Kapitel 3
Levi
Eine Hand fuchtelte wild vor meinem Gesicht hin und her. »Hey! Shorty, alles klar?! Hast du alles aufgezeichnet?!« Ich blinzelte paar mal, und übergab Vierauge ohne ein Wort den Notizblock, indem ich Erens Fortschritte in seiner Titanenform notiert hatte. Natürlich war dieser vollkommen erschöpft, weil Vierauge ihm mal wieder zu viel abverlangt hatte. Von dem kleinen Bergvorsprung konnte ich erkennen, wie Elisabeth etwas besorgt am Rand stand. Anscheinend wollte sie uns etwas zutrinken bringen, doch nun stand sie einfach nur überfordert da und sah Mikasa und Armin nach, wie sie Eren stützend zum Hauptquartier zurückbrachten.
Was hatte sie hier zu suchen? Ihre guten Absichten in allen Ehren, aber für sie war es hier viel zu gefährlich. Man konnte nie wissen, ob und wann Eren in seiner Titanengestalt außer Kontrolle geraten könnte.
Hanji trat zu Elisabeth, und anhand ihrer wirren Gestikulation hoffte ich Vierauge machte ihr auch gerade die Gefahr klar. Doch wie ich sie kannte, war sie wohl in der leisen Hoffnung, Elisabeth würde ihr wieder bei ihren Experimenten behilflich sein. Eine Weile beobachtete ich Elisabeth Reaktion. Wie sie überfordert ihr Haar hinters Ohr strich. Anscheinend dachte sie gerade nach, denn sie schürzte gerade die Lippen. Mit einem schiefen Lächeln reagierte sie auf Hanjis Worte, bis die beiden zu mir hochsahen, und Vierauge mich zu ihnen winkte.
Mein Körper spannte sich für wenige Sekunden an, ehe ich zu ihnen herunterflog. »Was willst du, Vierauge?!«, knurrte ich, und spürte Elisabeth Blick auf mir. Seit diesem Vorfall am Abend in der Küche, vermied ich es ehrlich gesagt in ihrer Nähe zu sein. Ich wusste selbst nicht einmal warum. Ihre Worte hatten mich nicht gekränkt. Es war viel mehr die Tatsache, dass sie mir so zu nahe gekommen war. Mit solch einer Art von menschlicher Nähe konnte ich nicht umgehen.
»Ach eigentlich nichts. Wolltest du ewig da oben bleiben?«, grinste Vierauge unbeirrt. Ich rollte innerlich mit den Augen, und wir setzten uns in Bewegung. Während wir den Weg zum Hauptquartier zurückgingen, blätterte Hanji vollkommen vertieft in dem Notizbuch und murmelte etwas vor sich hin. Ich und Elisabeth gingen schweigend neben ihr her.
»Unterlass solche Aktionen das nächste Mal!«, murmelte ich ernst zu Elisabeth.
Diese sah mit großen Augen vom Boden zu mir auf und kam näher. »Entschuldige bitte, ich habe dich nicht ganz verstanden«, merkte sie peinlich, berührt an und schob eine ihrer Haarsträhnen zurück. Automatisch blieb ich abrupt stehen, um so Abstand zwischen uns zu gewinnen.
Ich verzog die Mundwinkel und ging dann mit schnellen Schritten weiter. »Das nächste Mal lässt du solch eine Aktion bleiben! Es ist gefährlich und anders als auf dem Trainingsplatz!«, zischte ich, als ich an ihr vorbeiging. Es kam mir gerade gelegen, dass ich Vierauge am Kragen packen musste, da sie sonst gegen einen Baum gelaufen wär. Als wäre nichts gewesen, ging sie wieder den Weg entlang und war immer noch vollkommen in Gedanken bei dem Notizbuch.
»Hanji du solltest vielleicht doch besser nach vorne schauen!«, merkte Elisabeth freundlich ermahnend an und schloss zu uns beiden auf.
Wieder kam sie mir für meine Verhältnisse viel zu nahe! Was war denn nur los mit mir? Es war doch nicht das erste Mal, dass sie in meiner Nähe war.
