Epilog - Special: Freitag, 12. Januar

Gähnend ließ sich der Weißhaarige auf seinen Platz am Fenster in der ersten Reihe fallen. Um 8 Uhr, in der Früh, in der Schule zu sitzen, war in seinen Augen einfach unmenschlich. Es war ja sogar nachgewiesen, dass das Gehirn zu einer solch frühen Zeit nicht so gut arbeitete.

„Guten Morgen." – Hoseok, der wie immer gut gelaunt war, kam schmunzelnd in den Klassenraum spaziert, legte seine Sachen in der zweiten Reihe ab und beugte sich zu dem Kleineren, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. Zwar hätte er den Gleichaltrigen lieber auf die Lippen geküsst, doch war Yoongi in der Schule schon immer der passive, leise und fleißige Schüler gewesen und wollte deswegen auch vermeiden, dass jemand etwas von ihrer Beziehung mitbekam.

„Morgen." – die Augen schließend genoss er die sanfte Berührung der Lippen des Rothaarigen auf seiner Stirn. – „Du kannst dich bestimmt wieder neben mich setzten."

„Ist Jungkook immer noch nicht da?" – erstaunt nahm der Größere seine Sachen und legte sie auf den Platz, welcher normalerweise von dem Schwarzhaarigen belegt wurde, der mit einer der fleißigste Schüler des Tutoriums war und die Jahre zuvor nie gefehlt hatte.

„Weiß nicht." – die Stimme des Weißhaarigen verlor deutlich an Wärme. – „Mir ist das aber auch egal. Er antwortet nicht und ich habe keine Lust mehr, wie eine austauschbare Person behandelt zu werden. Klar, er hat sicher wieder Probleme, aber er soll gefälligst auf mich zukommen und mich nicht ignorieren."

„Wie auch immer, klärt das unter euch." – fast sofort wendete sich Hoseok an Namjoon und Taehyung, die sich unmittelbar neben ihn fallen ließen.

Kopfschüttelnd öffnete der Teenager den Chat mit Jungkook, der ursprünglich mal als Soulmate eingespeichert war, und ging noch einmal seine gesamten Texte durch, die er seit Neujahr verfasst hatte. Alle wurden gesendet, doch blieb der zweite Haken, der das Empfangen auf dem Endgerät symbolisierte, aus. Es verletzte Yoongi, dass er dem Schwarzhaarigen offensichtlich egal war und er ihn ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben vermutlich auch noch blockiert hatte. Natürlich könnte er zu ihm gehen und das Gespräch persönlich suchen, doch war das nicht seine Aufgabe, oder?

„Guten Morgen, liebe Schüler." – der Lehrer betrat den Raum und riss somit die Aufmerksamkeit aller auf sich. – „Heute widmen wir uns der Gedichts-Analyse und ich möchte noch einmal betonen, dass ihr im Sekretariat anrufen müsst, solltet ihr krank sein." – sein Blick auf den Platz, wo normalerweise Jungkook saß, machte deutlich, dass sie von ihm redete.

„Nicht mal in der Schule ruft er an." – schnaubend verschränkte der Weißhaarige seine Arme vor der Brust.

„Na und." – Hoseok zuckte mit den Schultern. – „Tust du doch selbst nicht."

„Du bist mein Freund." – den Größeren am Arm schlagend schmollte er. – „Du solltest auf meiner Seite sein."

„Ich bin auf keiner Seite. Das ist euer Problem, nicht meines." – seinen Blick von der Tafel abwendend strich er liebevoll eine der weichen Haarsträhnen hinter das Ohr seines festen Freundes. – „Aber, wenn es dir so wichtig ist, dann gehen wir heute nach der Schule zu ihm und du klärst das."

„Hmm, mal sehen." – unwohl knackte Yoongi seine Finger. Es war eine Sache zum Schwarzhaarigen zu gehen und mit ihm zu reden, da dieser sehr viel Schmerz und Hass in sich trug, doch war es eine andere seinen Eltern gegenüber zu stehen.

