewegung auf die Flasche in meiner Nähe. Sie blickte über ihre ausgeprägten apfelförmigen Wangenknochen hinweg auf die Flasche, rümpfte aber kurzzeitig die Nase, als sie nur den halbvollen Inhalt erfasste. Ich sah ihr an, dass ihr eine Bemerkung auf der Zunge lag, doch anscheinend besann sie sich im selben Moment eines besseren, denn sie nickte mir nur kommentarlos zu.

Auch ich bevorzugte die Stille, weshalb ich ein leeres weiteres Weinglas aus meiner kleinen Kammer nebenan holte, ehe ich ihr und mir von der speziellen Familienreserve etwas einschüttete. Als ich den Raum erneut überquerte und wieder am Spiegel angelangte, neben dem sie sich aufrecht gestellt hatte, da hielt ich ihr eines der Gläser entgegen, während ich selbst aus meinem einige Schlücke schlürfte und durch das Hinabfließen des bitteren und zugleich süßen Beigeschmackes das Gefühl der Lebendigkeit wiedererlangte.

Sie trat vor mich, deutete mit dem Kinn darauf, dass ich ihr Glas zunächst auf die glatte Fläche des Marmortisches abstellen sollte, ehe ich nach dem Ablegen beider Weingläser auf die kleine Schatulle in ihrer Hand aufmerksam wurde.

Langsam öffnete sie diese, zückte zunächst den ersten Knopf heraus, ehe sie mir die Quadrat förmige Schatulle in die Hand drückte, die gerade nicht benötigt wurde. Mit einem Blick auf die Manschettenknöpfe erkannte ich, dass es die mit den silbernen dünnen Rändern war, inmitten derer meine Initialen eingraviert worden waren. Sie waren damals ein Geschenk von Efthalia gewesen, nachdem ich zum ersten Mal die Führung unseres Familienunternehmens übernommen hatte.

Während sie sich schweigend und recht konzentriert ihrer Aufgabe widmete, zuckte ich einen kurzen Moment unauffällig zusammen, als sie dann ohne mich anzuklicken zu sprechen begann:

»Findest du nicht, dass es noch zu früh ist um zu trinken ?«

Sie klang ruhig, als sie diese Worte aussprach, ausgeglichen und nicht verurteilend. Wenn jemand diesen Ton einschlagen konnte, dann war das Efthalia.

Und obwohl es sich dabei um eine ganz simple Frage handelte, wussten wir beide, dass hinter ihren Worten viel mehr steckte.

»Heute ist eine Ausnahme«, sprach ich recht distanziert und kühl aus, was sie den Kopf anheben ließ. Auch sie hatte es bemerkt.

Ich war prinzipiell ein sehr auf Abstand gehender Mensch, behielt meine Eindrücke, Gedanken eher für mich und ließ in Ausnahme von Efthalia keinen Menschen gefühlsmäßig nah an mich heran, das körperliche natürlich ausgeschlossen. Sex konnte man auch ohne tiefe Gefühle haben, was mir ganz zugutekam.

Diese Haltung, die ich von klein auf bewahrt hatte, verstärkte sich je älter, je unantastbarer ich wurde. Auf der anderen Seite wiederum hatte sich dies in der Unternehmerbranche als Goldmine erwiesen. Ich war konsequent und skrupellos, aber gleichzeitig auch fair. Small Talk lag mir nicht und das wusste mittlerweile ganz Zypern, ebenso wie, dass meine Zeit sehr kostbar war und ein Privileg, das ich nicht mit jedem teilte.

Ein kleiner Schalk machte sich in Efthalias grünen Augen bemerkbar. Es verletzte sie, wenn ich jedes Mal die Mauern hochzog und mich erneut verschloss. Sobald ich in solchen Situationen immer wieder den Kummer in ihren Augen ausmachen konnte, der allein mir zu verdanken war, hasste ich mich dafür. Sehr sogar.

Ich seufzte auf und richtete meinen Blick auf die Wandseite direkt gegenüber meines Bettes, die nun leer stand. Einzig die hell-dunkel Partien, die sich leicht durch die elfenfarbene Wandfarbe bemerkbar machte, deutete darauf hin, dass vor kurzem noch an dieser Wand ein großes Porträt aufgehängt sein musste.

»Ich werde mich erst wieder entspannen können, wenn ich diesen Tag hinter mich gebracht habe«, sagte ich schließlich den Blick dabei immer noch auf die Wand gerichtet.

