𝕾𝖊𝖈𝖍𝖘𝖙𝖊𝖘 𝕶𝖆𝖕𝖎𝖙𝖊𝖑
Jack hatte wieder das Steuer der Interceptor übernommen. In Momenten, in denen er sich scheinbar unbeobachtete fühlte, zog er immer wieder mein Armband aus seiner Tasche, betrachtete den kleinen Anhänger und schüttelte ungläubig den Kopf. Gibbs saß unterdessen völlig kreidebleich auf den Planken, den Rücken an die Reling gelehnt und gab ab und zu gequälte Laute von sich. Ich befürchtete, er würde sich jede Sekunde übergeben müssen, dabei war der Seegang noch nicht sonderlich heftig. Ab und an schwabbte mal eine höhere Welle bis aufs Deck oder der Wind drohte Jack den Hut vom Kopf zu reißen, aber sonst blieb alles ruhig. Wahrscheinlich hatte der Pirat tatsächlich mit Entzugserscheinungen zu kämpfen. Er war immerhin nicht der einzige, der nicht mehr vernünftig geradeaus gehen konnte und am liebsten nur noch tatenlos in einer Ecke saß, seitdem die Nachricht der Verfütterung des Rums an die Fische die Runde gemacht hatte. Jack und der Unbekannte waren als einzige übrig, die nicht geschwächt schienen. Eigentlich hatte ich gerade bei Jack die heftigsten Entzugserscheinungen erwartet. Vielleicht versteckte er sein Unwohlsein aber auch nur, wie er es sonst auch oft tat.
"Piraten", rief Jack mitten in die Stille der Schwäche der Crewmitglieder hinein, die sich nur dann aufrafften, wenn es irgendjemand verlangte. "Ab in eure Kajüten! Morgen müsst ihr fit sein und wehe ihr seid es nicht", schickte er sie wie kleine Kinder ins Bett, die sich auf ihre Einschulung vorbereiten mussten. Alle nickten und standen unter stöhnen auf, um sich dann schleppend langsam unter Deck zu begeben, wo einer nach dem anderen komplett fertig in seine Hängematte fiel. Es dauerte keine zehn Minuten und auch der letzte, der wettergegerbten Männer hatte seine schweren Lider geschlossen und lautes Schnarchen verließ seine trockene Kehle. Selbst die zweite Frau an Bord schnarchte völlig fertig vor sich hin.
Beim Anblick der versammelten Crew, die noch dazu kaum fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen, kam mir eine Idee. Kurze Zeit später betrat ich erneut die Kajüte, aus der so lautes Schnarchen drang, dass man eher eine Elefantenherde und keine Piraten hinter der geschlossenen Türe erwartete hätte. Ich hatte mein Outfit geändert und trug nun das Kleid, was ich als einziges mitgenommen hatte. Der weiße Stoff verlieh mir etwas das Erscheinen eines Geistes. Genau das wollte ich sein; ein Geist, der auf Entzug stehenden Piraten im Traum erscheinen wollte. Zunächst noch recht leise, dann jedoch immer lauter werdend, um gegen das Schnarchen anzukommen, begann ich zu singen. Zwischen den Hängematten umherlaufend fing ich den ein oder anderen schläfrigen Blick auf. Sofort fielen den Männern jedoch wieder die schweren Augenlider zu. Vorfreudig auf Morgen, wenn alle über die seltsame Erscheinung sprechen würden, legte auch ich mich bald schlafen.
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