XVI

Heute ist ein wundervoller Tag.
,, Ich bin zurück, Jihyun. " Mein Kishu Ddosun tänzelt aufgeregt auf mich zu.
Keine Antwort, stattdessen nur das leise Geräusch des Wassers im Hintergrund. Ich ziehe meine Jacke und Schuhe aus und stelle sie in ordentlich an ihren Platz.
Ein Blick auf die Uhr, ich bin spät. Sehr spät.

Ich mache mich auf in mein Zimmer, bis Papa kommt muss ich die schulische Arbeiten in jedem Fall beendet haben. Ich weiß, dass ich eigentlich mehr lernen sollte, aber ich schaffe es einfach nicht.

Ich bin Durchschnitt, aber unteres drittel.
Den Sprung in das mittlere Drittel wäre mit sehr viel Arbeit und einem sehr großen Zeitaufwand verbunden.
Ich schaffe dieses Pensum nicht und ich will es nicht einmal schaffen.

Ab dem mittleren Drittel lernen die Schüler mindestens bis neun Uhr oder mehr. Davon geschätzt vielleicht eine halbe Stunde Pause zum Essen oder Toilette gehen.

Die Tür meines Schlafzimmers fällt hinter mir ins Schloss. Das Fenster ist offen. Keine Sekunde später kommt mir ein Luftzug entgegen. Blätter werden aufgewirbelt, landen nach einem kurzen Auschwung allerdings schnell wieder auf dem Boden.
Hastig durchquere ich das Zimmer.

,, Verdammt ", fluche ich, als ich beginne das Zettelchaos zu beseitigen. Hauptsächlich sind es Arbeitsblätter von Jihyun, Notitzen und... Briefe?
Für Papa, für Mama... Für Jimin?
Ich habe ein mieses Gefühl. Ein ganz, ganz mieses Gefühl.

Als Stapel stelle ich die Papiere auf den Schreibtisch meines Bruders. Für Jimin.
Für Jimin. Für Jimin. Für Jimin.
Ich kriege diese zwei Worte nicht aus meinem Kopf. Es kann nur zwei Gründe geben, warum er mir einen Brief widmet. Beide Optionen gefallen mir nicht. Die eine sogar weniger als die andere. Meine Hände jucken.

Ich muss ihn lesen. Dieser Brief gehört dir nicht. Du darfst ihn nicht lesen.
Aber er ist doch sowieso an mich addressiert! Ich ringe mit mir selbst. Moral gegen Verlangen. Verlangen gegen Moral.

Mein Kopf ist blockiert, meine Hände greifen nach einer gefühlten Ewigkeit nach dem Stück Papier mit meinem Namen drauf.
Ich halte es nicht mehr aus. ,, Es tut mir leid, Jihyun ", flüstere ich schuldig und beginne die Sätze ängstlich zu lesen.

Ich habe Angst, dass , wenn du das hier liest, du mich hassen wirst.
Aber ich muss ehrlich zu dir sein; Ich muss es dir sagen. Du hast verdient zu wissen, warum ich das getan habe.
Ich bin bis auf die Knochen erschöpft. Jeder meiner Muskel schmerzt. Jede Faser lechzt nach Freiheit. Ich habe versucht die Messerstiche tapfer zu ertragen.

Allerdings waren es zu viele. Für mich, für meinen Körper. Für meinen Kopf. Ich habe den Schmerz satt, ich will doch nur aufhören zu leiden!

Das ist wohl der Grund warum ich Tabletten dem Springen oder dem Strick bevorzugt habe, selbst wenn es nur ein kurzer Schmerz im Vergleich zu dem letzten Jahr wäre.

Erlösung.

Meine Erlösung, vielleicht hat der Schmerz doch etwas Gutes. Ich habe realisiert, dass kämpfen aussichtslos ist. Die Armee der unsichtbaren Ritter konnten meinen Schutzwall durchbrechen. Sie haben meine Burg erobert.
Es tut mir leid. Ich bin gefallen. Gefallen in das tiefe Loch der Gefühlslosigkeit. Vielleicht ist das doch nicht so schlecht, wie es sich anhört...

