Kapitel I
5:18 Washington D.C./Maryland, USA (Amerika)
Im Laufschritt verließ sie ihr Haus und verspeiste im Rennen zum Taxi ihre halbe Brotscheibe. Clarice war spät dran, sie hatte verschlafen. Am Taxi angekommen stieg sie ein und knallte die Tür zu. "935 Pennsylvania Ave", pfefferte sie dem Fahrer entgegen, welcher darauf anfuhr. Es war noch nie vorgekommen, dass sie zu spät auf Arbeit kam. Crawford würde ihr den Kopf abreißen. Clarice konnte es einfach nicht fassen. Was bringt mich nur so aus der Fassung? War es das Foto gestern? Oder doch die Tatsache, gestern mit Lecter gesprochen zu haben? Während das Taxi durch die Straßen raste, betrachtete sie die vorbeiziehenden Häuser. Es war noch recht dunkel, die Sonne färbte den Horizont erst leicht rot. Nicht oft sah sie so etwas. Meist war sie um diese Zeit schon an ihrem Schreibtisch und musste nachdenken, Akteneinsicht betreiben oder zur Obduktion der gefundenen Leichen erscheinen. Bald hielt das Taxi und sofort eilte sie in das Gebäude in die vierte Etage. "Da sind sie ja, Starling." Ein Kollege kam ihr entgegen und grüßte sie. "Machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, weiter hochzulaufen und kommen Sie am Besten gleich mit. Es wurde eine weitere verunstaltete Person gefunden. Diesmal am Ohio in der Nähe von Cincinnati. Wir fliegen hin." Überrumpelt folgte Clarice ihm aus dem Gebäude heraus. Kaum angekommen, muss ich auch schon wieder weg. Einfach unerträglich. Gemeinsam stiegen sie in einen Helikopter. "Wissen wir schon irgendwas, Jason?" Interessiert wendete sie sich ihrem Kollegen zu, welcher sie nur argwöhnisch musterte. "Nun ja, die Kollegen der Rechtsmedizin sind schon vor Ort. Retae Namuh soll wieder am Werk gewesen sein. Dieses Mal hatte er oder sie sogar die Zähne der Frau entfernt und sie ihr in den Unterleib gesteckt. Widerlich, wenn Sie mich fragen." Jason gab einen Würglaut von sich und lachte. Dann wurde er wieder ernst. "Außerdem fehlen erneut Niere, Herz und Leber. Diese Person muss ein echter Feinschmecker sein." Nachdenklich nickte Clarice und blickte aus dem Fenster. "Hat man diesmal Spuren zum Täter gefunden?" "Nein, Starling. Außer seinem Namen wurde noch nichts auf ihn Hinweisendes erblickt. Die Identität der Frau ist auch noch nicht wirklich geklärt." Er wendete sich ihr ab und kurz darauf landeten sie auf einem Hang. Vorahnend stieg Clarice aus und schaute sich um. In der Nähe befanden sich keine Häuser. Niemand hätte auch nur irgendetwas mitbekommen. Ein willkommener Ort zur Verlagerung einer Leiche. Namuh musste von den Beschaffenheiten der Umgebung gewusst haben. "Der Täter hat die Frau von hier herunterrollen lassen. Vorher hatte er ihr hier vermutlich die Innereien entfernt, was die getrocknete Blutlache erklären würde." Jason zeigte auf einen dunklen Fleck im Gras von circa eineinhalb Metern Durchmesser. "Sehr wahrscheinlich. Wer hat sie gefunden?" Clarice sah ihn fragend an und wendete dann ihren Blick auf den Ohio. Jason zuckte mit den Schultern. "Ein älteres Ehepaar heute Morgen, als sie zum Angeln herausfahren wollten. Sie nehmen schon eine Aussage auf." Gemeinsam stiegen sie den Hang hinab zur Stelle, an dem die Leiche gerade vorobduziert wurde. Der Anblick war erschreckend. Nicht nur, dass sie mit ihren in Blut getränkten, blonden Haaren und ihrer blassen Haut aussah, als wäre sie ein Zombie. Die Vorgehensweise, welche der des ersten Opfers ähnelte, war sehr präzise geworden und hinterließ einen bleibenden Eindruck. Während das Erste wie aufgerissen ausschaute, wurde hier der Bauch fein säuberlich aufgeschnitten. Hände und Füße waren weniger grob vom Körper getrennt worden. Namuh hat sie vor ihrem Tod gefoltert. Er oder sie wollte sie schreien