21. ϾФЛТΛϾТ

[Kana]

Ich stand da wie eine Steinsäule. Herr Ackerman verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich.

»Sie sehen wirklich überarbeitet aus«, kommentierte er mein Äußeres.

Ein kleines Stück legte sich meine Anspannung und ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, ehe ich meine Tasche schulterte.

»Was … was machen Sie hier? Waren Sie schon die ganze Zeit im Gebäude?«, fragte ich irritiert nach.

Herr Ackerman lachte leise auf. »Glauben Sie wirklich, ich würde unvorbereitet nächste Woche einfach wieder hier erscheinen? Natürlich war ich bewusst auf dem Weg hierher, bis sie mich zwischendrin anriefen. Als ich das Licht in der Abteilung sah, konnte ich mir denken, dass Sie noch hier sind. Ihre Aussage während des Telefonats bestätigte meine Vermutung«, antwortete er ruhig. »Durch Ihre Schilderung bin ich nun im Bilde, Frau Fujioka und weiß, welche Seiten ich am Montag aufziehen muss«, fuhr er mit Unterton fort.

Ich presste die Lippen zusammen. Mir kam es jetzt erst in den Sinn, dass wir wieder alleine waren. So wie die Male davor. Er war also doch nicht so gewissenlos, wie ich angenommen hatte.

»Doch jetzt zu Ihrer Frage«, unterbrach er meinen Gedankengang. »Wollen Sie die Antwort hier hören, oder soll ich Sie als Entschädigung für Ihre harte Arbeit irgendwohin einladen?«

Ich sah ungläubig zu ihm auf. Was? Hatte er nicht gerade noch am Telefon darüber gespottet, dass ich mich ausheulen wollte, oder ein Lob erwartete? Und jetzt kam dieser Vorschlag von ihm? War das ernst gemeint, oder auch nur wieder eine Finte von ihm? Ich wusste absolut nicht, wobei ich bei ihm war.

»Ich wiederhole mich nicht! Also erwarte ich eine vernünftige Antwort!«, forderte Herr Ackerman kühl.

»Sie … Sie müssen mich nicht einladen. Auch müssen Sie mir den Grund Ihrer Abwesenheit nicht sagen, Herr Ackerman. Es tut mir leid. Vielleicht bin ich wirklich überarbeitet und habe nicht über meine Worte nachgedacht«, entschuldigte ich mich. Doch ich strafte mich im Inneren für meine Worte! Was war denn so schlimm daran, sein Angebot anzunehmen? Schließlich hatte er mir nicht Bescheid gegeben, obwohl ich doch seine Assistentin war. Jeder Mangel in den Unterlagen wäre bestimmt auf mich zurückgefallen! Mit dieser Gewissheit hatte ich so viele Überstunden gemacht. Die im Endeffekt auf seine Kappe gingen!

Ich sollte wirklich lernen, ehrlicher zu sein …
sonst würde man wohl immer so mit mir umgehen …

»Geben Sie mir gerade einen Korb, Frau Fujioka?«, hakte Herr Ackerman nach.

Ich blickte unsicher zur Seite und mein Puls begann sich wieder unweigerlich zu beschleunigen. »W-Was? Nein!«, presste ich überfordert heraus.

Herr Ackerman verengte die Augen. »Nach alldem, was wir schon geteilt haben, scheint es Ihnen ja äußerst unangenehm zu sein, mit mir irgendwohin zu gehen. Haben Sie doch unbewusst Angst vor dem, was noch kommen könnte?«

»Nein! Es … es ist mir nicht unangenehm! Im Gegenteil! Es ist nur -« Ich hielt inne. Was hatte ich gerade gesagt? Warum hatte ich das gesagt? Normalerweise sollte ich ihm ins Gedächtnis rufen, dass er sich so als Abteilungsleiter nicht weiter benehmen konnte! Normalerweise sollte ich jetzt einfach gehen! Meine Arbeit war getan! Ich hatte alles erledigt!

Und dennoch … dennoch stand ich hier … hätte nichts lieber getan, als sein Angebot mit einem höflichen Lächeln anzunehmen. Ja, für einen kurzen Moment hatte ich sogar Freude empfunden, ihn endlich wiederzusehen.

Doch …
Ich wusste, er brachte mir nicht das Gleiche entgegen. Ihn interessierte nur die Wahrheit hinter meiner Aussage. Das Interesse an meiner Person an sich bestand für ihn wahrscheinlich gar nicht. Und diese Tatsache schnürte mir gerade die Brust zu. Fühlte sich so Kummer an? Kummer, wenn man sich zu sehr auf eine Person einließ?

Herr Ackerman musterte mich die ganze Zeit, während ich gegen dieses undeutbare Gefühl in meiner Brust ankämpfte.

»Es ist nur …«, fuhr ich leise fort, »… das, was zwischen uns gewesen ist … ich … bitte lassen Sie einfach Ihre Spielchen mit mir …«, murmelte ich kaum hörbar und war im Begriff an ihm vorbeizugehen. Als er mein Handgelenk umfasste und mich in meiner Bewegung aufhielt. Spürbar setzte mein Herz aus und ich schloss reflexartig die Augen, als mich die Wärme seiner Fingerspitzen erreichte.