Wieso kam es mir seid jenem Abend so vor, als würde Elisabeth mir einfach wieder so zu nahe kommen?
Völlig überrascht blickte Vierauge auf und kicherte, ehe sie endlich das Notizbuch wegpackte. Ich hingegen war einfach nur genervt und wollte den Bericht so schnell wie möglich zu Erwin bringen. Außerdem hatte ich dann Elisabeth nicht mehr so in meiner Nähe. Obwohl mich ihre Nähe eigentlich immer beruhigt hatte. Sie schaffte es, mit wenigen Worten mein Gemüt runterzubringen. Doch nun war sie diejenige, die es aufwühlte.
Vielleicht hatten ihre Worte doch etwas in mir getroffen? Ich konnte es absolut nicht benennen.
*
Abgespannt ging ich noch ein letztes Mal durch die Gänge des Hauptquartiers. Seit geraumer Zeit gab es immer mehr Rekruten, die paarweise irgendwo verteilt waren und die Hirngespinste aus Liebesromanen nachstellten. Sicherlich war es ihnen nicht verboten ihren privaten Angelegenheiten nach zugehen, doch wenn ihre Aufmerksamkeit darunter litt, weil sie nicht genügend Energie durch Schlafmangel hatten, musste ich das wohl oder übel unterbinden. Auch wenn sich ihre Haltung mir gegenüber dann wenig änderte. Jedoch verlief mein Rundgang ohne solche Vorkommnisse. Lediglich Braus sah ich, wie sie wieder mit irgendwas Essbaren um die Ecke huschte.
Zugegeben, sie konnte sich wirklich flink bewegen, wenn es darum ging nicht erwischt zu werden. Ich seufzte tief und tat diesmal so, als hätte ich nichts gesehen. Bis mir die Stimme der alten Küchenmagd entgegenschlug. Augenblicklich drehte ich mich um.
Die alte Frau kam mit hektischem Atem zum Stillstand. »Dieses Mädchen ist wie eine Katze! Das ist jetzt schon das dritte Mal!«, zeterte sie und wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab. Erst jetzt schien sie mich zu bemerken. Kurz verbeugte sie sich leicht. »Hauptgefreiter. Üblicher Rundgang?«, merkte sie lächelnd an. »Ihr wollt doch bestimmt einen Tee zu Euch nehmen, nicht wahr?«
Meine Brauen schoben sich kurz zusammen, ehe ich den Kopf schüttelte. »Nein. Heute nicht. Ich bin mit meinem Rundgang fertig. Ihr solltet auch Zeit bald zu Bett gehen«, murmelte ich tonlos und schritt weiter in den Flur, Richtung meines Zimmers. Die Alte wollte wohl etwas erwidern, aber stoppte als ich um die Ecke gebogen war.
Das Öffnen einer Tür ließ mich aufsehen, und zeitgleich spannte sich mein Körper für eine Sekunde an. Das Hauptquartier war so groß und dennoch kam es mir so vor, als würde ich Elisabeth andauernd über den Weg laufen! War das schon immer so gewesen, oder bemerkte ich es jetzt erst, richtig?
Mit zwei frisch zusammen gefalteten Hemden verließ sie den Raum. Langsam drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. »Oh, Levi, das trifft sich gut. Ich wollte dir gerade die Hemden vorbeibringen«, lächelte sie warmherzig wie immer und trat näher.
Ich schaute kurz zur Seite und nahm ihr die Hemden ab. »Ich sagte dir doch schonmal, dass ich das selbst mache!«, zischte ich gereizter als ich eigentlich wollte.
Doch Elisabeths Lächeln verflog kein Stück. »Nimm diese Geste doch einfach an. Und verschwende keinen Gedanken an so etwas beiläufiges. Oder gefällt es dir nicht, wie ich die Wäsche behandle? Ich kann es auch anders ma -«
»Hör auf, mir irgendwelche Gefallen zu tun, die andere missverstehen könnten, Elisabeth!«, knurrte ich.
