12➳ Freundschaftsanfrage

2018

Κερύνεια|Zypern
{3 Jahre später}

Arzu

»𝕰rde an Arzu. Hey, hörst du mir überhaupt noch zu ?«

Ich zuckte schreckhaft in meiner Gestalt zusammen, als eine melodisch weiche Stimme mich jäh aus meinen Tagträumereien riss. Wenige Sekunden benötigend, erkannte ich allmählich wieder die klaren Umrisse meiner Kritzelei auf dem Prospekt der Stellenanzeige, die ich auf dem Holztisch breit aufgeschlagen hatte.

Daphne und ich hatten uns auf ein ordentliches Frühstück für den heutigen morgen geeinigt, damit wir endlich wieder einmal ein gemeinsames und unterhaltsames Gespräch miteinander führen konnten, zumal wir uns trotz unserer gemeinsamen Unterkunft seit einigen Tagen kaum zu Gesicht bekamen. Allerdings war dieser Umstand eher meiner Wenigkeit, als dem reinen Zufall zu verdanken.

Am Tag meiner Rückkehr, als ich vor Emran am gemeinsamen Esstisch das Weite gesucht hatte, kam ich mir im Anschluss wie in einer Seifenblase gefangen vor, die als Schutzwall um mich herum hergerichtet worden war. Zugleich hatte ich Glück im Unglück gehabt, denn als ich atemlos und mit den Nerven völlig am Ende die Tür meiner eigenen vier Wände hinter mir ins Schloss fallen gelassen und mich wie mechanisch von meinen dreckigen Kleidungsstücken entledigt hatte, konnte eine Zeitspanne von nicht mehr als 30 Minuten vergangen sein, als auch schon Daphne von ihrer langen Arbeitsreise zurückkehrte und sich müde auf die große gemütliche Couch mit ihrer vollen Größe von 1,80 ausbreitete.

Sie war, wie zu erwarten, davon ausgegangen, dass mein Tag einen gewöhnlichen Ablauf angenommen hatte, dass ich wie immer den Abend an dem sie über Nacht auf der Arbeit war bei uns Zuhause auf der Couch sitzend und einen Film schauend verbracht hatte.

Jedes andere Mal würde sie damit ins Schwarze treffen, doch dieses eine Mal war das schlicht weg nicht der Fall gewesen.

Denn ich war mit ihm gewesen und war sogar obendrein auch noch in seinen Gemächern aufgewacht.

An das lähmende Gefühl meiner Muskeln konnte ich mich bis dato noch erinnern, die sich sachte den Wellen hingegeben hatten und immer weiterhin von der Tiefe angezogen wurden. Ich hatte keinen Widerstand gegen den ankommenden Strom geleistet. Denn ich hatte ihn gesehen und mein Gehirn hatte seine Funktion lediglich darauf beschränkt die dazugewonnenen Eindrücke zu verarbeiten und sich zu vergewissern, dass dies wirklich der Realität entsprach.

War er hier ? In Kyrenia ? Aber wie war das möglich ?
Oder hatten die Erinnerungen, in die ich geflüchtet war, eine eigene Form angenommen und hatten einer anderen Erinnerung vornehm den Vortritt gelassen ? War das ein krankhaftes Spiel meiner Psyche ? Eine masochistischer Appell an mein Gewissen ?

Als ich ins Wasser fiel, erfüllte mich einen Augenblick lang der Gedanken daran erlöst zu werden mit einem besänftigenden Frieden. Denn die Illusion ihn so nah bei mir zu spüren, hatte mich seelisch und psychisch zugrunde gerichtet. Mein Wunsch war es einfach befreit zu werden von den Dämonen... von dieser Last, die ich nicht mehr auf meine Schulter tragen konnte. Das stellte auch den entscheidenden Grund da, weshalb ich zugelassen hatte, dass meine Augen unter Wasser langsam zufielen und mich schwarze Sterne wie ein mitternachtsblauer Himmel zudeckten.

Jedoch hatte die Realität nicht lange auf sich warten lassen, um mir erneut in die Quere zu kommen. Die Schwerelosigkeit, die durch die Betäubung meiner Sinne angefeuert wurde, beförderte mich immer weiter in Richtung Himmel. Ich kam höher und höher... immer weiter. Doch wie zu erwarten war der Fall umso tiefer und schmerzhafter.

Diese Augen, dieser Fokus, diese Kontrolle, die er ausstrahlte, trafen mich mit einer Wucht, sodass die Landung im hier und jetzt alles andere als reibungslos verlief. Ich war das reinste Nervenbündel in seiner Gegenwart gewesen, da ich immer noch nicht fassen konnte, was geschah. Ich war bei ihm... war in seinem Bett gewesen, saß an seinem Tisch. Er hingegen schien selbst in dieser recht brenzligen Lage über alles den Überblick beizubehalten.

»Geh mit mir essen...«, hatte er gesagt.

Als mir diese Aussage plötzlich wieder einfiel, spürte ich, wie der Stift in meiner Hand ausrutschte und sich ein radikaler Strich durch die Mitte der Anzeigen zog.

Ich zuckte durch das Geräusch und der abrupten Bewegung zusammen und richtete mich auf meinem Hocker gerade.

Dann blinzelte ich, sah meinen noch halbvollen Orangensaft an und die Skizze, die ich in Gedanken versunken vor mich hingezeichnet hatte. Einzelne Möbelstücke und Umrisse von Gebäudestrukturen ragten in Miniaturform zwischen den gedruckten Zeilen hervor.

In dem Augenblick erkannte ich auch, dass Daphne zu mir gesprochen und ich ihr keine Antwort gegeben hatte. Ich warf meine Haare, die von einem Haarband an meiner Stirn nach hinten gedrängt wurden, zur Seite und versuchte mir ein Lächeln abzuringen, was, wie ich innerlich befürchtete nicht einmal annähernd überzeugend wirkte.

»Verzeihung kannst du das bitte wiederholen ?«

Ich rieb mir über die angeschwollenen Augen und hatte das Gefühl beim Rubbeln an meinen Lidern regelrecht die tiefen Augenringe ergreifen zu bekommen, die sich halbmondförmig von unten herab an meine Augen schmiegten.

Daphne schwieg mich Sekunden lang an, obwohl sie meine Frage sich zu wiederholen ganz klar zu hören bekommen hatte. Stattdessen schlürfte sie sich ausreichend Zeit lassend an ihrem heißen Tee an deren Tasse ihr fuchiafarbener Lippenstift zu der ihrem neuen Fular am Hals passte einen Abdruck hinterließ. Das Anhaften ihrer Augen auf mir, beschwor ein ungutes Gefühl in mir hervor und ich fühlte mich auf unerklärliche Weise ertappt, obwohl ich der Ansicht war keine Anzeichen dafür gegeben zu haben.

»Bist du fündig geworden ?«, fragte sie stattdessen nach einer gefühlten Ewigkeit das Schweigen zwischen uns durchbrechend, indem sie ihren Zeigefinger von der Tasse anhob und sie gezielt auf die Zeitung unter mir richtete.

Ich seufzte auf und schüttelte den Kopf. Meine Zeichnungen drumherum waren eindeutig Antwort genug.

»Es ist so schwierig einen geeigneten und preiswerten Sprachkurs in der Nähe zu finden. Das macht mich wahnsinnig !«, seufzte ich niedergeschlagen auf und legte meinen Kugelschreiber zur Seite.

»So kann das nicht weiter gehen. Ich lebe in diesem Land und muss die Sprache beherrschen ganz gleich auf welcher Seite der Insel ich mich auch befinde. Wer weiß, wie es in einigen Jahren aussieht. Wenn ich zum Studium in den Süden weiterziehen muss ? Ohne die offizielle Amtssprache griechisch wird das nicht funktionieren«, stellte ich die Fakten auf den Tisch und blies Trübsalen, bis sich mir augenblicklich eine Frage stellte.

»Wie war es bei dir eigentlich ? Wie kam es dazu, dass du Türkisch gelernt hast ? Hast du auch einen Sprachkurs besucht ?« Hoffnung keimte in mir auf. Denn lange konnte ich mich nicht mehr davor drücken das Lernen dieser Sprache aufzuschieben. Zwar gab es niemandem, der mich drängte und in diesem Teil der Insel reichte auch meine Muttersprache vollkommen aus, doch wirklich wohl war mir nie dabei gewesen. Die ersten Monate meines Aufenthaltes ging es mir darum mich hier einzuleben. Jetzt, wo ich das Gefühl hatte endlich einigermaßen wieder auf festen Beinen zu stehen, musste ich diesen Schritt wagen.

Und ich musste den Kopf freibekommen, bevor mich meine Vergangenheit wieder einzuholen drohte, sprach eine tiefe Stimme in mir den Satz aus, den ich bewusst zu verdrängen versucht hatte. Denn dann würden meine Gedanken wieder zu ihm zurück schweifen und an die Ereignisse von vor einigen Tagen, die mir immer noch wie in einem Traum vorkamen.

