XI

,, Du bist wunderschön, besonders wenn du lächelst." 
Meine Wangen färbten sich rot, beschämt schaue ich weg.

Komplimente bin ich nicht gewohnt. 
,, Warum schaust du weg? " 
,, Warum bist du auf einmal so? " 
,, Wie?", fragend legt er seinen Kopf zur Seite wie ein Hundewelpe, ,, Wie bin ich auf einmal ? "

,, So offen, davor warst du nicht so... Du warst zurückhaltend. Jetzt bist du anders. ", versuche ich ihm zu erklären. 

,, Gut anders oder schlecht anders? ", hackt er nach. Seine dunkelbraunen - fast schwarzen - Augen schauen mich fragend an. In dem Licht erstrahlen sie wie dunkele Skapolith Katzenaugen. 

,, Da bin ich mir noch nicht sicher. ", ziehe ich ihn grinsend auf. 
,, Da bist du dir noch nicht sicher? " Er dreht seinen Körper in meine Richtung. ,, Bist du dir sicher? " Aus seiner Stimme spricht Belustigung. Ich rolle mit meinen Augen.

,, Der war schlecht, Jeon. "
,, Pardon? " Er zieht verschmitzt eine Augenbraue in die Höhe. Ein Lachen verlässt ungewollt meine Lippen.

,, Hör auf damit. ", sage ich und schlage ihn spielerisch auf den Arm, ,, Du bist doof. ",, Da bin ich mir aber noch nicht sicher. " , wiederholt er meine Worte und reckt sein Kinn stolz in die Höhe.

,, Du bist unglaublich. "

,, Ich weiß. "

,, Warum gebe ich mich nochmal mit dir ab? "
,, Ich bin unglaublich, schon vergessen? " 

Ich seufze. Was ist nur mit diesem Jungen passiert. Ist das wirklich Jeon Jungkook? Der schüchterne Junge, der mir vor Wochen geholfen hat meinen Bruder zu finden? Ich erkenne ihn kaum wieder. 

,, Lass uns zusammen spielen. Ein Duett. Du an dem Piano, ich an der Gitarre. ", er strahlt mich an. Seine Hasenzähne sind dabei zu sehen. Er ist echt süß. 

Ich willige ein, gegen seinen Willen habe ich sowieso keine Chance. Hastig steht Jungkook auf und holt eine Gitarre. Ich schiele auf die Tasten des Klaviers. Vielleicht hat meine Mutter wirklich Recht. Mit Musik spielt man sein eigenes Lied, seine eigene Geschichte und wenn zwei zusammen spielen, dann kreieren sie ein ganz neues Lied. Eine ganz neue Melodie. Ihre Melodie. 

Jungkook stellt lächelnd seinen Fuß auf meinen Hocker. Seine Finger gleiten über die Saiten. 
,, Oh, die muss aber noch gestimmt werden. " Nach einander probiert er jede Saite, jeden Ton aus bis sie in seinen Ohren gut genug sind. 
,, Das Lied finde ich sehr schön. " Er beginnt zu spielen. Augenblicklich herrscht eine harmonische Atmosphäre. 

,, You are the cause of my euphoria. Euphoria. " Seine Stimme gleicht der eines Engels. Er ist ein Engel, ohne Zweifel. Er muss einer sein.

Dieser Moment berührt mich. Es ist einer von diesen, die ich niemals vergessen will. Ohne groß nachzudenken steige ich mit ein. Intuitiv wissen meine Finger ganz genau wo sie hinmüssen. 

Wir spielen gemeinsam. Wir kreieren eine neue Melodie zusammen. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Danke, Jungkook. 

Du hast diesen Tag zu dem besten seit vier Monaten gemacht. Sonnenschein nach einem heftigen Sturm. Ein Regenbogen.
Ein Regenbogen, so schön wie ich ihn lange nicht gesehen habe. 