Und meine Seele heute endgültg meinen Körper verlässt, wenn ich mich von diesem Porträt trenne, dachte ich mir hinzufügend, sprach aber den letzten Teil nicht laut aus.

Aus dem Augenwinkel nahm ich zur Kenntnis, dass Efthalia den ersten Manschettenknopf befestigt hatte. Dann folgte sie kurz meinem Blick, anschließend sie nach dem anderen Knopf in der Schatulle griff, die ich noch in der Hand hielt. Sie nahm mir das kleine Schmuckstück nun komplett aus der Hand und legte sie auf die Platte neben die Weingläsern.

»Ich weiß«, antwortete sie und der rücksichtsvolle Klang ihrer Stimme dämmte für einen kurzen Moment den Sturm in meiner Seele.

»Alexis ist seit einigen Tagen so gut gelaunt, wie noch nie. Für diesen Anlass hat sie sich sogar extra Designer aus Paris und Mailand herbestellen lassen.«

Nur schwer hielt ich mich zurück bei ihren Worten nicht die Augen zu verdrehen. Ich hatte bereits befürchtet, dass dieser Schritt die Hoffnung vieler Frauen, insbesondere die von Alexis Ksafelli, erneut entfachten könnte.

»Alle Achtung lieber Bruder. Die Jagd auf dich wird ab heute Abend erneut beginnen, sobald bekannt wird, dass du es wirklich getan hast.«

Eine Antwort war nicht nötig. Ich wusste, dass sie recht hatte. Alle außer mir vollführten hinter meinem Rücken einen Freudentanz darüber, dass ich dieses Porträt endlich loswurde. Denn seit meiner Rückkehr mit diesem Stück damals war ein noch kälterer Mensch, aus dem berüchtigten Emran Rafail Psarianos, geworden, als für möglich gehalten.

Plötzlich, als wäre Efthalia und mir gleichzeitig das Bild in den Sinn gekommen, wie sich Alexis in der Hektik in all ihren Kleidungsstücken verlor, mussten wir beide gleichzeitig, anfangen zu lachen.

Ihr herzhaftes Lächeln umhüllte den Raum und vermischte sich mit meinem dunklen Stimmklang. Nach Sekunden hingegen wandelte sich das strahlende Gesicht meines Gegenübers und Efthalia rang scharf nach Luft, ehe sie sich an ihre Rippen fasste. Ihr Gesicht verzerrte sich, ein leiser gequälter Laut verließ ihre Röhre.

Abrupt verflog auch mir das Lächeln, das mich kurzzeitig aus der Realität verbannt hatte. Zornesfalten entstanden auf meiner Stirn und meine Hände bildeten sich zu Fäusten, als ich den Ursprung ihrer gekrümmten Haltung und ihr, in das vom Schmerz gezeichnete Gesicht blickte.

»Ich hätte diesen Wixxer umbringen sollen«, gab ich mit emotionslosen Ton und mit knirschenden Zähnen von mir.

Sie war seinetwegen so hergerichtet.Wegen Iakobos Konstantinos, Efthalias Ex-Ehemann und ebenso der größte Bastard, der mit unter die Augen gekommen war.

Unsere Eltern waren schon immer sehr einflussreiche und machtvolle Menschen in Zypern gewesen. Durch die Konzerne und Co-Unternehmen, die sie weltweit führten waren sie seit ich überhaupt Sprechen konnte in aller Munde. Machtvolle Menschen zogen für gewöhnlich ihresgleichen immer an, denn neben der Tatsache, dass sie herausragende Geschäftsleute waren, waren sie auch Menschen, die die alten Traditionen zu pflegen bestrebten.

Demzufolge war es nicht schwer zu erraten, was sie für Efthalia im Sinn hatten. Sie war ein Mädchen, also kam es nach ihnen niemals infrage, dass sie die Führungsposition unserer Firmen übernehmen würde. Das allein stand den männlichen Nachfahren zu. Nämlich mir.

Auch wenn Efthalia mit ihren Anteilen also nichts Gescheites Anfangen konnte, sollte sie unseren machtvollen Namen dennoch weiterhin in Ehren halten, indem sie die Frau von Iakobos werden sollte. Dies war ihr bereits seit ihrer Geburt in die Wiege mit eingelegt worden, da Iakobos Familie sehr erfolgreiche Hotelketten in ganz Zypern besaß.