Während ich gebannt auf Daphnes Antwort wartete, stoppte sie bei meiner Frage in ihrer Bewegung sich erneut einen Schluck ihres Tees zu gewähren.

Ihre lockere zufriedene Haltung versteifte sich und einen Augenblick lang sah ich eine Art Angst in ihren Augen aufflackern, die ich nichts gescheitem zuordnen konnte. Bevor ich blinzeln und mir ihr merkwürdiges Auftreten erneut vor Augen führen konnte, hatte sie hingegen mit der Hand nach einem Croissant gegriffen und genüsslich reingebissen. Skeptisch zog ich meine Augenbrauen beisammen.

Etwas stimmte nicht. Irgendetwas an meiner Frage, hatte Daphne gewiss aufgewühlt und ihr Verhalten im Anschluss, die darlegen sollte, dass alles in Ordnung wäre, hielt mir erst recht vor, dass sie über die Sache nicht sprechen wollte.

»Ich habe die Sprache nicht hier gelernt, sondern im Süden. Also bringt dir das nicht viel«, kommentierte sie dies versucht gelassen zu klingen, vermied aber meinen Blick, indem sie das Croissant in ihrer Hand inspizierte, welches in ihren Augen plötzlich viel interessanter wirkte und ihre ganze Aufmerksamkeit in Beschlag nahm.
Vorsichtig lugte ich zu ihr und ein beklemmendes Gefühl nahm Besitz von mir, weil ich indirekt den Eindruck gewann ungewollt in eine Goldgrube gestoßen zu sein, die entgegen der nach außen hin repräsentierten Stellung, nichts als Unheil bringen würde.

Aus mir nicht bekannten Gründen hatte ich etwas Falsches gesagt und damit Daphne zurückgedrängt. Anstatt das Gespräch also wieder locker werden zu lassen, bezweckte ich mit meinem Tun genau das Gegenteil.

Du bekommst auch nichts auf die Kette, tadelte ich und rieb mir die Stirn, weil ich die Kopfschmerzen an meiner Schläfe nicht mehr aushielt. Die Gedanken trieben mich in den Abgrund, der Schlafmangel verbündet mit der Traurigkeit hielten mich ungewollt gefangen.

Ich war nur froh, dass Daphne nichts von alldem bemerkte. Denn ich konnte nicht sagen, ob ich das nötige Durchhaltevermögen besaß, um ihr standhaft mein nun vorhandenes Problem zu erklären und mich herauszureden.

Daphne, die Sekunden lang in Gedanken versunken war, streckte nun komplett die Arme aus und gähnte laut, ehe sie aufstand und ich zum Herd rüber ging

»Möchtest du noch Çay ?«, fragte sie mich und obwohl mein durchsichtiges Glas eindeutig meinen noch fast vollen Orangensaft aufzeigte, nickte ich. Ich war fest davon überzeugt, dass sie dadurch von ihrem bizarren Verhalten ablenken und der unangenehmen Stille zwischen uns endgültig ein Ende setzen wollte. Demnach wäre es töricht von mir bei diesem willkommenen Einwurf nicht anzubeißen.

Sie brachte mir ein neues Glas mit der dampfenden Flüssigkeit und nahm wieder auf dem hohen Hocker Platz, den wir zusammen rot lackiert hatten, damit die Küche etwas mehr an Farbe gewann.

»Also...«, sagte sie ihr Enthusiasmus aufgreifend, das kurzzeitig auf der Strecke geblieben war.

»Taylan und ich möchten die Tagen zusammen Essen gehen. Was meinst du ? Willst du dich uns anschließen ? Ich möchte unbedingt auch deine Meinung zu ihm hören«, trällerte sie summend vor sich und schmierte sich Lipgloss auf die Lippen, das sie sich aus ihrer Jeanstasche herausgefischt hatte.

Hypnotisiert verfolgte ich ihre Bewegungen und erst als sie die Augen runter auf den Lipgloss richtete, erkannte ich den leichten Lidschatten, den sie aufgetragen hatte.

Verwundert blinzelte ich.

»Seit wann schminkst du dich an einem gewöhnlichen Tag ?«

Ich konnte den skeptischen Ton in meiner Stimme nicht besänftigen und auch, dass ich im Umkehrschluss ihre Frage damit ignoriert hatte war nicht gerade honorierungswürdig, jedoch brannte ich plötzlich auf eine Antwort, die sie mir daraufhin zu geben hatte.

Sie blickte auf, ehe sie herzlich lächelnd den Deckel des Lipglosses zuschloss:

»Ach das... Taylan meinte, dass es ihm gefiele, wenn ich etwas Schminke auftrage und da dachte ich, warum nicht«, sie zuckte mit den Schultern, als würde sie sich selbst nicht erklären können, warum genau sie das machte.

Sie wusste vielleicht nicht, wie sie dabei fühlen sollte, aber ich konnte den Gedanken nicht verdrängen, dass es mir irgendwie missfiel, dass sie blind Taylans Wünschen nachging, zumal ich wusste, dass Daphne sich nur dann schminkte, wenn es einen besonderen Anlass zugab. Sie reagierte nämlich auf Dauer allergisch auf manche in den Schönheitsprodukten enthaltenen Mittel, weshalb sie es für gewöhnlich auf das Minimum beschränkte.

»Was meinst du ? Vielleicht einen Abend nach der Arbeit ? Frag doch auch Dimitros gleich auf der Arbeit, der kann gerne mitkommen«, fügte sie hinzu und ich verzog das Gesicht.

»Ich denke nicht, dass ich nach der Arbeit noch die Kraft dazu haben werden. Danke Daphne, aber ich glaube ein anderes mal wäre besser.« Dass ich mich nicht gut aus der Sache herauszureden wusste, war klar und dass ich Daphne nicht überzeugte umso mehr, als sie ungeduldig mit der Hand auf den Tisch klopfte.

»Jetzt reicht es aber !«, sagte sie weniger ernst, sondern eher leicht verärgert, wobei sie dennoch einen sanften Blick aufzuwerfen versuchte. Erschrocken zuckte ich zusammen, was die Härte in Daphnes Blick erweichen ließ und sie sich an die Nasenflügel fasste, um sich zu sammeln.

»Arzu...« Ihr Tonfall war mit bedacht gewählt, ruhig, sanft und doch spürte ich das Brodeln tief unter ihrer Beherrschung.

»Ich versuche nachsichtig mit dir zu sein. Ich weiß auch nicht, was zwischen dir und deinem Mann damals vorgefallen ist, warum er nicht mehr bei dir ist, doch das Leben geht weiter. Du bist jung, du hast noch ein ganzes Leben vor dir. Auch du hast es verdient unter Leute zu kommen, Spaß zu haben, Freude zu empfinden, oder etwa nicht ? Wenn du dich in dein Zimmer permanent nach der Arbeit zurückzieht, wirst du nichts davon mitbekommen. Niemand verlangt von dir, dass du dir jemand neues suchen sollst. Nein, ganz und gar nicht. Doch wenn dir jemand seine Freundschaft anbietet sei es eine Frau oder ein Mann, brauchst du nicht verschreckt vom schlechtesten auszugehen. Ich weiß, ihr seid strenger was Freundschaften mit Männern anbelangt, aber wenn du nicht über die Freundschaft hinaus möchtest, dann hast du die Möglichkeit das kenntlich zu machen und dein gegenüber hat das zu akzeptieren. Gib dem Leben doch eine Chance Arzu. Lebe ! Die Zeit bekommst du nicht zurück und jeder Moment davon ist viel zu kostbar.«

Von ihren Worten eingenommen zogen sich meine Lippen ungewollt noch weiter runter. Ich fühlte mich miserabler, als vorher. Auf meine bereits am Boden liegende Laune hatte Daphne nun eine Schippe drauf geschüttet. Auch wenn ich diese Worte abwehren wollte, wusste ich doch, dass sie recht hatte, mit dem was sie sagte. Sie hatte allen Grund zu auf mich einzureden, denn indem ich immer abblockte war ich doch diejenige die anderen auf mich hetzte. Eine große Ladung an Gewissensbissen entluden sich auf mir, sodass ich den Schmerz der letzten Tage wieder so intensiv wie möglich spürte.

Sie seufzte auf.

»Du bist in deiner eigenen Welt abgeschottet, Arzu. Dir brennt was auf der Seele, das kann ich sehen, aber wer nicht spricht dem kann auch nicht geholfen werden.«

Verwundert flitzten meine Augen nach vorne.

»Du hast es bemerkt ?«

Sie hob kritisch eine Augenbraue hoch.

