IV
Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Was? Was hat er gerade gesagt? Jihyun?
Ich schaue auf, bis unsere Blicke sich kreuzen und Mein Herz auf einmal anfängt schneller zu schlagen als zuvor.
Mir wird warm, meine Hände schwitzig, doch ich halte den Blickkontakt aufrecht.
Keiner von beiden unternimmt Versuche wegzuschauen, es gleicht schon fast einem Kampf. Wer zuerst abbricht, hat verloren.
In seinen dunklen braunen Augen glitzern Trotz und Besorgnis und noch etwas, dass ich nicht begreifen kann.
Eine Ewigkeit scheint zu vergehen, in der keiner von uns beiden ein Wort verliert, in der wir uns wie Steinstaturen nicht vom Fleck bewegen und starr den gegenüber ansehen.
Irgendwann fangen meine Gedanken an auf Wanderschaft zu gehen. Ich denke an meine Familie, Papa, Jihyun, Ddosun, wie es ihnen jetzt wohl ergeht und warum ich eigentlich nicht bei ihnen bin.
Ich gebe schweren Herzens auf, was eine Meisterleistung an Selbstkontrolle gleich kommt. Seine Augen haben mich wie hypnotisiert, ich kann mich kaum von ihnen abwenden. Aber ich muss, weil ich so schon genug Zeit verschwendet habe.
,, Es...es geht ihm gut, Danke der Nachfrage", beantworte ich zögerlich seine Frage, ,, ich muss jetzt auch weiter."
Jungkook nickt. Ich nicke.
Er sagt etwas, verstehen tue ich es allerdings nicht mehr. Ich flüchte aus dem Raum, weiter Richtung Ausgang.
Meine Schritte verlangsamen sich nicht, ganz im Gegenteil sie werden schneller.
Ich will so viel Meter zwischen mir und diesem Jungen bringen wie nur irgendwie möglich.Es gibt hunderte anderer Schüler hier an dieser Schule. Warum ausgerechnet er?
Der Junge, der mich an einem Tiefpunkt erlebt hat. Mitangesehen hat wie sich sein Mitschüler betrinkt und von seinen großen Bruder nach Hause geschleppt werden muss.
Unserer Familie geht es nicht gut, allerdings soll keiner davon Wind bekommen. Wir schaffen das, ohne die Hilfe oder das Einmischen Fremder. Sie glauben zu wissen, was das Beste sei, wenn sie selbst keine Ahnung haben wie es uns geht, was wir denken.
Natürlich liegen sie jedoch nicht falsch dabei, wie auch sie sind Erwachsen und damit die Weisheit persönlich.
Wie lange wird es wohl dauern bis sie uns trennen?
Tagen, Wochen, Monate?
Vielleicht schon Morgen?
Der Gedanke macht mir Angst, morgen aufzuwachen und zu wissen, dass mein Vater nicht da ist, dass Jihyun nicht da ist, dass die Fellkugel Ddosun nicht da ist. Ich würde es nicht überleben.
Keine Sekunde lang. Ich liebe sie dafür viel zu sehr, sie sind der Grund warum ich mich morgens aus dem Bett quäle, nicht unter meiner Last zusammenbreche.
Für sie würge ich jeden Tag mein Essen runter.
Immer wenn ich denke, ich kann nicht mehr, zeigen sie mir, dass immer noch etwas geht wie ein Anker. Ein verosteter Anker für ein altes Schiff mit einem großen Leck.
Das Wasser der Dusche läuft bereits , als ich unsere Tür aufschließe.
Keine Sekunde später kommt auch schon der weiße Kishu, um mich zu begrüßen.
Ich gehe auf die Knie und lasse Ddosuns feuchte Wilkommensküsse über mich ergehen. Dabei kraule ich ihn hinter dem linken Ohr, seiner Lieblingsstelle.
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, er schafft es einfach immer wieder mich aufzumuntern.
Der kleine Sonnenschein in meiner grauen Welt.
,, Ich habe dich lieb, Ddosun. "
Er bellt.,, Wir gehen später
noch raus. "
Hausaufgaben, Lernen und nicht zu vergessen die Hausarbeiten muss ich noch erledigen. Dann mit Ddosun raus und nach einem Job suchen.
Guter Plan, wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit so nicht funktionieren. Komplikationen sind in meinem Leben immer vorprogrammiert.
Ich gehe in die Küche, öffne verschiedene Schränke und den Kühlschrank, um eine gähnende Leere vorzufinden.
Seufzend schlendere ich in mein Zimmer und mache mich an die Hausaufgaben.
,, Du bist da", stellt Jemand - mein Bruder - fest.
,, Ja", erwidere ich monoton und schaue ihn an.
