XII

Ein nasser Tropfen trifft meinen Kopf. Erst einer, dann zwei, dann drei und dann noch einer.

Ich fluchte, da ich schlauerweise natürlich keinen Regenschirm mitgenommen habe. 
,, Tut mir leid, Ddosun", besagter schaut mich nur mit großen Augen an. 

Ich spüre wie meine Kleidung sich allmählich mit Wasser vollsaugte. Wir joggen weiter die Straße entlang, um einen Unterschlupf zu finden. Doch die rote Ampel macht uns einen Strich durch die Rechnung.

In Busan ist um diese Zeit die Hölle los. Alle fahren zurück nach Hause nach einem langen Arbeitstag. Ich seufze. Heute ist nicht mein Tag. So gar nicht. 

Das hat heute morgen schon angefangen, als ich Papas Lieblingstasse hab fallen lassen. Dann hätten Jihyun und ich fast den Bus verpasst, weil wir uns mal wieder in die Haare bekommen haben. Und zu guter Letzt war Jungkook heute aus unerklärlichen Gründen nicht dagewesen, was meine Laune komplett in den Keller hat fallen lassen. 

,, Weißt du ich habe gerade eine halbe Minute mit mir selbst gerungen, ob ich dich wirklich ansprechen soll. Dein Blick kann ziemlich eingeschüchternd sein, Jim. " 
Der Regen stoppt. Oder zumindest hört er auf, auf uns niederzuprasseln. Ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite. 

,, Jim? Dein Ernst, Kooks? " Aber ich kann mir ein Lächeln kaum verkneifen. 
,, Yes, my Lord. " , mit seiner rechten Hand fasst er sich an die linke Seite seines Brustkorbes und verbeugt sich leicht mit geschlossenen Augen. Diese Geste erinnert an einen Untertan. Einen Knecht oder einen Diener.

Tief in meinem Inneren macht es klack. Das muss einer der Anime sein, die Jungkook so sehr mag. Welcher ist es nur? Shingeki no Kyonjin? Nein, ein Titan würde das nicht sagen. Free! ? Nein, das ist nicht sowas.

Black Butler könnte gut hinkommen. Ich versuch es einfach auf gut Glück. 
,, Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Vertrag mit dir eingegangen zu sein" , erwidere ich gespielt kühl,

,, Meine Seele bekommst du nicht. " 
Seine Augen weiten sich. Meine Mundwinkel schossen verschmitzt in die Höhe. Dafür habe ich meinen kompletten Dienstagabend geopfert. Das war es sowas von wert!
,, Woher kennst du Black Butler? ", fragt er noch immer schockiert,
,, Ich dachte du magst keine Anime? "
 
Tue ich auch nicht, ich hab jedoch den ganzen Dienstagabend damit verbracht Anime zu googeln und mir kurze Ausschnitte davon anzuschauen, um dich zu beeindrucken.

,, Wirklich? " Jungkook grinste mich an. 
,, Was ? " 
,, Magst du mich wohl so sehr, dass du bereitwillig deinen Dienstagabend opferst, um mich zu beeindrucken? " 

So ein Mist. Ich wurde rot. Sehr rot. Röter als rot. Rotrot.  Das Grinsen auf seinem Gesicht wächst immer mehr. Wo ist der schüchterne Kookie hin? Bitte melde dich, ich halte es mit dem Jungen vor mir nicht aus. 

,, Mir war langweilig, okay? ", versuche ich mich kläglich zu verteidigen. Aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt. 
,, Wie du meinst, Jim. " 
,, Kooks? " 
,, Ja, Jim? " 
,, Danke. " 
Er lächelt mich herzlich an. Ich spüre wie mein Herz einen Schlag aussetzt und meine Knie weich werden. Gott, was macht dieser Junge nur mit meinem Körper?

Es ist nicht ,, normal " . Ich bin ein Junge, ich sollte so etwas einem anderen Jungen gegenüber empfinden. Aber ich kann nichts dafür. Mein Körper spielt von sich aus verrückt. Mama hat einst gesagt, dass Liebe sich nicht allein auf Geschlecht reduzieren lässt. Es passiert einfach. Ist das denn überhaupt Liebe, was ich empfinde oder ist es nur mein Körper, der es liebt mich zu verunsichern? Ich wende mich ab.

