·identity problems·

Auf dem Weg zum Denver International Airport waren wir gezwungen einen Zwischenstopp zu machen, trotz des Risikos immer noch verfolgt zu werden. Vincent wurde als vermisst angesehen und ich war ein gesuchter Mörder, da sollten wir nicht mit unseren normalen Pässen reisen. Es war schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal mit einem öffentlichen Verkehrsmittel wie einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Flugzeug und keinem von der ISK zur Verfügung gestelltem Kleinflugzeug gereist war, aus gutem Grund. Mit Chuck und dem Kleinen im Schlepptau öffnete ich die Tür zu der kleinen Videothek, die von außen in etwa so einladend aussah wie von innen. Absolut gar nicht. Der glänzende Sportwagen vor der Tür kam wohl auch eher weniger vom Verkauf von DVDs. Viel eher konnte der Besitzer dieser Videothek sich diesen Luxus durch die Einnahmen, die er im hinteren Teil des Gebäudes machte, leisten. „Cho!" Beim Betreten des Ladens sah ich mich gründlich um. „Cho-ho!" Von dem tätowierten Asiaten war nichts zu sehen. Vor mich hin flötend deutete ich dem Knirps im Eingang mit Chuck zu warten, während ich durch den schwarzen Vorhang auf den in fetter weißer Schrift ‚Privat' gedruckt war in den hinteren Teil des Gebäudes gelangte. Empfangen wurde ich von den Läufen zweier Revolver an meinem Schädel. Ich riss die Hände hoch. „Hey, ganz ruhig Leute, ich bin's nur!" Ein Mann tauchte im Ende des dunklen Gangs auf. „Sam?" „Cho man, wo warst du? Deine Jungs hier wollten mich schon abknallen!" Grinsend reichte ich meinem Lieblings-Asiaten die Hand. Die beiden Männer zu meinen Seiten ließen die Waffen sinken. „Entschuldige, mein Freund, ich habe zur Zeit viele Schwierigkeiten mit der Konkurrenz. Was kann ich für dich tun, Samuel?" Er schenkte mir ein schmales Lächeln. Ich zog den Vorhang ein Stück zur Seite und winkte Vince zu mir. „Wie schnell kannst du für - sagen wir fünf Riesen? - zwei Pässe für uns herzaubern? Ein Vater mit seinem Sohn aus Japan, frisch aus dem Urlaub in den USA?" Cho musterte den Kleinen und dann mich. „Sechs, nicht fünf. In einer halben Stunde habt ihr die Pässe in der Hand, du bist 25, er ist sechs." Ich nickte leicht. „Dürfte ich dann eine Zeit lang deinen PC beschlagnahmen?" Der Asiate deutete auf eine Tür weiter hinten auf der rechten Seite, die noch leicht geöffnet war. Dankend klopfte ich ihm auf die Schulter und zog Vincent und Chuck mit mir in den Raum. Auf den ersten Blick war es ein gewöhnliches, fensterloses Büro mit einem Schreibtisch und einem Computer, zwei Sesseln in der Ecke und einem gewöhnlichem Schrank. Wenn man schon mal einfach hier reingeplatzt kam wusste man aber, dass in jeder einzelnen freien Ecke dieses Raumes Waffen versteckt waren. Während der Junge sich in einen der Sessel hockte und darauf wartete dass er um ein schnelles Passfoto gebeten wurde, machte Chuckey es sich auf dem Teppichboden bequem, der verdächtig dunkel gesprenkelt war. Ich kraulte ihn kurz hinter den Ohren und klemmte mich dann hinter den Bildschirm, um Cho sein Geld zu überweisen. Es war zwar unsicher, da ich mir ziemlich sicher war, dass die ISK alles nachverfolgen konnte was sie wollte, trotz der scheinbar unzerstörbaren Hightech-Firewall auf seinem PC, aber ich hatte ziemlich gute Chancen, dass sie nicht direkt auf meine Fährte kommen konnten. Während der Transaktion lehnte ich mich zurück und spielte an einer Sonnenbrille herum, die auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Für ein paar Sekunden konnte ich mir endlich ein wenig Ruhe gönnen. Wie war ich in den ganzen Scheiß überhaupt reingeraten? Ich hatte bisher doch auch einfach mein Leben gelebt und meine Kronjuwelen geschaukelt, aber diese Frau mit dem Baby hatte es wie als wäre es das leichteste der Welt gewesen praktisch mit einem Fingerschnipsen geändert. Ich hatte in meinem ganzen Leben schon unzählige Menschen getötet; Erwachsene, Rentner, ja sogar Säuglinge und Kinder. Nie hatte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet, warum ich das so selbstverständlich für mich war oder was die Moral des Ganzen war. Jetzt erkannte ich, dass ich im Grunde genommen einer kompletten Gehirnwäsche unterzogen wurde. Sicherlich war ich schon bevor ich zur ISK kam psyschich krank (wenn man das so nennen kann), schließlich hatte ich meine Eltern umgebracht, an deren Gesichter ich mich seit Jahren schon nicht mehr erinnern konnte, aber als Kind kann man sich noch entwickeln. Man kann auf den richtigen Weg gebracht werden, therapiert werden, all diesen Kram. Stattdessen pflegten sie die Krankheit wie einen erwünschten Symbionten anstelle eines Parasiten, sorgten dafür dass sie mich übernahm, erzogen mich zum Serienmörder. Das war es, was ich jetzt war, das war die unbeschönigte Wahrheit: Ein psychotischer Serienmörder. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, mich einfach umbringen zu lassen. Einfach aufzugeben. Zu Retten war doch eigentlich eh nichts mehr, aber aus irgendeinem dämlichen Grund hatte eine random Frau mit einem random Baby die letzten Paar gesunden Synapsen in meinem Gehirn aktiviert. Vielleicht war ich ja doch noch nicht vollkommen verloren.