Er ist bereits angezogen, seine Arme und Beine verdeckt, damit keiner seine Narben bemerkt. Ich habe es bemerkt. Ich weiß, dass er es tut.
Schon öfter getan hat.
Es... Ritzen.
Sich eine Klinge in die Haut rammen, immer und immer wieder. Manchmal nur oberflächlich, manchmal so tief, dass es mir schon beim bloßen Anschauen den Magen umdreht. Zumindest war es bei Jihyun der Fall, seine Narben ziehen sich über seinen kompletten Körper und werden niemals ganz verheilen.
,, Schön", er wendet sich zum Gehen.
Ich habe darüber nachgedacht...oft... jede freie Sekunde, der Gedanke hat mich glücklich, frei gemacht.
,, Jihyun..."
,, Was? "
Wir stehen das zusammen durch.
,, Ich bin immer für dich da. Wenn es dir schlecht geht, rede mit mir. Ich will dir helfen.
Wir stehen das zusammen durch. Fress' es nicht in dich rein, Jihyun.
Ich verstehe, dass es scheiße weh tut, dass das Loch in deinem Herzen, was sie hinterlassen hat, groß ist...
Scheiße groß.
Von wegen Zeit heilt alle Wunden, sie lässt uns nur den Schmerz ertragbarer machen.
Acht Monate ... acht Monate und noch immer habe ich das Gefühl zu ertrinken.
Doch ich bin dankbar, dankbar, dass Mama solange gekämpft hat, dass wir so viel Zeit mit ihr verbringen konnten. "
Der Gedanke an sie ist bittersüß. Er zaubert mir einerseits ein Lächeln auf mein müdes Gesicht, andererseits durchzuckt ein pochender Schmerz meinen Körper.
,, Aber wir können nichts an der Tatsache ändern, außer ein stolzes Lächeln zu tragen, wenn wir an sie denken. Wir werden sie niemals vergessen. Sie hat immer einen Platz hier drin", sage ich und deutet an die Stelle an der mein Herz liegt. Stolz lächeln, wenn wir an sie denken.
Ihre Herzenswünsche erfüllen, unser Leben weiterleben.
,, Natürlich hat sie das, wird sie immer haben... trotzdem kann ich nicht lächeln, wenn ich an sie denke. Der Schmerz überwältigt mich jedes Mal auf's neue und immer wenn ich denke, dass es jetzt wieder geht , wird mir ein neues Messer in meinen Rücken gerammt. Manchmal frage ich mich, wie viele Messer ich noch ertragen kann, bevor ich endgültig verblute? Wie viele? ''
Jihyuns Gesicht wirkt hilflos, verzweifelt, ängstlich, hilfesuchend. So vieles auf einmal. Doch ich kann ihm seine Last nicht völlig nehmen, ich kann ihn nur stützen.
,, Es kommt nicht darauf an, wie viele es sind. Es kommt darauf an was du mit ihnen machst. Entweder du ziehst sie dir unter Höllenqualen aus deinem Körper und versuchst mit den Schmerzen zu leben oder du lässt es sein und ergibst dich. ''
Jihyun schaut zu Boden, seine Augen glitzerten bedrohlich.
,, Ich bin schwach, Jimin. Ich bin zu schwach um zu kämpfen. Ich bin kein Kämpfer. Ich bin nicht wie du, wie Mama, wie Paps. Ich...", seine Stimme bricht ab. Er schluchzt und vergräbt seinen Kopf in den Händen. Instinktiv schließe ich ihn in meine Arme.
,, Du bist nicht schwach, Jihyun", flüstere ich sanft. ,, Du musst nur endlich aufstehen und dich wehren."
,, Ich kann das nicht."
,, Ich helfe dir. "
,, Mir kann man nicht helfen."
,, Hör auf mit dem Stuss, natürlich kann man dir helfen."
,, Ich bin nur eine Last."
,, Nein, du bist keine Last. Du bist mit Appa zusammen der Grund, warum ich überhaupt kämpfe."
,, Aber-"
,, Kein Aber. Schluss damit. Ich muss noch einkaufen gehen."
Ich lasse ihn nicht aussprechen. Das Gespräch ist für mich beendet.
Jihyun schüttelt mit dem Kopf: ,, Ich mache das."
Ich winke ab, ,, Ich mach das schon."
,, Du willst , dass ich aufstehe und mit dem Schmerz lebe, dann fange ich jetzt damit an. " Die Aussage bringt mich zum Lächeln.
,, Okay." Fang damit an.
Ein Lächeln stahl sich ebenfalls auf sein Gesicht.
Ich vertraue dir.