Vor Jungkook hatte er Respekt. Er wusste zum Teil, was er alles ertragen musste und konnte die gemeine Seite von ihm auch verstehen. Manchmal konnte er ja fast schon spüren, was für eine Wut der Älteste auf alles hatte. Doch seine Eltern waren unberechenbar. Nicht, dass sie jemals handgreiflich wurden, sie wissen nur, wie sie einen in Grund und Boden diskutieren und mit solchen Situationen kam er nun mal überhaupt nicht klar.

Vollkommen neben der Spur bemerkte Yoongi nicht, wie sich die anderen Schüler bereits in Gruppen zusammenfanden und die Gedichts-Analyse ihres Abschnitts begannen.

„Yoongi?" – der Lehrer beugte sich leicht zu ihm hinüber, damit nicht jeder ihr Gespräch mitbekam. – „Wollen sie mal kurz raus gehen und mit mir sprechen?"

Der Teenager wusste, dass er heute sowieso zu nichts in der Lage sein würde und es war durchaus besser für die Noten, wenn die Lehrer Bescheid wussten und nicht einfach dachten, er wolle sich nicht beteiligen.

„Ja, gerne." – ein schmales, gezwungenes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Dann kommen sie mal. Der Kurs ist für die nächste halbe Stunde beschäftigt."

Dem Lehrer folgend liefen sie aus dem Raum, den Gang entlang zu der Sitzecke im 4. Stockwerk, welche nur für die Oberstufe war.

„Setzen sie sich doch bitte. Und dann können sie mir erzählen, was ihnen auf dem Herzen liegt, sodass sie seit Tagen nicht mehr wirklich anwesend im Unterricht sitzen. Außerdem, haben sie vielleicht etwas von Jungkook gehört? Ihr seid doch so gut befreundet."

Der Aufforderung nachkommend setzte sich der Schüler, verschränkte die Hände im Schoß und leckte sich einmal über die ausgetrockneten Lippen. – „Also erst mal, ich habe nichts von Jungkook gehört. Und das ist vielleicht auch das Problem? Ich weiß es nicht." – seufzend holte er tief Luft und unterdrückte das zittern, indem er die Hände stärker zusammenkrampfte. – „Ich habe seit den Ferien nichts mehr von ihm gehört. Meine Nachrichten kommen nicht an und irgendwie bin ich sauer auf ihn. Gleichzeitig habe ich manchmal, also davor, Nachrichten von ihm bekommen, dass er nicht mehr will und kann. Ich weiß dann nicht, was ich mit solchen Nachrichten machen soll. Soll ich einen Krankenwagen rufen. Soll ich nichts tun. Reicht es, dass ich es ihnen erzähle." – eine einzelne Träne verließ sein Auge, wobei er eigentlich der festen Überzeugung war, dass der Schwarzhaarige keine Träne wert war.

„Hmm, verstehe. Haben sie ihn denn mal gefragt, was sie tun sollen, wenn er ihnen eine solche Nachricht schickt. Ich mein, vielleicht schafft er es einfach nicht um Hilfe zu fragen und sieht darin die einzige Möglichkeit um Hilfe zu rufen."

„Nein, habe ich nicht." – Yoongi würde den Älteren auch nie fragen. Wie würde das denn rüberkommen? Diese Peinlichkeit wollte er sich nicht geben. – „Außerdem kommen meine Nachrichten seit Neujahr sowieso nicht bei ihm an." – und da war es wieder. Dieser kalt, gleichzeitig leicht schnippische Unterton, welcher den Hass oder auch Verachtung gegenüber dem Schwarzhaarigen ausdrückte.

„Dann besuchen sie ihn. Vielleicht will er genau das."

„Ja, Hoseok meinte schon, dass er mit mir zu ihm geht."

„Gut, und sonst so, alles okay bei ihnen oder kann ich irgendwas tun, damit sie sich besser auf den Unterricht konzentrieren können?"

