Staffel 1 | Kapitel 1

Levi

Mit ausdrucksloser Miene zog ich mir die Stiefel zu den Knien hoch und strafte die Schnallen meiner Ausrüstung. Mit einer schwungvollen Handbewegung band ich mir das Halstuch um und richtete meinen Kragen. Kaum merklich wanderten meine Augen zur Tür, als diese mit einem leichten Knarren aufging. Mit vorsichtiger Haltung verbeugte sich Elisabeth kurz, ehe sie auf die Uniformjacke in ihren Armen deutete.

»Ich habe Ihre Uniform zurechtgemacht, Heichou-sama. Ich hoffe sehr, es sagt Ihnen zu«, flüsterte sie gedämpft. Ich brummte nur, schritt auf sie zu und nahm die Jacke. Wie von ihr zu erwarten, war nicht eine Falte in der Uniform zuerkennen.

Anfangs war ich nicht davon begeistert, dass sich ein Dienstmädchen in unseren Reihen aufhielt. Ich war der Letzte, der so etwas gebrauchen könnte! Jedoch wich meine anfängliche Skepsis ihr gegenüber schnell, als ich erkannte, wie sehr sie sich anstrengte und ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllte. Ja, ich hatte mich sogar schon daran gewöhnt, dass sie die meiste Zeit in meiner Nähe war, und mir mehr Aufmerksamkeit zuteilte als den anderen.

Gegenüber Jäger und Alert legte sie schon fast ein mütterliches Verhalten an den Tag. Vierauge nutzte Elisabeth Gutmütigkeit oft aus, um sie davon zu überzeugen, ihr bei den bescheuerten Experimenten zu assistieren. Durch Vierauges Unachtsamkeit wäre es schon mehr als nur ein mal fast zu einem Unglück gekommen, sodass ich ihr mit Nachdruck klarmachte, einen Rekruten für ihre Experimente einzuspannen.

Stumm zog ich mir die Jacke über die Schultern und strafte sie ordentlich zurecht. Mit einer beherzten Handbewegung richtete Elisabeth deren Kragen und zupfte mein Halstuch ordentlich.
»Tcch!«, knurrte ich nur und wandte mich zur Seite. Eigentlich wusste sie es, wie ich es hasste, dass sie mir so zu nahe kam, und mir die Kleidung richtete, als sei ich ein kleiner Junge. Auch wenn ich wusste das sie es gut meinte. Ihre Unsicherheit und Besorgnis war heute mehr als offensichtlich. Kein Wunder, anhand der Expedition, die heute anstand. Jeder hier im Quartier war aufgeregt, angespannt und hing seinen eigenen Gedanken nach.

»Heichou-sama!« Ich hielt in meiner Bewegung zur Tür inne und blickte über meine Schulter nach hinten zu Elisabeth. Mit langsamen Schritten ging sie auf mich zu und presste nervös die Lippen zusammen. »Bitte, versprecht mir, dass Ihr wieder zurückkehren werdet!« Ich senkte den Blick und schaute wieder nach vorne. Stumm hob ich meine Hand und winkte nur zum Abschied, ehe ich mich dann zu den anderen bewegte und unsere Pferde bereit gemacht wurden.

*

Mit müden Augen schaute ich kurz zum Nachthimmel hinauf und ließ den kalten Nachtwind um mich wehen. Auch wenn jeder wusste, dass die Drecksviecher nachts nicht aktiv sind, so war es dennoch nicht verkehrt, vereinzelt Wachen aufzustellen. Die Stimmung der einzelnen Rekruten war ausgelassen. Nicht nur, weil wir bis jetzt keine Verluste zu bedauern hatten, sondern weil unsere Heimreise nur noch einen Tag entfernt war. Doch für mich war die Haltung der Rekruten zu locker! Niemand konnte wissen, was passieren würde, sobald die Sonne aufging.

