VIII

Die Sonne ist bereits untergegangen, als ich mich auf den Weg zu meinem alten Tanzstudio begebe. 

Sie wollen sehen aus welchen Holz du geschnitzt bist. Schwächlinge werden nicht gebraucht. 
Jung-hyuns Worte wollen mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Was genau wird als ' schwach ' in unserer Gesellschaft definiert?

Wer gilt überhaupt als schwach? Jemand, der nicht leistungsfähig ist ? Der den hohen Anforderungen dieser Gesellschaft nicht gerecht wird? 
Wie kann man sowas überhaupt bewerten? 

Fragen über Fragen, die meine Synapsen bei weitem überfordern. 
,, Schon lange nicht mehr gesehen", begrüßt mich der Besitzer des Studios - Chung Phuong -. 
Ich verbeuge mich höflich und lächele dem älteren Mann zu. Chung Phuong betreibt dieses Studio schon so lange ich denken kann.

Er ist eine netter, angenehmer Zeitgenosse, er weiß allerhand über das Tanzen, früher hat er mir stets Anweisungen und Tipps gegeben, wie ich meinen Tanzstil verbessern kann. 

,, Private Dinge haben mich sehr in Anspruch genommen, jedoch würde ich gerne wieder das Studio regelmäßig benutzen, falls das für Sie in Ordnung wäre. " 

,, Natürlich, Jimin. Du bist ihr gerne gesehen. Du kannst gleich beginnen. Geh doch am Besten gleich in Saal zwei, du weißt wo lang es geht. " 
Ich verbeuge mich höflich und wende mich bereits dem gehen zu. 

,, Ach Jimin? ", ich drehe mich um, ,, Ein junger Mann trainiert ebenfalls dort. Bitte lass dich nicht von ihm stören. " 
Ich nicke ihm zu. Verdammt. 

 Ich bin es nicht gewohnt, jemanden um mich zu haben, während ich tanze. Doch ich sollte trotzdem dankbar dafür sein, dass ich überhaupt wieder hier sein darf. 
Die Gänge, die Wände... Alles hat sich überhaupt nicht verändert, selbst der Geruch des Schweißes ist der selbe ( was eigentlich eher beängstigend ist. ). 

Da ist er ja! Tanzsaal Zwei.  Ich hielt kurz inne, obwohl mein Bauch bereits angenehm kribbelt. 
Jetzt oder nie. Ein tiefer Atemzug , ich ziehe die Tür mit Schwung auf, bevor ich es mir anders überlegen kann. 
Der Tänzer vor mir erstarrt in seiner Bewegung, seine dunklen Augen weiten sich. 

,, Jimin? " Das Entsetzen steht ihm ins Gesicht geschrieben: ,, Was machst du hier?"
Die Frage ist wohl eher, was machst du hier?

,, Ich möchte gerne trainieren, bitte lass dich nicht von mir stören, Jungkook." 
Seine Wangen erröten, er murmelt eine leise Entschuldigung und schaut beschämt weg.
Kaum merklich zucken meine Mundwinkel ein Stück nach oben. Seine zaghafte Art habe ich beinahe vergessen. 

Möglichst ohne ihn zu stören versuche ich mich aufzuwärmen, ich spüre deutlich wie ungelenkig mein Körper geworden ist. 
Aber was kann ich nach so einer langen Pause auch erwarten? 

,, Ist es in Ordnung für dich, wenn ich Musik anmache, Jungkook?"

Er nickt mir kurz zu und erteilt mir so seine Erlaubnis. 
Ich hole mein Handy und schließe es kurzer Hand mit der Freisprechanlage an. 
Meine Finger entsperren den Display und ich drücke ohne groß zu denken auf das erst beste Lied, das mir vorgeschlagen wird. Ich gehe in Position. 
Das Lied beginnt. 

Y'all know what it is man haha.