Ich hab dich lieb, großer Bruder, danke für alles, was du für mich getan hast. Ich weiß das sehr zu schätzen.
Es tut mir leid, ich hoffe du kannst mir verzeihen.

- Park J.

Ich stehe wie versteinert da. Der dicke Knoten in meinem Kopf ist einer gähnenden Leere gewichen. Sämtliche Gefühle verschwunden. Sämtliche Gedanken in Luft ausgelöst.

Ich bin unfähig dieses Stück Papier auch nur anzusehen. Geschweige denn es weiterhin in meinen Händen zu halten. Hilflos schaue ich dem Blatt zu wie es langsam zu Boden sinkt.
Jemand muss an der Uhr gedreht haben.

So langsam ist das normalerweise nicht. Aber was ist normal? Jegliches Gefühl für Zeit und Raum ist mir abhandenbekommen. Der Moment fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Eine Ewigkeit für einen kurzen Moment.

,, Jimin?" , ich zucke zusammen. Wortlos drehe ich mich um. Jihyun, mit nassen Haaren, einem weißen T-shirt und einer bequem aussehenden Schlabberhose. Feine weiße und rote Striche zieren seine Arme. 
Seine Augen mustern mich irritiert.
,, Was ist...?" , sein Blick fällt auf den Brief, der für mich bestimmt gewesen ist.

,, Jihyun ", meine Stimme spiegelt genau meinen geistigen Zustand wieder. Gebrochen.
,, Du hast ihn gelesen", stellt er nüchtern fest. Seine Körperhaltung verhärtet sich augenblicklich. Genauso seine Augen.
,, Warum?" 
,, Du weißt ganz genau warum. " , er verschränkt seine Arme. 
,, Nein, ich weiß nicht warum. Warum kämpfst du nicht?", der bereits mit Rissen versehene Staudamm bricht.

Das Meer meiner Gefühle ist zu stark. ,, WARUM WILLST DU DICH UMBRINGEN? MAMA MUSSTE IHRES GEBEN UND DU SCHMEISST ES EINFACH WEG. SCHÄMST DU DICH NICHT?!" Die Sekunde, in der diese Worte meinen Mund verlassen, bereue ich sie bereits.
Ich wollte dich nicht verletzen, Jihyun. Es tut mir leid.

Einen Moment starrt er mich mit offenem Mund an, einen Moment habe ich ihn sprachlos erlebt. Aber nur einen Moment... Im nächsten spüre ich einen stechenden Druck auf mir. Meine Beine halten das Gewicht nicht aus. Ich falle zu Boden. Meine Wirbelsäule beginnt keine Sekunde später zu brennen. Sterne tanzen vor meinen Augen Foxtrott. Gewicht auf mir. 

,, DU VERSTEHST ES EINFACH NICHT." Meine Sinne sind noch immer betäubt von dem plötzlichen Sturz.  Die Stimme meines Bruders dröhnt verzerrt in meinem rauschenden Ohr. 

,, ICH HABE GEKÄMPFT. " Wasser tropft auf mein Gesicht. ,, ICH HAB VERSUCHT GLÜCKLICH ZU SEIN ...  GLAUBST DU ICH WILL NICHT GLÜCKLICH SEIN? ... Glaubst du ... i-ich habe es mir ausgesucht so zu sein? Ich will so gar nicht sein.

Die Stimmen in meinem Kopf sind wie Jäger. Sie schießen jeden Funken Glück aus mir heraus, stopfen ihn aus und lassen eine leere Hülle zurück.

Ich liege stundenlang in meinem Bett, weinend. Ich habe Angst zu schlafen, denn ich weiß das Albträume mich sowieso wieder wecken werden und es mir danach noch dreckiger gehen wird als davor.

Ich habe keine Kraft mehr mein Bett zu verlassen, um irgendetwas zu tun. Verdammt, ich hasse mich selbst so sehr dafür. Ich bin schwach. Ich bin kein Kämpfer. 