»Hey!« Ich rollte innerlich mit den Augen, bei dem Klang von Vierauges Stimme. Mit einem gewohnt breiten Grinsen klopfte sie mir auf die Schulter. »Schichtwechsel! Geh zu den anderen, und ruhe dich etwas aus.«

Ich hob eine Braue. »Seit wann kümmert dich mein Gemütszustand?«, brummte ich leise und nahm etwas Abstand zu ihr. Hanjis Brillengläser funkelten im Mondlicht auf. Ich hatte echt keine Lust, mit ihr zu diskutieren. »Schon gut«, entgegnete ich nur und ging zu der Ruine, wo die anderen sich am Feuer versammelt hatten.

»Klar, Mikasa ist schon eine tolle Frau, aber so unnahbar! Außerdem klebt sie doch nur an diesen Jäger rum!«

Junges Gemüse, was nicht wusste, wohin mit seinen pubertären Gedanken! Immer noch fragte ich mich, was uns Erwin da für einen Trupp zur Seite gestellt hatte. Doch auch die neusten Rekruten mussten ihre Erfahrungen sammeln. Angespannt lehnte ich mich an die äußere Wand der Ruine und setzte mich auf einen Stein.

»Es gibt echt so wenig Frauen im Aufklärungstrupp. Bei der Militärpolizei ist das sicher anders.«

»Heul doch nicht rum! Du hattest die Wahl!«

»Ja, schon, aber ich will doch auch mal eine Familie gründen, mit einer schönen Frau und zwei Kindern.«

»Tja, dann halt dich mal ran! Von der häuslichen Seite aus gesehen, ist dieses Dienstmädchen Elisabeth doch auch keine schlechte Wahl. Zwei große Argumente hat sie auf jeden Fall.«

»Ach, ich glaube nicht, dass ich mich auf so eine einlassen könnte. Wer weiß, was die in ihrer Zeit im Untergrund gemacht hat. Da waren bestimmt schon mega viele Kerle drüber.« Mein Kiefer spannte sich an. »Ich wusste gar nicht, dass die aus so erbärmlichen Verhältnissen kommt.«

»Also, ich habe gehört, sie war wohl früher Prostituierte, bis Kommandant Erwin sie von einem Schwarzhändler gerettet hat«, schaltete sich ein dritter ins Gespräch mit ein. »So oder so, ist diese Frau vorbelastet. Ein Wunder, dass sie überhaupt so gute Manieren an den Tag legt.«

»Wer weiß. Vielleicht war sie früher mal das Eigentum von einem perversen Sack. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was der alles mit ihr gemacht hat.«

Ich knurrte kehlig auf und ging in das innerste der Ruine. Augenblicklich verstummten die Gespräche und alle nahmen eine steife Haltung an. Mit kaltem Blick sah ich in die Runde und setzte mich etwas Abseits von ihnen. Wie zu erwarten, nahmen sie das alte Gesprächsthema nicht wieder auf. Stattdessen unterhielten sie sich darüber, wann sie wohl in den Genuss kommen würden, endlich einen Titanen niederzustrecken.


*

Elisabeth

Seufzend zog ich die Bettlaken auf der Leine straff und befestigte die Ecken mit Klammern. Der kühle Wind wehte mir einige Haarsträhnen ins Gesicht, als ich den Wäschekorb aufhob und zur anderen Leine herüberging. Mein Blick trübte sich während ich begann Heichou-samas Hemden aufzuhängen.

Die Expedition war für Fünf Tage angesetzt, doch nun war bereits der Siebte angebrochen. Ich hoffte sehr, dass es allen gut ging, und die Verzögerungen wegen bestimmten Entdeckungen auftrat. Obwohl ich jetzt schon ein halbes Jahr beim Aufklärungstrupp war, fühlte ich mich immer noch nicht wirklich dazugehörig. Ich hatte keine wirkliche Ahnung von diesen Titanen, auch wenn mich Abteilungsführerin Zoe sehr oft darüber unterwies. Doch ich hatte auch schon mehr als einmal davon gehört, ihrem Gerede keine Beachtung zu schenken. Nicht zuletzt, da ihr letztes Experiment fast schiefgegangen wäre, bei dem ich assistiert hatte. Danach hatte Heichou-sama ihr eine ordentliche Standpauke gehalten und sie kam nie wieder auf die Idee, mich zu fragen.

