VI
In dem nahe liegenden Park ist nicht viel los, was nicht sonderlich verwunderlich ist. Die Sonne hat sich würdevoll vor wenigen Minuten von uns verabschiedet. Ihre letzten Strahlen sind meiner Meinung nach die schönsten.
Ich lasse das weiße Fellknäuel von der Leine und sehe mit einem leichten Grinsen im Gesicht dabei zu wie es auf und davon jagt. Früher habe ich stets Angst gehabt, er würde nicht wieder zurückkehren, falls ich ihn losließ.
Doch meine Mutter hat mir gesagt, dass ohne Vertrauen keine vernünftige Beziehung entstehen kann. Ich muss darauf vertrauen, dass er zurückkommen würde. Ich habe meine Angst beiseitegelegt und es nicht eine Sekunde bereut.
Immer wenn er bellend mit wedelndem Schwanz auf mich zujagt, mich mit Hundeküssen übersät, freue ich mich ungemein.
Meistens tollt er mit anderen Hunden auf den Wiesen herum, so wie auch jetzt. Der Kishu hat Gesellschaft von einem weißen Terrier Mix.
Anscheinend scheinen sich die beiden gut zu verstehen, süß. Ich setze mich auf die nächste Bank und schaue ihnen zu.
,, Ist das dein Hund?", fragte mich eine mir nur zu bekannte Stimme.
Ich drehe meinen Kopf zur Seite. Schon wieder er:
,, Ja, der Kishu gehört zu mir, ist der Terrier Mix deiner? "
Jungkook nickt: ,, Sie scheinen sich gut zu verstehen."
,, Scheint so, willst du dich vielleicht setzen?"
Erneut nickt der jüngere und ich mache ihm ein wenig Platz.
,, Ich bin Park Jimin", stelle ich mich offiziell vor, obwohl er mich eigentlich kennt.
,, Jeon Jungkook, aber du solltest das schon wissen."
Darauf folgt beklemmende Stille.
Ja, ich weiß wer du bist, Jungkook. Der Junge, der zugesehen hat, wie mein Bruder betrunken abgeschleppt werden musste, der weiß, dass ich Piano spiele. Du weißt eine Menge von mir, aber ich überhaupt nichts von dir. Außer deinem Namen... Jungkook...aus einem schönen Lande stammend , und deinem Hund.
,, Ich bin manchmal so unsensibel. Tut mir leid wegen du weißt schon." Er schaut beschämt zu Boden, seine schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht.
,, Schon gut, eigentlich müsste ich dir danken, ohne deine Hilfe hätte ich ihn niemals gefunden."
Jungkook winkt ab: ,, Nicht der Rede wert."
,, Danke." Seine Verlegenheit bringt mich zum Grinsen, er ist auf eine unerklärliche Weise irgendwie süß. Vielleicht ist das der Grund, warum ich versuche Smalltalk mit ihm zu führen.
,, Du spielst auch ein Instrument, oder?"
,, Ja, Gitarre, aber ich bin nicht so gut wie du."
,, Ich bin nicht sehr gut, meine Mutter war viel besser. "
,, Ich habe davon mitbekommen. Es tut mir leid, sie war bestimmt eine wundervolle Person."
Ich sehe weg und bringe lediglich ein leichtes Kopfnicken zustande , schlichtweg weil ich weiß, dass kein Wort meine Lippen verlassen würde, egal wie sehr ich mich auch anstränge.
Genau in diesem Moment kamen 25 Kilogramm Kampfgewicht auf mich zugestürmt und schleckten mein Gesicht ab. Verdammt gutes Timing Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.
,, Ich hab dich auch lieb, Kumpel." Dieser Hund ist einfach der beste der Welt. Er weiß ganz genau, wie er mich aufmuntern kann.
,, Der ist ja süß... Hallo kleiner" , Ddosun bellt freudig und schleckt Jungkook ebenfalls ab.
Habe ich ihn jetzt indirekt auch geküsst? Ich schüttele mit dem Kopf, woran denke ich eigentlich schon wieder? Wenn dann hat er mich geküsst.
,, Fünfzig Zentimeter und fast dreißig Kilo, nennst du das etwa klein?"
,, Ja, für dich ist er bestimmt ein Riese, aber für mich eher nicht." Hat er mich gerade klein genannt?
Jetzt besitzt er auch noch die Freiheit zu grinsen. Idiot.
Ich kneife meine Augen zusammen.
,, Was bist du dann? Ein Titan?"