Ich habe genug. Ich ... Ich kann nicht mehr. Den einzigen Weg Freude zu verspüren ist nicht mehr hier zu sein. 

Gönnst du mir nicht glücklich zu sein?
Mein Körper ist ein Schlachtfeld.
Mein Kopf die reinste Hölle. So viel Schmerz, meine Seele kann das nicht mehr ertragen. Der einzige Weg aus, ist gar nichts mehr zu fühlen. ''

,, H-Hast du keine Angst zu ... Ster - sterben ?", krächze ich mit Tränen in den Augen.
Seine Hände greifen zitternd nach dem Stoff meines Oberteils. 
,, Ich habe sehr große Angst zu sterben, Jimin, aber ich habe auch enorme Angst zu leben ... 
Meine Angst zu leben ist größer als die, zu sterben. " 

,,Jeder hat vor irgendetwas Angst, Jihyun ... Ich habe Angst davor ein schlechter Bruder zu sein, einen Fehler zu machen, verdammt ich habe Angst vor Schmetterlingen wegen dir! In unserem Leben treffen wir auf viele Ängste,
wir dürfen uns nicht von ihnen unterkriegen lassen.  " 

Der Klos in meinem Hals erschwert das Atmen, dazu kommt noch die nicht gerade fördernde Tatsache, dass mein eigener Bruder sich umbringen will. Ein- und Ausatmen.
Keine Panik. Ein - und Ausatmen. Keine Panik. 

,, Warum verstehst du mich nicht?" Der Griff um meinen Kragen verstärkt sich. 

,, Meine Seele ist tot. Mein Leben ist zerstört. Ich will nicht mehr leben. Ich halte es nicht mehr aus", mit seinem rechten Arm ließ er mich los, ,, Schau es dir an  "

Jihyun ließ mich keine Sekunde aus den Augen, selbst als er seinen Ärmel hochzieht. 
Entsetzen macht sich in mir breit. Gequält mustere ich seine entblößte Haut. Mir wird schlecht. 
Ich drehe meinen Kopf zu Seite, will dieser mentalen Folter nicht mehr ausgesetzt sein. 

Gnadenlos greift die linke Hand meines Bruders nach mir, 
,, Schau hin. " 
,, Nein. " Mein Widerstand wird mit purer Kraft zerbrochen. Seit wann ist Jihyun so stark?
,, Lass mich los, Jihyun."
,, LASS MICH VERDAMMT NOCH MAL LOS."

Ich halte es nicht mehr aus. Mein Körper kann die Eindrücke nicht mehr verarbeiten. Meine Muskeln spielen verrückt. Mein Magen zieht sich zusammen. Ich übergebe mich.

Meine Worte müssen meinen kleinen Bruder so überrascht haben, dass er den Griff soweit gelockert hat, dass ich meinen Kopf zur Seite drehen konnte. 
Mein kompletter Mageninhalt verlässt meinen Körper. Appetitlich.

,, Jimin?! " Schwungvoll wird die Tür geöffnet, ,, Jihyun?" Besagter erstarrt.
,, Was zum Teufel ist hier los?" 
,, Warum bist du hier? Ich dachte du bist noch auf der Arbeit", mein Bruder wagt es nicht ihn anschauen.
 
,, Geh sofort runter von deinem Bruder, Jihyun! Steht auf, alle beide. Ist das Erbrochenes?" Weder er noch ich erwidern irgendetwas.

Still leisten wir den Aufforderungen unseres Vater folge. Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen.
,, Ist das Erbrochenes ?" , er verschränkt seine Arme. Papa schreit nicht. Niemals. Manchmal würde ich mir wünschen, dass er es tat. Dann weiß man zumindest, was in seinem Kopf vorgeht.

,, Ich stelle euch diese Frage nur noch ein einziges Mal", ich bekomme Gänsehaut, ,, Ist das Erbrochenes, ja oder nein?" 

,, Ja ", sagen Jihyun und ich zur gleichen Zeit. Ein kurzer Blick zur Seite reicht mir um Gewissheit zu haben. Er hat Angst, riesengroße Angst. So wie ich. 

