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"Was habt ihr Deppen euch bitte dabei gedacht? Ich hab ein fucking Kleinkind dabei!" Jim blickte stur gerade aus, war aber sichtbar angespannt und eingeschüchtert. "Sammy, wie oft noch, ich befolge nur die Anweisungen die ich vom Boss bekomme." "Anweisungen am Arsch." Ich seufzte und lehnte mich zurück. Vince saß fröhlich zappelnd neben mir als wäre nie etwas geschehen. Langsam beruhigte ich mich und schloss die Augen. "Denkst du die Bullen haben sich das Kennzeichen notiert?" Von vorne hörte man ein leises Aufseufzen. "Und selbst wenn, morgen exestiert es doch eh schon nicht mehr. Freitag, Wechseltag. Wie immer." Ein Räuspern. "Du weißt schon gar nicht mehr welcher Tag ist, stimmt's?" Vor meinem inneren Augen ging ich die letzten drei Monate durch. Das letzte Mal, als ich daheim gewesen war, hatten wir noch Februar.
Wieder seufzte ich. "Weißt du Jim, ich war seit fast drei Monaten nicht mehr daheim. Einen Kalender hatte ich zuletzt vor ein paar Wochen vor mir liegen und die einzige Uhr, die ich besitze, ist vor sieben oder acht Nächten stehen geblieben. Ich scheiße momentan auf Zeitrechnung, wofür auch? Damit ich mir genau aufschreiben kann wann ich wen getötet habe? Nein danke, aber das brauch ich nicht. Verzeih mir also dass 'Freitag' zur Zeit nicht das wichtigste Wort in meinem Wortschatz ist, mich juckt das wenig. Eine einfache Antwort hätte gereicht." Letzteres knurrte ich, aber eher weil ich angepisst auf meine Lage war, nicht auf ihn. Jim und ich waren uns in einigen Hinsichten sehr ähnlich. Als ich Zwölf war hatte mein Boss ihn, einen vierzehnjährigen Idioten, zu mir ins Zimmer gesteckt. Damals hatte ich selbstverständlich noch kein eigenes Apartment und deshalb musste ich mich wohl oder übel mit Jim befassen. Anscheinend war er damals so der übermäßig rebellische Jugendliche gewesen, der seine Eltern schon gekillt hatte als mein Boss dazu kommen wollte. In unserem Zimmer hatten wohl die meisten Prügeleien im gesamten Gebäude stattgefunden, aber eigentlich verstanden wir uns bis auf einige Unstimmigkeiten prima. Vor allem hatten wir den selben Humor, mit dem Unterschied, dass er bei mir um Einiges ausgeprägter war.
Den Großteil der restlichen Fahrt schwiegen wir. Eigentlich war das auch besser so, aber aus irgendeinem Grund begann Jim plötzlich zu lachen und kriegte sich gar nicht mehr ein. "Willst du 'nen Keks?" Erst stutzte ich, dann begann auch ich zu prusten. "Halt's Maul, Blondie!", rief ich lachend und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Klein-Vince sah uns ein wenig verwirrt an, was ich aber geflissentlich ignorierte. Immer noch kichernd lehnte ich mich zurück an den Sitz. "Nein, ich will keinen fucking Keks!", äffte ich unseren Boss nach. Dem würde ich definitiv nie wieder einen Keks anbieten, vor allem nicht dann, wenn ich wieder mal nicht genau das gemacht hatte was ich machen sollte. Anscheinend mochte er dann nicht mal seine Lieblingskekse. Komischer Typ.
Hinter uns fiel die große, schwere Eisentür ins Schloss, wobei sie den typischen Piepston von sich gab, als Zeichen dafür, dass sie nun verriegelt war und wieder ein Code benötigt sein würde. Automatisch spannte ich mich an. Das tat ich immer, wenn ich wieder zurück war, man konnte hier niemanden trauen, jedes Leben war eine einzige Lüge. Das war so eine Regel hier um emotionale Bindungen zu vermeiden: Man dürfte niemandem sagen, wo man wirklich her kam, wer man wirklich war, nichts. Nur der Vorname und das Alter durften genannt werden. Allein der Boss verfügte über jegliche privaten Informationen und den Nachnamen von jedem hier.
Durch die Blicke der Anderen noch genervter als vorher schon warf ich mein Messer nur knapp an dem Kopf eines Typen, ich glaube Jerry, vorbei in die Wand, wo es mit einem dumpfen Laut stecken blieb. Zitternd schaute mich der braunhaarige Idiot an. "S-Sam...?" Ich würdigte ihn keines Blickes. "Sauber machen, oder ich verfehl dich nächstes mal nicht um einen Millimeter." Es kotze mich an dauernd getestet zu werden und noch mehr kotze es mich an, dass die alle so taten als würde ich sie alle sofort umbringen nur weil ich angepisst war. Gut, der ein oder andere hat zwar tatsächlich schonmal um sein Leben fürchten müssen, aber eigentlich tötete ich niemanden ohne Grund. Eigentlich.