»Dann, lassen Sie mich meine Aussage korrigieren, Frau Fujioka! Der Fleiß einer Assistentin, die einfach ins kalte Wasser geschmissen wurde, sollte wertgeschätzt werden. Das ist selbst mir bewusst. Also entscheide ich, Sie einzuladen. Urlaub kann ich Ihnen leider noch nicht gewähren«, brummte Herr Ackerman. »In dieser Zeit lasse ich Ihnen aber die Überlegung, ob Sie nun den Grund meiner Abwesenheit wissen wollen, oder nicht.«

Ungläubig starrte ich ihn an. Ich fand keine Worte für das Verhalten dieses Mannes! Er war launisch, zynisch, wechselhaft und absolut undurchschaubar!
Doch … verdammt! Ich freute mich gerade dennoch ernsthaft, mit ihm alleine irgendwo hinzugehen! Ich war eine erwachsene Frau, verdammt, und kein Teenager mehr! Was war nur los mit mir? Meine Gefühlsregungen waren genauso wechselhaft wie sein Verhalten.

»Doch ich erwarte dennoch eine klare Antwort von Ihnen, Frau Fujioka!«

Kurz senkte ich den Blick, bis ich mit einem leichten Lächeln zu ihm aufschaute. »Gut. Ich nehme die Einladung an, Herr Ackerman!«

[Levi]

Wie ich es mir gedacht hatte, suchte sich Fujioka eine kleine, bescheidene Bar aus. Meine Einschätzung, dass sie ein genügsamer Mensch war, war also doch richtig. Es war schon ironisch, ich konnte mich zwar in andere Menschen hinein versetzen, ihren Charakter erkennen, aber jegliche Deutung dieses bei mir selber fehlte. Da sie sich wahrscheinlich mit dem billigsten auf der Karte zufriedengeben würde, bestellte ich einfach ohne sie zu fragen. Etwas weiter von dem Lärm an der Theke entfernt, war unser Tisch in einer Ecke der Bar.

Ich lehnte mich im Stuhl zurück und überschlug ein Bein, während ich Fujioka mir gegenüber beobachtete. Vollkommen perplex und verlegen sah sie den Cocktail an, den ihr die Kellnerin gerade hinstellte.

»Ich hoffe sehr, dass Sie nicht vorhaben Ihr Glas die ganze Zeit nur anzustarren!«, raunte ich und legte das Scotchglas an meine Lippen.

Peinlich berührt, schüttelte Fujioka den Kopf. »N-Natürlich nicht! Vielen … vielen Dank!«, stotterte sie und umschloss den Trinkhalm mit ihren vollen Lippen. Nach einem anfänglich kurzen, zögerlichen Schluck, funkelten ihre Augen auf und sie zog länger an dem Strohhalm. Schon nach kürzester Zeit war das Glas nur noch halb voll.

»Also, haben Sie es sich überlegt, ob Sie den Grund wissen möchten, Frau Fujioka?«, durchbrach ich das Schweigen zwischen uns und stützte mein Kinn in der Handinnenfläche ab.

»Kana.«

Meine Brauen schoben sich zusammen. »Was?«

»Bitte nennen Sie mich beim Vornamen. Mir gegenüber brauchen Sie nicht weiter höflich zu sein«, entgegnete Fujioka und zog erneut an ihren Strohhalm.

Ich verzog kaum merklich die Mundwinkel. »Nun gut, Kana, hast du es dir überlegt?«, fragte ich erneut.

Und wieder zeigte sie mir eine neue Seite von sich. Mal war diese Frau vollkommen zurückhaltend und schüchtern, doch in bestimmten Situationen konnte sie durchaus ernst und bestimmend sein und jetzt zeigte sie mir ihre lockere, von Vorschriften befreite Seite. Vielleicht lag das aber auch an dem Alkohol, denn sie schien nicht wirklich viel zu vertragen, doch Anbetracht dieser kürzesten Zeit, indem sie schon das Glas leer hatte, war das wohl kein Wunder.

»Lassen Sie es gut sein. Ich will den Grund nicht wissen. Sie sind eine undurchschaubare Person, Herr Ackerman. Wahrscheinlich werde ich nie Ihre Gedankengänge verstehen«, antwortete Kana leise und umschloss unsicher das leere Glas mit ihren Fingern.

»Willst du sie denn verstehen?«

Abrupt sah sie auf und sie biss sich nervös auf die Unterlippe. »Ich … nun ja … als Ihre Assistentin …«

»Lassen wir die Arbeit jetzt beiseite! Wie sieht dein persönliches Interesse aus, Kana?«

»M-Mein persönliches Interesse?«, stammelte sie überfordert und steckte sich, wohl aus Reflex oder Unsicherheit, den Strohhalm in den Mund. »Ich … möchte schon mehr über Sie wissen, doch … es … es steht mir nicht zu«, fuhr sie nuschelnd fort.