,, Sie sind das Essen und wir sind die Jäger, Feuerroter Pfeil und Bogen. "
Er fängt an zu ... singen? Es klingt ja nicht schlecht, trotzdem
Was läuft bitteschön falsch bei diesem Jungen?
In meinem Kopf entsteht ein einziges riesengroßes Fragezeichen, was man mir anscheinend auch ansieht, denn der Jüngere erklärt:
,, Das ist der Beginn von einem meiner Lieblingsanimes...Guren no yumija. "
Ich schüttele mit dem Kopf: ,, Noch nie was von gehört. "
,, Denn musst du sehen" , seine Augen beginnen zu strahlen, ,, Einer, der schönsten und zugleich auch traurigsten Anime, die ich jemals gesehen habe. Nach Shigatsu wa Kimi no Uso und Koe no Katachi.
Ich habe die ersten zwei Staffeln bei mir zuhause, die Dritte kommt im Juli, nächsten Jahres raus.
Im Grunde genommen geht es darum, dass die Menschheit von Titanen so gut wie ausgelöscht wurde. Deshalb erbauten die übrig Gebliebenen drei Mauern, Maria, Rosa und Sina erbaut und ja... "
Er klingt wie ein euphorisches, verträumtes Kind, das man nach seinem Lieblingssuperheld gefragt hat. Putzig.
,, Ach und eine Sache, die du dir für die Zukunft merken musst. Levi ist der absolut beste Charakter."
,, Okay." Ich habe überhaupt keinen Blassen Schimmer wovon er redet, geschweige denn, wer Levi ist. Aber gut, wenn es ihn glücklich macht.
Jungkook nickt eifrig mit dem Kopf und erinnert kein Stück mehr an den schüchternen Jungen von vorher, er wirkt wie ausgewechselt.
,, Noch irgendwas, dass ich mir merken muss?", frage ich sicherheitshalber noch nach.
Er geht auf meine Frage nicht ein und stellt stattdessen eine Gegenfrage:
,, Hast du heute noch etwas vor?",
,, Nein, eigen..." er klatscht begeistert in die Hände.
,, Also gut, wo fangen wir an."
Es ist unglaublich, wie viel ein Mensch sagen kann, ohne Luft zu holen oder eine Pause zu machen.
Jungkook redet ohne Punkt und Komma und je länger er sprach, desto unsicherer werde ich. So viele Namen von Anime, Charakteren...Ich komme ganz durcheinander. Hilfe.
Am Ende habe ich das Gefühl, dass er mehr mit sich als mit mir redet. Du wolltest ja etwas von ihm wissen und jetzt wo du's bekommst, heulst du rum. Arschloch.
,, Oh, es ist schon spät...Schade.
Naja, ich glaube, ich habe dich eh genug belästigt. Komm, Gureum."
Er steht hastig auf und greift nach der Leine von dem Terrier Mix.
,, Es ist alles in Ordnung, war interessant mit dir zu reden. " denke ich. Aufschlussreich ist es alle Mal gewesen. Levi und Eren sind ' real '.
Ich fange an zu grinsen.
,, Danke. " Er erwidert mein Grinsen, dabei sieht er aus wie ein Hase. Süß. Ein Hase, der gerade davon hoppeln will.
,, Ach Jungkook? ", er dreht sich fragend um, ,, Ich finde auch, dass Lelouch und Shirley voll gut zusammen passen."
Der Jüngere lacht und seine Lache ist extrem ansteckend.
Ich habe keine Ahnung, welche Uhrzeit es ist, als ich nach Hause komme. Die Sonne ist schon lange untergegangen, die Sterne und der Mond haben sie abgelöst. Keine Wolke in Sicht.
Ein kurzer Blick auf die Uhr. Genau Neun. So viel zum Thema, ich bin nur kurz mit Ddosun spazieren. Betonung auf kurz.
Daran ist nur Jungkook Schuld... Du hättest ihm ja nicht zuhören müssen.
Leise öffne ich die Tür von Jihyun und meinem Zimmer, nur um diesen mit geschlossenen Augen und seinen Kopfhörern im Ohr auf seinem Bett vorzufinden.
Sein Brust senkt und hebt sich regelmäßig, sein Mund ist leicht geöffnet. Er schläft.
Auf Zehenspitzen schleichend nähere ich mich seinem Bett, darauf bedacht keinen Mucks von mir zu geben. Seine Augen sind noch immer fest geschlossen, weshalb ich vorsichtig die weißen Stöpsel auf seinem Ohr nehme und das Kabel aus dem Mobiltelefon ziehe.