»Ich mag manchmal völlig neben der Spur sein, aber ich bin nicht dumm. Tut mir leid, wenn du meine Sätze nicht hören möchtest, aber ich werde ganz bestimmt nicht den Mund halten, wenn mir etwas nicht zusagt. Und wenn ich der Ansicht bin, dass du das Leben genießen musst und dich nicht zurückziehen darfst, sondern mit Freunden Spaß haben und...«

»Das ist es nicht...«, flüsterte ich und sie hörte abrupt auf zu sprechen. Wachsam und gebannt darauf, dass ich meinen Worten etwas hinterherschieben würde, starrte sie mich durch ihre hellen lang geschwungenen Wimpern hinweg an.

»Das ich diese Laune darlege, liegt nicht an deinen Worten. Ich entschuldige mich, wenn ich dir das ungewollt übermittelt habe...«

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mit meinen Fingerspitzen über meinen Hals strich und kein silbernes dünnes Band spürte... da war rein gar nichts. Langsam ließ ich meine Hand hinabgleiten und schob meine rot gepunktete Bohemian Bluse zur Seite, sodass sie meinen nackten Halsbereich sehen konnte.

»Ich habe es verloren. Ich habe die Kette mit den Eheringen verloren.«

Mit zusammengepressten Lippen blickte ich kurz nach oben, um meine Tränen zu bändigen. Ich wollte nicht weinen, nicht jetzt, wo der Tag doch so friedlich begonnen hatte.

Daphne blickte mich wie erstarrt an, öffnete ihre Lippen einen Spalt und schloss sie dann wieder.

»Es... es ist eines der wenigen Dinge, die mich noch daran erinnern, dass ein 'wir' existiert hat. Dass es kein Traum, keine Illusion war... sondern echt. Wir waren echt.«

Ein Schluchzen bannte sich hoch, doch ich presste mir im letzten Moment noch die Hand vor den Mund. Wie sehr ich mich erschrocken hatte, als ich das erste Mal am Abend kurz vor dem Schlafen gehen bemerkte, dass die Kette nicht mehr an meinem Hals hing. Wie mir der Schlaf aus dem Sinn getrieben wurde, ich in meinem Zimmer alles verwüstet und in jedem Winkel der Wohnung in den anschließend darauf folgenden Tagen danach gesucht hatte. Selbst auf der Arbeit war ich zur Küche geeilt, hatte unter jedem Tisch und hinter jeder einzelnen Weinflasche an der Bar geschaut, aber ich hatte keinen Treffer erzielen können.

Die Kette war weg. So sehr ich mich auch zu konzentrieren versuchte, wo ich es denn zum letzten Mal gesehen hatte, ich kam auf kein brauchbares Ergebnis. Meine Erinnerungen erzeugten kein klares Bild.

»Ok, ich nehme all meine Worte zurück. Ich bin dumm, ich bin sowas von dumm. Ich bin verdammt nochmal bescheuert«, sagte Daphne und schlug sich hart mit der Handfläche auf ihre glatte Stirn, ehe sie mit der anderen über den Tisch hinweg nach meiner Hand griff.

»Es tut mir leid... Ich... Ich wusste das nicht, Arzu. Es tut mir wirklich leid.« Den Augenkontakt zu mir suchend, sprach sie jedes ihrer Worte so fest aus, dass ich mir sicher sein konnte, dass sie es verstand. Sie verstand, dass es sich hierbei nicht einfach nur um zwei gewöhnliche Ringe handelte, dass es mir nicht, um den materiellen Wert ging. Sie konnte meinen Schmerz nachempfinden.

Schuldgefühle, die sich in ihren eingesunkenen Augen und dem verzerrtem Gesicht kenntlich machten, nahmen ein.

»Ok... ok lass uns nicht direkt negativ denken. Sie ist bestimmt hier irgendwo hingefallen. Du musst gleich zur Arbeit und ich suche währenddessen danach.«

Niederschlagen schüttelte ich den Kopf.

»Ich schätze deine Hilfe sehr, aber ich habe gefühlt schon zwanzig Mal in jeder Ecke nachgeschaut. Es ist nicht da...« Meine Stimme brach zum Ende hin ab, angesichts der aussichtslosen, die ich mir eingestehen musste.

Anscheinend existierte dieses Wort hingegen nur in meinem Wortschatz und nicht in der von, der mit langen dünnen Beinen ausgestatteten Griechin, die mit einem Satz geschmeidig und elegant vom Hocker sprang und dann um den Tisch herum vor mir zum Stehen kam.

Vorsichtig wischte sie mir die Tränen weg, die unbemerkt heruntergekullert waren. Es war kaum zu verfehlen, dass auch sie bei meinem traurigen Anblick kurz davor war die Beherrschung zu verlieren, doch als sie sich im nächsten Moment wieder gerade hinstellte und selbstbewusst die Brust ausstreckte, da zeigte sie auf, dass sie sich im Gegensatz zu mir nicht so leicht von ihren Gefühlen schlagen ließ.

»Wenn man in Eile ist oder sowieso schon panisch genug, dann übersieht man zumeist vieles. Lass mich das ruhig machen, ich bin mir sicher, dass es hier irgendwo ist. Während ich das erledige, gehst du schön arbeiten und bekommst die Aufgabe zugeteilt auch Dimitros in unsere Verabredung zu involvieren. Du, Dimitros, Taylan und ich, verstanden ? Vertrau mir, in wenigen Stunden wird die Welt schon wieder anders aussehen. Ich werde deine Kette finden«, beteuerte sie und drückte mir fest die Hand.

Zum ersten Mal seit Tagen blies wieder ein leichter Windzug über mich hinweg, der mich wachgerüttelte. Und angespornt durch Daphnes Zuversicht und ihrer positiven Ausstrahlung brachte ich es sogar zustande ein kleines Lächeln auf meinem Gesicht zu bilden, der meine ganze Dankbarkeit darlegen sollte, die ich für diese Freundschaft empfand.

~∞~

»Bestellung von Tisch vier ist fertig«, ertönte die tiefe Stimme von Chefkoch Mehmet, der sich erschöpft über die schweißnasse mit roten Flecken übersähte Stirn strich. Es war ihm anzusehen, dass er Mühe hatte aufgrund seines bereits hohen Alters mit den vielen Bestellungen mitzukommen und ein kleines Schmunzeln legte sich über meine Lippen, als ich die Teller stapelweise auf meinem Arm anhäufte, derweilen ich mir ausmalte, wie seine Frau ihn tadeln würde, wenn sie ihn in dieser Fassung vorfinden würde.

»Dieses freche Lächeln kenne ich doch. Was geht dir durch den Kopf ?«, fragte mich Onkel Mehmet nachdem er sich die Kochmütze wieder zurechtgelegt hatte.

Ich unterdrückte ein Lachen.

»Wenn Tante dich in diesem Zustand sehen würde, dann...«

Er verdrehte die Augen.

»Wehe mein Kind. Ich muss mir ihr Gemecker schon den ganzen Tag über anhören, da möchte ich nicht, dass sie noch in ihrer Meinung bestärkt wird.«

Ich schenkte ihm noch ein kurzes belustigtes Lächeln, ehe ich mich auf den Weg machte den Geschäftsleuten an Tisch Nummer vier die Bestellungen rüber zu bringen.

Am heutigen Tage war viel los, was angesichts dessen, dass das Wochenende vor der Tür stand, nicht ungewöhnlich war. Doch durch die Hitze und der schwülen Luft war es nicht sonderlich angenehm in einem Lokal voller Leute arbeiten zu müssen. Obwohl ich erschöpft und teilweise auch gestresst sein müsste wegen den heutigen Arbeitskonditionen, war ich erstmals umso glücklicher von der vielen Arbeit, die sich im Minutentakt anhäufte. Denn wie ich Daphne versprochen hatte versuchte ich meine Laune so hoch wie möglich zu halten, derweilen sie wohl die ganze Wohnung auf der Suche nach den Ringen auf den Kopf gestellt haben musste.

Bei der Vorstellung, dass sich meine Hoffnungen in Luft auflösen könnte, war mir jede Tätigkeit willkommen. Mehr Arbeit bedeutete nämlich automatisch auch mehr Ablenkung.

Nachdem ich vornehm die Teller abgelegt und den beiden Männern einen guten Appetit gewünscht hatte, warf ich noch einen letzten Blick über all die runden Tische, ehe ich mir sicher sein könnend, dass den Kunden nichts fehlte, mich zügig an die Bar begab an der Dimitros, die Gläser im Regal polierte und vor sich hin murmelte, was ich durch seine leichten Lippenbewegungen aus der Ferne wahrnahm.

Heute trug er angesichts des Wetters eine über seine Knie verlaufende Jeansshorts und darüber ein kariertes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte.

Als ich mich an den Tresen lehnte und ihn anblickte, schien er ganz auf sein Gemurmel konzentriert zu sein, bis ich mich räusperte.