Was also war der effektivste Weg um diese Bindung machthungriger Familienklane ein für alle Mal zu besiegeln ? Richtig, ein Ehebündnis.

Efthalia war ein liebes, kluges und hübsches Mädchen. Demzufolge hatte sie schon immer viele Blicke des anderen Geschlechtes auf sich gezogen. Trotz, dessen hatte sie, so gütig wie sie war, es damals nicht übers Herz gebracht, sich den Idealen unserer Eltern in den Weg zu stellen. Sie hatte ohne Widerworte eingewilligt ihn kennenzulernen.

Nach einiger verstrichener Zeit sagte sie, sie fände ihn recht sympathisch und äußerst charmant. Ich hingegen fand ihn trotz seines Aussehens zu heuchlerisch und zu primitiv. Meine Schwester war zu gut für ihn, zu schlau.

Sie heiratete ihn mit 20 und als er endlich sein wahres Gesicht in der Ehe gezeigt hatte, hatte sie es nur mit letzter Kraft geschafft sich aus seiner Tyrannei zu befreien und zwar genau vor einem halben Jahr, mit ihren 24 Jahren.

Die hatte sich befreit, doch die Wunden aus ihrem einst so makellosen Körper waren immer wieder der Beweis dafür, dass ich kein guter Bruder gewesen war, sondern ein Gefangener meiner eigenen Welt, während sie sich stillschweigend ihrem grässlichen Schicksal ergeben hatte.

Doch die Geschichte hatte da noch kein Ende genommen. Wie zu erwarten, hatte ich dann, als es zur lang ersehnten Konfrontaktion mit ihm gekommen war nicht einmal mit der Wimper gezuckt als ich ihn übel zurichtete. Ich wusste nicht wie weit ich gegangen wäre, doch als Efthalia mich unter Tränen angebettelt hatte aufzuhören, wusste ich, dass ich diesem schwachen, am Boden zerstörten Mädchen nicht noch mehr Leid zufügen durfte, indem ich mir mit dieser Aktion selbst Schaden zufügte. Ich hatte von ihm gelassen.

Meine Schuldgefühle hafteten aber immer noch an mir. Denn es war meine Schuld gewesen, alles meine. Ich hatte die Augen vor der Realität verschlossen und hatte es währenddessen vorgezogen mich einem verführerischen Traum hinzugegeben. Einem zu verführerischen Traum.

Wie von selbst wanderten meine Augen wieder zurück auf die leere Wandseite und ich stellte mir vor, dass sie nicht kahl war, sondern, dass es immer noch dort hing.

Im Raum wurde es augenblicklich still. Efthalias Blick folgte meinem und dann wieder zurück zu mir.

»Emran...« Ich war kurz davor gequält die Augen zu schließen, weil ich ganz genau wusste, was sie als Nächstes sagen würde. Ihr behutsamer Tonfall grenzte die Möglichkeiten ihrer Worte weitesgehend ein.

»Wer war diese Frau ?«

Totenstille, wie immer, wenn sie wollte, dass ich mich öffnete. Doch das tat ich nicht. Das tat ich nie. Umso überraschter schnappte sie also nach Luft, als ich das Gesicht weiterhin angespannt nach vorne richtete und mir vornahm ein einziges und letztes Mal dieses Schweigen zu brechen.

»Sie war alles, was ich nicht war. Sie war nie die Meine

Und heute würde ich mich verabschieden, indem ich ihren Käfig öffnen und sie ihrer Freiheit übergeben würde. Für immer weg von mir.

~∞~

»Jetzt weiß ich wieder, warum ich solche Orte hasse«, murmelte ich Efthalia zu und trank aus meinem Glas, derweilen wir uns an einem Stehtisch zurückgezogen hatten und weg von den neugierigen, schmachtenden Blicke waren, die auf uns lagen. Es wimmelte nur so von Menschen, die ihr Geld regelrecht sinnlos aus dem Fenster warfen, was mir wiederum sofort beim betreten des Saales das innere Gefühl hervorgerufen hatte mich umzudrehen und einfach wieder nach Hause zu fahren.

Mir gefiel die Atmosphäre, trotz der gut durchdachten Dekoration und der Location, nicht. Männer in ihren aufgetakelten Anzüge und Frauen in ihren zu übertriebenen Kleidern wirkten in meinen Augen zu gekünstelt... zu unecht. Ich rieb mir genervt über meinen Drei-Tage-Bart. Dadurch wurde mir klar, dass mir Privatausstellungen eher gefielen, als irgendwelche Auktionsveranstaltungen an denen unkultivierte Menschen teilnahmen, die lediglich angeberisch mit ihrem Geld herumwedelen konnten, anstatt sich über die Ausstellungstücke zu unterhalten.