Der Regenschirm, den Jungkook über uns beide hält, ist gelb. Strahlend gelb, wie die Sonne. Er beschützt uns noch immer vor den dutzenden farblosen Regentropfen. Ich strecke meine Hand mit der Innenfläche nach oben aus. Keine Sekunde später fühle ich das vertraute Nass. 

Regen hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich, schon seit ich klein war.
Dieses Geräusch ist wie Musik in meinen Ohren und die Ansicht pures Glück für mein Auge. Die dunkele Farbe des Himmels habe ich nie als bedrohlich empfunden, sondern viel mehr als Einladung. Eine Einladung für das Konzert einer einzigartigen Symphonie. 

Ein Zusammenspiel von Himmel und Erde. Der Himmel schenkt der Erde viele kleine Noten, die diese in Noten übersetzt. Der dröhnende Donner ergänzt dieses Spiel wunderbar. 

,, Hat mein Bruder sich eigentlich bei dir entschuldigt? "
,, Wofür denn? " 
,, Für den Vorfall letztens in der Cafeteria. "
,, Achso, ehm ja, hat er getan. " 
,, Gut ", sage ich und drehe mich wieder zu ihm, ,, Ist Gureum eigentlich kastriert? "
,, Nein, warum ? " Mit einem Blick deute ich nach unten. Augenblicklich verstummt der Junge vor mir, sein Gesicht nimmt eine rötliche Färbung an. 

,, Meine Eltern haben mit dem Gedanken gespielt sie zu kastrieren, jetzt müssen sie denk ich fünf Monate warten. " Ein Lachen entweicht meiner Kehle, ich weiß nicht aber irgendwie finde ich diese Situation einfach nur urkomisch. 

,, Dir ist schon klar, dass ich Unterhalt verlangen werde aus Respekt an meine Tochter", sagt Jungkook mit der ernstesten Stimme, die man in solch einer Situation haben kann. 
Stell dir vor, ein paar Minuten nicht aufgepasst, weil du dich ausnahmsweise mit jemand anderem beschäftigst, als mit deinem Hund und schon schwängert der gleich die nächste Hündin, der er über den Weg läuft.

Im Park haben sie doch nur gespielt! Von: Lass uns zusammen im Park spielen zu: Lass uns Nachwuchs zeugen, geht mir eindeutig zu schnell. Ich wurde darauf nicht vorbereitet! 

,, Dir ist schon klar, dass ich euch jedes Wochenende besuchen werden, um nach den kleinen zu sehen, aus Respekt gegenüber meinem Sohn", feuere ich zurück. 
,, Fein", erwidert er.
,, Fein", äffe ich seine Worte in demselben Ton nach. 

Plötzlich verstummt die Symphonie; Ende der Vorstellung. Ohne den Applaus abzuwarten verlassen die Musiker die Bühne und machen Platz für den nächsten Akt. Die Sonne.

Beim Verlassen der Bühne greift die Sonne nach dem Himmel und zieht ihn zurück auf die Bühne. Eines der schönsten Zusammenspiele Mutter Naturs erscheint, ein Regenbogen. 
Ein strahlender Regenbogen. 

,, Sieh mal, Jim, ein Regenbogen ", Jungkook zeigt grinsend auf besagten Bogen am Himmel. 
Mein Blick folgt seinem ausgestrecktem Arm. 
,, Der ist ja deutlich zu erkennen. Wie schön. " Die Farben ergeben einen deutlichen Kontrast zu dem blassblauen Himmel. Wirklich ein Kunstwerk. 

Wie hypnotisiert betrachte ich die sieben Farben des Regenbogens, so dass ich Jungkooks Hand erst bemerke, als sie sanft nach meiner greift. 
Zögerlich treffen sich unsere Blicke. 
Ist das okay für dich, scheinen seine Augen mich zu fragen. 

Als Antwort verschränke ich unsere Finger und lächele ihn leicht an.
Er erwidert. Pure Freude fließt durch jede Ader meines Körpers. Gemeinsam genießen wir das Farbspiel, bis es allmählich zu verschwinden beginnt. Doch das stört mich nicht. Denn diesen Moment würde ich niemals vergessen. Er ist zu rein, zu unschuldig, zu wertvoll, um vergessen zu werden. 