»Na... steht eine Klausur an der Uni bevor oder warum redest du vor dich hin ?«

Ein schelmisches Grinsen, das seine Grübchen an den Seiten zur Geltung brachte und das Herz vieler jungen Mädchen höher schlagen lassen würde, bildete sich auf seinem kantigen ausgeprägten Kinn.

Er legte das Glas vorsichtig zur Seite, warf sich den Lappen in der Hand über die Schulter und bückte sich, die beiden Arme an der Theke angelehnt, nach vorne.

»Beobachtest du mich etwa ?«, fragte er lächelnd und ich schlug ihm auf den trainierten Oberarm als er zweideutig die Augenbrauen hoch und runterbewegte.

»Ich wollte dich, da wo ich jetzt die Zeit zu gefunden habe, etwas fragen...«, fing ich an, doch da kam Yasemin, eine weitere Kellnerin in diesem Lokal, auf uns zugeschritten und unterbrach mich bei meinen Worten.

»Arzu du musst zum Kunden an Tisch sieben.«

Ich runzelte die Stirn.

»Ich bin aber nicht zuständig für diesen Tisch«, sagte ich irritiert, doch Yasemin die ihre Naturlocken zu bändigen versuchte, zuckte mit den Schultern.

»Das ist wohl wahr. Doch der Kunde hat ausdrücklich nach dir verlangt.«

Überrascht über diese Aussage konnte ich mir ein leises 'Oh' nicht mehr verkneifen. Ich warf Dimitros einen letzten entschuldigenden Blick zu, ehe ich mich durch die Tische zwängte und mich an eins der Tische begab, der direkt am Fenster anvisiert war und den schönsten Blick weit über das Meer bot.

Mit dem Nähern an den Tisch zog ich meinen Block und meinen Stift aus meiner hinteren Jeanstasche und blätterte auf der Suche nach einer noch nicht vollgeschrieben Seite herum.

»Willkommen, was kann ich ihnen... ?«

Das Lächeln und der freundliche Stimmton, den ich bei meinem Standardsatz jedes Mal automatisch ansetzte, versagte und blieb mir wie ein Klotz im Halse stecken als ich den Blick anhob und ihn vor mir sah.

Mein Stift verharrte über der freien Notiz, derweilen ich meinen Augen nicht trauen konnte.

Er war hier. Er war hier an meiner Arbeitsstelle aufgetaucht.

Dem Drang nicht widerstehen könnend, taxierte ich ihn ab, überflog den Anzug, der sich in einem harten und doch geschmeidigen verlaufenden Stoff an seinem Körper anschmiegte. Sein Dreitagebart verlief an seiner Wangen, seine Haare waren zum Look unordentlich gehalten, als wäre er sich eben noch einige Male durch die Haare gefahren bevor er in dieses Lokal eintrat.

Ich träumte nicht. Er war hier. Schon wieder war er unmittelbar in meiner Gegenwart.

Plötzlich fiel mir erneut mein Abgang ein, ich sah seine koordinierten Blicke, die bedachten Worte, die er abgewogen und an mich gerichtet hatte, derweilen ich wie ein Wrack vor ihm gesessen hatte.

Auch jetzt strahlte er eine Ausgeglichenheit aus, dessen Balance ich mit meiner bloßen Ausstrahlung zunichtemachen konnte. Ich spürte, wie ich krampfhaft zu schlucken begann.

Ich hätte es wissen müssen.

Ich hätte wissen müssen, dass er wusste, wo ich mich befand, nachdem er herausgefunden hatte, dass ich auf Kyrenia lebte.

»Hallo Arzu. Schön dich hier anzutreffen.«

Ich antwortete nicht, starrte ihn lediglich wie versteinert an.

Zwei Menschen aus verschiedenen Welten. Zwei Welten, die nicht miteinander in Berührung kommen dürften. Ich hatte ihm dies kenntlich gemacht und doch ließ er sich davon nicht beirren.

»Arzu ?«

»Was suchst du hier ?«, flüsterte ich leise und spürte, wie ich kreidebleich um die Nase herum wurde.

Er lächelte und klopfte mit den Händen an der vorderen Tischplatte, wie als wüsste er nichts mit meinen Worten anzufangen.

»Nun... Ich bin gerade geschäftlich hier und habe mitbekommen, dass dieses Lokal sehr gut sein soll. Da wollte ich mich selbst davon überzeugen lassen.«

»Ist dieses Lokal nicht etwas unter deinem Standard?«, platzte es aus mir heraus. Dass ich ihm nicht glaubte, war eine Sache, doch eigentlich hatte ich nicht vor gehabt ihm das offen ins Gesicht zu klatschen.

Ein Schmunzeln legte sich über seine Lippen.

»Warum urteilst du so schnell über mich, Arzu ?«

Ich biss mir auf die Unterlippe und wippte von einem Fuß auf den anderen. Er hatte recht. Das war unhöflich von mir.

»Was kann Ich Ihnen bringen ?«, fragte ich stattdessen.

»'Du' war schon richtig. Gespielte Höflichkeiten können uns erspart bleiben, denke ich.«

Ich schluckte, nickte dann aber. Auch hier hatte recht. Verdammt, reiß dich zusammen Arzu !

»Ok, was kann ich dir bringen ?«

»Was würdest du mir empfehlen ?«, stellte er mir eine Gegenfrage und machte mich erneut sprachlos. Seine Selbstsicherheit hatte mich schon am Esstisch bei ihm Zuhause verblüfft, doch auch jetzt war ich wieder erstaunt. Das konnte doch nicht sein.

»Die Dolmádes vom Hause könnte ich dir empfehlen. Die sind wirklich köstlich.«

»Ok, dann sollen es die Dolmádes werden«, sagte er und blickte mich des weiteren immer noch mit diesen unsagbar tiefen Blick an.

Ich nickte und bevor er noch etwas hinzufügen konnte, ging ich zu Onkel Mehmet und übergab ihm die Bestellung.

Mir blieb nicht viel Zeit. Ich wusste, dass das Zubereiten nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, aber ich konnte nicht anders, als einige Sekunden lang ins kleine Lagerraum zu gehen und mich an einer der Schränke anzulehnen.

Da war er wieder. Immer wenn ich versuchte ihn aus meinem Kopf zu bekommen tauchte er auf. Weshalb war er hier ? Was wollte er damit bezwecken ?

So sehr ich es auch wollte, ich konnte mich nicht bis zum Ende meiner Schicht hier hinten verstecken, weshalb ich mich wieder nach vorne begab. Denn die anderen Tische warteten auf mich und während ich versuchte mich auf diese zu konzentrieren, konnte ich förmlich seinen wachsamen Blick, der jede meiner Bewegungen Gefolgschaft leistete, auf mir spüren.

»Hey... kann ich dir helfen ?« Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken und als ich aufsah stand Dimitros, der eineinhalb Köpfe größer als ich war neben mir. Unwillkürlich versteifte ich mich, denn sein Blick branntr fester denn je auf meinem Rücken.

»Danke Dimitros, das schaffe ich schon«, gab ich kleinlaut von mir und wollte meine Arbeit fortsetzen.

»Ok, dann lass uns später über das reden, was du mich fragen wolltest«, sagte dieser und ich nickte, darauf bedacht nicht mehr in seine Richtung seit jeher zu blicken.

Nachdem mich Onkel Mehmet ein weiteres Mal zu sich gerufen hatte, war ich mir dieses Mal sicher, dass es sich um die Bestellung von ihm handeln musste.

Mit erhobenem Haupte ging ich auf ihn zu und legte ihm den Teller auf den Tisch, derweilen er in seinem Handy herumtippte.

»Bitte schön.«

Er lächelte mir weder zu, noch blickte er mich an. Und irgendetwas tief in mir, sagte mir, dass es mit meinem Gespräch mit Dimitros etwas zu tun haben musste.
Als er nichts erwiderte, nickte ich ihm zu und entfernte mich von Tisch um mich zum Pausenraum zu begeben und einen Moment für mich zu haben.

Ich fischte aus meiner Jackentasche mein Handy heraus und schrieb Daphne, ob sie denn nun mein Handy gefunden habe.

Ehe ich aber überhaupt eine Antwort erhalten konnte, wurde ich auch schon eine Viertel Stunde später erneut nach vorne gerufen.

»Was gibt's ?«, fragte ich an Yasemin gewandt.

»Der Kunde von Tisch sieben fragt wieder nach dir.«

Ob es an ihrem taxierenden Blick lag oder an ihrem spitzen Stimmton mochte ich nicht erraten können, doch ich hoffte sehr, dass sie mich nicht fragte, ob ich ihn kannte. Ich wusste, wie es nach außen hin aussah und ich wusste auch, dass es merkwürdig war, dass ein so wohlhabend wirkender Mensch sich mit mir abgab. Das sah man hier nicht, das war nicht gewöhnlich und auch nicht schicklich.

Ich rang mir ein Lächeln ab, tat, als wäre alles beim besten und kam gerade an seinen Tisch an, als er seine Gabel ablegte.