Obwohl mir Kommandant Erwin die Erlaubnis erteilt hatte, mich frei zubewegen, kam ich irgendwie nie auf die Idee, mich in irgendeinem Haus im Bezirk niederzulassen. Ich hatte höchsten Respekt vor den Leuten, die jedes Mal aufs Neue ihr Leben riskierten. Und solange es geduldet wurde, versuchte ich den Leuten das Leben im Hauptquartier so angenehm wie möglich zu gestalten. Wobei ich mich in den ganzen Monaten, ohne es selbst bewusst zu merken, immer mehr in Heichou-samas Nähe befand.

Ohne genau darüber nachzudenken, empfand ich immer mehr Faszination an diesem Mann, der vollkommen gefühlskalt und desinteressiert wirkte. Ob ich es mir nun angeeignet hatte, oder gelernt hatte, bestimmte Signale von ihm zu erkennen oder zu deuten, für mich war dieser Mann alles andere als gefühlskalt. Für mich persönlich war er einer der sensibelsten Menschen, denen ich je begegnet war.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als plötzlich ein Zischen neben mir ertönte. Aufgeregt kam Alert auf mich zu gelaufen.

»E-Elisabeth! Sie sind wieder da!«, keuchte er. Augenblicklich ließ ich den Wäschekorb fallen und umfasste mein Gesicht. Alert musterte mich und antwortete auf meine gedachte Frage. »Leider hat es die Hälfte nicht geschafft. Es gab wohl auf dem Rückweg einen Ansturm von Abnormen.«

Ich presste die Lippen zusammen und atmete tief durch. Ich konnte mir genau vorstellen, was jetzt in ihm vorging.

»Ich dachte, vielleicht möchtest du den Captain wieder willko -«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber danke, dass du mir Bescheid gegeben hast, Alert. Vielen lieben Dank«, lächelte ich gequält und hob den Wäschekorb auf.

Mit irritiertem Gesichtsausdruck blickte der Blonde mir hinterher, ehe er meine Entscheidung akzeptierte und wieder von der Veranda sprang.

Heichou-sama hatte jetzt anderes zu tun, als sich mit meiner Begrüßung auseinander zusetzen. Nicht nur das er Erwin den Bericht abliefern musste, sondern es mussten auch noch den Angehörigen gesagt werden, das es ihre Söhne, oder Männer nicht geschafft hatten. Meine Brust zog sich zusammen bei dem Gedanken, was wohl in Heichou-sama vorging.


*

Abgespannt wischte ich mir über die Stirn, und legte die Axt beiseite, ehe ich begann, die Holzscheitel in den Korb zulegen. Das leichte rascheln von Gras ließ mich aufschauen. Eine gefühlte Ewigkeit starrten Heichou-sama und ich uns nur an. Seine Haare waren wirr, wahrscheinlich hatte er sich mehr als nur einmal durch diese gefahren, weil er so müde, gereizt und einfach nur abgespannt war. Das tat er immer. Seine Augen waren noch dunkler als sonst. Ich wusste ja das er nur mit zwei Stunden Schlaf aus kam. Doch ich befürchtete stark, dass er diese Stunden vielleicht nur zweimal in den Tagen verteilt hatte.

Ohne ein Wort trat er näher zu mir und hob einige Holzscheitel, auf, die sich in seiner Nähe befanden. »Was machst du hier? Wieso macht das kein Rekrut?«, hakte er matt nach.

Ich senkte nur den Blick und lächelte, während ich den Korb auf meine Arme nahm. »Es ist schon in Ordnung. Ich mache das nicht zum ersten Mal«, entgegnete ich. Heichou-sama verengte die Augen und legte die Holzscheitel in den Korb. Schnell ging ich an ihm vorbei, zum Baderaum.

»Ihr müsst euch unglaublich dreckig fühlen. Deshalb dachte ich, ich bereite euch das Badewasser vor«, merkte ich noch an und blickte über meine Schulter zu ihm herüber. »Willkommen zurück, Heichou-sama«, lächelte ich warmherzig. Seine Miene blieb unverändert und er brummte nur zur Antwort.

