Kapitel 2
Elisabeth
Es waren nun schon zwei Tage vergangen, seitdem Heichou-sama und die anderen von der Expedition zurückgekehrt waren. Nach wie vor lag eine bedrückte Stimmung zwischen den Rekruten des Aufklärungstrupps. Unter den Bürgern konnte ich immer wieder Unmut feststellen, wenn ich auf dem Markt war, um einige Einkäufe zu erledigen. Sie hatten leicht reden. Den meisten kam es erst gar nicht in den Sinn, ihr Leben für die Freiheit zu riskieren. Niemand konnte sich im Entferntesten vorstellen, was diese Männer und Frauen überhaupt leisteten!
Mit dem Korb voller Gemüse ging ich den schmalen Weg, nahe dem Trainingsplatz entlang und beobachtete die Rekruten dabei, wie sie Nahkampf-Übungen absolvierten. Der heutige Tag war irgendwie besonders heiß und drückend. Vielleicht sollte ich einige nasse Handtücher vorbereiten, damit sie sich ein wenig abkühlen konnten. Mit diesem Vorhaben beschloss ich auch den Ställen einen Besuch mit den Gemüseabfällen abzustatten. Auch die Pferde leisteten viel.
»Du kannst echt Gedanken lesen!«, strahlte Jäger mich an und legte sich ein nasses Handtuch um den Nacken und ergriff den Wasserbeutel aus dem Korb, den ich bereitgestellt hatte.
»Du … du hättest etwas sagen sollen, dann hätten wir dir beim Tragen geholfen, Elisabeth!«, warf Alert ein.
Ich lächelte nur, als ich den kleinen Korb mit den Gemüseabfällen auf meine Arme nahm. »Schon gut. Bitte übertreibt es nicht. Ich will nicht, dass ihr zusammenbrecht«, entgegnete ich und machte mich auf den Weg zu den Ställen. Einige Pferde wirrten schon, als sie mich von weitem sahen. Sie kannten es schon, dass ich ihnen ab und zu etwas Leckeres für zwischendurch gab. Mit einem warmen Lächeln betrat ich die Stallung und begrüßte die Pferde, die sich dort befanden, während ich sie sanft streichelte und jeden einzelnen etwas aus dem Korb gab.
Wie zu erwarten, begrüßte mich der schwarze Hengst am freudigsten. Mit einem leichten Schnauben drückte er sanft seine Schnauze gegen meine Halsbeuge und zupfte mit den Lippen etwas an meinen losen Haarsträhnen. Die meisten Namen der Pferde kannte ich nicht. Auch bei dem Hengst war es nicht anders. Ich wusste auch nicht, welches Pferd welcher Person beim Trupp zugeordnet war. Doch dies war auch nicht wichtig.
Ich lachte leise auf, als der schwarze Hengst mit seinen Lippen an dem Halssaum meines Kleides zupfte. »Hey! Das schmeckt doch nicht! Hier!«, schmunzelte ich amüsiert und hielt ihm ein Stück Karotte hin.
»Du kümmerst dich wohl um alle Lebewesen, was?« Etwas überrascht drehte ich mich zur Seite. Mit abgespannten Gesichtsausdruck kam Heichou-sama in meine Richtung und wischte sich mit einem der nassen Handtücher über den Nacken. Sein Hemd war leicht aufgeknöpft und sein Halstuch schaute aus der Hosentasche hervor.
»H-Heichou-sama …!«, hauchte ich überrumpelt und trat etwas zur Seite als er sich dem schwarzen Hengst näherte. Dieser drückte freudig seine Schnauze gegen den Kopf des Hauptgefreiten.
»Jetzt weiß ich endlich, woher du die Karotten hast …«, flüsterte Heichou-sama leise und strich sanft über die Stirn des Hengstes.
»Oh! D-das ist euer Pferd! Es tut mir leid, falls es -«
»Schon gut. Es kommt ja nun auch nicht sooft vor«, unterbrach mich Heichou-sama tonlos. »Normalerweise nimmt er nichts von anderen. Er ist Fremden sehr misstrauisch und distanziert.«
»Ach? Ist das so?«, murmelte ich und beobachtete das Bild, was sich vor mir ergab. Wie Heichou-sama zärtlich mit seinem Pferd umging, und es mit einem Ausdruck in den Augen bedachte, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Es hatte etwas Harmonisches, aber gleichzeitig auch etwas Einsames und Vergängliches.