hören. Hätte er Mitleid empfunden, wären die Gliedmaßen viel ungenauer entfernt worden. Dies hier ist die Arbeit äußerster Genauigkeit. "Schicken Sie mir die Zeugenaussagen, Jason, und alles Weitere, was zu diesem Fall bekannt ist. Richten Sie außerdem Crawford aus, dass ich heute zu Hause arbeiten werde. Viel Spaß noch. Ich nehme wieder ein Taxi." Mit diesen Worten stieg sie wieder hinauf und holte ihr Telefon aus der Tasche. Bald darauf saß sie wieder im Fahrzeug und wunderte sich, warum derselbe Fahrer wie heute morgen fuhr. Durch die Zeit, welche sie nun hatte, betrachtete Clarice ihn nun genauer. Viel gibt es da ja nicht zu sehen. Zugezogen bis zum Hals, komplett in schwarz und ein düsteres Erscheinungsbild. Zudem ein angeklebter Bart, warum auch immer. Anscheinend trägt er Kontaktlinsen. Vermutlich kann er sein Aussehen nicht ausstehen, weshalb er sich ändert. Klarer Fall einer akuten Persönlichkeitsstörung. Der Arme. Auf einmal klingelte es in ihrer Tasche. Ihr Handy. Sofort nahm sie ab. "Hallo?" "Starling!", brüllte sie eine hitzige Stimme an. "Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Wie können Sie es wagen, einfach so zu sagen, zu Hause arbeiten zu wollen. Sie bewegen sich sofort an Ihren Platz, wo ich Sie im Auge behalten kann." Clarice konnte sich kaum das Schauben unterdrücken. "Das scheint Sie ja beträchtlich schnell erreicht zu haben, Agent Crawford. Nur leider muss ich Sie enttäuschen. Ich befinde mich derzeit rund achtzig Kilometer entfernt. Ein zeitnahes Erscheinen wird also nicht in Frage kommen. Wenn ich da bin, ist meine Schicht bald vorüber, weshalb es sich nicht im Geringsten lohnt, noch im Büro aufzukreuzen. Einen schönen Tag noch", und sie legte auf. Manchmal könnte ich Wände hochfahren. Ich muss mir ehrlich Gedanken darüber machen, zeitnah Pension zu beantragen. In den letzten zehn Sekunden habe ich fünfzig neue graue Haare bekommen. "Dreckskerl von Chef, hm?" Ein heißeres Grummeln ertönte vom Lenkrad. Clarice schaute auf. "Ja, Sir. Da haben Sie recht. Manchmal ist es doch recht anstrengend, für das Wohl anderer zu sorgen." "Wie war, wie war." Nach drei Stunden des Fahrens stand sie wieder in ihrer Wohnung. Zwischendurch befanden sie sich in einem Stau, weshalb es ein wenig zu Verzögerungen kam, doch sie war froh, nun endlich wieder zu Hause zu sein. Clarice würde sich nun eine Pizza bestellen und sich voll und ganz dem Fall Retae Namuh widmen.
17:54 Saldanha, Südafrika (Afrika)
"Ich komme in friedlicher Absicht, wissen Sie. Außerdem sehe ich eineinhalb Stunden Fahrtzeit nicht gerne verschwendet." Mit dem Blick nach unten gerichtet, schlenderte um das Auto herum zum Hausherren. Dieser schaute ein wenig eingeschüchtert zu ihm. "Das verstehe ich natürlich, Doktor Lecter. Nur leider kann ich mich beim besten Willen nicht an das Gespräch mit Ihnen erinnern, worauf ich Sie eingeladen haben soll." Hannibal schritt näher. "Aber natürlich freue ich mich, Sie hier als Gast zu haben. Ich habe nur Gutes über Sie gehört. Meinen Quellen nach sind Sie ein hoch angesehener, forensischer Psychiater. Außerdem sollen Sie herrlich kochen können." Er wendete schnell seinen Kopf ab, als Hannibal hinaufblickte und ihn mit einem zynischen Grinsen begutachtete. "Ich danke Ihnen, James, für Ihre Lobpreisung. Jedoch haben Sie anscheinend noch nicht alles über mich gehört." Der Ausdruck des Hausherren änderte sich zu verblüfft. "So? Was weiß ich denn nicht?" "Nun, seit einiger Zeit beinhalte ich die Stelle als forensischer Psychiater nicht mehr. Natürlich gibt es noch Einiges mehr, aber diese Themen sind nicht unbedingt der Rede wert." Hannibal wendete sich ab und schritt zu dem verzierten Torbogen des Anwesens. "Wollen Sie mich nicht in Ihrem