Eine unangenehme Stille lag zwischen uns, während ich Heichou-sama nach dem Bad Tee in seine Tasse einschenkte. Natürlich hatte ich seine Ausrüstung und Kleidung in der Zeit, wo er badete schon ordentlich und sauber weggeräumt und ihm neue Kleidung bereitgelegt. Hörbar atmete er tief ein, als er sich an den Tisch setzte und den Inhalt der Tasse musterte.

»Schwarztee tut eurem Gemüt jetzt nicht gut. Deshalb habe ich Kamille aufgesetzt. Ich hoffe, es ist euch dennoch recht«, erklärte ich beiläufig und war schon im Begriff, die Küche zu verlassen.

»Elisabeth, wie lange bist du jetzt schon bei uns?«, durchdrang seine raue Stimme den Raum.

Mit einer schwungvollen Bewegung wandte ich mich zu ihm. »Ein halbes Jahr.«

Heichou-sama schloss die Augen und massierte sich die Schläfe. »Warum bist du immer noch hier? Warum versuchst du nicht endlich ein normales Leben zuführen, so wie Erwin es im Sinn hatte? Warum tust du dir jeden Tag immer wieder die traurigen und verzweifelten Gesichter der Menschen in diesem Gebäude an?«

»Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie jeder andere hier, Heichou-sama. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, die Menschheit weiter zuführen. Und wenn dies bedeutet, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun kann, um den Leuten hier, mit kleinen Gesten oder Aufmerksamkeiten kurz ein Lächeln ins Gesicht zurückbringen kann, dann ist dies wohl meine Aufgabe. Die ich selbst gewählt habe.«

»Auch wenn dir bewusst ist, dass dieser Moment vergänglich ist?«

Mit leisen Schritten ging ich wieder zum Tisch herüber und goss neuen Tee in seine Tasse. »Ja. Auch wenn dieser Moment vergänglich ist, Heichou-sama.«

»Hör endlich auf, mich so zu nennen, Elisabeth! Nenn mich einfach Levi, wie jeder andere auch!«

»Es … es tut mir leid. Ich lasse euch jetzt lieber alleine. Solltet Ihr aber noch etwas brauchen -«

»Ich brauche nichts!«, erhob er plötzlich so hart seine Stimme, dass ich kurz zusammen zuckte. Heichou-sama flechtete die Finger ineinander und lehnte seine Stirn gegen diese. »Ich brauche nichts …«, wiederholte er leise und biss sich auf die Unterlippe.

Meine Kehle zog sich zusammen bei dem Anblick. Behutsam, fast zaghaft legte ich meine Hand auf seine Schulter. »Ihr solltet schlafen, Heichou-sama«, flüsterte ich ihm sanft zu. Seine Linke legte sich auf meine Hand und er atmete angestrengt aus.

»Du hast recht«, gab er rau zurück und erhob sich müde. Augenblicklich begann ich die Kanne und die Tasse wegzuräumen.

»Euer Zimmer ist schon vorbereitet.« Mit einem vielsagenden Blick fixierten mich seine grauen Augen, und ich wusste genau, was er sagen wollte. Das lag vermutlich an die Zeit, die wir schon miteinander verbracht hatten. »Ich werde selbstverständlich die Petroleumlampe vorbereiten, Heichou-sama. Ich werde sie dann nach bringen«, fügte ich leise hinzu.

Seine Augen wanderten von mir herüber in die Flamme der Kerze, die auf dem Tisch stand. »Ich kann warten«, murmelte er gedankenverloren.

Ich wusste genau, sein weniger Schlaf rührte nicht nur daher, dass er es gewohnt war. Wie sehr verfolgten ihn seine tiefsten Gedanken im Schlaf? Ich selber konnte es mir nur ansatzweise vorstellen. Und dass ich nichts dagegen unternehmen konnte, schnürte mir die Brust zu.

Ich räumte das Geschirr weg und bereitete die Lampe vor, ehe ich sie Heichou-sama weiter reichte. Ohne einen weiteren Wortwechsel verließen wir die Küche und schritten den Gang entlang. Mein Zimmer befand sich auf der selber Etage, nur ganz am Ende des Flures.

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