Ich erschrak, als ich mich selbst dabei erwischte, wie ich den Hauptgefreiten anstarrte. Etwas verlegen wandte ich den Blick zur Seite und führte meinen Weg zu den restlichen Stallboxen fort.
*
Ich schloss den Topf und atmete erleichtert aus, als ich endlich für die Vorbereitungen für das Essen zum nächsten Tag fertig war.
»Kindchen, du musst mir nicht immer bis spät in die Nacht in der Küche helfen«, merkte die alte Küchenmagd Victoria an.
Wie sooft bedachte ich mein Gegenüber nur mit einem Lächeln. »Ich tue dies gerne.« Angestrengt klopfte sich Victoria auf den Rücken. »Sie können schon zu Bett gehen. Ich räume das alles schon auf«, entgegnete ich nach dem Knacken ihrer Gelenke.
»Du bist ein liebes Kind, Elisabeth! Dass du noch keinen Mann hast. Du bist fürsorglich, häuslich, nicht auf den Kopf gefallen und obendrein noch hübsch«, kicherte Victoria vielsagend. »Von deinem gebärfreudigen Becken ganz zu schweigen.«
»Hörn Sie doch auf! Sie machen mich ganz verlegen.«
»Gibt es denn einen Mann, dem du deine Liebe schenkst, Elisabeth?«
Ich hielt kurz inne und senkte den Blick. »I-Ich … weiß es nicht …«, hauchte ich leise.
Victoria legte verträumt ihre Rechte an die Wange. »Ach Göttchen, eine heimliche Liebe. Wie herzergreifend. Trau dich, Kindchen, sonst ist es zu spät«, entgegnete die Alte und klopfte sich auf den Rücken. »Arggh! Meine Knochen bringen mich um! Ich sollte mich wirklich zur Ruhe legen. Ist es wirklich in Ordnung, dass du dies alles alleine aufräumst?«
Ich nickte bestimmend. »Aber sicher doch! Gehen Sie ruhig zu Bett!«
Victoria lächelte warm und wandte sich zur Tür. »Oh! Guten Abend Hauptgefreiter!«, begrüßte sie Heichou-sama als sie die Tür öffnete. »Ich hoffe doch sehr, Sie naschen nicht schon vom morgigen Essen.«, feixte sie zwinkernd. Heichou-sama hob eine Braue und verzog die Mundwinkel, während Victoria kurz zu mir schaute und kicherte. »Oder an etwas anderem«, flüsterte sie und verließ die Küche. Mit einem abwertenden Brummen ging Heichou-sama zur Küchenzeile herüber und goss Wasser in den Kocher.
Ich musste etwas schmunzeln. »Das Training war heute anstrengend, nicht wahr? Ich habe Ihnen bereits eine Tasse Tee zubereitet«, erklärte ich und deutete auf die Tasse neben mir. Ohne sich, seine Unachtsamkeit anmerken zulassen, befreite Heichou-sama den Kocher vom Wasser, trocknete ihn ab und stellte ihn wieder zurück.
Ich kannte ihn einfach zu gut. Es war fast jede Nacht dasselbe. Wenn ich ihn nicht antraf, dann hatte ich meistens schon eine Kanne vorbereitet.
»Sie haben wieder nicht versucht wenigstens ein bisschen zu schlafen, oder?«, hakte ich vorsichtig nach und trocknete meine Hände an meiner Schürze ab, während er sich die Tasse nahm. Heute wirkte er wirklich abgespannter als sonst. Meine Brauen schoben sich besorgt nach oben. »Ist alles in Ordnung, Heichou-sama?« Der Hauptgefreite atmete schwer aus, als er sich setzte und die Tasse vor sich abstellte. Zögerlich trat ich näher an den Tisch. »Essen Sie überhaupt genügend?«, erkundigte ich mich weiter. »Ich könnte Ihnen etwas leichtes -«
»Nicht nötig!«, unterbrach er mich scharf und massierte sich den Nasenrücken, ehe er die Tasse am Rand erfasste und einen Schluck trank. Ich ließ trübe meinen Blick sinken und begann die Küche aufzuräumen. Eine seltsame Stille breitete sich im Raum aus, und nur das Geschirr gab Laute von sich, was ich weg räumte.