Das war eine der Eigenschaften, die Yoongi an dieser Lehrkraft bewunderte. Er interessierte sich wirklich für das Wohlergehen der Schüler, auch wenn er häufig verpeilt durch die Welt lief.

„Nein. Ansonsten ist alles gut. Nur werde ich mich heute vermutlich auch nicht auf den Unterricht konzentrieren können wegen.. sie wissen schon."

Nickend bejahte der Lehrer und erhob sich. – „Dann lasse ich sie hier noch sitzen und sie kommen dann einfach wieder in den Klassenraum, wenn sie so weit sind, Okay?"

„Ja, vielen Dank."

----

„Wo warst du den Tag über." – Hoseok schloss seinen festen Freund in die Arme, blickte sich kurz um, bevor er ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen drückte.

„Ihm Sozialzentrum. Mir ging es nicht so gut."

„Aber dir geht es jetzt gut genug, dass wir zu Jungkook gehen?"

„Ja, eine andere Wahl habe ich ja nicht." – ihm graute es schon vor Montag. Sein Tutor meinte, dass er ihm dann erzählen soll, wann der Ältere wieder in die Schule kommen würde und was los war, damit sie sich keine Gedanken machen mussten. Denn selbst die Schule erreichte bei ihm, daheim, niemanden.

„Okay, wie du meinst. Jimin fährt uns übrigens, wartet dann aber mit mir im Auto. Er ist nach wie vor nicht so gut auf Kook zu sprechen."

„Ich weiß. Immer noch wegen dem Insta-Ding." – besonders, wenn es um Sozial Media ging war der Orangehaarige ihres Freundeskreises am pingeligsten, sodass es sogar Yoongi auf die Nerven ging.

---

Händchenhaltend lief das Pärchen über den Schulhof, welcher inzwischen Menschenleer war, in Richtung des kleinen, süßen, knallgelben Autos.

„Na meine lieben, wie geht es so im Liebesleben voran?" – mit viel zu viel Energie grinste er das Pärchen durch den Rückspiegel an.

„Mal so mal so. Immer gut durchmischt." – Hoseok grinste zurück, während Yoongi nur rot anlief und dass, obwohl die Aussage des Rothaarigen eine Lüge war und da noch nichts gelaufen war. Zwar fühlte er sich in der Nähe des Größeren wohl und seine Körpergröße war durchaus attraktiv, aber das wars auch schon. Yoongi fand ihn außer dieser einen Sache einfach sexuell nicht anziehend. Der Rothaarige wusste davon natürlich nichts und schob die Verklemmtheit des Weißhaarigen darauf, dass dieser noch Jungfrau war.

„Wenn was Spannendes passiert, haltet mich auf dem laufenden und Schnucki,-..." – Jimin stellte den Wagen vor dem Haus des Schwarzhaarigen, welches sehr nah an der Schule war, ab. – „Wenn du Fragen hast, dann frag einfach." – mit den Augenbrauen wackelnd brachte er den Weißhaarigen nur noch mehr zum erröten.

„Nein danke."

„Wie auch immer, das Angebot steht und jetzt mach, dass du hier rauskommst und das klärst. Schließlich wollen wir danach noch in die Stadt."

„Wann habt ihr das denn entschieden?" – sich einfach über den Haufen gerannt gefühlt, starrte Yoongi seine beiden Freunde abwechselnd an, wobei einer sein fester war.

„Gerade eben und nun hopp, hopp." – Jimin machte verscheuchende Handbewegung, als wenn der Weißhaarige eine Fliege wäre.

„Ist ja gut. Bis gleich." – schwer schluckend verließ er das angenehm warme Auto und fröstelte leicht, als der das Grundstück des Schwarzhaarigen betrat. Der linke Teil des Gartens sah aus wie sonst, doch als er sich dem Parkplatz näherte, befanden sich große, dunkelrot, fast schon braune Flecken auf dem Stein. Auch die Pflanzen, sowie die Hauswand hatten eine ähnliche Farbe. Außerdem lagen noch einige Böllerreste auf dem Boden verstreut herum, was so gar nicht zu der Jeon-Familie passte. Sie waren sehr ordentlich, sobald es um ihr Haus oder Garten ging. Beziehungsweise war Jungkook ordentlich und pflegte alles, da seine Mutter mental dazu nicht mehr im Stande war und sein Vater immer zu beschäftigt war.

