Kapitel II

9:48 Kapstadt, Südafrika (Afrika)

Sich streckend lief Hannibal in die Küche. Gestern Abend war doch wirklich gelungen, dachte er und lobte sich für das sanfte Anrichten des Schmauses. Außerdem war niemand zu Schaden gekommen. Sehr erfreulich, nur hoffe ich, dass dieses Muttersöhnchen unterbewusst seine Lektion gelernt hat. Seine eisblauen Augen richteten sich auf die schwarze Kaffeemaschine, welche leise dröhnend den fertigen Kaffee in die Tasse füllte, welche er unbewusst hingestellt hatte. Während er darauf wartete, richtete er seinen Blick aus dem Fenster. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und die Temperaturen luden badelustige Kinder zum Verbringen ihrer Zeit am Strand ein. Hin und wieder kreischten empörte Möwen, während das sanfte Rauschen des hierzulande noch seichten Atlantiks erklang. Ich kann mich glücklich schätzen, mich jeden Tag an diesem Anblick erfreuen zu dürfen. Ein wahres Naturschauspiel. Vielleicht sollte ich heute einen Tag in der Innenstadt verbringen, um unter Leute zu kommen. Es soll eine Oper geben, vielleicht besuche ich diese. Auf jeden Fall aber sei mir der Besuch im "Four Seasons" gewährt. Der Hauptzweig in New York serviert doch recht angenehme Verköstigungen. Vielleicht habe ich dieserorts auch Glück. Ein schrilles Piepen riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Kaffee war fertig. Mit der Tasse in der Hand schritt Hannibal aus dem Haus und überwand sich zu einem Morgenspaziergang entlang der Promenade. Seine Schuhe behielt er aus. Er wollte den feinen Sand unter seinen Füßen nachgeben spüren. Ein befreiendes Gefühl, durchzuckte seine Gedanken. Ab und zu einen Schluck Kaffee genehmigend, schlenderte er am Strand entlang und betrachtete seine Umgebung genauer. Innerlich visualisierte er alles und speicherte es ab. Eine alte Angewohnheit von ihm und doch äußerst nützlich. Später würde er dieses Wissen vielleicht brauchen. Bald darauf tauchten die ersten Kiosks und Stände auf, die zum Einkaufen einluden. Bunte Anzeigen lockten viele schaulustige Kinder an, welche mit offenen Mündern vor der Vielzahl von Spielzeug und Süßem standen. Er derweil stellte sich etwas abseits der Menge zum Zeitungsstand. "Guten Morgen, Doktor. Das Übliche?" Abwesend blickte Hannibal zum Verkäufer. "Nein, David. Sie wissen doch, wie gerne ich meine Zeitung am Abend lese. Außerdem erscheint "Der Tattler" erst gegen Nachmittag." Der Mann namens David, drehte sich weg und kramte in einer Holzkiste. "Nun, wenn Sie darauf bestehen. Dabei ist "Der Tattler" noch druckfrisch." Verwundert wendete sich Hannibal ihm nun ganz zu. "Gibt es irgendeinen Anlass, der begründet, weshalb er so unnatürlich früh erscheint?" David, erfreut über die gewonnene Aufmerksamkeit des Doktors, lächelte und hielt ihm die neue Ausgabe hin. "Geht aufs Haus, Doktor. Scheint eine Sonderausgabe zu sein." "Vielen Dank Ihnen, David." Hannibal nahm das Schriftstück entgegen und warf einen kurzen Blick darauf. "Darf es noch etwas sein?" "Nun, wenn ich schon hier bin, hätte ich gerne die neue Ausgabe der "Ästhetik im Wandel der Zeiten", falls diese noch vorhanden ist." David lachte und fuhr sich durch die halblangen Haare. "Doktor, Sie sind gefühlt die einzige Person in ganz Kapstadt, die sich für den Sinn des Schönen hergibt, was eine überaus bewundernswerte Eigenschaft an Ihnen ist. Also ja, wir haben noch eine Menge auf Lager. Sie kriegen sie heute für einen Dollar. Weil Sie so etwas wie ein Stammkunde geworden sind." Hannibal zwang sich zu einem Lächeln und reichte dem Verkäufer einen Schein. "Ich danke Ihnen, David." Auch diese Zeitschrift nahm er entgegen. "Sagen Sie mir bitte, Doktor, besuchen Sie wirklich das Kinderdorf in Simbabwe? Es hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und ich wollte wissen, ob das stimmt. Wenn ja, ist das se ..." Hannibal hob die Hand und unterbrach somit seinen Redeschwall. "Ja, David. So ist es. Doch spielen Sie es nicht zu sehr hoch. Wirklich ehrenhaft wäre es, wenn ich jedes einzelne Kind adoptieren und es versorgen würde, wessen ich mich jedoch nicht gewachsen fühle." "Trotzdem ist es sehr besonders. Nicht jeder besitzt die Würde dazu." Hannibal zeigte auf die Zeitung in seiner einen Hand. "Ich würde jetzt gerne lesen. Wenn Sie mich entschuldigen würden, David. Es war angenehm, mal ein längeres Gespräch führen zu können. Haben Sie noch einen schönen Tag." Mit diesen Worten machte er sich auf den Rückweg zu seinem Bungalow. Ein großartiges Redetalent wie kein Anderer. Nur leider bluten meine Ohren von der gewaltigen Menge an falschen Lobpreisungen und Schmeicheleien. Mit den beiden Zeitschriften machte er es sich unter dem Vordach gemütlich. Schon vorhin war ihm etwas Bedeutendes ins Auge gefallen. Nun betrachtete er den "Tattler" genauer.