"Willst du die Pässe jetzt oder nicht?" Ich hob den Kopf und setzte wieder ein schönstes, dämlichstes Grinsen auf um zu verstecken wie sehr ich in Gedanken versunken gewesen war. Cho stand vor mir mit meiner fertigen Bestellung in der Hand und runzelte die Stirn. "Verzeih mir mein Bester, ich war gerade ein wenig abgelenkt von dieser Stipperin letztens im Snooty Foxx, wie hieß sie noch? Crystal Meth? Heroin? Ach nein, es war Cocaine..." Nachdenklich legte ich das Kinn in die Hand und piekte mir wiederholt mit dem stumpfen Bügel der Sonnenbrille in den Finger. Schulterzuckend setzte ich mich wieder auf und griff nach den Pässen. "Das Geld ist auf deinem Konto, alles gut Großer.", lächelte ich breit als Cho zuerst nicht loslassen wollte, mir sie dann aber langsam überließ. Er ließ seine Augen über mein Gesicht wandern mit einer Mimik wie die einer Statue... Absolut ausdruckslos. Der Asiate nickte kurz. "Immer wieder schön mit dir Geschäfte zu machen Sam, aber ich würde dir sehr danken wenn du jetzt meinen Laden verlässt. Wie ich höre wirst du gesucht." Ach, Shit. Ich wurde ja nicht nur von richtig grausamen, kranken, vollbewaffneten Schränken verfolgt, sondern auch noch staatlich gesucht. Hätte ich doch wirklich fast vergessen. Bei den Most Wanted war ich bisher noch nicht gelandet, aber ich war echt nah dran. Ich nickte leicht. "Natürlich. Hey, kann ich mir die hier ausleihen?" Cho nickte. "Danke." Schelmisch grinsend setzte ich mir die Sonnenbrille auf und schnippte vor Vincents Nase herum, der gerade konzentriert dabei war Chuck hinter den Ohren zu kraulen und jetzt verwirrt zu mir hoch blickte. "Komm, wir gehen Knirps. Chuck, krault er dich nochmal frisst du ihn, ja?" Seine treuen braunen Augen sahen in Etwa genauso verwirrt aus wie der Blick vom Kleinen zuvor. "Auch egal." Ich seufzte und zog Kind und Hund hinter mir her, hinaus aus der Hintertür. Die Sonnenbrille hatte Swag, also konnte ich sie aufsetzen wie ein Filmstar ohne mich komplett dämlich zu fühlen, auch wenn ich nicht in einem Film sondern auf der Flucht war. "Also, als nächstes sollten wir es zum Airport schaffen ohne getötet zu werden..." Ich sah kurz auf Vincents nagelneuen japanischen Reisepass - "...Haru-Hiro." - und runzelte die Stirn. Sein Zweitname war zwar amerikanischer Herkunft, aber das machte Vince nicht zu einem Halbasiaten. War wohl das beste was man innerhalb einer Stunde herzaubern kann. Cho hatte mir einen Zettel in meinen Pass gesteckt. 'Seine Mutter war Halb-Asiatin, ist an Krebs verstorben.' Das erklärte den Namen im Zusammenhang mit seinem typisch amerikanischen Aussehen doch schon eher.

Während wir also quer durch Colorado liefen um zum Airport zu gelangen und schon längst über alle Berge waren bekamen wir nicht mehr mit, wie mehrere Schüsse und wenig später eine Explosion die Stille des Abends in den zwielichtigen Straßen der Chinatown Colorados zerstörten, als die KOPS nahezu zeitgleich mit dem FBI die kleine Videothek stürmten und nichts als Leichen, Schutt und Asche zurückließen.

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