Sich noch einmal unsicher umsehend, da es neben dem Chaos sehr verlassen aussah, betrat er den Vorraum des Hauses, nur um dann an der entsprechenden Wohnung zu klingeln.

Das altbekannte *Ding Dong* erklang sanft in der Wohnung und es blieb eine Zeitlang ruhig. Kurz bevor Yoongi sich umdrehen und gehen konnte, erkannte er eine Gestalt durch das milchige Fenster der Wohnungstür auf ihn zukommen und gleich darauf wurde ihm diese geöffnet.

Der Geruch, der ihm entgegenkam, brachte den Teenager fast zum Erbrechen und die hagere Gestalt mit dem ungewohnten und verfilzten Bart stellte sich als Jungkooks Vater heraus.

„Was willst du hier?" – seine Stimme war heiser und der Weißhaarige hatte Schwierigkeiten ihn überhaupt zu verstehen.

„Ich wollte zu Jungkook. Meine Nachrichten kommen nicht an und er meldet sich nicht. Ist er vielleicht da?" – freundlich verbeugte er sich aus Respekt, eine Angewohnheit, welche er einfach nicht loswurde.

„Jung-gkook,... ist nicht da." – der letzte Teil des Satzes war fast nur ein Hauchen und Tränen, sowie unendliche Trauer und Schmerz breiteten sich in den Augen des Mannes aus.

„Nicht da? Wann kommt er denn wieder?"

„Gar nicht."

„Wie ‚gar nicht'?" – verständnislos legte er den Kopf schräg.

„Jungkook ist TOT!" – das letzte Wort schrie der schwarzhaarige Mann ihm ins Gesicht. – „Und jetzt verschwinde endlich und lass dich nie wieder hier blicken." – noch während er sprach, schmiss er die Tür zu und ließ Yoongi überfordert mit der Information zurück.

Jungkook war tot. Diese Information hallte immer wieder in seinem Unterbewusstsein nach, löste das Piepen, das vom Türknall in seinen Ohren entstanden war, ab und ließ ihn nur noch benommen in Richtung Auto laufen. Die Flecken auf dem Parkplatz erschienen ihm nun viel ekelerregender, da sich sein Gehirn seine eigene Geschichte zu dem Ganzen hinzureimte.

Ihm kam das letzte Gespräch in den Sinn, wo Jungkook meinte, dass er ihn nicht vermissen soll und er so leichtsinnig, dank dem Alkohol, der seine Hemmschwelle herabsetzte, meinte, ‚Warum sollte ich dich vermissen?'.

Am Ende war es doch seine Schuld. Er kannte die Probleme des Schwarzhaarigen und hatte nichts getan. Anstatt ihm Kraft zu geben und für ihn da zu sein, hatte er sich mit seinen Freunden getroffen und Spaß gehabt. Er hatte Spaß, während Jungkook so sehr gelitten hatte, bis er nicht mehr konnte. Und auf einen Schlag fühlte sich der ganze Spaß, den er gehabt hatte, falsch an. Es fühlte sich an, als ob all das nicht er war, der das erlebt hatte. Es war gezwungener und teils gespielter Spaß, damit er die Probleme des Schwarzhaarigen vergaß, wobei er sie nur schlimmer gemacht hatte.

Und jetzt, jetzt saß er da.

Mit seinen Schuldgefühlen allein.

Er war der Einzige, der alles wusste und hätte handeln können. Und was hatte er stattdessen getan? Er war aus Verzweiflung eine Beziehung eingegangen.

Am Auto angekommen öffnete der Weißhaarige die Tür, stieg jedoch nicht ein. – „Hoseok, ich mache Schluss." 

----

<3

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top