Ich bin glücklich. Überglücklich. Doch wie schon so oft gehen die schönsten Augenblicke zu schnell vorüber. Wir gehen noch ein Stück zusammen, er wohnt in meiner Gegend. Wir lachen zusammen, er erzählt lustige Dinge. 
Vor einer Kreuzung kommen wir zum Stehen. Er musste in die eine - ich in die andere - Richtung. 

,, Wir sehen uns morgen,
Jungkookie. " 
,, Ja, bis morgen, Jiminie. " Er lächelt noch einmal bevor er sich umdreht und sich von mir abwendet. 
,, Jungkook! "

Er dreht sich um. Ohne zu zögern schließe ich ihn in meine Arme, ,, Danke. " 
Das war ich ihm schuldig. 
,, Dazu sind Freunde da", sagt er schlicht. Seine Arme schlingen sich um mich. 
Einige Sekunden verharren wir in dieser Pose. Freunde.
Jungkook ist ein guter Freund. Ein verdammt guter. Ich werde auch ein guter Freund für ihn sein. Versprochen. 

,, Ich will mich nur schweren Herzens von dir trennen. Mein Bruder wartet auf mich." 
So ließen wir uns los, winken uns noch ein letztes Mal. Um sicher zu gehen versteht sich.

Es ist später Nachmittag als ich nach Hause komme. Von Jihyun keine Spur.
Seit dem Gespräch am Morgen haben wir kein Wort miteinander gewechselt, geschweige uns auch nur gesehen. Ich kann sein Verhalten nicht nachvollziehen.

Warum hat er sich so verhalten? Es muss etwas zwischen den beiden vorgefallen sein. Nur was? 
,, Jihyun? "
,, Was? ", erwidert besagter schroff. Zumindest redet er noch mit mir. 
,, Ich will mit dir reden. "

,, Ich wüsste nicht was es zu bereden gibt, Jimin." Noch immer hält er es nicht für notwendig, aus unserem Zimmer zu kommen. Seine Stimme klingt noch abweisender als davor. Als wäre Kommunikation das schlimmste, was es auf der Welt je gegeben hat. Natürlich ist mein Bruder als Introvertierter lieber für sich,

( A/N Nicht alle Introvertierten sind so, es gibt durchaus auch sehr sozial aktive. ) dennoch kann ich keine Rücksicht auf ihn nehmen. Jungkook ist mein Freund, die beiden sollen sich gut verstehen. 

,, Jihyun, du musst es mir nicht erzählen, was zwischen euch beiden vorgefallen ist. " Nur noch die Tür trennt uns beide. Meine Hand findet den Weg zu jener Klinke. Ich öffne die Tür.
,, Aber bitte verhalte dich ihm gegenüber nicht so, er hat mir geholfen dich zu finden. " Er zuckt zusammen.

,, Ohne ihn wäre das alles nie passiert. "  Ich wusste ganz genau, was das alles bedeutet. Doch ich verstehe nicht was dieser Junge damit zu tun haben soll. 
,, Jihyun. " 
,, Er hat sie umgebracht. "
,, JIHYUN ", was erzählt er da nur für einen Schwachsinn? Mein Bruder steht auf, taumelt auf mich zu. 

,, Er hat sie umgebracht. Sein Vater hat unsere Mutter ermordet. " 
Jihyun packt mich an den Schultern. Seine Augen wirken beinahe schwarz in dem Licht. Er meint es Ernst. Todernst. 
,, Unsere Mutter ist an Lungenkrebs gestorben, Jihyun", versuche ich ihm zu erklären. 

,, Er hätte sie retten können. " Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. 
Jungkooks Vater muss der behandelnde Arzt von Mutter gewesen sein. 

,, Aber dafür können weder sein Vater noch Jungkook etwas. " 

,, Ich werde ihm niemals verzeihen. "

,, Jihyun... " Ich mache mir Sorgen um ihn. Der Arzt konnte nichts dafür der Tumor war schon zu weit fortgeschritten. Er konnte ihr nicht helfen. 
Sanft greife ich nach seiner Hand, um sie von meiner Schulter zu lösen.
,, Es ist nicht ihre Schuld. " 

Einen Moment lang schaut er mich stillschweigend an, dann senkt er seinen Kopf. 