Ich schreite nach vorne:
,, Es ist meine Schuld, Papa, mir wurde schlecht. Ich hab mich übergeben. Jihyun wollte mir helfen, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich mach das selbstverständlich gleich weg. "

Lüge. Lügen ist nicht gut, allerdings  muss ich es trotzdem.
Tut mir leid, Kant Immanuel, dein kategorischer Imperativ kann mir gestohlen bleiben. 

,, Jimin, du bist genauso wie deine Mutter..." seufzend schüttelt er den Kopf und dreht sich um,    ,, Ich hätte es dir fast abgekauft, das nächste Mal sollte Jihyun seinen Ärmel verdecken und keinem würde etwas auffallen. "

Ich schaue nach unten. Augenblicklich wird mir wieder schlecht. Ich halte meine rechte Hand vor den Mund. 
,, Pass auf Ddosun liegt vor dem Badezimmer", sagt mein Vater, während er einen Schritt zur Seite geht um mir Platz zu machen. Ich stürme aus dem Zimmer, keine Zeit um zu antworten. Er weiß ganz genau, dass ich kein Blut sehen kann. Scheiße. 

Die Tür zum Badezimmer ist geöffnet, meine Rettung. Ich spüre wie der ekelhafte Geschmack allmählich meine Speiseröhre hinaufkommt. Mit einem Sprung überbrücke ich das mir bereits bekannte Hindernis.

Der Hund döst weiterhin friedlich vor sich hin. 

Allmählich beginnen alle Eindrücke meinen Kopf zu überfluten. Keine Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Die einzige Abwehr, die in meinem Körper stattfindet ist eine weitere Fuhre meines Mageninhaltes, der meinem Körper mehr schadet als dass er mir irgendeine Art von Befriedigung verschafft, geschweige denn diese unsagbaren Bilder aus meinem Kopf verbannt. 

Die Salzsäure, die im Magen produziert wird, ist ätzend. Die Magenschleimhaut kommt damit zurecht beziehungsweise weiß sich zu schützen. Meine Luftröhre dagegen nicht. 

Scheiße verdammt. 
Ich fange an zu weinen. Ich fange an zu weinen wie ein kleines Baby. Was ist aus mir geworden? Was ist aus meinem Vater geworden? Was ist nur aus Jihyun geworden? 

Ich habe Angst, irgendeine eine höhere Gewalt erbarme dich unser, bitte lass unser Leid ein Ende haben. 

Wie viele Schüsse muss ich noch ertragen bis mein Leid ein Ende hat, Jimin? 
                                                                             Ich bin nicht aus Metall meine Haut ist weich, so weich, dass jeder Schuss sich problemlos durch meine Haut bohren kann.

Erinnerung nach Erinnerung, Ereignis nach Ereignis.

Psychische Erkrankungen sind ernstzunehmend. Erkrankte Personen sind leicht reizbar. 

Ich habe versucht Online eine Lösung zu finden oder zumindest jemandem dem es so ähnlich geht wie mir. Irgendjemand auf dieser verdammten Welt muss mir doch helfen können. 

An psychischen Störung leidende Personen sind keine Tiere, sie sind Menschen genauso wie jeder andere auch! Sie haben es sich nicht ausgesucht depressiv, essgestört oder schizophren zu sein.

Mein Freund hat eine PTBS, als Kind wurden ihm schlimme Dinge angetan unter anderem von seinen eigenen Eltern. Wie würdest du dich fühlen, wenn du von deinem eigenen Vater vergewaltigt wirst? Er wacht noch immer nachts schreiend und weinend auf. 

Das sind die Art von Schreie, die einem durch Mark und Bein gehen. Ich werde sie niemals vergessen. Ich kann sie niemals vergessen.

Ich habe versucht mich mit der Frau in Kontakt zu setzen, ihr meine Lage zu erklären. Erfolglos. Jeglicher Kontaktversuch meinerseits wurde abgeblockt. Sie will mir nicht helfen oder vielleicht kann sie es auch nicht. 

Vielleicht gibt es schlicht und ergreifend niemanden, der mir helfen kann...










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