Ich habe lange gebraucht diesen Tanz zu lernen, das Lied mir Stück für Stück zu erarbeiten, Tanzschritt für Tanzschritt. Tief in meinem Inneren legt sich ein Schalter um, mein Gehirn wird ausgeschaltet, während mein Körper die volle Kontrolle übernimmt. 

,, Wie lange willst du diese Schritte noch üben, Jimin? Du musst morgen in die Schule. " ,, Gib mir noch fünf Minuten, ich bin fast fertig" , sagte ich zu ihr und machte meinen besten Hundeblick, der sie immer schwach werden ließ. Auch dieses Mal. Sie seufzte. 

,, Na gut, noch fünf Minuten und keine Sekunde länger, Jiminie. " 
Strahlend nickte ich und machte dort weiter, wo ich aufgehört hatte. 

Mein Herz pocht. Schweiß dringt aus meinen Poren. Ich tanze weiter. Ich liebe es zu tanzen. Eomma liebte es mir dabei zuzusehen. Warum wurde sie mir genommen?

,, Weißt du , Jiminie, es gibt nichts schöneres als dir beim Tanzen zuzusehen. Wenn ich könnte, würde ich dir den ganzen Tag dabei zuzusehen. "  Sie fuhr mir lächelnd durchs Haar. 
,, Wenn ich könnte, dann würde ich den ganzen Tag dir zusehen wie du spielst, Mama" , erwiderte ich und verschränkte meine Arme: ,, Du spielst besser als ich tanze. "

Ich konnte nie so gut sein wie du. Egal wie oft ich trainiert habe. Deine Musik glich einem Meisterwerk, neben dir war - bin - ich wie ein lausiger Anfänger. Ich werde deinem Talent nicht gerecht. Es tut mir leid.

I can be your hero.

,, Und? Was hältst du von ihm? ", mein Bruder hatte mich dazu genötigt ein Musikvideo irgendeines koreanischen Rappers anzusehen,
um ihm anschließend, unabhängig von meiner persönlichen Meinung wohlgemerkt, zu sagen wie toll dieser doch ist. 

,, Er ist ganz in Ordnung, würde ich sagen?" 
,, Ich finde ihn toll. " 
,, Ich schicke Zuhörer nach HongKong mit meiner 'Zungen Technologie' ?" 

Jihyun kratze sich verlegen am Nacken:
,, Er ist ziemlich selbstbewusst. "
,, Nichts gegen seine glorreiche Selbstachtung, aber musste der Mittelfinger sein?" 

Ich brachte Jihyun gerade ziemlich auf die Palme, weil ich nicht so reagierte wie er es wollte. 
Aber es war witzig mit anzusehen, wie er sich gleich aufregen würde.

,, Der war extra für dich, Jiminie", seine Stimme hatte bereits einen genervten Unterton. Jetzt war es gleich so weit.
,, Wenn... ", ich schaute kurz auf den Titel des Liedes: ,, Agust D etwas mit mir anfangen will, dann kann er es mir ruhig persönlich sagen. " 
Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle mausetot. 
,, Du wirst das sowas von bereuen. "

Agust D war sein Lieblingsrapper, sein Idol. Mein Bruder war der größte Agust D Fanboy in ganz Busan. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, dass er eines Tages auf eines seiner Konzerte wollte. Er hat jeden Won gespart, um einmal diesen Menschen live und in Farbe zu sehen.

Ob er das jetzt noch immer möchte, weiß ich nicht einmal. Ich weiß fast nichts über meinen Bruder momentan, er redet nicht mehr als nötig.

Es tut weh zu wissen, wie schlecht es den Personen geht, die man liebt. Noch mehr tut es weh zu wissen, dass man ihnen nicht helfen kann, weil sie es nicht wollen.

,, Der Gedanke hat mich frei, glücklich gemacht."

,, Zwei ist besser als drei, nicht so schön wie vier, aber um Welten hübscher als drei. 