Manor begrüßen? Es wäre doch recht unhöflich, mich hier stehen zu lassen, würde ich meinen." Etwas verwirrt ging der Herr namens James auf das Portal zu, welches er aufschloss und aufhielt, während Hannibal ihm amüsiert hinterherlief. Dieser Abend wird herrlich. Er ist jetzt schon besser, als ich dachte. "Natürlich geleite ich Sie in meine Räumlichkeiten, Doktor Lecter. Wer wäre ich denn, wenn ich es nicht täte?" Hannibal zuckte daraufhin mit den Schultern. "Ich weiß es nicht." Oh doch, jemand sehr, sehr Naives. "Hier ist der Foyer. Seit 1897 besteht dieser schon und wurde nicht ein Mal restauriert. Dieser Kronleuchter hier", James zeigte auf die Leuchte über ihnen, "stammt aus dem Versailles in Paris. Ein Prachtstück, nicht wahr?" Hannibal stieß einen bewundernden Pfiff aus. "Nun, ich muss gestehen, dass Sie mehr Klasse haben, als ich am Anfang von Ihnen erwartet habe. Meinen Respekt, James." Gemeinsam liefen sie noch durch einige Räume des Anwesens, bevor sie dann in einem Saal Halt machten. "Dies hier ist mein ganzer Stolz. In jedes der einzelnen Bilder, welche Sie an der Wand sehen können, Doktor Lekter, habe ich Tausende von Dollar hineininvestiert. Sie sind von berühmten Künstlern." Während James sprach, lief Hannibal an den Wänden entlang und betrachtete jedes dieser sehr genau. Eines, das Letzte, viel ihm besonders ins Auge. "Sagen Sie mir, James, von wann ist dieses Bild?" James trat heran und betrachtete das Bild nun auch genauer. "Ich habe es vor Kurzem erworben. Es ist noch so gut wie frisch. Der Maler des Bildes war hautnah dabei." "So? Ich auch. Auch ich habe zugesehen. Es geschah in den USA, nicht wahr." Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wandte sich der Hausherr mit einem bewundernden Blick zu ihm. "Ja. Erstaunlich, wie klein die Welt ist. Er war der letzte Pazzi und angeblich ein hohes Tier seiner Ebene. Einer seiner Vorfahren soll aber genau so gestorben sein. Am Ende konnte man die gesamten Innereien auf der Straße aufsammeln. Eine Schandtat von dem, der ihm das angetan hat." Beide betrachteten noch eine Weile das Bild des gehängten Pazzi. Hannibal erinnerte sich, als sei es erst gestern gewesen. Ein Zufall, dass der Maler mich nicht mit eingezeichnet hat. Das enttäuscht mich doch ein wenig. "Wenn Sie möchten, schenke ich Ihnen das Bild. Es hätte sicherlich einen großen Wert für sie, Doktor Lecter." Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er musste sich zusammenreißen, nicht zu zucken. Schon immer konnte er es nicht ausstehen, wenn ihn Hasspersonen anfassen. "Ja, James, das hätte es. Ich danke Ihnen für dieses großzügige Angebot." "Ach, nicht der Rede wert. Aber nun lassen Sie uns doch über Ihre fantastischen Kochkünste sprechen. Wie ich hörte, haben Sie eine wahre Spezialität entwickelt." Das zynische Lächeln umspielte Hannibals Lippen erneut, als James dieses Thema aufgriff. "Ja, mein Kalbsbries mundete bis jetzt allen. Ein Gläschen Chianti rundet das Ganze perfekt ab." Während er so sprach, entstand eine grenzenlose Freude auf dem Gesicht James'. "Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihre Kochkünste vorführen könnten. Natürlich nur, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet. Zufälligerweise habe ich eine Flasche Chianti, so wie Kalbsleber und -herz in der Küche, welche Sie vorhin betrachten konnten." Hannibal nickte anerkennend und schnalzte mit der Zunge. "Ich würde mich freuen, Ihnen Ihren Abend mit einem Gaumenschmaus ausklingen lassen zu können." "Schön. Die Küche steht Ihnen voll und ganz zur Verfügung. Nehmen Sie sich ruhig, was Sie brauchen." James klopfte ihm auf die Schulter. "Okay, lassen Sie sich überraschen. Sie werden eine wahre Geschmacksexplosion erleben."