,, Kooks, wie sehr ich es auch hasse, diesen Moment zu zerstören, aber ich müsste langsam wieder nach Hause, er kommt heute früher und da wollten Jihyun und ich ihm eine kleine Freude machen. " Ein Seufzer meinerseits. Am Liebsten würde ich diesen Moment niemals enden lassen. Allerdings geht das in dieser Welt nicht. Verdammt!

,, Verstehe, dann müssen wir wohl vorerst Abschied voneinander nehmen, Chim... Lebe wohl. " Er lässt meine Hand los, um sich dramatisch durch die Haare zu fahren, während er sich von mir abwendet und zur Seite schaut.
,, Kookie, wir sehen uns morgen in der Schule wieder, du musst jetzt keine Show abziehen. Wir sind in keinem Anime, geschweige denn Buch... " , kläre ich ihn lachend auf. 
,, Du hast gerade die vierte Wand gebrochen, Chim chim, wir sind alle willenlose Charaktere in einem Buch, erschaffen von einem unbekannten Schöpfer..."

Stille. Meint er das Ernst? Seine Stimmlage lässt zumindest darauf schließen. 
,, Was redest du da? Du hattest anscheinend zu viel Luft, Kooks. "
,,  Wie dem auch sei, ich begleite dich noch bis nach Hause. Ich hab sowieso nichts mehr vor außer lernen. " Er zuckt mit der Schulter, der Griff des gelben Regenschirms auf seiner Schulter.

,, Meinetwegen, pack allerdings davor den Regenschirm weg, bevor du dir ein Auge damit rauspikst, Jungkookie", sage ich streng, setze mich trotzdem in Bewegung. Er läuft mir hinterher.

,, Bist du meine Mutter, Ji-chan? " Er lächelt mich an. 
,, Ich geb dir gleich Ji-chan,
Jungkook. " 
Der jüngere runzelt die Stirn: ,, Weißt du, wenn du schon nach Anime googelst, dann auch bitte nach den richtigen. Wie kannst du diese Haikyuu Anspielung so dreist ignorieren? " 

,, Hai...Was ? " 
,, Das tat weh, sehr weh sogar. Wie kannst du Haikyuu nicht kennen, Chim? Du hast echt was verpasst, sowohl Anime als auch Manga. " Er schüttelt den Kopf, ,, Aber es besteht noch Hoffnung, denn jetzt hast du ja mich. "

,, Ja, es besteht noch Hoffnung", wiederhole ich seine Worte nachdenklich. Es besteht noch Hoffnung.
,, Selbst wenn wir uns nicht sicher sind, dass der Sieg auf unserer Seite ist, selbst wenn andere behaupten, dass wir keine Chance haben. Dann, genau dann, dürfen wir uns das selbst nicht sagen*, Jim. Die Zukunft gehört denen die an die Schönheit ihrer Träume glauben.* Du schaust voran, ich bin hier und halte dir den Rücken frei. " 

Aufmunternd reicht er mir seine Hand. Jungkooks Worte berühren mich, tief in meinem Herzen beginnt der Mut und die Zuversicht meinen kompletten Körper einzunehmen. Das sind die schönsten Worte, die ich seit langem gehört habe. Ich bin sprachlos. Doch ohne lange zu zögern ergreife ich seine Hand, akzeptiere somit sein Angebot. 

Halt mir den Rücken frei, während ich nach vorne schaue. 

Doch das heißt nicht, dass nur ich alleine einen neuen Abschnitt beginnen werde. Selbstverständlich ziehe ich diesen Trottel mit mir. Wir werden gemeinsam, Seite an Seite , kämpfen. Versprochen, Jungkookie, du wirst mich nicht mehr los. 
,, Gemeinsam? ", ich löse den Griff und biete ihm stattdessen meinen kleinen Finger an. 

,, Gemeinsam", erwidert er lächelnd, sein Finger in meinem verhakt , ,, dein kleiner Finger ist nebenbei echt putzig. " 

,, Lieber kleine Hände, statt große Yaoi Hände, so wie du. "
Seine Augen wurden riesengroß, fast so wie seine Hände: ,, Was?! " 
,, Was?" 

