☂ ʰᵃᵘᵖᵗˢᵃᶜʰᵉ, ᶤʳᵍᵉᶰᵈʷᵃˢ ʷᵃˢ ᵐᶤᶜʰ ᵃᵐ ˡᵉᵇᵉᶰ ʰäˡᵗ
☂ jungkook
Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit meiner Station hatten wir Freizeit, was so viel bedeutete wie, dass wir keine Therapien oder Unterricht hatten. Ich mochte diese Stunden am Tag, die uns nicht daran erinnerten, dass wir letztlich doch alle nicht normal waren. Ebenso hatte ich viele Sachen, womit ich diese Stunden verbrachte.
Ruhe jedoch gab es oftmals nicht. Zwar hielt sich jeder woanders auf, aber es gab immer wieder PatientInnen, denen es rapide schlechter ging oder welche, die mit ihrem Krankenheitsbild wieder zu kämpfen hatten. Nicht jeder hier konnte mit der Freizeit umgehen.
Die Freizeit war für unsere inneren Dämonen wie eine Einladung für intrusive Gedanken, Flashbacks wie bei mir oder Minderwertigkeitsgefühle, die bei dem ein oder anderen die Kontrolle übernahmen.
Es war komisch, denn ich hatte das Gefühl, dass das Konzept einer Psychiatrie einfach ein Ort war, um Menschen wie mich so lange wie möglich am Leben zu lassen zur Gunsten oder Befriedigung der Familie, Freunde etc.
Werden wir hier wirklich gesund oder ist da auch ein gewisser Zwang, der uns da eingeredet wurde? Keine Ahnung, aber über solche Themen konnte man mit mir stundenlang reden.
Gerade saß ich in meinem typischen, blauen Shirt und meiner geliebten grauen Jogginghose im Rasen unseres Gartens und las eins der neuen Bücher, welches ich mir kaufen durfte. Bis heute war ich stolz darauf, wie ich die Kaufsituation mit der Verkäuferin gemeistert hatte. Keine Attacken, keine Schweißausbrüche und kein Schwindel!
Das Mythos des Sysiphos. So hieß das Buch. Basiert auf eine Geschichte aus der griechischen Mythologie. Das schlichte schwarz-weiß Cover sprach mich im Laden total an, aber vorallem auch der Fakt, dass es sich hier zwar um Sysiphos handelte, dieses Buch aber von einem bekannten Philosophen geschrieben wurde.
Ich liebte die Philosophie. Schon seit kleinauf beschäftige ich mich mit allem, was der Philosophie nahe kam. Es fing damit an, dass ich in kleine Hefte, kurze Gedichte verfasste oder einfach existenzielle Fragen mir versuchte, selber zu beantworten. Aber vorallem das Verfassen von Gedichten tat ich bis heute super gerne. Ich hatte bestimmt schon mehr als 5 Hefte voll geschrieben, so viel an Komfort und Frieden fand ich am Schreiben.
Es war fast schon magisch.
Jetzt war es aber klar, dass ich die existenzielle Philosophie super spannend fand. Ich merkte, wie sich ein ungezwungenes und leichtes Lächeln auf meine schmalen Lippen schlich, sobald ich das Buch öffnete und anfing, darin zu lesen.
Mein Tag war ziemlich anstrengend, da ich heute morgen mit einem ganz niedrigen Blutzuckerspiegel aufgestanden war. Ebenso fielen mir wieder Haare raus, wegen dem konstanten Gewichtsverlust, den ich unkontrolliert machte. Aber daran arbeiteten wir schon. Dennoch war es nicht schön im Alter von 19 Jahren wie ein schlaksiges Wesen mit welligem schwarzen Haar, einer lückenhaften Kopfhaut und einem wandweißen Hautton auszusehen.
Mein Optisches fand ich nun wirklich nicht schön. Dies war aber okay. Hier, in der Klinik, musste ich nicht schön sein. Hier durfte ich heilen, ohne verurteilt oder schräg angeschaut zu werden. Denn wir alle teilten hier das gleiche Schicksal.
Das Schicksal, von der Gesellschaft erstmal zerstört und danach vergessen worden zu sein.
Ich hatte das Glück noch eine Weile hier bleiben zu dürfen. Ohne Eltern besaß ich das Recht bis zu meinem 25. Lebensjahr in betreuerischen Einrichtungen zu verweilen. Zumal ich auch nicht stabil genug war, alleine zu leben. Dies wollte ich auch nicht. Aber wenn ich eines Tages die Psychiatrie verlassen müsste, wusste ich bereits, dass ich alleine auf mich gestellt sein werde.
Denn es war keiner in meinem Leben außer meine Ärzte, Psychologen oder Betreuer...
Das war aber auch besser so. Ich tat den Menschen nicht gut. Ich war sehr schlecht darin, menschliche Kontakte zu pflegen. Dies lag daran, dass ich einfach eine massive Angst vor menschlicher Nähe oder Intimität hatte. Ich konnte mittlerweile zwar mit Menschen reden, doch es verblieb immer beim Oberflächlichen.
Familiär betrachtet, war keiner für mich da. Ich war Einzelkind. Von meiner Mutter wurde ich emotional missbraucht, von meinem Vater wurde ich körperlich und ebenso emotional missbraucht. Demzufolge bestand null Kontakt zu irgendwelchen Familienmitgliedern, seitdem das Jugendamt dies herausfand.
Leise seufzte ich etwas auf, wodurch sich meine Brust zittrig von der körperlichen Beanspruchung des Aufatmens hob und wieder senkte. Das Weiterblättern der Seiten tat ich ebenso mit zittrigen, dünnen Fingern, die mich täglich daran erinnerten, wie ich körperlich geschlagen und misshandelt wurde.
Die Narben der Wunden an meinem Oberkörper sowie die dicken Narben der Selbstverletzung an meinen Unterarmen waren ebenso wie ein eingebranntes Erinnerungsmal an meine Vergangenheit.
Ich war dementsprechend sehr dankbar, als ich mit 14 Jahren nach einem zufälligen Schultag endlich in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Dies geschah nach einer miesen Mobbingaktion, die mich emotional so sehr mitnahm, dass ich auf dem Schulhof vor allen anderen KlassenkameradInnen umkippte. Daran dachte ich ungern zurück.
Hier fand ich wenigstens Menschen, die mich und meine Lage verstanden. Auch wenn wir alle nicht miteinander befreundet waren, verstanden wir uns gegenseitig und unterstützten uns täglich, so gut wie es ging, ohne die Grenzen des jeweiligen anderen zu überschreiten.
Die Psychiatrie war mein Zuhause. Hier fühlte ich mich wohl. Die Menschen hier halfen mir, wieder Freude am Leben zu finden.
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