Obwohl mein kleiner sich um das Einkaufen kümmert, muss ich trotzdem das Haus wieder verlassen. Nicht nur wegen Ddosun, noch immer habe ich vor irgendwo etwas dazuzuverdienen. Dank sorgfältiger Recherche , auch ein kurzer Blick in die Zeitschriften genannt, weiß ich, wohin mein Weg mich führen soll. Der erste Versuch ist ein kleines Cafe nicht sonderlich weit von hier. Leider muss ich Ddosun draußen anleinen, Hunde sind drinnen nicht erlaubt. Ich kraule traurig hinter dem Ohr und verspreche gleich wiederzukommen.
,, Kann ich Ihnen behilflich sein?"
Ein Mann, vielleicht Mitte vierzig, lächelt mich freundlich an.
,, Ja, ich habe Ihre Annonce gesehen und würde mich gerne als Aushilfskraft bewerben."
,, Natürlich, gehen Sie bitte gerade aus und nach rechts, die linke Tür. Dort finden Sie Herr Kim." Ich verbeuge mich und bedanke mich höflich für seine Hilfe. Ich laufe weiter durch das gut besuchte Cafe,folge der Wegbeschreibung bis ich vor Herr Kims Tür stehe.
Mein Handinnenflächen beginnen zu schwitzen. Ich schlucke. Soll ich wirklich?
Meine Gedanken driften zu Papa. Seinen müden Augen, in denen sich der Schmerz des Verlustes wiederspiegeln. Er schafft es alleine nicht. Er braucht Hilfe. Meine Hilfe.
Ich fasse all meinen Mut zusammen und klopfe an der weiß lackierten Tür.
Wenige Sekunden verstrichen, die sich für mich wie Minuten anfühlen.
,, Herein."
*
,, So Mister Park, ab nächster Woche erwarte ich Sie hier. "
Ich nicke lächelnd und reiche meinem neuen Chef die Hand. Ich habe es tatsächlich geschafft. Sogar beim ersten Versuch. Wow. Ich, Park Jimin habe einen Job.
Die Vorstellung ist beängstigend, allmählich werde ich tatsächlich erwachsen. Vor nicht all zu langer Zeit kannte ich dieses Wort überhaupt nicht, genau vor acht Monaten.
,, Minnie, bitte hör auf damit. Du machst mich ganz nervös", sagte mein kleiner Bruder.
Seit geraumer Zeit lief ich in die eine Richtung, machte kehrt und lief in die entgegengesetzte.
Wir standen - Jihyun saß - vor einer Tür und warteten darauf, dass sie von unserem Vater geöffnet wurde.
Es war früh Montag Morgens und mit früh meinte ich verdammt früh, vielleicht drei oder vier Uhr.
Mitten in der Nacht hatten Sirenen geläutet, ein Krankenwagen parkte vor unserem Haus.
Neugierig hatte ich aus meinem Fenster geguckt um zu erfahren wen sie mitnehmen würden. Solange bis Papa die Tür aufriss, sein Gesicht war kreidebleich, in seinem Gesicht das blanke Entsetzen. Noch bevor ich die Frage nur aussprechen konnte, wurde sie mir beantwortet. Die Sanitäter stürmten unsere Wohnung, schrien sich irgendetwas zu und rauschten an uns vorbei.
Jihyun starrte abwechselnd von mir zu Papa und wieder zurück,
,, Mama?" Just in diesem Moment rannten die Sanitäter erneut an uns vorbei, sie hatten eine Trage dabei und auf dieser lag Eomma.
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Nein, das konnte nicht wahr sein. Nein, nein...
,, Mitkommen", Papa hetzte aus dem Raum, stumm folgten wir seiner Aufforderung. Bei beiden von uns saß der Schock tief. Schnell zog ich irgendein Paar meiner Schuhe an und sprintete unserem Vater hinterher.
Ich stolperte über die Kante einer Stufe, konnte mich allerdings noch halten. Zeit, um darüber nachzudenken blieb mir sowieso nicht. Zeit, genau das hatten wir nicht. Papa drückte aufs Gas, Schweißperlen liefen ihm über das Gesicht. Wir bauten beinahe einen Unfall auf der Fahrt zum Krankenhaus, doch interessieren tat es mich wenig. In meinen Gedanken war ich nur bei meiner Mutter.
Mama, der irgendetwas zugestoßen war und die jetzt wahrscheinlich um ihr Leben ringte. Papa achtete kaum auf die roten Ampeln, genauso wenig wie auf andere Verkehrsteilnehmer, verübeln konnte ich es ihm nicht. Im Gegenteil, ich war im dankbar. Dadurch war diese Höllenfahrt schneller vorbei.
,, Jiminie?"
,, Es tut mir leid, ich mache mir
einfach Sorgen."