Vorsichtig ging ich danach wieder zum Tisch und stellte einen Teller mit geschälten Apfelstücken ab. Mit grimmigem Blick sah der Hauptgefreite auf. »Ich sagte doch nicht n -«
»Sie müssen ja auch nicht, wenn Sie nicht wollen!«, stichelte ich und schob den Teller mittig von uns, während ich mir ein Stück nahm. Für ein paar Sekunden schaute mich Heichou-sama irritiert an, bis sich seine Brauen wieder zusammen schoben, und er nachdenklich in den Inhalt seiner Tasse blickte. Und wieder legte sich eine undeutbare Stille in den Raum.
»Wissen Sie … Sie müssen nicht immer alles alleine auf Ihren Schultern tragen, Heichou-sama …«, durchbrach ich die Stille und schaute besorgt zu dem Schwarzhaarigen, dieser sah mit verengten Augen auf.
»Bitte?«
»Die Rekruten respektieren Sie sehr. Auch Sie wünschten sich mal einen anderen Ausdruck von Ihnen.«
»Tcch! Ist das so, ja?!«
Ich nickte vorsichtig. »Auch ich würde dies begrüßen«, flüsterte ich leise.
»Tcch! Tut mir leid, dass der stärkste Soldat der Menschheit kein Lächeln für seine Mitmenschen übrig hat«, kommentierte Heichou-sama bissig. »Wobei ich mir diesen schwachsinnigen Titel nicht selbst gab.«
»Nein. Er ist auch nicht passend«, entgegnete ich.
Die Augen des Hauptgefreiten weiteten sich für wenige Sekunden. »Was?!«
Sofort hob ich beruhigend die Hand. »Ähm … bitte verzeiht! Es ist nur … selbstverständlich ist eure Kraft auf dem Schlachtfeld unumstritten, Heichou-sama …«
»Tcch!«, der Schwarzhaarige schob seinen Stuhl quietschend zurück und erhob sich mit seiner Tasse. »Du denkst also auch nur das, was die Bevölkerung in mir sieht«, zischte er und ging zur Spüle.
Auch ich erhob mich langsam. »Heichou-sama so meinte ich das nicht. Ich -«
»Schon gut. Es ist normal, dass du auch so denkst. Der stärkste Soldat der Menschheit, für den es eine Ehre wäre, auf dem Schlachtfeld sein Leben zu verlieren.«
Mit zögerlichen Schritten trat ich näher zu ihm heran. »B-Bitte, Heichou-sama, hört mir doch zu!«, versuchte ich ihn zu beruhigen.
Der Hauptgefreite knurrte kehlig auf und schwang seinen Arm zur Seite, dabei krachte die Teetasse auf den Boden und zerbrach in kleine Stücke. »Hör endlich auf, mich so zu nennen!«, erhob er seinen Tonfall, und blickte auf die Scherben hinab, als würden diese seine Seele widerspiegeln.
Ich stieg über die Scherben herüber und legte meine Hand zaghaft auf die Wange des Hauptgefreiten. »Man mag euch zwar als den stärksten Soldaten der Menschheit bezeichnen, jedoch trifft dieser Titel nicht auf ihre wahre Persönlichkeit zu«, flüsterte ich. Irritiert sah Heichou-sama von den Scherben zu mir. »Sie sind einer der einfühlsamsten Personen, die ich kenne«, fuhr ich fort. Der Hauptgefreite verzog die Mundwinkel und drehte seinen Kopf etwas zur Seite, um sich meiner Hand zu entziehen. Sein Ausdruck sah überfordert aus. »Hei …«, ich stoppte meinen Satz, »Levi … es tut mir leid, falls ich dir zu nahe getreten bin.« Immer noch stand der Hauptgefreite einfach nur da und biss sich kurz auf die Unterlippe, während ich meine Hand zurückzog. »Es tut mir leid. Das war unbedacht von mir«, nuschelte ich trübe.
»Schon gut, Elisabeth«, murmelte er rau und drehte seinen Kopf langsam wieder zu mir. Immer noch lag ein überforderter Ausdruck in seinen Augen.
Mir entfloh ein leichtes Kichern. »Wenn ich nicht wüsste, dass du angewidert von dem eventuellen Schmutz an meiner Hand bist, könnte man denken, du bist von der Berührung einer Frau komplett überfordert.«
Erneut weiteten sich kurz seine Augen. »Tcch!« Noch bevor ich seinen Gesichtsausdruck als verlegen bezeichnen konnte, wandte er sich von mir weg und ging zum Besen in der Ecke herüber. Noch nie hatte ich so viele Gesichtsausdrücke binnen weniger Minuten bei Levi gesehen. Und diese Tatsache verwirrte mich gerade, aber ließ mein Herz auch gleichzeitig schneller schlagen.
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