Vielleicht aber sah ich das Ganze heute auch viel zu kritisch, weil es nicht mehr lange dauerte, dass ich mich dem Gedanken hingeben musste, dass das Gemälde bald aus meinem Besitz entgleiten würde.

Ich sah, wie Efthalia sich ein Lächeln bei meiner Reaktion verkniff, ehe sie die Augen leicht aufriss und sich zu mir wandte.

»Übrigens, das habe ich total vergessen. Mama und Papa haben dir Blumen von ihrer Geschäftsreise aus zukommen lassen. Sie wünschen dir viel Spaß und bedauern es sehr, dass sie nicht kommen konnten.«

Ich schnaubte höhnisch auf.

»Das glaubst du doch wohl selber nicht, oder ? Sag dem Butler er kann die Blumen direkt in den Müll schmeißen«, gab ich spitz von mir und warf ihr dabei einen vielsagenden Blick zu.

Efthalia befand sich auf einem sehr gefährlichen Terrain, was ihr selbst wieder klar wurde, als sie sich auf die Unterlippe biss.

Denn unsere Eltern hatten es nie gebilligt oder unterstützt, dass ich neben der Rolle als Geschäftsmann auch mein Hobby nebenbei zum Beruf gemacht hatte. In einer der schlimmsten Phasen meines Lebens, wo ich drohte die Kontrolle über alles zu verlieren, hatte sich das Zeichnen für mich als eine Art Stillzustand entwickelt in die ich flüchten konnte. Meine Gedanken schalteten sich ab und nur noch eine Symbiose der Leinwand und der Farben existierte in diesen Augenblicken. Als mein Name in dieser Branche hingegen ebenfalls sehr bekannt wurde und neben anderen einflussreichen Künstlern stand, hatten unsere Eltern zwar aufgehört sich darüber zu beklagen, dass ich meine Zeit mit etwas sinnlosem vergeudete, aber zu Verleihungen oder Auszeichnungen, die in meinem Namen ausgestellt wurden, an die hatten sie trotz dessen nie teilgenommen, weil es sie schichtweg nicht interessierte.

Ich atmete tief durch meine Nase aus, ehe ich einige bekannte Gesichter vor mir zu sehen bekam, die auf mich zukamen. Ich setzte meinen monotonen Blick auf und unterhielt mich mit ihnen über das Geschäft. Denn entweder waren es Geschäftsleute, die mich wegen unserer Weinsortimente aus dieser Saison ausfragten und wie der Import und Export vonstatten wurde, oder aber solche Leute sprachen mich an, die mich durch meine Kunstwerke kannten.

Trotz, dass ich mich in meinem sachlichen professionellen Ton mit ihnen unterhielt, war ich doch insgeheim froh darüber, als Efthalia mich nach einer Zeit kurz entschuldigte und mich zur Seite zog. Ich konnte mir auch nicht erklären, was diese enorme Unruhe in mir heute anheizte. Normalerweise war ich diese Kreise gewohnt und auch die Gespräche währenddessen. Ich kannte mich in dieser Welt aus Reichtum und Glamour aus, wusste, wie ich auf einer Wellenlänge mit ihnen zu sprechen hatte, aber heute erwies sich dies als die reinste Qual.

»Danke«, flüsterte ich ihr zu, dafür dass sie mich aus dieser Meute herausgezogen hatte.

»Dank mir lieber nicht. Ich habe die schmachtenden Blicke der Frauen auf dir bemerkt. Ich dachte ich erspare dir die nächste androhende Gruppe, die sich auf dich stützt. Wobei... wenn wir schon Mal dabei sind.« Sie bedeutete mit dem Kopf hinter meine Schulter, sodass ich mich leicht zur Seite drehen musste.

Und da sah ich sie. Alexis, wie sie euphorisch winkend in ihrem hautengen Glitzerkleid und den platinblonden Haaren auf uns zugeschritten kam, als wäre sie eine berühmte Hollywoodschauspielerin.

»Das kann doch nicht wahr sein«, knurrte ich, doch bevor Efthalia mir antworten konnte, spürte ich auch schon eine Hand auf meinem Rücken, die ich als die von Alexis ausmachte.