Der neue "Chesapeake Ripper" - Retae Namuh

Neueste Informationen "J. Edgar Hoover FBI Building" berichten von zwei kuriosen, vor Kurzem begangenen Morden. Auf beiden weiblichen Leichen verewigte sich der Mörder mit dem Namen Retae Namuh. "Noch ist die Identität beider unbekannt", so Fallleiterin Clarice Starling. "Wir schätzen, dass zwischen den Opfern selber und den Opfern zum Mörder eine gewisse Verbindung herrscht. Sowohl Vorgehensweise, als auch die Umgebung waren äußerst bedacht ausgewählt." Beide Frauen wurden tot an unterschiedlichen Gewässern aufgefunden.

Lesen Sie das Exklusivinterview mit Special Agent Jack Crawford zum Fall Retae Namuh. ~S.12

Unter dem Artikel fand sich ein Bild mit allen, die in dem Fall involviert waren. Vornheran, seine Clarice. Ein wenig Stolz überkam ihn. Doch es war nicht nur diese Abbildung zu sehen. Auch eine, von der Hannibal nie gedacht hatte, es jemals in einer Zeitung erblicken zu können. Zu sehen war eine der beiden Frauen. Es erschrak ihn nicht, eine Person so verunstaltet zu sehen. Es überraschte ihn nur sehr, dass er diese kannte. Außerdem erkannte er sofort, dass es sich hier nicht um einen sinnvollen Tod handelte. Der Mörder war ein Psychopath, ohne Sinn und Verstand bei der Sache. Warum hatte es ausgerechnet seine damalige Kommilitonin erwischt? Hannibal konnte sie zwar den gesamten Studiengang nicht wirklich leiden, doch einen wirklich schlimmen Charakter hatte sie nicht vorzuweisen. Vielleicht würde er wagen, einen Anruf zu tätigen. Doch er musste sich schmerzhaft bewusst werden lassen, wie verhängnisvoll es war. Clarice konnte man noch immer als seine Feindin, auch wenn er davon nicht gerne hörte. Nach diesem Gespräch würde er dieses Telefon in den Tiefen des Atlantiks verschwinden lassen. Bis dahin musste er jedoch warten. Laut der Zeitzonen war es in Washington erst gegen zwei Uhr nachts. Mit den Zeitschriften in der Hand verschwand er im Haus.


3:37 nahe Grand Rapids/Michigan, USA (Amerika)