»Das schmeckte ausgezeichnet. Bitte richte dem Chefkoch meine besten Wünsche aus«, sagte er mit einem wachsamen Blick auf mich gerichtet. Ich hatte das Gefühl alle Blicke der Mitarbeiter und Gäste auf mich zu spüren. Mir wurde flau im Magen, weshalb ich einige Schritte nach hinten machte, damit jeder der Mitarbeiter auch sah, dass ich meine Distanz beibehielt. Lästereien hinter meinem Rücken konnten mir erspart bleiben, dafür hatte ich weder den Nerv, noch jegliche Lust aufzubringen.

So sehr ich es auch versuchte, ich begriff nicht, was er hier zu suchen hatte, warum er hergekommen war.

»Ich möchte mich bedanken und...«, er steckte gerade seine Hand in das Innenfach seines Jackett ein, als ich von dieser Bewegung verleitete entsetzt die Augen aufriss.

Wollte er mir jetzt etwa Geld anbieten ? Wollte er...

Ich spürte wie mehrere Kabel sich in meinen inneren ineinander verhedderten, sich anheizten und gegenseitig in Brand steckten. Unwillkürlich katapultierten mich meine Gedanken in die Nacht zurück in der ich, als Gegenleistung für Geld einen Teil von mir für immer aufgegeben hatte.

Geld...

Was Geld nicht alles bezwecken konnte. Was Geld nicht alles zerstörte und alles aus dem Gleichgewicht zerriss. Ausgerechnet Geld wollte er mir geben !

Abwehrend hob ich die Hand an, was ihn die Augenbrauen runterziehen, aber mitten in seinem Verhalten dennoch verharren ließ.

»Ich möchte Ihr Geld nicht haben !«, polterte ich wütend heraus, spürte in dem Moment aber, dass ich von meiner Wut geleitet meinen Ton viel zu sehr verfehlt hatte, sodass bereits einige von den Nebentischen neugierig in unsere Richtung blickten.

»Das geht aufs Haus. Als Dankeschön dafür, dass sie mir aus dem Wasser geholfen haben... Ich bin nicht auf Ihr Geld angewiesen !« Nicht mehr, dachte ich den letzten Teil und gab dies mit Nachdruck, aber dieses Mal flüsternd von mir.

Meine Standhaftigkeit bröckelte jedoch zunehmend, weshalb ich nicht mehr wie zuvor herausfordernd in seine Richtung blickte, sondern auf den glatten Tisch auf dem sich seine schönen Hände fest um die Tischplatte umschlossen.

Als Sekunden lang keine Antwort ertönte, ich aber dennoch seinen auffordernden Blick auf mir spürte, gab ich mir innerlich selbst einen Ruck und hob den Kopf in seine Richtung an.

Zu erkennen war nun eine steinharte verschlossene gar leicht zornig wirkende Miene, die anhand des natürlichen unrasierten Dreitagebarts seine Wangen und angespannten Kinnpartien besonderen hervorbrachte.

Kommentarlos erhob er sich, umrundete den Tisch und als ich ängstlich den Atem anhielt, weil er mit festgenagelten Blick in meine Richtung zugeschritten kam, da stoppte er dicht neben mir.

Sein Arm berührte fast meinen von der Seite. Ich konnte selbst aus dieser minimalen Bewegung seine Körperwärme auf mich abfärben spüren.

Langsam, fast schon bedächtig, als befürchtete er ich würde zusammenzucken, erfasste er meine Hand. Bevor ich im Gegenzug erschrocken über diese Intimität aufjapsen konnte verschwand sie auch schnell wieder. Allerdings bemerkte ich in dem Moment, dass er mir etwas in die Hand gelegt hatte. Ich blickte runter und öffnete meine kleine Handinnenfläche um das Verborgene zu sehen zu bekommen.

Erleichtert und verwundert nach Atem schnappend starrte ich auf das silberne dünne Band mit den Ringen.

Meine Ringe! Meine Eheringe ! Mit vor Freude hervorbeschworenenen Tränen in den Augen blickte ich auf meine Ringe nieder, bis mich seine Stimme zurückholte.

»Dies lag in meinem Bett. Ich habe geglaubt, dass dir die Kette viel bedeutet und du sehr traurig über diesen Verlust sein würdest, weshalb ich sie dir so schnell wie möglich wieder zulassen kommen wollte. Ich hatte keine bösen Absichten...«, raunte er mir leicht an meinem Haaransatz runtergebückt zu, ehe ich Sekunden später durch das Aufgehen der Tür realisierte, dass er das Lokal verlassen hatte.

~∞~

Ich war hin und her gerissen. Hin und hergerissen vor der Wahl alles stehen und liegen zu lassen, um ihm hinterher zu rennen und mich zu entschuldigen und der Peinlichkeit, die sich wie Zement auf mich abgelegt hatte und mich daran hinderte einen Schritt Richtung Tür zu setzen.

Mir wurde die Vornahme einer Option hingegen schon dadurch nicht gewährt, als mich im nächsten Moment Onkel Mehmet zu einer neuen Bestellung in die Küche rief.

Geplagt von der Scham und von meinen Ärger mir gegenüber erwiesen sich die letzten Stunden meiner Arbeitszeit als reinste Qual.

Ich hätte nicht auf diese Weise mit ihn sprechen dürfen! wiederholte ich klagend immer wieder in meinen eigenen Gedanken.

Er hatte mir nur deine Ringe abgeben wollen und ich hatte ihm bewusst das verborgene Arragmenet provokativ vor die Nase gehalten, trotz dass er als auch ich dieses Buchkapitel schon längst übersprungen hatten.

Doch stimmte das denn ? Hatte ich mit diesen Kapitel meines Lebens wirklich abschließen können ?
Edis hatte ich versprochen mein Leben zu leben, aber konnte ich das tun ? Konnte ich so tun, als sei nichts gewesen ?

Ich suchte Antworten auf diese Fragen, doch recht schnell musste ich mir eingestehen, dass die Antworten nicht draußen in irgendeiner Schatzkammer verborgen lagen, sondern in den dunklen Kammern meines Herzens verfrachtet waren.

Er wollte mir nur helfen...
Ich hingegen hatte mich von meiner Trauer, die Ringe verloren zu haben und der Panik ihm wiederbegegnet zu sein leiten lassen, was meine Inkompetenz als auch meine ganz und gar nicht faire Verhaltsweise zur Folge hatte.

Betrübt von diesen Gedanken legte ich mir lustlos die Strickjacke um die Arme und wünschte den restlichen Mitarbeitern einen angenehme Schicht, ehe ich mich aus dem Restaurant in die freie Abendbrise begab.

In diesem Teil der Erde, schien der Abend friedvoller zu sein, als in manch anderen Ländern. Zypern wies angenehme, wenn auch nicht allzu warme Temperaturen zu dieser Jahreszeit auf, doch die Abende zogen mich immer wieder wie eine Motte vom Licht angezogen wurden an.

Zu dieser Abendstunde wimmelte es nur von Menschen, die am Ufer entlang spazierten und Arm in Arm mit einem verliebten Lächeln eine Einheit bildeten. Während sie die Augen auf ihre Liebsten gerichtet hielten, nahm ich mir immer die Zeit in das weite Meer zu blicken, dass trotz der Abendstunde von den vielen Sternen und den Lichtern der Lokale in ein Spiel voller Farben auf der Wasseroberfläche mündete. Und wärend ich dies über die letzten Monate hinweg tat, stellte ich mir in diesen Momenten vor, dass Edis neben mir stehen und mir zuflüstern würde, wie sehr er mich liebte.

Die Sehnsucht in meiner Brust war am heutigen Tage noch größer. Und nachdem mein Verhalten auch die restliche Standhaftigkeit meines Willen weggefegt hatte, blieb nichts weiter als ein nachdenklicher Blick an meinem Gesicht haften.

»Das Meer wird mich auf andere Gedanken bringen«, flüsterte ich leise vor mich hin, umschloss die Strickjacke fester um meine Taille und blickte nach links und rechts auf die Straße, um nach dem Passieren dieser das Ufer zu erreichen. Abrupt als ich in einem Atemzug machte und gleichzeitig das Gefühl hatte, alle Luft würde mir aus der Lunge entzogen werden, blieb
mein Blick auf einer der Bänke hängen, die jeweils immer in verschiedenen Abständen entlang des Wassers aufgestellt waren.

Auf genau der anderen Straßenseite mir gegenüber saß auf einem der dunkelblauen Bänke eine Gestalt. Und trotz dass ich die Person nur von hinten sah, fiel die Identifikation dieser nicht allzu schwer aus.

Ich schluckte angestrengt, starrte auf den breiten angespannten Rücken, der sich hervorhob, als er sich mit den Armen an seinen Beinen abstürzte.