,, Okay. " Seine Hand lässt meine los. ,, Tut mir leid. " 
,, Bei mir musst du dich nicht entschuldigen. " 
Er nickt, er hat verstanden. Ich lächele ihn aufmunternd an. 

Manche Menschen sind gut , manche Menschen sind es nicht. Manche sind glücklich, manche sind es nicht. Manche haben Angst, manche nicht mehr. 

Eine riesige Steinmauer erhob sich aus dem nichts vor mir. Ich merkte es nicht, doch jeden Tag wurde sie höher und höher. Ich streckte meine Hand aus, eiskalt. 

Entfernt vernahm ich Schreie. Ich schaue mich um. Niemand war hier. Nur ich. Ganz alleine. 
Es gab eine Zeit, in der soll es diese Mauer nicht gegeben haben. Jedoch erinnerte ich mich kaum mehr an diese. 

Der Himmel war strahlend blau, Wolken tanzten umher. Die Sonne lächelt mich freundlich an, als wolle sie sagen, dass ich mich nicht zu sorgen brauche. Ich lächele zurück. 
Das war wirklich nett von ihr. Ich nahm ihr Angebot dankend an und ließ mich auf das weiche Bett aus Gänseblümchen fallen. Die Harmonie, die ich verspürte, war unbegreiflich. 
,, Ich will hier nie wieder weg. " 

Sanft streifte der Wind meine Haut. Ich bin gücklich. Genüsslich schloss ich meine Augen und gab mich hin. 
,, Jiminie", eine Silhouette trennte mich von der Sonne. Diese Stimme würde ich unter tauenden erkennen. Überrascht schlugen sich meine Lider auf.

,, Mama? " Ich konnte es nicht glauben, sie war es tatsächlich. Ich richtete mich auf. 
Mama strahlte mich an... Sie sah noch genauso an, wie ich sie in Erinnerung hatte. 

Ihre dunklen, schulterlangen Haare boten einen kräftigen Kontrast zu dem bodenlangen, weißen Kleid, welches sie trug. 

,, Ich habe dich vermisst, Mama ", schwankend stand ich auf, warf mich in ihre Arme. Salzige Flüßigkeit verließ meine Augen, nahm mir die Sicht. Aber die brauchte ich nicht, die Gefühl der Erleichterung, Glück und Euphorie überschwemmten mich. Ihre Arme umschlossen mich. 

,, Ich dich auch, Jiminie", flüsterte sie, ,, Ich dich auch. " 
Ich schluchzte. Zärtlich streichelte sie meinen Rücken. 
,, Es wird alles gut." , Mama griff nach meinem Gesicht, ,, Ich werde immer bei dir sein. "
Ihr Daumen wischten meine Tränen zur Seite, ,, Ich beschütze dich. " 
Ich beschütze dich... Ich beschütze dich. 
,, Ich konnte dich aber nicht beschützen, Mama. "

Ihre Hand wanderte zu meiner Wange, dort verharrte sie kurz, bevor sie ihren weg weiter zu meinen Lippen fanden. 
,, Sscht, Jiminie. Du bist mein Sohn. Ich muss dich beschützen. Jihyun und du, ihr seid das wichtigste für mich. " 
Ich ergriff ihre Hand und nahm sie von mir. 