Endlich hatte er eine neue Bleibe gefunden. Nach dem letzten Abendmahl konnte er sich nicht mehr in Ohio blicken lassen. Doch innerlich musste er zugeben, wie sehr es sich doch gelohnt hatte. Zu seinem Glück waren alle Geschöpfe noch recht jung und hatten somit zartes Fleisch vorzuweisen. Je älter das Wild wurde, desto zerriger und sehniger das Fleisch des Wesens. Mit einem langsamen Tempo fuhr er auf der Fernstraße entlang, den Blick in weite Ferne gerichtet. Die letzten Stunden in dieser Nacht hatte er damit verbracht, die Umgebung eines seiner nächsten Opfer auszukundschaften. Er war sich sicher, dass sie sein Kunstwerk werden würde. Sie würde eine große Herausforderung für ihn sein, doch was tat man nicht alles, sich einem alten Freund der gleichen Gedankenkultur zu beweisen. Er hatte in Erfahrung bringen können, dass er in manchen Zeiten Kontakt zu ihr hatte, ihr sogar half. Er war schon immer sonderbar, fand er, als er eine Ausfahrt zusteuerte. Wegen des Kontaktes der beiden, war sie von Anfang an seine erste Wahl. Doch bis jetzt hatte er es nie geschafft, sich ihr unbemerkt zu nähern. Auch heute war sein Versuch diesbezüglich gescheitert. Das Fläschchen Chloroform lag schwer in seiner Jackentasche und erinnerte ihn schmerzhaft an den Fehlschlag. Wann er diese harte Nuss knacken würde, war ihm unbewusst. Jedoch merzte sich mit jedem weiteren Erstellen eines Abendessens der Gedanke in sein Bewusstsein, dass er schnell sein und reinen Tisch machen müsste. Es dürfte nichts schiefgehen, er durfte kein Beweismaterial an den Tatorten liegen lassen. Dieses Mädchen war gerissen und ihm unlängst auf der Spur. Es würde sich nur noch um Wochen handeln, bis er wieder die Pforten des Baltimore State Forensic Hospital erblicken würde. Diesmal würde es kein Entkommen geben, er würde dort verweilen, dahinvegetieren, langsam in sich zusammenfallen. Er würde nicht annähernd so gut aus der Sache ziehen können wie sein Freund. Wo er wohl gerade war? Seine Präsenz war tausende Meilen entfernt. Er schätzte die Entfernung auf einen Radius von circa 14850 Kilometern. Wie geschickt, sich auf einem anderen Kontinent niederzulassen. Er selber wäre nie auf die Idee gekommen. Bald fuhr er sein Auto in einen Wald. Der Weg war holprig und ließ die Stoßstangen bei jeder Wurzel ächzen. Sein Maschinchen war echt nicht für solche Torturen gemacht, doch eine Wahl hatte er nicht wirklich. Die Scheinwerfer ließen die Giganten aus Holz gespenstig wirken und düstere Schatten werfen. Ein Glück war er bald da. Er würde die nächste Zeit eine gemütliche Holzhütte bewohnen und von dort alles Weitere planen. So auch die vollendende Planung seines werdenden Kunstwerkes Clarice Starling.


7:48 Washington D.C./ Maryland, USA (Amerika)