Wieso war ich plötzlich so gereizt? Am Vormittag war mir ihre Nähe noch unangenehm, und nun schnauzte ich sie an. Dabei wusste ich doch, wie sehr ihr diese Gefallen dabei halfen, uns das Leben etwas einfacher zu machen.
»Es … tut mir leid«, flüsterte sie und ihr Lächeln verschwand. »Du bist mir böse, wegen meiner unbedachten Worte gestern Nacht. Bitte verzeih! Ich sprach, ohne nachzudenken. Der Stolz eines Mannes ist sehr leicht zu kippen. Das ist mir bewusst.«
Ich atmete tief ein und sah Elisabeth in die Augen. In ihnen war wirklich der Glanz von Demut und Verzeihung. »Schon gut. Es sind nicht deine Worte. Wahrscheinlich macht sich der Stress auch bei mir bemerkbar, und ich lasse es an dir aus. Tut mir leid«, murmelte ich ernst.
Ungläubig blickte mich Elisabeth an, bis sie anfing zu schmunzeln. »Selbst jetzt bist du so steif! Du musst jetzt keine Haltung mehr wahren, Levi. Nicht vor mir. Ich … mag jeden Zug an dir«, flüsterte sie leise.
Ich hob eine Braue. »Das denke ich eher weniger. Es ist spät. Du solltest nun auch langsam zu Bett geh -«
»D-Doch! Ich meine das ernst! Ich … schätze dich. Sehr sogar. A-Aber nicht anhand deiner Leistungen. Ich bin nicht so oberflächlich. Vielleicht habe ich gestern einfach die falschen Worte gewählt. Aber … ich schätze dich als Mensch. Anhand deines Charakters und deinem Verhalten gegenüber deinen Mitmenschen. Jedes Mal hast du diesen Ausdruck in den Augen, wenn ihr zu einer neuen Expedition aufbrecht. Der Ausdruck von Ungewissheit, wie viele deiner Kameraden diesmal wohl zurückkehren werden. Wenn man dich genau beobachtet, kann man jedes Mal sehen, wie du innerlich schreist vor Schmerzen und Trauer.«
Fassungslos starrte ich Elisabeth an und biss die Zähne zusammen. Wie genau beobachtete sie mich? Die Gefühle, die ich sogar vor mir selbst verschließen wollte …
All diese Gefühle benannte diese Frau in einem Satz. Zögerlich kam Elisabeth noch näher und legte sanft ihre Hand auf meinen Unterarm. »Bitte … Levi … teile deine Empfindungen mit mir. Ich höre dir zu«, flüsterte sie ruhig.
Aus einem unbestimmten Grund nahm ich ihren Duft nun, viel intensiver wahr als zuvor. »Was willst du hören?«, brummte ich aufgebracht und versuchte um Kontrolle zu ringen. »Dass ich verletzlich bin?!«, fuhr ich fort und packte ihre Handgelenke. Vollkommen überrascht blickte mich Elisabeth mit großen Augen an, als ich sie an die Wand drängte. »Dass ich jedes Mal Angst habe, wie eine Expedition endet?! Dass ich mir jedes Mal die Frage stelle, ob es das wert war?!« Außer Atem sah ich sie an und ließ ihre Gelenke los.
Vorsichtig legte sie ihre Hand auf meine Wange. »Wenn es dich befreit, dies auszusprechen …«, flüsterte sie sanft. Ich schloss die Augen. Mein Kopf fühlte sich so unglaublich schwer an. Ich atmete tief durch, als ich meine Stirn gegen ihre Halsbeuge lehnte. Sanft umfassten Elisabeth Arme meine Schultern. »Es ist nicht falsch solche Gefühle zu haben, oder auszusprechen«, nuschelte sie ruhig.
Ich biss mir auf die Unterlippe und meine Hände umfassten zögerlich ihre Taille. »Ich weiß selbst nicht einmal, was ich hier tue …«, hauchte ich rau und spürte ihre weiblichen Kurven unter meinen Fingerspitzen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top