,, Du hast es aber nicht verdient, Mama. Ohne dich ist nichts wie vorher. Wir brauchen dich. Wir können nicht ohne dich. " 
,, Ich passe auf euch, jedoch kann ich nicht zurückkehren. Selbst wenn ich wollen würde, meine Zeit ist abgelaufen. Ihr müsst es dort ohne mich schaffen, ich weiß, dass ihr die Kraft dazu habt. Vertrau Papa. Vertrau Jihyun. Und am Wichtigsten musst du dir selbst vertrauen. Du darfst nicht an dir Zweifeln. Zweifel tötet mehr , als Niederlagen jemals werden. ''

Ein Schluchzen entwich meiner Kehle. Es tat so weh. Ich wusste, dass sie Recht hat, doch ich konnte nicht. Ich konnte nicht ohne sie. 
,, Mama..."
,, Jiminie, wir werden uns irgendwann wieder sehen. Ich hoffe nur, dass das nicht all zu bald sein wird, ich hab dich lieb. " 

Und damit ging sie wieder fort. Ich sagte ihren Namen, ich flehte sie an bei mir zu bleiben, ich schrie nach ihr. Doch ich wusste sie würde nicht wieder kommen, sie war verschwunden und mit ihr ging auch ein Teil von mir. Der Teil, der immer gut drauf war und Witze machte. Der Teil, der sich keine Sorgen zu machen brauchte. Der unbeschwerte Teil von mir, der das Leben liebte. Dieser Teil war nun fort. Zurück blieb ich. Traurig, wütend, ängstlich, verwirrt. 

Mit Scherben in der Hand. Meine Hände bluteten, genauso wie mein Herz. Die Scherben, die mein altes Leben darstellten. Unter Tränen versuchte ich die Scherben wieder zusammenzubauen für sie.

Aber selbst wenn ich die Scherben wieder zusammenbrachte, es würde niemals wie davor. Die Risse würden immer bleiben. Doch ich musste anfangen weiterzuleben, Jihyun brauchte mich.

Seine Scherben sind viel kleiner und brauchten dementsprechend mehr Geduld und Zeit um zusammenzufinden. Es war schwieriger, immer wenn er mehrere Teile fand, die zusammenpassten, kam jemand und zerstörte seine Arbeit.

Er wurde verzweifelt, ungeduldig. Ich spürte, dass seine Kraft nicht mehr ausreichte. Seine Geduld war am Ende. Doch er durfte nicht aufgeben, denn aufgeben würde das Ende sein. 
Sein Ende. Game Over. 

Das durfte nicht passieren, weswegen ich schneller sein musste. Ich musste schneller arbeiten, um ihm zu helfen. Schneller, schneller, schneller. Ein Rennen gegen die Zeit. Während ich mit meinen eigenem Puzzle kämpfte, spürte ich wie die Zeit mir davonrannte.

Er wartete. Er wartete in seiner Welt auf mich. Jihyuns Welt war anders als meine. Jihyuns Blick auf Mutter war anders als meiner. Sein Leben war anders als meins. Mein Bruder litt. Jede Sekunde, die ich verschenkte. 

Auf einmal erinnerte ich mich. Die Mauer. Ich drehte mich um. Schreie. 
,, Jihyun ", flüsterte ich mit zitternder Stimme. 
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich war wie erstarrt. 
Der nächste Schrei war ohrenbetäubend laut, er ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Während er mich gleichzeitig aus meiner Starre holte. Paradox, nicht? 
Ich rannte. Schneller, sagte mein Hirn. Schneller, schneller, schneller. Ich habe Angst.

Mein Herz raste. Schneller , schneller, schneller. Es ist alles meine Schuld, ich habe es vergessen. Ich habe ihn vergessen. Es tut mir leid, Jihyun. Es tut mir so unfassbar leid. Die schöne Wiese von vorhin fühlte sich nun an wie Schlamm.

Jeder Schritt fiel mir schwer. Ich hatte das Gefühl das unsichtbare Hände nach mir griffen. Sie krallten sich an mich. Es wurden immer mehr, mehr , mehr. Sie zwangen mich in die Knie. Schneller, schneller, schneller. Ich musste weiter. Aufstehen konnte ich nicht mehr, deswegen krabbelte ich. Jeden Schritt, den ich tat, zogen sie mich zurück. Es machte mich verrückt. Sie hatten mich fest im Griff. 
Seine Dämonen.

Seine Welt war anders als meine. Sein Blick auf Mutter war anders als meiner. Er war anders als ich.










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