Nachdenklich saß sie an ihrem Schreibtisch in der Zentrale und betrachtete jegliche Infos genauer, um mögliche Auffälligkeiten zu bemerken und Muster in Zusammenhänge zu bringen. Gestern war sie erst spät ins Bett gegangen und das machte sich jetzt bemerkbar. Gähnend stützte sie ihren Kopf auf der flachen Hand und versuchte sich halbwegs bei Kräften zu halten. Hin und wieder genehmigte sich Clarice einen Schluck ihres vierten Kaffees innerhalb von zwei Stunden. Verwirrt blätterte sie sich mehrmals durch die Akten. Als sie jedoch zum erneuten Mal einen im Nachhinein unsinnigen Schluss gezogen hatte, schloss sie genervt die Papiere und legte diese beiseite. Sie nahm sich ihre Jacke, stand auf und steuerte den Ausgang an. Sie bräuchte frische Luft um ihre Gedanken sortieren zu können. Gerade regnete es in Strömen und kühlte somit die Luft überwiegend ab. Absichtlich vergaß sie ihren Regenschirm und lief zielstrebig die Treppen hinab. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und stoppte sie. "Schon so früh Schluss, Starling? Das war mir gar nicht bewusst." Innerlich aufstöhnend nahm sie die Stimme ihres Vorgesetzten wahr und drehte sich um. "Nein, ich mache mich auf den Weg zum ersten Tatort. Vielleicht finde ich etwas, was mir helfen könnte." "Ah, okay. Vortrefflich, Starling. Brauchen Sie jemanden, der Sie fährt?" Sie schüttelte den Kopf und wendete sich wieder dem Gehen zu. "Nein, Agent Crawford. Ich schaffe das schon. Ich bin immerhin schon ein großes Mädchen." Höhnend lachte sie und verließ das Gebäude. Ihr war, als würde sie durch einen Wasserfall schreiten. Die Wassermengen prallten schwer auf ihren Körper und drückten sie ein wenig nieder. Ihre Kapuze ließ sie aus. Sie brauchte die Kälte des Naturwassers jetzt dringend. Clarice ließ sich von ihren Füßen tragen, unbewusst, wo sie hinlief. Grinsend dachte sie an die Lüge, die sie Crawford entgegengeworfen hatte. Verdient, so wie er mich immer behandelt, dachte sie und kickte einen Stein gegen ein Auto. Sofort entstand ein Kratzer. Doch das war ihr egal. Gemächlich schritt sie durch die Pfützen und lächelte vor sich hin. Der Regen hatte wirklich eine beflügelnde Wirkung, auch wenn sie am Ende bis auf die Knochen nass sein würde. Auf einmal vibrierte es in ihrer Jackentasche und sie schrak auf. Ihr Handy. Es ist Crawford, bemerkte sie schnaubend. Ganz sicher ist es er. Irgendwie wird er bemerkt haben, dass ich mich vor der Arbeit drücke. Wie ich diesen Typen doch hasse. Sie zog es heraus. "Hören Sie, Crawford. Ich habe nicht die geringste Lust, Ihren ständig auf mich gerichteten Pfeilen weiter Widerstand zu leisten. Hören Sie gefälligst auf, mich wie ein Dienstmädchen zu behandeln und spionieren Sie mir nicht hinterher. Ich habe keine Lust mehr und bin müde. Sie ermüden mich. Ich möchte nur noch schlafen. Und nun, schreien Sie mich an. Sonst bekomme ich noch ein schlechtes Gewissen." Zum Ende hin versagte ihre Stimme komplett. Sie hatte ihren Chef angeschrien. Wenn sie wiederkommen würde, läge eine säuberlich geschriebene Kündigung auf ihrem Platz. Tränen kullerten ihr über die Wange und ein leises Schluchzen entfuhr ihr. "Shh, Clarice. Alles wird gut. Ich könnte Sie nie anschreien." Als sie seine Stimme hörte, zuckte sie zusammen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie mit einem Wutanfall ihres Chefs und nicht mit der sanften Tonlage von ihm gerechnet hatte. So oder so kam sie nicht wirklich mit der Situation klar. "Bitte stellen Sie sich unter, Clarice. Sie erkälten sich noch." Wie gesteuert stellte sie sich unter das Häuschen der Haltestelle. "Gut, Clarice. Braves Mädchen. Und nun, möchten Sie vielleicht darüber reden?" Wild schüttelte sie mit dem Kopf, während Tränen weiterhin ihr Gesicht zum Glänzen brachten, doch dann fiel ihr auf, dass er sie ja gar nicht sehen konnte. "Guten Morgen, Doktor Lecter, auch wenn bei Ihnen vielleicht eine ganz andere Tageszeit herrscht. Nein, möchte ich nicht, da ich sonst nicht mehr arbeiten könnte." Sie hatte versucht, ihre Traurigkeit zu bedecken, doch wie sie Hannibal Lecter kannte, hatte er ihre weinerliche Stimmung bemerkt. "Nun denn. Seien Sie sich aber bewusst, Clarice, dass wir diesen Verlauf des Gespräches in naher Zukunft fortsetzen werden. Es ist ungesund, mit unnötigen Kilos durch die Welt zu laufen. Ich würde Ihnen sehr gern diese Pfeile entfernen und die davongetragenen Wunden behandeln, wenn ich dürfte." "Es tut mir leid, Doktor." Eine kurze Stille trat ein. Der Regen prasselte lautstark auf das Dach der Bushaltestelle. "Entschuldigen Sie sich nicht für Schmerzen, die Sie erleiden und Ihnen zugefügt wurden. Weinen ist menschlich, Clarice. Gut, mein eigentlicher Grund des Anrufs ist jedoch ein ganz anderer. Wie weit sind Sie in dem Fall "Frau des Ohios", wenn ich fragen dürfte?" Clarice hielt inne. Woher wusste er das wieder? "So gut wie am Anfang. Es sind nur Vermutungen, die aufgestellt wurden. Zwischen den drei Personen, also Mörder und den zwei Opfern gab es eventuell eine Bindung. Der Täter kannte sich in den Gegenden aus und wusste, dass an manchen Stellen der sich in der Nähe befindenden Gewässer keine Häuser befanden. Somit konnte er unbemerkt bleiben. Außerdem war es ein Mann, da man Spermaspuren an den Opfern fand. Er hatte also die Situation zum Ende hin noch einmal vollends ausgenutzt. Leider ergab die DNA-Analyse nichts. Der Mann ist so gut wie unbekannt, ein Phantom.""Gut. Lesen Sie den "Tattler", Clarice?" Warum fragt er mich so etwas? "Zu meinem Leidwesen muss ich mit ja gestehen." "Gut, die Frau auf der Abbildung heißt Zarah Dracon und ist siebenundzwanzig Jahre alt." Clarice stockte der Atem. "Der Mörder wird vielleicht nur weibliche Personen angreifen, so wie seine Vorgehensweise aussieht. Er versucht, den weiblichen Körper zu verschönern." "Woher wissen Sie ..." "Ist das nicht egal, Clarice? Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen." Sie nickte. "Aber warum schlitzt Retae Namuh seine Opfer auf und entfernt die zum Überleben wichtigsten Organe?" "Retae Namuh ... manchmal reicht ein einziger Blick in den Spiegel aus, um mehr zu erfahren. Die Fragen wer, warum, weshalb klären sich schneller, als Sie denken, Clarice. Vielleicht hilft Ihnen dieser Blick auch, seine nächsten Schritte vorherzusagen und das nächste Opfer so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Die Unschuldigen glauben immer zuerst daran. Vielleicht kennen Sie das nächste Opfer näher, als Ihnen lieb ist, Clarice? Nun denn, ich muss auflegen. Einen schönen Tag Ihnen. Und vergessen Sie nicht, dass wir noch ein Gespräch fortzusetzen haben." Das Ende kam für Clarice viel zu überraschend. "Ihnen auch einen schönen, restlichen Tag, Doktor Lecter." "Ich denke an Sie, Clarice." Schon hatte er aufgelegt. In rund zehn Minuten hatte er es geschafft, ihr Stunden von Stoff zum Nachdenken zu geben.