Einige Informanten, die gerade erst zurückgekehrt waren und ziellos herumliefen sahen mich verwundert an. "Sam, wer ist denn das Kind da?" Aus dummen Froschäuglein sah mich Fetti, mein 'bester Freund', fragend an. Ich habe erst zwei Mal mit ihm gesprochen und er nannte mich jetzt schon nicht mehr bei meinem vollem Namen. Scheißkerl. Augenverdrehend schmiss ich auch die zwei Waffen auf irgendeinen Tisch, damit die Patronen nachgefüllt und wenn nötig Reperaturen vorgenommen werden würden. "Das Kind heißt Vincent, hat eben drei Cops abgeknallt und gehört jetzt zu uns. Weitere Informationen darf ich selbstverständlich nicht preisgeben, du kennst die Regeln ja." Er schnaubte. "Ich vielleicht, du aber anscheinend nicht. Der Boss wird nicht begeistert sein, wenn du den kleinen Scheißer zu ihm bringst." "Ich werde ihn nicht zu ihm bringen, also lass das mal meine Sorge sein." Ich fuhr mir durch die Haare und legte meine Maske auf, wie immer, wenn ich mich mit anderen unterhielt, denen ich nicht traute. Gefühle waren hier nichts als gefährlich. Leise vor mich hin grummelnd zog ich Vince mit mir in den Gang, der zu den Zimmern führte. Hier wohnten die, die neu oder noch sehr jung waren oder einfach noch keinen all zu guten Rang hatten. Ich gehörte nicht mehr dazu. "Komm, Vince. Bruce zeigt dir dein Zimmer." Da dieser keinerlei Anstalten machte sich zu bewegen warf ich einen wirklich sehr, sehr bösen und angepissten Samuel-Blick zu, der so viel bedeutete wie 'Beweg deinen Arsch oder ich kill dich'. Bruce war zwar von der Statur her weitaus muskulöser und breiter als ich, hatte aber lange nicht so viel Erfahrung. Der Felsen begann sich von seinem Platz Richtung Vince zu bewegen und nickte mir kurz zu. "Zimmer?" Ohne groß zu überlegen antwortete ich: "Block 2 445-C." Er nickte wieder und verschwand mit dem Kleinen.
Es war mein altes Zimmer, und bis heute war es aus gutem Grund nicht mehr genutzt worden.
Nachdenklich sah ich ihnen nach. Ich hoffte wirklich, dass es ihm nicht so wie mir ergehen würde.
Später nach dem Essen lag ich alleine auf dem Sofa meines Apartments. Mein Fernseher war kaputt, auf Musik hatte ich keinen Bock und gegessen hatte ich ja auch schon. Mir war verdammt langweilig und selbst Chuck, der die ganze Zeit brav vor dem Gebäude gewartet hatte, konnte mich gerade wenig aufmuntert. Ich war einfach nur deprimiert.
Irgendwann, mitten in meiner Pubertät, hatte ich eine Grenze überschritten, die danach nicht mehr sichtbar sein würde. Es war die Grenze zum Wahnsinn, in gewisser Weise, und das hatte ich schon sehr früh selbst gemerkt. Ob ich etwas dagegen getan hatte? Ich bin Samuel. Ich bin fauler als Präsident Trump wenn ihn etwas nicht interessiert. Dieser Grenzüberschritt hatte vorallem mich selbst verändert. Ich mordete ohne Gewissen, hinterfragte nichts, für mich gab es kein Gut und Böse, es gab lediglich ein 'schlecht'. Und dann, wenn ich nicht mordete, Gewalt anwendete oder sonstigen illegalen Shit machte, war ich leer. Irgendwie. Ich wusste nie was ich dann tun sollte, mein Leben bestand praktisch nur noch aus Blut und Lügen. Nicht mal eine Playstation besaß ich mehr, die war mir vor vier Jahren aus dem Fenster... sagen wir mal gefallen. Gut, ich hatte sie rausgeschmissen, aber nur weil ich da noch so naiv war zu denken, dass ich dann die neuste Xbox bekomme. Da war dann tatsächlich ein Stück Lebenssinn verloren gegangen.
Gelangweilt hing ich jetzt also auf dem Sofa, ein Bein über die Rücklehne, das andere unter Chuck's Bauch und die Arme hinter dem Nacken verschränkt, und versuchte etwas sinnvolles zu denken oder zu machen. Hoffnungslos.
Und dann kam die Idee, die Rettung: Ich musste Scheiße bauen! Aufgeregt wie ein kleines Kind, dass gleich seinen Geburtstagskuchen bekommen würde, schmiss ich Chuck von meinem Bein runter auf's Sofa und sprang auf. Guys, Sam is in the house again!
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