Bevor ich mir noch weiterhin den Kopf darüber zerbrechen konnte, spürte ich, dass meine Beine ihren eigenen Willen durchsetzten und auf die Bank zuliefen.

Das Blut kroch meinen Hals hinauf und ich ließ den Blick gesenkt, als ich die Bank umrundete und am anderen Ende der dieser Platz nahm.

Es war lächerlich. Ein minimaler Abstand von einer Kartonkiste trennte unsere beiden Körper voneinander und doch fühlte ich mich wie ein Warnschild, das stocksteif an Ort und Stelle festgenagelt war. Ich blickte weit hinaus aufs Meer, obwohl ich seinen Blick von der Seite konzentriert auf mir spüren konnte.

Vorsichtig öffnete ich die Handinnenfläche und blickte auf meine Kette nieder mit der ich nun wieder vereint war. Mein Fokus darauf ließ mich bei klarem Verstand bleiben, obwohl sein Blick ein tiefes Brodeln in mir verursachte.

»Es...es tut mir leid, wegen gerade eben. Ich hätte dich nicht so anfahren dürfen.«

Dann gab ich mir einen Ruck und hob endlich den Blick an, nur um ihm von der Seite aus einen verstohlenen Blick zuzuwerfen den ich erschrocken erneut nach vorne richtete, als ich seinen Blick fest auf mich spürte.

Seine so hell leuchtenden Augen schimmerten in der Abenddämmerung, trotz des dunklen Schattens, der ihn durch seine voluminösen Haare umrandete. Seine Augen war so sehr auf mein Auftreten verankert, dass ich das Gefühl hatte als würde er jede Bewegung von mir aufnehmen und in irgendeiner Weise kontrollieren, lenken wollen.
Es war zwar nicht bedrückend, aber gleichermaßen hatte es etwas so dominantes an sich, dass ich das dazugehörige aufkommende Gefühl in mir in keine Kategorie zuordnen konnte.

Ein tiefes gleichmäßiges Atmen war zu hören, ehe er sich nun mit dem Oberkörper nach hinten an die Sitzfläche der Bank lehnte.

»Das muss es nicht. Schließlich hattest du nicht ganz unrecht«, sagte er ruhig und neugierig werdend durch seine Worte fanden meine Augen magisch angezogen die Seine.

Kurzzeitig hafteten sie an mir, fuhren konzentriert mein Gesicht entlang. Ich erkannte es an seinem Augen, die bedächtig meine Konturen entlang gingen, bis sie schnell wieder zu mir fanden bevor ich mich entschloss diese Verbindung abzubrechen.

Er lächelte matt, fuhr sich dann seufzend durch die Haare, als sei er unschlüssig seine nächsten Worte auszusprechen.

»Ich bin nicht nur hierher gekommen um dir dein Eigentum zurückzugeben. Ich wollte auch dich sehen.«

Schamesröte überdeckte meine natürliche Hautfarbe und die Schweißperlen auf meiner Handinnenfläche begannen ein enormes Kribbeln auf der klitschnassen Haut zu verursachen.

Ich hatte keine passable Antwort dafür. Mir war schon vorher aufgefallen, dass er so direkt war, wie als er mich zum Beispiel aus dem nichts zum Abendessen eingeladen hatte. Seine befehlender Ton und die Direktheit prägten ganz eindeutig seinen Charakter. Wie als hätte er immer das bekommen was er wollte, wenn er nur hartnäckig genug blieb.

Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen. Auch wenn ich nicht reagierte, war ihm seine Aussage nicht unangenehm. Ich vermutete sogar, dass er sich im Moment vergleichsweise noch zurückhielt in meiner Gegenwart und das er auch noch viel harscher und bestimmter sein konnte.

»Das war eindeutig wieder zu direkt stimmt's ? Arzu du rennst weg... und je mehr du dich dagegen sträubst desto mehr zieht mich diese Energie magnetisch zu dir heran. Ich kann es dir nicht verübeln, ich habe nicht damit gerechnet dir wiederzubegegnen und doch kreuzen sich unsere Wege immer wieder.«

Wie als wäre es Schicksal... ging es mir durch den Kopf.

»Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. In der Nacht als du und ich...«

Panisch riss ich die Augen auf und  unterbrach ihn stotternd.

»Dur... lüften !«, flehte ich fast schon und bemühte mich angemessene Atemzüge zu vollführen.

Seine Züge spannten sich an und plötzlich legte sich ein Schatten um sein friedvoll wirkendes Gesicht. Mein Anblick brachte das Leuchten seiner Augen zum Erlöschen. Als würde ihm das was er sah Schmerzen bereiten, verdüsterte sich seine Stimmung, die sich in seinem Ausdruck widerspiegelte.

Mich so zu sehen, zu sehen, dass ich immer noch wegen dieser Nacht litt gefiel ihm nicht. Denn nun sah auch ich in seinen Augen die Schuldgefühle, die sich wie eine Welle auf ihn stürzten.

Aber er war nicht schuldig! Ich war es... Ich hatte eingewilligt, obwohl er mich klar vor den Konsequenzen gewarnt hatte.

Es wurde zunehmend still zwischen uns. Keiner sagte etwas. Meine Augen beobachteten seine Hände, die auf seiner Hosen abgelegt waren und sich nun zu auffälligen Fäusten ballten, die seine Armmuskulatur spielen ließ.

Als er das nächste Mal sprach, war seine Stimme dumpf, kühl wie als hätte er eine Trennlinie zwischen uns gezogen an die er jeden, der es wagte sich Gefühlsmäßig ihm anzunähern erbarmungslos abweisen würde.

»Verrätst du mir was mit deinem Mann passiert ist ?«, fragte er und ich spürte wie viel Mühe es ihn kostete eine ausdruckslose Haltung beizubehalten.

»Ich habe mich damals auf dem Laufenden gehalten. Soweit mir berichtet wurde lief die OP reibungslos«, sagte er, vermied aber den Blickkontakt zu mir, als er mit damit indirekt Preis gab, dass er sich nicht an die Abmachung gehalten und mir hinterher geschnüffelt hatte. Denn die Abmachung war, dass wir so wenig wie möglich voneinander wissen sollten.

Ich schluckte den Klotz angesichts dessen in meinem Hals runter und erwiderte kaum hörbar:

»Woher wusstest du in welchem Krankenhaus er lag ? Und... und warum hast du überhaupt gezahlt ?«, brachte ich schwer über meine Lippen und fühlte erneut die Erniedrigung, die mich erdrückt hatte, als er mich wütend aus dem Zimmer geworfen hatte, weil ich mitten drin zu weinen begangen und meine Aufgabe nicht ordentlich erfüllt hatte. Von diesem aufgelösten Mann war nichts mehr zu sehen. Was genau an meiner Lage hatte ihn damals so dermaßen aus dem Konzept gebracht ?

Nun blickte er weit hinaus aufs Meer und der Mond hüllte sein Gesicht in einem silbernen Schimmer, das seinen prägnanten Konturen untermalte.

»Ich weiß mehr als du erahnen kannst. Ich brauche immer eine gewisse Art von Kontrolle Arzu, die habe ich mir mein Leben lang erarbeitet. Es war nicht schwer die Aufenthaltsstelle des Krankenhauses ausfindig zu machen.«

Ich schwieg. Seine Sätze waren rätselhaft und ich konnte sie nicht entziffern.

»Du hast gefragt wie er gestorben ist...«, flüsterte ich und streichelte langsam über den Ring von Edis, als ich unmittelbar in eine meiner Erinnerungen abtauchte.

Gleichmäßige Schläge trommelte gegen mein linkes Ohr und friedlich grinsend schloss ich die Augen, derweilen ich mich noch weiter an ihn schmiegte und mein Gesicht in seinem T-Shirt vergrub. Mit dem Oberkörper lag ich seitlich halb auf ihm. Seine langen Beine verbündeten sich unter der Decke mit meinen und als ich mit meiner Hand langsam über seine steinharte breite Brust fuhr, setzte er mir sachte einen Kuss auf die Schläfe und zog mich noch weiter an seinen warmen Körper ran.

Selbst beim liegen fühlte ich mich angesichts seiner Größe wie ein Zwerg, doch ich konnte es nicht bestreiten, dass ich dieses Gefühl liebte. In der starken beschützenden Umarmung eines Mannes zu liegen, eines Mannes den ich über alles liebte erfüllte mein ganzes Leben mit Zufriedenheit.

»Ich habe nachgedacht«, sprach ich aus und hob langsam den Kopf an nur um zu sehen, wie seine dunklen Augen seelenruhig die ganze Zeit über schon auf mir lagen. Ich errötete und vergrub mein Gesicht kichernd erneut in seinem Oberteil.

»Starr mich nicht so an«, quengelte ich, doch wie als würde er mich provozieren wollen, wurde sein Blick dadurch intensiver, sodass ich plötzlich das Bedürfnis verspürte, die Decke über mir wegzuschieben und in dem großen Bett Abstand zu ihm zu nehmen.