Drei ist eine hässliche Zahl. "

,,  Machmal frage ich mich, wie viele Messer ich noch ertragen kann, bevor  ich endgültig verblute? "

,,  Das Monster, Minnie, es hat mich fest im Griff " 

,, Es tut mir leid, Jihyun", die salzige Flüssigkeit bahnt sich gnadenlos seinen Weg. Ich halte es nicht auf. Meine Brust hebt und senkt sich rasch, ich versuche gegen den Schmerz in meinem Körper ankämpfen.

Doch der Schmerz in meinem Herzen lässt sich nicht lindern. Anders als das Brennen in meinen Lungenflügeln helfen mir die Atemzüge nicht. Ganz im Gegenteil, jeder Atemzug erschwert das Gewicht auf meinen Schultern zusätzlich. 
Warum fühle ich mich so leer, obwohl Blut durch meinen Körper pumpt und mein Herzschlag mir sagt, dass ich lebe? 

,, Wow, du kannst sehr gut tanzen", sagt der jüngere, den ich beinahe vergessen hätte. 
,, Nicht wirklich, ich habe seit mehreren Monaten nicht mehr getanzt. Ich bin aus der Form", 
winke ich ab. Stille.

,, Warum hast du aufgehört?... Du musst die Frage nicht beantworten, wenn du nicht willst", ergänzt Jungkook, als ich seinem Blick ausweiche. 

,, Mm-mei-meine... M-mmutter ... sie... sie...sie ist", tot. Das Wort will meine Lippen nicht verlassen, obwohl mein Körper es schon lange realisiert hat.

Die Information ,,Deine Mutter ist gestorben" ist hat ihr Gehirn erreicht und bittet nun um Rückmeldung. 

Es ist wie eine Barriere in meinem Kopf, die allein dieses Wort nicht passieren lässt. 
Egal wie sehr ich es auch versuche. 
,, Es tut mir leid. Ich weiß, dass meine Worte deinen Verlust nicht im Entferntesten erträglicher machen können, Park Jimin. "  

In seinen Augen sehe ich genau das, was ich nicht sehen will. 
Mitleid. 
Jungkook empfindet Mitleid mit mir. Er findet mich schwach. Er soll damit aufhören!

,, Du hast recht, deine Worte machen den Verlust nicht erträglicher und um ehrlich zu sein wünsche ich niemandem das was mir widerfahren ist. Das ist ein verdammt beschissenes Gefühl die Beerdigung seiner eigenen Mutter zu planen", erwidere ich kühl. 
Er zuckt zusammen: 

,, Es tut mir leid. " 

,, Das tut es allen. " Vielleicht ist es nicht fair meinen Frust an ihm auszulassen. Doch ist es fair, dass meine Mutter sterben musste? Ist es fair, dass meine Familie zerbrochen ist? 

Ist es fair, dass mein Bruder Depressionen hat? Ich seufze.

Er kann nichts dafür. Du bist schuld, nicht er. Du hättest ihr helfen sollen. 

,, Jungkook... Es tut mir" beginne ich, doch werde jeher von ihm unterbrochen. 

Seine Arme, die sich um mich schlingen, bringen mich zum Schweigen. 
,, Bitte verzeih mir", schluchzt er. 

Die nächste Person, die du zum Weinen gebracht hast. Super.

Unfähig etwas zu sagen, erwidere ich stumm die Umarmung. So viel Körperkontakt ist ungewohnt, besonders von einem Fremden. Aber es ist nicht schlimm, ganz im Gegenteil: Es ist angenehm. Ungewohnt aber nicht unangenehm. Es hat etwas tröstendes, vertrautes an sich. 

,, Es ist in Ordnung, Jungkook. Es tut mir ebenfalls leid. " Ich streichle ihm etwas unbeholfen über  seinen Rücken. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich will ihn nicht von mir stoßen, dafür ist die Wärme in mir zu schön.