,, Woher weißt du was Yaoi ist, Chim chim?! " Er mustert mich sowohl eindringlich als auch ängstlich.
,, Ich hab Black Butler im Internet gesucht und unter den Wiki-Einträgen, wurde mir eine Diskussion vorgeschlagen, in der diskutiert wurde, warum der Autor die Geschichte zu einem Yaoi machen wollte. Irgendeiner hat dann geschrieben, dass Sebastian ohnehin die perfekten Yaoi Hände hätte, weil sie so groß sind und hinter dem Satz kam dann lolololololol. ''

Ich zucke mit den Schultern. Die altbekannte Kreuzung befindet sich direkt vor uns. 
Dieses Mal trennen sich unsere Wege jedoch nicht. Er folgt mir. 
,, Es ist herzergreifend, dass du das getan hast, um mir eine Freude zu bereiten. Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen und eh... Danke für das Kompliment? ''

Ich lächele ihn an. 
Manchmal erkenne ich noch den schüchternen Jungen in ihm. Diese Momente freuen mich am meisten, da ich erkenne, dass er noch immer derselbe Jungkook ist.

Der, der mir mit einem Satz und einer einzigen Geste so unglaublich viel geholfen hat. Er realisiert es wahrscheinlich nicht, aber er ist wunderschön. Sowohl von innen als auch außen. Kooks ist ein guter Mensch.  Ein sehr guter. Wir biegen nach links ab, direkt in unsere Straße. Unser Haus ist keine zehn Meter mehr entfernt. 

,, Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast, Kookie. Das ist echt nett von dir" , sage ich als wir direkt vor unserem Haus stehen. 
,, Das habe ich gerne gemacht, Chim. Wir sehen uns morgen. " 
,, Bis Morgen, Kook. " 
 
Damit trennen unsere Wege sich leider erneut. Aber das ist okay, denn ich weiß, dass uns etwas viel größeres verbindet. Etwas einzigartiges. Etwas wunderschönes.

 Außerdem reißt mir Jihyun den Kopf ab, wenn ich noch später komme. Denn eigentlich habe ich gesagt, dass ich in einer dreiviertel Stunde wieder da bin. Bereuen tue ich dieses Gespräch dennoch auf keinen Fall. 

Du schaust voran, ich bin hier und halte dir den Rücken frei.

Dieses Gespräch hat mir eine Sache gegeben, die ich monatelang vermisst habe. Die ich vor vier Monaten am dringensten gebraucht hätte. Hoffnung.

,, Hey du, brauchst du Hilfe? "  Ich blickte auf. Ein Junge stand vor mir.
,, Das wird nichts bringen. Die Mauer ist unüberwindbar. Niemand kann sie überqueren, es ist zu spät. "  Ich habe versagt. Es tut mir leid, Jihyun. 
,, Vielleicht kann niemand sie alleine bezwingen, aber gemeinsam kann es möglich sein. Wollen wir es nicht  zusammen versuchen? "

,, Warum willst du mir helfen? ", erwiderte ich skeptisch. In unserer Gesellschaft machte keiner irgendetwas mehr aus Nächstenliebe, es ging nur noch um Geld. Geld, Geld und nochmals Geld.

,, Ich möchte dafür etwas im Gegensatz. " 
Wusste ich's doch,
,, Ich will, dass du mein Freund bist. " 

Er reicht mir seine Hand. Seine Haselnussbraunen Augen schauen mich erwartungsvoll an. Warum möchte er, dass ausgerechnet ich sein Freund war? 

Ich ergriff seine Hand dennoch. Nicht nur wegen der Hoffnung es vielleicht doch über die Mauer zu schaffen, ich sein Freund sein wollte Diese überragten meine Skepsis bei weitem. 

In seinen Augen lag etwas vertrauenswürdiges, etwas beruhigendes. Wie eine sanfte Buche, die stets Unterschlupf für die Bewohner seines Waldes bietet. 
,, Wie heißt du eigentlich? ", frage ich den Jungen verlegen. Wir waren Freunde, obwohl ich nicht einmal wusste, wie er überhaupt hieß.

,, Ich bin Jungkook", ich nickte , ,, Mein Name ist Jimin. " 
,, Ich weiß", antwortete er grinsend. 










Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top