Denn ich kannte diesen Blick, diesen Blick der Begierde und Verehrung und obwohl ich ihn auch vermisst hatte, mich ebenfalls danach sehnte ihm körperlich nahe zu sein, ging es nicht. Der Arzt hatte klare Anforderungen gegeben, wie es in den nächsten Wochen auszusehen hatte und außerdem... würde ich es im Moment sowieso nicht über mich bringen können. Ich würde es nicht schaffen, denn ich verdiente seine Liebe nicht. Körperlich und auch seelisch nicht.

Ich schluckte die bittere Galle die aufkam runter und versuchte einen unbekümmerten Gesichtsausdruck darzulegen. Er sollte sich nicht um mich Sorgen. Im Moment durfte er nach genauen Angaben nicht belastet werden.

»Was geht in deinem hübschen Kopf so vor, güzelim«, sagte er und strich mir einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht, was eine Gänsehaut auf meinen Körper verursachte.

Mein Herz explodierte regelrecht, wenn er mich so nannte.
Ich war seine Schöne. Nur seine.

Ich war süchtig danach, wie er mich dabei ansah. Außerdem machte es mit glücklich zu hören mit welch einer Entschlossenheit und Sicherheit er die Worte von sich gab, trotz der falschen Betonung, die er dafür verwendete. Sein türkisch war gut, aber es war kaum zu überhören, dass er nicht in der Türkei ausgewachsen war.

Ich hob erneut den Kopf an und stützte mich mit der einen Hand am Lacken um ihm ins Gesicht blicken zu können, während ich die nächsten Worte aussprach.

»Ich möchte ein Kind, Edis. Ich möchte ein Wesen, was ein Teil von dir und mir ist. Ein Symbol unserer Liebe.«

Verblüfft blickte der Mann vor mir mich zunächst unkommentiert an, ehe sich eine Zärtlichkeit wieder in seine Züge legte, die mich wie so oft schwach stimmte.

»Ich weiß, dass wir eine Familienplanung erst vornehmen wollten, wenn wir finanziell einen festen Stand haben, aber...«

Nun wandte ich den Blick von ihm ab. Beim Aussprechen der nächsten Worte konnte ich ihm nicht ins Gesicht blicken, denn dann hätte er die aufkommenden Tränen entdeckt und das musste ich vermeiden. Anstelle dieser blieb mein Blick auf seiner Hand haften, die er nun auf sein Bauch gelegt hatte. Meine Hand fand die seine und ich sah erst zu seinem Ehering und dann zu dem anderen Ring, dass er ebenfalls immer trug. Ich erfasste es und spielte mit seinem Ring herum, welches dieses merkwürdige Zeichen trug. Auch jetzt fragte ich mich, was es mit diesem Ring, das ihm anscheinend viel  bedeutete, auf sich hatte.

Unwillkürlich musste ich an seine Worte zurück denken, dass ganz gleich was mit ihm auch geschah ich diesen Ring behalten und beschützen solle.

Ich zeichnete die Konturen nach und biss mir nervös auf die Unterlippe.

»Ich...Ich brauche etwas von dir. Als du im Krankhaus lagst, ich innerlich weiter zerfiel von dem Gedanken geleitet dich von Tag zu Tag immer mehr zu verlieren, da hatte ich mir so sehr gewünscht, dass ich ein Kind von dir besäße, dass ein Teil von dir in mir weiterleben könnte. Ich... Ich brauche das Edis. Ich kann mit dieser Angst nicht leben. Ich kann den Gedanken nicht ertragen in einer Welt zu leben ohne dich. Ich will ein Kind. Mach... Mach mir bitte ein Kind«, flüsterte ich und hatte das Gefühl gerade völlig ins Leere zu greifen.

Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass Tränen unbemerkt mein Gesicht heruntergekullert waren, bis Edis mein Kinn anhob und mich zwang ihn anzuklicken. Sein Blick war streng, als er die Traurigkeit in meinen Augen sah, sodass er sich langsam mit dem Oberkörper auf dem Bett erhob, mich aber mit dem ganzen Körper gleichzeitg auf die Matratze unter ihm drückte, ehe mein Kopf auf der weichen Fläche landete.

Dann nahm er mit seinen Oberschenkeln meine Beine ein, ehe er sich zu mir herunterbeugte und sich mit beiden Armen an der Matratze abstützte.

Schwerelos atmete ich als ich sah wie sich seine Augenfarbe noch weiter von einer Nuance zur anderen Nuance verdunkelte. Seine Augen fuhren bedächtig mein Gesicht auf und ab, ehe er sich nun komplett zu mir runterbückte und zarte unschuldige Küsse auf mein Gesicht platzierte, die zuvor von Tränen eingenommen waren.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich nie wieder weinen sehen möchte, mahinur...«

Mein Herz machte einen Hüpfer, als seine Küsse meine Kinnpartien hinunterfolgten und sich eine nasse zu quälende langsame Spur über mein Hals legte. Ich streckte den Rücken gerade, hielt mich mit beiden Händen an dem Saum seines T-Shirts über mir fest.

Als ich spürte wie seinen Lippen sich einen Weg zu meinem Dekolletée  bannten, keuchte ich schwer atmend auf.

»Edis...«

Er stoppte augenblicklich, ehe er mit seinem Gesicht so dicht vor meinen Lippen stand, dass ich es nicht wagte zu atmen. Seine Ausstrahlung entzog mir jeglichen weiteren Atemzug. Ich war fasziniert von diesem Mann, den voluminösen nun etwas länglicher verlaufenden Haaren, die wild herab standen und den dunklen ausdrucksstarken Augen, die eine gewisse Aufrichtigkeit darlegten.

Mit einem aus Begierde und Lust ausgestatteten Blick haftete er an mir während ich mich nur auf seine nun glänzenden Lippen konzentrierte, die zuvor meine Haut zum erglühen gebracht hatte.

»Ich will ein Mädchen«, sagte er flüsternd und sich dicht an meine Lippen nähernd.

»Ich will ein Mädchen, das deine Augen, deine kleine Nase, deine so tollen Lippen hat. Ich möchte einen Sonnenschein haben, der dich mein Mondschein ergänzt«, sagte er und blickte mir dann erneut tief in die Augen.

»Ich halte von euren türkischen Traditionen, dass es ein Junge werden soll, nicht viel. Ich möchte eine Tochter !«, sagte er dieses Mal erneut und ich spürte, wie sich ein belustigtes Lächeln um seine Lippen legte, was klar und deutlich darlegte, dass seine Worte nicht ernst gemeint waren. Ihm war es egal, genauso wie mir, welches Geschlecht das Kind haben würde. Hauptsache das Kind kam gesund und munter zur Welt.

Doch als ich begriff was er damit meinte weiteten sich meine Augen.

»Ist das ein ja ?«, fragte ich und meine Hand wanderte über Edis Brust hoch zu seinem Hals."

Er setzte mir einen sanften Kuss auf die Nasenspitze und erwiderte:

»Nichts lieber als das... Ich habe dich vermisst, Arzu.«

Seine Lippen legten sich begierig auf meine.

»Ich habe deinen Duft vermisst...«, hauchte er mir entgegen während er sich hungrig an meinen Lippen vergriff und seine Hände meinen Körper ertasteten.

Auch in mir war das Feuer entfachtet. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals, während ich ihn mit der einen an seinen Haaren runter zu mir zog. Ich brauchte ihn. Ich wollte ihn so nah wie möglich bei mir haben und ihn nie wieder loslassen.

»Ich habe mich so nach dir gesehnt... nach allem was dich ausmacht. Dein Lächeln, dein Liebe, das Gefühl was du mir gibst, nämlich zuhause zu sein«, vorsichtig zog er an meiner Unterlippe was mich dazu verleitete noch weiter an seinen Haaren zu ziehen und ihm ein Knurren zu entlocken.

Ich hatte mich seit langem noch nie so gut fefühlt, noch nie so vollkommen.

Edis und...

Ich spannte mich augenblicklich unter ihm an, als wie aus dem nichts ein anderes Bild vor mir auftauchte. Nicht Edis stand über mir... sondern er. Emran.

Ich blinzelte einige Male und sah nun Edis wieder vor mir, doch das änderte nichts an dem was ich gesehen und was das wieder in mir hervorgerufen hatte.

Ich... Ich konnte das nicht tun, sagte ich mir und als Edis sich nichts bemerkend weiterhin dieser Extase hingab und sich an meinen Hals hermachte, ehe er langsam den Saum meines Oberteils anhob, da drückte ich ihm bestimmt eine Hand auf die Brust.

»Warte.« Verdutzt blickte er mich an. Seine Augen leuchteten wie das Feuer, dass ich angezündet hatte. Ich liebte diesen Anblick, ich liebte es zu sehen wie sehr mich dieser Mann wollte, doch erstmals tat mir diese Liebe die ich in seinen Augen herauslas weh... Es fügte mir Schmerzen zu. So viele Schmerzen.