Wärmer als mir die kuschligste Decke jemals liefern könnte. Aber ich weiß, dass es nicht richtig ist. Wir kennen uns nicht... Zumindest nicht sehr gut. 

Stille erfüllt den Raum.  Keiner von uns beiden gedenkt die Stille zu sprechen. Es ist keine peinliche Stille, bei der die beteiligten kein Gesprächsthema zu finden scheinen. Doch ein Bild - eine Geste sagt mehr als tausend Worte. Was will mir diese Geste sagen? 

Ich habe überreagiert? Jungkook ist sensibel ? Eine Mischung aus beidem vielleicht? 
,, Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?" Diese Worte verlassen meinen Mund ohne darüber nachzudenken. Jungkooks Schokoladen braune Augen mustern mich überrascht. 

,, Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich habe noch nie darüber nachgedacht... allerdings bin ich der Überzeugung das es nach dem Tod weitergeht. In welcher Form weiß ich nicht. 
Vielleicht gibt es wirklich etwas, dass Himmel genannt wird. Vielleicht sind wir wie Subaru Natsuki... zumindest ansatzweise. Das wäre schon ziemlich cool ! " 

Bestimmt würde das was er sagt Sinn machen, wenn ich wüsste wer Subaru Natsuki ist. 
Leider tue ich das nicht, weswegen ich mich nur verlegen am Nacken kratze und peinlich berührt zur Seite schaue. 

,, Du hast keine Ahnung wer Subaru Natsuki ist, oder ?" , stellt der schwarzhaarige Junge mit einer schon fast gruseligen Ruhe fest. 
,, Tut mir leid?  " 
,, Ich kann dich nicht länger umarmen, du bist unwürdig. " 
Das Fragezeichen in meinem Kopf wächst von Wort zu Wort. 

Keine Sekunde später lässt er mich los. Mit ihm geht die Wärme. Das Gefühl von Kälte breitet sich schlagartig aus und nimmt meinen Körper voll und ganz in seinen Besitz. Ich erschaudere. 
Obwohl es nur als Witz gedacht war, trifft mich seine Aussage hart. Du bist unwürdig.
,, Ich weiß."
,, Hey, so war das doch gar nicht gemeint. " 

,, Passt schon. Ich lebe noch, wie du siehst. ", Ich lebe. Sie nicht mehr. Ich schaue zu Boden. 

,, Jimin ", er packt mich an meinen Schultern, augenblicklich beginnt die Stelle zu kribbeln. 
Wie eine Flamme wärmt es mich. Ich hebe meinen Blick, schaue ihm direkt in seine dunkelbraunen Augen. Sie strahlen so viel Geborgenheit und Wärme aus. 

,, Jungkook. " 
,, Du bist nicht alleine. " Ein unsicheres Lächeln legt sich auf seine Lippen. Wunderschön.

,, Du bist zu gut für diese Welt. " Dennoch zucken auch meine Mundwinkel unwillkürlich nach oben. Er ist aus Zucker. Solche Menschen wie ihn kann es doch eigentlich nicht mehr geben. 
Die Welt muss sie doch schon längst ausgerottet haben. Wie kann es sein, dass er trotzdem so nett ist ? So unschuldig, so rein. Viel zu gut für jemanden wie mich. 

,, Ich muss gehen, meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen. " Ich nicke, lasse ihn gegen meinen Willen los. Ich weiß, dass es selbstsüchtig ist, dass ich  selbstsüchtig bin.

Dennoch würde ich ihn am liebsten nie wieder loslassen. Es fühlt sich doch so gut an! 
,, Okay, " Nicht okay , ,, Wir sehen uns morgen ? " Wir werden uns sehen, aber es wird nicht so sein, wie ich es mir wünschen würde. 
,, Ja, morgen. "
,, Morgen. " 
,, Morgen. " 
,, Gute Nacht. " 
,, Dir auch. " 
Er geht. Ich schaue ihm hinterher. 






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