»Nun, soll ich dir denn etwas von mir erzählen?«, warf ich in den Raum.

Ungläubig glitt der Strohhalm aus Kanas Mund. »B-Bitte? Sie … sie würden mir einfach so -«

»Im Gegensatz erzählst du mir auch etwas von dir! Das klingt doch fair, oder?« Ein leichtes, finsteres Grinsen huschte über meine Lippen.

Eine Weile sah mich Kana einfach nur an, bis sie den Blick senkte und das Glas fester umfasste. »Über mich gibt es nicht viel zu sagen. Meine Mutter hat mich alleine groß gezogen. Ich habe mir so früh wie möglich Arbeit gesucht und bin ausgezogen. Durch diese unglückliche Sache, die mich seid meiner Pubertät begleitet, können Sie sich ja sicher vorstellen, dass ich nie lange einen Job behielt. Ich habe mich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz gekämpft. Doch jetzt bin ich sehr froh, an Ihrer Abteilung arbeiten zu dürfen. Und das, obwohl diese Sache mit Erwin -«

»Also war dein Verhältnis zu deiner Mutter nicht gut?«, unterbrach ich Kana ernst. Für eine Sekunde weiteten sich ihre Augen, und ihre Körperhaltung spannte sich an. Ich konnte sofort eins und eins zusammen zählen. »Dann haben wir wohl etwas gemeinsam«, lenkte ich die Stimmung ab. »Auch meine Mutter hat mich alleine groß gezogen. Sie war eine sehr liebe, herzensgute Frau. Jetzt würde ich sie schon fast als auch ein bisschen naiv bezeichnen. Aber liebenswert naiv.«


[Kana]

Wie paralysiert schaute ich Herr Ackerman an und hörte ihm zu. Dieser Ausdruck in seinem Gesicht, während er mir einfach so etwas von sich persönlich erzählte …
Mit welchen warmen, weichen Ausdruck in den Augen er über seine Mutter sprach. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Züge. Ich hatte noch nie solch eine Miene bei ihm gesehen und irgendwie machte mich dieser Anblick leicht verlegen.

»Doch leider wurde sie krank und ich pflegte sie viele Jahre, ehe sie starb.«

Ich schluckte schwer. Dies erzählte er mir einfach so …
Ein undeutbares Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.

»Na ja, ansonsten verlief mein Leben wohl wie bei jedem anderen auch. Steinig und Kurvenreich. Durch bestimmte Umstände kann ich bis heute immer noch nicht ganz von meiner Vergangenheit loslassen. Hattest du, trotz dieses Umstandes, den du mir erzählt hast, schonmal einen Freund, Kana?«, schlug plötzlich das Thema um.

Ich brauchte einige Sekunden, um dies zu realisieren.

»N-Nein …«, antwortete ich. Natürlich nicht. Kein Junge, kein Mann zeigte Interesse an meiner Person. Sobald sie mich berührten hatten sie nur Sex im Kopf, ich war ihnen an sich scheiß egal. Es gab noch nie Jemanden der sich wirklich für mich interessierte, wie es mir ging, mein Charakter, dies alles war unbedeutend. Deswegen war ich so froh gewesen, dass ich mich gegenüber Eren unbefangen verhalten konnte. Ich war froh gewesen, dass Erwin Interesse an meiner Person hatte. Interesse daran, wie es mir ging.

Doch … wie stand es um Herr Ackerman? Galt sein Handeln immer noch der Überprüfung meiner Aussage, oder?

»Du hast Angst, dich mit Jemanden einzulassen. Das ist verständlich«, kommentierte Herr Ackerman passend meinen Gedankengang. »Doch, nehmen wir mal an, es gebe da jemanden, der sich wirklich für dich interessiert, der dich näher kennenlernen will. Der all deine Facetten sehen möchte. Der dich als Frau kennenlernen möchte, obwohl er dich noch nie berührt hat. Du bringst ihm das gleiche Interesse entgegen. Würdest du dich dann mit ihm einlassen, Kana?«, fuhr er fort, ehe er sein Scotchglas leerte.

»So jemanden gibt es nicht«, entgegnete ich.

»Nehmen wir einfach mal an, es wäre so.«

»W-Was spielt das für eine Rolle? Ich benehme mich so sonderbar für Außenstehende, dass niemand irgendein Interesse an mir entwickelt. Von daher habe ich nie diesen Ged -«

»Kana, was glaubst, du, warum ich hier mit dir sitze?«, unterbrach mich Herr Ackerman.

Ich hielt kurz inne und schaute ihn überfordert an. Mein Herz schlug unweigerlich schneller.

»Ich tue meinen Mitarbeitern keinen Gefallen für ihre Arbeit. Und bei dir werde ich damit nicht anfangen. Also, was glaubst du, warum ich hier mit dir sitze?«

Gott! War es hier gerade so warm, oder war es der Cocktail? Ich hatte das Gefühl, meine Wangen glühten.

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