,, Du bist so ein Idiot, Jihyun. " Ich lege seine Sachen auf den nebenstehenden Nachttisch, bevor ich den Raum verlasse, um nach einer Decke zu suchen.
Im Wohnzimmer werde ich fündig. Mein Kishu richtet sich auf, seine dunklen Augen mustern mich erwartungsvoll.
,, Jihyun", flüstere ich Augen verdrehend.
Ddosun legt sich wieder hin und gähnt.
,, Warum sind alle schon wieder so müde?" Besteht diese Familie nur noch aus pensionierten Rentnern? Mit der weichen Decke bewaffnet betrete ich unser Zimmer erneut und versuche meinen Bruder zuzudecken.
,, Minnie?"
,, Ja, Jihyun?"
,, Danke. "
,, Dafür sind große Brüder da. Wir passen auf die jüngeren auf und kümmern uns um sie, wenn sie Hilfe brauchen. Versuch weiter zu Schlafen."
Müde nickt mein kleiner Bruder, keine Sekunde später schließen sich seine Lider.
,, Schlaf schön", wispere ich, bevor ich die Tür leise zuziehe,
,, Hab dich lieb. "
Doch er hört mich nicht mehr, er befindet sich schon im Land der Träume.
Ich fische mein Handy aus der Hosentasche, das Bild vom letzten Weihnachtsfest springt mir entgegen. Mama, Papa, Jihyun und ich, lachend mit Weihnachtsmützen.
Mein Herz verkrampft sich bei diesem Anblick. Diese Glückseligkeit scheint so weit entfernt von mir zu sein, obwohl es nur acht Wochen her ist, als wir das letzte Mal zusammen zu Abend gegessen haben. Zitternd streiche ich über das mit Tränen beschmutzte Display.
Scheiße , gerade eben ist doch noch alles gut gewesen. Gerade eben ging es mir noch gut, ich habe mit Jungkook gelacht und gut gelaunt seinen Worten zugehört, bin mit einem Lächeln hergekommen. Ja, gerade eben war die Welt noch heil.
Deine Welt ist nicht heile, Jimin. Schon seit langem nicht mehr. Mach dir nichts vor. Sie wird auch nicht wieder heil werden und das alles nur wegen dir. Deine Schuld.
Warum hast du nichts bemerkt? Sie würde jetzt noch leben, lachen, atmen. Du hättest sie retten können, wärst du nicht blind vor Selbstsucht gewesen.
,, Es tut mir leid, Mama. " meine gebrochene Stimme ist kaum mehr, als ein Flüstern.
Die Schuldgefühle erschlagen mich fast. Mit meinen Händen kralle ich mich an der Wand fest, um standhaft zu bleiben, doch meine Beine versagen.
Papa kommt gleich nach Hause, was wird er denken, wenn er mich so sieht?
Ich will ihm keine Schmerzen bereiten, er soll nicht noch mehr wegen mir leiden.
Obwohl mein Körper schreit, liegen zu bleiben, mich nicht zu bewegen, tue ich genau das. Das Taubheitsgefühl in meinen Beinen macht mir Angst, höllische Angst.
Trotzdem richte ich mich auf, suche zitternd Halt an der Wand. Mein Herz raste, meine Sicht ist verschwommen. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Irgendwie schaffe ich den Weg bis ins Wohnzimmer, wie ich es geschafft habe ist mir ein Rätsel.
Ein Klacken. Erschrocken reiße ich meine Augen auf, nein. Nein. Nein! Mühsam schleppe ich mich zu dem Sofa. Ddosun bellt.
Meine Füße verhacken sich ineinander, ich falle stöhnend zu Boden.Ein Poltern. Schmerz.
,, Jimin? Jihyun? Alles gut bei euch." Papas besorgte Stimme weckt mich aus meiner Starre.
,, Alles bestens", krächze ich und versuche mich wie ein nasser Sack auf das Sitzmöbel zu hieven. Schritte.
Ich lege mich in eine bequeme Situation und greife blitzschnell nach dem Buch auf dem Tisch daneben. Keine Sekunde zu früh.
,, Oh, du liest?" Lächelnd nicke ich.
,, Wie war die Arbeit?"
,, Gut, wie war die Schule?"
,, Auch gut, Jihyun ist bereits am Schlafen. Etwas, das du auch tun solltest."