»Habe ich was falsch gemacht?«, fragte er besorgt und taxierte meinen Körper auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen ab.

Ich schüttelte gezwungen lächelnd den Kopf.

»Du weißt doch, was der Arzt gesagt hat Edis. Keine körperlich zu überanstrengden Aktivitäten. Deine Genesung geht vor und bis dahin werden wir uns gedulden müssen.«

Edis ließ enttäuscht die Schultern hängen.

»Wozu dienen denn Regeln schon? Die sind doch da um gebrochen zu werden !«, startete er einen erneuten Anlauf und wollte wieder meinen Hals küssen, doch dieses Mal war ich es, die ihn aufs Bett drückte.

»Nein !«, sagte ich bestimmt, ehe ich mich selbst wieder zu ihm legte und mich an ihn kuschelte.

Von der Dunkelheit eingenommen lagen wir Minuten lang schweigend nebeneinander.

»Du weißt nicht wie schwer mir das jetzt fällt einfach nur da zu liegen und dich nicht berühren zu dürfen«, sagte er und brachte mich damit wieder zum schmunzeln.

Ich gab ihn einen Kuss direkt über die Brust unter der sich sein Herz befand.

»Geduld ist eine Tugend mein Lieber«, sagte ich und gleichzeitig versuchte ich den Schmerz in meiner Brust zu unterdrücken. Dieser Kummer würde mich noch irgendwann umbringen.

Ein lautes Poltern ließ mich im Schlaf zusammenzucken. Verschlafen öffnete ich die Augen und ein Blick seitlich aus dem Fenster zeigte den starken Regen an. Er war morgens und doch war die Sonne noch nicht ganz aus den Federn erwacht.

Müde gähnte ich und streckte mich im Bett, ehe ich mich zu Edis umdrehte um ihm einen Kuss zu geben.

Mein Blick fiel aus seine geschlossenen Lider und seinem Seitenprofil und ich konnte nicht anders als zu Lächeln und erneut dankbar dafür zu sein, dass Gott ihn mir nicht weggenommen hatte.

Ich hob die Hand an und wollte gerade über seine Wange streicheln, als ich wie erstarrt inne hielt und meine Augenbrauen zusammenzog.

Irgendetwas... stimmte nicht.

Abrupt erhob ich mich mit dem Oberkörper und blickte auf Edis nieder. Irgendetwas war... anders.

Aber wa-...
Atemgeräusche. Es fehlten Atemgeräusche.

Vor Schreck aufstöhnend fuhren meinen Augen über seine Gestalt.

Doch seine Brust hob und senkte sich nicht.

Mit zitternder Hand berührte ich sachte seinen Körper.

»Edis...«

Keine Antwort.

Dieses Mal wurde mein Griff fester, die Panik wuchs.

»Edis das ist nicht witzig, hör bitte auf damit !« Meine Stimme war kaum wiederzuerkennen, so schrill erklang sie in meinen Ohren.

Wieder nichts. Edis reagierte nicht. Er schlief.

Und dies war der Moment als meine Körper zusammenklappte und auf ihn fiel. Mir bebendem Körper krallte ich meine Fingernägel in sein Oberteil, fasste ihm ins Gesicht.

-"Uyan ! Uyan Edis ne olur uyan ! Yalvarırım«, kreischte ich, das sich mit der Flutwelle mischte, die sich augenblicklich in meinen Augen breit machte.Gewaltsam zerrte ich an ihm, fehlte ihn unter Tränen und verrücktem Geschreie an die Augen zu öffnen.

Aber er tat es nicht.

»Endokarditis sagten die Ärzte sei die Ursache dafür gewesen. Das bedeutet, dass eine Infektion der Herzklappenprothesen oder besser gesagt eine Entzündung der Herzinnenhaut einschlägig war. In der Regel, kämpft oder wehrt der Körper Bakterien in sehr hoher Zahl ab. Die Ärzte sagten hingegen, dass nach der Herzoperation meines Mannes die Nahtstellen der Klappen von der Antibiotika nicht erreicht und der Körper, die Bakterien, die sich mit dem Blutstrom bis zu den operierten Klappen begeben haben demnach nicht abwehren konnte.  Aus diesem Grund haben die Bakterien sich dort abgelagert und vermehrt. Die Ärzte haben es bei den Untersuchungen nicht bemerkt... Sie haben rein gar nichts bemerkt.«

Ich stoppte, weil ich spürte wie meine Stimme zum Ende hin zu zittern begann. Das war das erste Mal seit Edis Tod, dass ich mit jemandem darüber sprach geschweige denn dies überhaupt laut aussprach.

Dass es aufgerechnet Emran war, war noch eine zusätzliche Ladung an allem. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich das Bedürfnis verspürt hatte, ausgerechnet ihm einem Mann den ich kaum kannte, dies anzuvertrauen.

Vielleicht lag es daran, dass ich mein Verhalten gerade im Lokal dadurch wieder wettzumachen versuchte. Ja, vielleicht...

Um mir den Kopf weiter darüber zu zerbrechen blieb mir keine Zeit, denn ich spürte, wie sein Körper neben mir zu einem steinharten Felsen mutierte. Ein Blick in sein Gesicht bestätigte meine Vermutungen, dass ihn meine Worte zum Nachdenken gebracht hatte, ihn sogar in irgendeiner Weise mitnahm.

Aber warum ?

»Auch wenn du mir nicht glauben magst Arzu, ich habe mir vom ganzen Herzen gewünscht, dass du ein glückliches Leben mit ihm führst«, sagte er, wollte mich aber immer noch nicht anschauen.

Mir stockte der Atem, weil ich überrascht war von seinen Worten. Doch ich verspürte den Drang, dem ebenfalls ehrlich entgegen zu treten.

»Ich auch... Ich hatte nur ihn in meinem Leben. Nur Edis.«

Ich spürte die Tränen aufkommen, weshalb ich schnell das Thema änderte.

»Doch das Glück ist nicht jedem vergönnt. Ich hoffe, du und deine Verlobte... ihr...«

Nur zu spät bemerkte ich, wie absurd meine Worte klangen. Was sollte ich schon sagen ? Ich hoffe, du und deine Verlobte seid glücklich ? Er hatte damals doch offenkundig zugegeben, dass er sie nicht liebte.

»Ich habe sie nicht geheiratet.«

Nun drehte er seine Augen endlich wieder in meine Richtung.

»Meine Prioritäten im Leben haben sich geändert«, sagte er mir tief in die Augen blickend, sodass sich plötzlich eine Gänsehaut auf meinem Körper breit machte und ich mich räusperte.

Es folgte eine kleine Pause. Eine Pause in der er als auch ich unseren Gedanken nachgingen.

»Arzu... ?«, sprach er mich vorsichtig an und sein Ton verleitete mich dazu ihn fragend anzublicken.

»Ich möchte dich kennenlernen.«

Meine Augen vergrößern sich durch seine Worte, die so standhaft klangen und so von sich überzeugt, dass ich mich in eine Ecke gedrängt fühlte.

Er beobachtete mich, schien zu merken, dass ich ängstlich zu werden drohte, denn beschwingt hob er im Anschluss die Hände in Brusthöhe an.

»Ich werde die Grenze nicht überschreiten. Versteh mich nicht falsch, ich will mit dir befreundet sein. Ich will eine Freundschaft, denn...«

Er stoppte einen kurzen Wimpernschlag lang, ehe er den Rücken gerade streckte und ohne jegliche Angst oder Sorge von sich gab:

»Denn ich genieße deine Gesellschaft. Sehr sogar, sie tut mir gut«

Er streckte mir vornehm die Hand aus.

»Eine Chance, mehr verlange ich von dir nicht. Ich möchte einen Neuanfang wagen. Also Arzu, nimmst du meine Freundschaft an ?«

UPDATEPLAN:

13 - Blind Date

14 - Schenke mir den Sonnenuntergang

15 - Der Psarianos - Clan

16 - Zweiter Anlauf

17 - Träume werden wahr

18 - Beichte

19 - Aschenputtel

20- Kontrollsucht, Fürsorge und ein ungewöhnliches Angebot

21- Istanbul

22 - Konfrontation & Einsicht

23 - Unerwartete Begegnung

24 - Sunniten & Aleviten

Ich habe vorgeschrieben und da ich noch weitere Kapitel vorschreiben möchte, werde ich diese Kapitel erst Ende Februar/Anfang März posten. Ab da wird es jede Woche ein Update am Wochenende geben. Welcher Tag es werden soll könnt ihr entscheiden.

Ich hoffe, dass Kapitel hat euch gefallen. Wenn ihr Verbesserungsvorschläge etc. habt dann nur zu, ich bin ganz Ohr 👂🏽❤

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