,, Glaubst du ich mir nicht? Glaubst du mir macht es Spaß hier zu sitzen, während...während..."
Jihyun brach den Satz ab und schaute weg. Ich wusste , was er sagen wollte.
Ich packe ihn an der Schulter, zwinge ihn mich anzuschauen:
,, Ich weiß nicht was gerade hier abläuft. Es fühlt sich an wie ein Traum, ein böser, böser Traum, der trotzdem so echt wirkt, so dass es mir Angst macht. Ich komme mit all dem nicht klar. Mein Kopf scheint gleich zu explodieren, mein Herz rast, meine Hände zittern. Ich habe Angst, Heidenangst sogar... Scheiße verdammt! Ich ertrage das alles nicht."
In seinem Gesicht suchte ich nach irgendwelchen Regungen, Emotionen, doch seine Miene schien undurchdringbar, als hätte er seine Schutzschilde gerade hochgefahren und beschlossen alle Gefühle auszuschalten.
Er schaute mich an, ich schaute ihn an. Er wollte etwas sagen, haderte mit sich selbst, sein Mund war bereits geöffnet, beließ es jedoch dabei. Wir schwiegen uns an.
Meine Arme noch immer auf seiner Schulter platziert. Meine Finger, die sich krampfhaft in sein langärmliges Shirt krallen.
Ich war der Verzweiflung nahe, warum musste es uns treffen? Es gab doch acht Milliarden andere. Vielleicht klang ich egoistisch, herzlos , grausam, wenn ich so etwas sagte, allerdings war ich bestimmt nicht der einzige, der so dachte. Die Menschheit wurde selbstgefällig erschaffen, warum sollte ich dann eine Ausnahme bilden?
Die Tür öffnete sich quietschend, wir lösten uns eilig von einander. Papa.
,, Wie geht es ihr? Was hat Mama?" , wir bombardierten ihn mit tausenden Fragen.
Kaum merklich schüttelte er mit dem Kopf, sein Blick wanderte zu Boden.
Ich dachte mir ginge es schlimm, doch für unseren Vater musste das alles tausend Mal schlimmer sein.
Egoist.
Er vergrub sein Gesicht in den Händen.
,, Geht selbst rein, ich schaffe es nicht mehr. Verzeiht mir."
Er war am Ende. Kurz davor selbst zusammenzubrechen. Ein falsches Wort und er liegt auch in einem dieser Betten.
,, Paps, es ist in Ordnung. Wir schaffen das. Versuch dich am Besten auszuruhen. " Jihyun klopfte ihm tröstend auf die Schulter.
Er fand immer schon die richtigen Worte in solchen Situationen. Mein Bruder besaß schon immer diese Feinfühligkeit im Gegensatz zu mir.
Mir widerstrebte es Papa in diesem Zustand alleine zu lassen, doch der Drang Eomma zu sehen war stärker. Ich hielt diese Ungewissheit nicht aus, sie machte mich wahnsinnig.
Die Ungewissheit, die einen fast umbrachte oder der Fall in das schwarze Loch aus das man nicht wieder herausfand, was war schlimmer? Nicht zu wissen, wie es um deine Mutter stand oder zu wissen, dass es ihr scheiße ging, was war schlimmer?
Ich wünschte Niemandem jemals diesen Anblick mit ansehen zu müssen. Die eigene Mutter, an duzenden Kabeln hängend, mit geschlossenen Augen.
,, Ihr Zustand ist momentan stabil. Sie ruht sich lediglich aus", sprach der Mann im weißen Kittel und notierte etwas auf seinem Klemmbrett.
,, Wie geht es ihr?", fragte ich ihn mit möglichst ruhiger Stimme. Ein Wunder, dass ich meine Stimme noch nicht verloren hatte.
,, Nun, Herr Park wie ich Ihrem Vater bereits erzählt habe, geht es Ihrer Mutter nicht gut. Sie ist leider an Lungenkrebs erkrankt, erschwerend kommt hinzu , dass sie sich im vierten Stadium befindet. Es tut uns leid, wir können nicht mehr viel für sie tun."
Ein dicker Klos bildete sich in meinem Hals. Was soll das heißen? Sie wird sterben? Meine Eomma wird sterben?
...Das schwarze Loch war letzten Endes dennoch schlimmer, denn wenn du einmal gefallen warst, verschlang es dich. Es fraß dich auf, Stück für Stück, bis nichts mehr von dir übrig blieb.
Bis du deine leere Hülle warst und alle Hoffnung aus dir raus gesogen wurde. Dann, genau dann hatte dein endloser Kampf ein Ende, nur leider standest du nicht auf der Gewinner Seite.
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