Er reibt sich nickend am Kinn: ,, Ich glaube, ich esse davor noch was. "
Natürlich beginnt mein Bauch wie auf's Stichwort zu knurren, was auch sonst?
Papas Augen mustern mich besorgt:
,, Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen, Jimin?"
Ich schaue beschämt zu Boden, nuschle die Antwort undeutlich vor mich hin.
,, Jimin... ", sein Tonfall wechselt von einer Sekunde auf die andere. Er lässt keine Ausreden zu.
,, Heute Morgen, Papa. Aber mir geht es gut, wirklich. "
Auf einmal durchzieht ein plötzlicher Schmerz meinen Körper, ich zucke zusammen, verziehe automatisch mein Gesicht schmerzerfüllt.
Ich hasse dich, Körper. Elendiger Verräter.
,, Hältst du mich für blind? Jimin, ich sehe, dass es dir schlecht geht. Dein Körper ist überfordert, er braucht eine Pause. "
Widerstrebend schüttele ich mit dem Kopf, ich brauche keine Pause. Du brauchst eine. Ich arbeite nicht den ganzen Tag, sechs Tage die Woche.
,, Du machst dich selbst kaputt, bitte, bitte hör auf mit dem Schwachsinn. Iss normal, mach Pausen. Du bist auch nur ein Mensch. Mama hätte mir bestimmt Recht gegeben."
Akribisch schüttele ich mit dem Kopf: ,, Genau, sie hätte dir Recht gegeben, aber sie ist nicht mehr da. Sie ist weg und das ist alles meine Schuld. MEINE SCHULD. HÄTTE ES NICHT MICH ERWISCHEN KÖNNEN? ICH HABE ES VERDIENT, SIE NICHT. "
Heiße Tränen laufen meine Wange hinunter, ich wollte Appa nicht anschreien. Ich habe mir geschworen, niemals ein Sterbenswörtchen über das zu verlieren, was mir durch den Kopf geht.
Vor seinen Augen schwach zu sein. Diese beiden Versprechen habe ich gebrochen. In tausend Teile pulverisiert, genauso wie mein Herz. Ich hasse es Schwäche zu zeigen, anderen Leuten Sorgen zu bereiten. Ich bin ihre Sorgen nicht wert. Ich bin keine Sekunde wert.
,, Jimin, weißt du was das schlimmste für einen Vater ist? " , seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern,
,, wenn sich ihre Kinder für etwas die Schuld geben, wofür sie keine tragen... Weißt du Mama, Jihyun und du seit die wichtigsten Menschen in meinem Leben.
Ich liebe euch, ich würde alles für euch tun...jeder Zeit. Die Welt einreißen, wenn es sein muss.
Ich sehe an deinem Bruder, wie sehr es ihn bricht. Doch du bist für ihn da, hilfst ihm. Allerdings ist für dich keiner da, der dir hilft... Ich kann es nicht. " Er schaut weg.
,, Ich brauche niemanden, Papa. ", sage ich, obwohl ich tief im inneren weiß, dass er Recht hat. Ich brauche Jemanden, der mich einfach in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles gut ist.
Mein Vater lässt das Thema unkommentiert, fragt mich stattdessen, ob ich etwas essen wolle.
Ich bejahte, vielleicht weil ich keine Kraft mehr habe, um mit ihm zu diskutieren. Hunger verspüre ich nicht, mein Körper schon. Leider gewinne ich diesen Kampf nie, muss mich meinem Körper beugen.
Gottseidank hat Jihyun etwas zu Essen gemacht, so dass Papa und ich nur noch zugreifen müssen. Ein Glück. Ich hätte es nicht ertragen, wenn mein Vater etwas macht und mir verbietet ihm zu helfen.
Lustlos stochere ich in meinem Essen herum, führe , sobald Papa rüber schaut, die Gabel zu meinem Mund. Mir fällt kein gutes Gesprächsthema ein, weshalb ich meinen Mund schlicht und ergreifend halte.
Mein Körper rebelliert in mir und fordert nach mehr Nahrung.
Ich gebe ihm das, was er will. In wenigen Minuten gibt mein Bauch zufrieden nach, weshalb ich meinen Vater höflich frage, ob ich aufstehen darf.
,, Natürlich, Jimin", sagt er lächelnd und wünscht mir anschließend eine gute Nacht. Ich bedanke mich, danach schlurfe ins Bad um mich Bett fertig zu machen.
Es ist schon wieder spät geworden.
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