»Hallo, da habe ich euch doch noch gefunden« Sie tauschte mit Efthalia kleine Küsse an beiden Wagenseiten aus, ehe sie mir selbst einen auf linke Wagenseite hauchte und mir zulächelte.

»Hallo, mein Liebster.«

»Hey«, gab ich nur knapp und desinteressiert von mir, doch sie hielt sich weiterhin wie ein Klammeraffe an meinen Oberarm fest.

»Gleich beginnt die Auktion ! Ich freue mich schon so wahnsinnig drauf« Na warum wohl ?, dachte ich die Zähne zusammenbeißend, als ich ihrer fröhlichen Stimme ergeben war.

»Wann ist eigentlich dein Ausstellungsstück dran, Emran ? Ich dachte mir, dass wir das später bei mir feiern könnten, weißt du...« sagte sie und zupfte an meinem Jackett, was mich wahnsinnig stimmte.

Ich hatte bereits erahnt, dass Alexis den Verkauf dieses Gemäldes als einen glorreichen Triumph ansehen würde, doch, dass sie so schnell in die Offensive ging, wunderte selbst mich.

Efthalia räusperte sich sichtlich unangenehm neben uns. Und bevor weder sie noch ich zu Wort kommen konnten, hörte ich wie mein Namen aus weiterer Entfernung gerufen wurde und sah den Kopf dorthin drehend, dass es sich um den Auktionator handelte, der hinter dem Vorhang auf der Bühne mit einem Handzeichen bedeutete, dass ich mich nach hinten begeben sollte. Ich entschuldigte mich höflich bei den Damen, dabei bedacht Alexis keines letzten Blickes zu würdigen und trat anschließend hinter die Kulissen.

Der Auktionator hatte mich zu sich gerufen, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Auktion gleich starten würde und ich deshalb hinten warten solle, bis ich, wenn mein Stück an der Reihe war, nach vorne aufgerufen wurde.

Ich stand also da, wartete, ließ die Auktion über mich ergehen, indem ich von der Seite aus das ganze Spektakel mitverfolgte. Und auch wenn ich all die Gäste von meiner Position aus sehen konnte, würdigte ich sie alle keines einzigen Blickes.  Ich wünschte ich hätte mir ein Glas Scotch zum Trinken mitgenommen. Dieser wachsame Zustand machte mich ganz hibbelig.

Als ich nach einer gewissen verstrichenen Zeitspanne letztlich einer der Mitarbeiter von hinten antraf, befahl ich ihm, dass er mich zu dem letzten Ausstellungsstück bringen sollte. Gerade als ich aus seinem Gesicht ablesen konnte, womit er mir antworten wollte, verriet ich ihm meinen Namen. Erkenntnis huschte über seine Züge. Er entschuldige sich einige Male ausgiebig und führte mich dann in ein fast leeres Zimmer in deren Mitte lediglich ein Gegenstand aufgestellt war, das vom einem Tuch umhüllt und somit verdeckt wurde.

Ich wies ihn an mich alleine zu lassen. Mein harter Tonfall hatte anscheinend Wirkung bewirkt, denn der Bote ging.

Ich stand wenige Minuten da, stillschweigend und ohne mich zu rühren. Mein Herz klopfte durch einen dumpfen Schmerz, einen süßen Schmerz, der mich überrollte gegen meine Brust.

Ich sollte es nicht tun, dachte ich mir als ich den Saum umfasste. Ich sollte es mir nicht noch einmal anschauen... Das war ein Fehler.

Doch mein inneres Verlangen ließ sich davon nicht beirren und der Griff um den Stoff wurde fester.

Gerade als ich jeden Moment dabei war das Tuch runterziehen, wurde die Tür geöffnet. Einige Mitarbeiter kamen ran.

»Sir, wenn Sie uns entschuldigen. Dieses Stück ist gleich dran.«

Ich ließ abrupt davon ab, wie als hätte ich mich verbrannt. Das Tuch blieb unverrutscht.

Hinter den Mitarbeitern sah ich die hellen Haare meiner Schwester, die sich durch sie hindurchzwängte.

»Da bist du ja. Ich habe dich schon überall gesucht !«

Sie hielt in ihrem Satz inne, als sie meinen kalten Blick sah und eins und eins zusammenzählte.

Ich war alleine mit dieses Gemälde und kurz davor gewesen mich dem wieder hinzugeben.