14:59 Kapstadt, Südafrika (Afrika)

"Ich denke an Sie, Clarice." Dann trennte er die Verbindung. Bald würde sie darauf kommen, dass Retae Namuh nichts Anderes als Human Eater bedeutete. Es würde die entfernten Organe aufs Vollste erklären. Da versucht jemand krampfhaft, sich mir anzugleichen. Wie erbärmlich. Gedankenverloren legte er das Telefon auf den Nachttisch, stand vom Bett auf und lief durch das Zimmer zum Fenster. Als er es öffnete, umschmeichelte eine kühle Brise seine eingefallene Facette. Das Gefühl auf sich wirkend, schloss er die Augen und lauschte dem Atlantik und seinen Klängen. Würde Clarice je auf mich treffen, würde sie mich nicht verraten. Zu sehr hatte ihr Crawford zugesetzt, als dass sie ihm diesen Gefallen tun würde. Die Lämmer haben längst wieder begonnen zu schreien. Er riss die Augen auf. Mit zügigen Schritten ging er zu seinem Schreibtisch aus Eichenholz. Aus einem Ständer mit Notizzetteln entfernte er sich eins und griff nach einem Stift. 05.06., 10:30, Hangar 4, Bloemfontein Diese Notiz hing er sich über das Bett. So würde er sie nicht vergessen, doch bis dahin hatte er noch viel zu tun. Sehr viel, wenn man es am Rande anmerken dürfte. Eine Woche, bis ich sie wiedersehe. Soll ich mich freuen oder eher in Leid ersticken? Ich habe keine Ahnung. Ein Drang überkam ihn, als er an sein Mädchen dachte. Vielleicht sollte er Zeilen schreiben. Mit einem selbst hergestellten, warmweißen Blatt Papier setzte er sich an den Schreibtisch. Aus der Schublade holte er eine Pfauenfeder und ein Tintenfass. Dann begann er und legte sich passende Wörter zurecht, was einfacher gesagt als getan war. Sie war unbeschreiblich.

It's hard to look in your eyes

'Cause they shine bright

To everytime

And give no signs

Kurz schaute er seine geschriebenen Zeilen an. Von einem Moment zum Anderen änderte sich seine Mimik von tatkräftig zu verzweifelt. "Nein, verdammt", schrie er, zeriss das Papier und warf es in den Müll. Wie ein wildgewordener Stier rannte er zur Wand und schlug auf sie ein. Immer und immer wieder, bis er dann erschöpft mit dem Rücken an der Wand herunterrutschte. Mit verzerrtem Gesicht stützte er seinen Kopf in die Hände und schloss die Augen. Wann bin ich so geworden? So ... weich und gefühlskrank? Ich konnte noch immer jeglichen Ansturm unterdrücken. Was ist nur los mit mir? Es tut weh. Ächzend erhob er sich und suchte instinktiv Halt an dem, was er zuerst greifen konnte. Hannibal richtete sich in seiner vollen Größe auf und atmete tief ein und aus. Er würde noch einen Versuch wagen und sich so sachlich wie möglich halten. Entschlossen ließ er sich wieder nieder. Die nächsten Zeilen waren ein Meisterwerk. Vielleicht gefielen sie ihr. Er wusste es nicht, doch war sich sicher, dass es noch Hoffnung gab. Zufrieden lehnte er sich zurück. Zur Feier des Tages würde er den geplanten Abstecher in das Restaurant und die Oper machen. Innerlich freute er sich schon. Vielleicht gab es ihm die Chance, neue Sachen auszuprobieren, egal, was es war.

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