11:27 Washington D.C./Maryland, USA (Amerika)
Gemeinsam mit der Pizza und einer kühlen Cola, hatte es sich Clarice auf dem Balkon gemütlich gemacht. Die warmen Sonnenstrahlen des Frühsommers erlaubten es, während der Arbeit die frische Luft zu genießen. Dem stimmte auch Teddy zu. Er hatte eingerollt auf einem Kissen Platz genommen, welches sie extra für ihn niedergelegt hatte, und ließ es sich nun mehr als nur gut gehen. Der Anblick ihres zahmen Terriers, welcher im Fünfminutentakt die Stellung wechselte, brachte sie zum Schmunzeln. Entspannt blickte sie gen Horizont. Sie liebte ihre Wohnung sehr. Clarice lebte nicht wie der Großteil ihrer Kollegen in der Stadtmitte, eher lag ihr Haus etwas abgelegen. Doch erst vor einem Monat hatte es sich so geändert. Ein Glück hatte das Haus die ähnlichen Beschaffenheiten wie ihr Vorheriges. Selbst der Keller war einigermaßen der Gleiche, weshalb eine Umgewöhnung sehr schnell von statten ging. Sie nahm sich ihre Gieskanne, füllte sie mit Wasser und goss die Blumen, welche das Geländer schmückten. Es gab Hyazinthen, Rosen und Begonien. In der Ecke stand eine junge Konifere. Am stolzesten war sie jedoch auf ihre unterschiedlichen Orchideen, welche sie angepflanzt hatte. Kurz kraulte sie Teddy hinter dem Ohr, welcher daraufhin genüsslich zu sabbern begann, stellte die Gieskanne wieder beiseite und setzte sich danach auf ihren Campingstuhl an einen relativ großen Holztisch. Nun musste Clarice wirklich arbeiten und nicht nur das. Ihre Pizza wurde kalt und musste schnell gegessen werden. Innerlich verwarf sie den Gedanken jedoch gleich wieder. Diese Pizza schmeckt sicherlich auch noch heute Abend. Ein Hungergefühl verspüre ich derzeit nicht wirklich. Auf dem Tisch befanden sich Fotos, Schriftstücke, zwei Akten und zwei Kassetten. Außerdem hatte sie sich eine Karte, Pinnnadeln und einen Stift hinzugeholt. Nun war es an der Zeit, mögliche Verbindungen zu erstellen. Als Erstes betrachtete sie die Bilder. Nachdenklich legte sie diese von einer Hand in die Andere. Die Vorgehensweise an den Opfern ist ähnlich, wenn nicht sogar gleich. Gefunden wurden beide Frauen an einem Gewässer, wenn auch einige Kilometer voneinander entfernt. In der Nähe waren keine bis kaum Häuser, weshalb es kaum Chancen zur Fahndung gibt. Der Täter ist unbekannt. Die Taten sind sehr genau geplant und man kann davon ausgehen, dass er sowohl Opfer als auch Lebensumstände gekannt haben muss. Außerdem hat er die Umgebung wohl überlegt ausgekundschaftet. Clarice legte die Bilder der Opfer beiseite und nahm sich den Obduktionsbericht vor Ort und in der präziseren Rechtsmedizin vor. Schnell überflog sie ihn. Einstichloch Kehlkopf in drei Zentimetern Tiefe (vermutlich mit herkömmlichen Taschenmesser). Abtrennung der Gliedmaßen und Anbringung mit Tackernageln. Präzises Skalpieren des Thorax und Abdomen. Entfernung von Herz, Niere und Leber. Mit Zange herausgerissene Zähne. Bruch des Unterkiefers. Bei beiden Opfern wurde das Ähnliche aufgezählt, nur, dass bei Opfer eins die Zähne noch vorhanden waren. Clarice genehmigte sich einen Schluck aus ihrer Colaflasche und betrachtete angestrengt die Materialien. Auf einmal viel ihr etwas ein. Eventuell würde sie zu genaueren Infos kommen, wenn sie wüsste, wer die beiden Frauen waren. Sie würde mehr über die Umstände erfahren. Aber woher soll ich wissen, wo ich zuerst suchen muss? Man fand keine Personalien an den Tatorten. Somit stehe ich wieder am Anfang.