Ihr warmer bedauernder Blick hingegen machte mich rasend, weshalb ich wortlos an ihr vorbei Richtung Bühne lief, denn gleich würde auch ich aufgerufen werden.

Von der Seite der Bühne aus, hinter dem Vorgang, sah ich, wie das Stück nun neben dem Auktionator aufgestellt wurde und dieser mit seiner nächsten Vorstellung begann.

Wut kroch in mir noch. Für ihn, für alle hier war dies einfach nur ein Gemälde... ein normales Gemälde. Doch das war es nicht !

»Begrüßen Sie mit mir den Besitzer und Künstler dieses einzigartigen Exemplars, der uns die Ehre erwiesen hat, heute Abend sein Meisterwerk ersteigern zu lassen, das Da Vincis Mona Lisa gnadenlos in den Schatten stellen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren begrüßen Sie Emran Rafail Psarianos«

Ich wurde mit dem Erwähnen meines Namen aus meiner Trance gerissen und als der tosende Applaus hinter dem Vorhang erklang, knöpfte ich den einzigen Knopf in der Mitte meines Jacketts zu und machte den ersten Schritt nach vorne, doch dann tauchte neben mir Efthalia plötzlich auf.

»Das überstehen wir gemeinsam«, sagte sie mit solch einer Sicherheit, dass es mich einen Moment verwunderte, weil ich das Gefühl hatte die alte selbstbewusste Efthalia vor mir Stehen zu haben, die sie vor ihrer Ehe gewesen war.

Und obwohl sie nicht wusste, was mein Problem war, stand sie zu mir.

Ich konnte kein Lächeln hervorbringen, dazu war ich sichtlich zu angespannt für, aber innerlich war ich ihr sehr dankbar, was ich ihr dadurch bewies, dass ich ihr den Arm entgegenhielt und sie sich einhakte. Gemeinsam betrachten wir eine gerade Haltung einnehmend das Podium.

Ich wunk der Meute kurz zu und Efthalia beglückte die Menschen mit ihrem strahlenden Lächeln, was sie immer auf Knopfdruck drauf hatte. Blitzlichter der Kameras schossen von allen Seiten aus auf uns ein, doch ich ignorierte dies, bis wir uns gemeinsam neben das verdeckte Gemälde stellten.

Der Auktionator nickte mir respektvoll zu, ehe er zum weitersprechen ansetzte. Durch meinen Manager hatte ich nämlich schon vorab beim Auktionshaus Bescheid geben lassen, dass ich keine Worte zu diesem Gemälde sagen wollte. Dazu konnte mich niemand bewegen.

Dann wurde das Tuch heruntergerissen und diese Augen stachen auf mich ein.

Blau... tiefblau, wie das Meer in dem sich ein Unwesen herumtrieb. Sie waren so ausdrucksstark, so herausfordernd... so sinnlich.

Es lag weder an den wenigen Kleidungsstücken, die sie trug, noch an den offenen verführerischen Haaren... Es lag alles in ihrem Blick verborgen. Dem Blick, der so aufopfernd und gleichzeitig so stark war. Mut und zugleich Angst darlegte.

Ich konnte nicht anders, als dass mein Blick wie immer auf diesen Augen haften blieb.

Ich musste sie freilassen... schrie ich innerlich, obwohl ein egoistischer monströser Teil in mir sie immer noch unter meinen vier Wänden halten wollte.

Dieser Abschied musste kommen... redete ich mir schwerwiegend ein. Ob ich es nun wollte oder nicht.

Doch plötzlich erklang ein ohrenbetäubende Laut, der mich aus meinen trüben Gedanken riss und mich zusammenfahren ließ. Mein Blick huschte augenblicklich zur Quelle des Lärms und als meine Augen den Verursacher dieser Unruhe fanden, da erstarrte ich.

Das konnte nicht sein...

Es musste sich um einen Traum handeln.

Denn geradewegs nach vorne blickend sah ich diese Augen.

Echter... lebendiger... viel tiefer... dieses Meer voller tiefblau.

Sie war hier.

Ich habe zum ersten Mal aus der Perspektive einer männlichen Person geschrieben und ich muss zugeben: Das war eine schwere Geburt 😅 Hat sich echt kniffliger gestaltet, als ich ursprünglich angenommen hatte. Wie dem auch sei, man lernt nie aus. Besser habe ich es leider nicht hinbekommen 😊

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