19:16 Saldanha, Südafrika (Afrika)
"Darf ich anrichten, James? Oder soll ich warten, bis Ihnen nicht mehr schwindlig zumute ist? Sie haben sich vorhin wirklich stark am Kopf gestoßen." Im Anzug stand Hannibal mit dem Servierwagen an der Tür zum Saal. Er trug schwarze Lederhandschuhe. Besorgt blickte er zum Hausherren, welcher sich den Kopf hielt und gefährlich hin und her wankte. "Nun, ich denke, ich schaffe es schon. Stellen Sie es ruhig ab, Doktor." Hannibal nickte und fuhr den Wagen an den Tisch heran. Nie ließ er James aus dem Auge. "Ich entschuldige mich, jedoch reichte die Zeit nur für zwei Gänge. Ich hoffe, dass es nicht allzu sehr von Belang ist, James." "Ganz und gar nicht. Was steht an?" Hannibal rollte den Wagen an seinen Platz und stellte den ersten Teller vor ihm ab. "Als Vorspeise haben wir eine leichte Suppe mit dem Saft der Kalbsleber. Es soll den Geschmack für das Hauptgericht wecken. Passend dazu ein milder Prosecco." Hannibal füllte ein Glas mit dem Sekt. "Bon Appétit, James." "Vielen Dank, Doktor. Es riecht vorzüglich. Würde mein Kopf nicht so brummen, würde ich Sie jetzt fragen, warum die Suppe einen leichten, rötlich-braunen Ton hat." Hannibal zuckte mit den Schultern und lächelte. "Die Leber besah sich bester Qualität. Sie war wunderbar frisch, weshalb sie umso mehr Saft abgesondert hat. Lassen Sie es sich schmecken und trinken Sie unbedingt den Prosecco dazu. Es ist ein Muss." Er setzte sich und schaute interessiert zu, wie sich James sowohl Essen, als auch Trinken innerhalb weniger Minuten einverleibte. Überaus naiv, der Junge. Kaum Lebenserfahrung, schlechte Erziehung, Muttersöhnchen, fühlt sich überlegen und isst wie ein Schwein. Überaus unhöflich. "Vorzüglich, diese Suppe. Angenehm gewürzt und sehr schmackhaft im Nachgang. Der Prosecco bringt das Ganze noch deutlicher zur Geltung." "Freut mich, James. Sind Sie bereit für das Feuerwerk? Glauben Sie mir, diesen Geschmack werden Sie noch lange in Erinnerung behalten." Eifrig nickte James, leckte sich die Lippen und bleckte die Zähne wie ein wild gewordenes Tier. Erneut richtete Hannibal an. Diesmal war der Teller ästhetisch angerichtet, wahre Kunst. In der Mitte des Tellers befand sich das dunkle Fleisch, überzogen mit einer feinen Soße. Rundherum befanden sich, anstatt des zarten Gemüses, Speckbohnen mit einem sanften Braunton. Dekoriert mit Petersilienblättern, war es fast zu schön zum essen. James war hingerissen und stürzte sich sofort darauf. "Vergessen Sie den Chianti nicht, mein Lieber." "Aber natürlich nicht, Doktor", erwiderte dieser darauf schmatzend, schnappte sich die Flasche und trank die Hälfte in einem Zug. Bald darauf saßen beide wieder am Tisch. Das Geschirr und die Essensreste waren weggeräumt. Zufrieden blickte James zu Hannibal. "Man hat mir nicht zu viel versprochen, eher zu wenig. Es war das Beste, was ich je gegessen hatte und das soll was heißen." "Nun ja, das Beste kommt immer von einem selber, mein Lieber. Wir sind nun unter uns. Sagen Sie mir, warum beleidigen Sie eigentlich die Bettler auf den Straßen Kapstadts?" James verzog die Miene und guckte ertappt aus seinen Schoß. "Naja, ich denke immer, dass es ein faules Volk ist und stinkt. Allgemein finde ich solche Personen ekelerregend." Hannibal nickte geistesabwesend. "Dann bin ich ja nicht im Unrecht, warum auch? Ich würde nun gerne gehen. Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Bleiben Sie ruhig sitzen, James. Ich finde allein hinaus. Passen Sie auf die Wunde an Ihrem Bauch auf. Die Fäden dürfen erst nach zwei Wochen gezogen werden. Ach und richten Sie Ihrer Köchin aus, dass Fleisch sehr schnell verdirbt und deshalb so rasch wie möglich verbraucht werden muss. Ich musste mir Neues besorgen." Doch als sich Hannibal an der Tür stehend zu James wendete, war dieser schon mit dem Kopf auf den Tisch gesackt. Er war, betrunken vom Prosecco und Chianti schon eingeschlafen. Hannibal verließ das Manor und machte sich auf den einhundertacht Kilometer langen Rückweg nach Kapstadt. Ein prächtiger Abend, auch wenn ich nichts von den Leckerbissen abbekommen habe.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top