III
Mein Wecker klingelt pünktlich um fünf und beendet meinen wundervollen traumlosen Schlaf.
Der Drang liegen zu bleiben ist groß, doch zwinge ich mich aufzustehen. Widerstand ist zwecklos, obwohl die Müdigkeit mich beinahe überrumpelt. Bestimmt ziehen sich meine Augenringe bis zum Boden.
Doch ich kämpfe gegen das Gefühl an und schlendere in die Küche.
Das Päckchen mit dem Chahan ist verschwunden, genauso wie unser Vater.
Gähnend fühle ich Wasser in die Kaffeemaschine und stelle diese an. Ohne Kaffee würde ich diesen Tag nicht überleben. Ich brauche das Koffein.
In unserem kleinen Wohnzimmer schläft Ddosun noch immer auf seinem Kissen und schenkt mir keine Beachtung. Ein Lächeln umspielt meine Mundwinkel, der Anblick erwärmt mein Herz.
Leise schlurfe ich weiter in Richtung Bad und mache mich fertig. Ich putze meine Zähne und unterziehe mich einer kurzen Katzenwäsche.
Der Blick in den Spiegel zeigt mir genau das an, was ich nicht sehen will: Mich.
Ich sehe fürchterlich aus. Selbst ein Blinder würde mein Leid bemerken. Schnell wende ich meinen Blick ab und verlasse das Bad wieder.
Inzwischen ist der Kiishu wach und streckt sich ausgelassen, die Uhrzeit ist anscheinend für ihn auch zu früh. Allerdings würde ich es anders zeitlich nicht hinbekommen.
Ddosun muss mindestens zweimal am Tag raus und ich komme frühstens um halb fünf zurück.
Dafür büße ich jeden Morgen eine dreiviertel Stunde an Schlaf ein, doch das ist es absolut wert. Ddosun ist eines der besten Dinge, die mir jemals passiert ist. Er passt auf mich auf und ich auf ihn. Mama hatte ihn eines Tages mitgebracht, er war ein aussichtsloser Fall und sollte eingeschläfert werden.
Als junger Welpe wurde er stark misshandelt und hatte sein Vertrauen zu Menschen verloren.
Doch mit viel Liebe und Zeit haben Mama und ich sein Vertrauen zurückgewonnen und das zahlt der Vierbeiner uns Tag für Tag zurück. Wir haben ihn beschützt und jetzt beschützt er uns.
Selbst Papa hat ihn nach langem Zweifeln akzeptiert und ins Herz geschlossen. Er gehört mit zu unseren Familie.
Gierig stürzt sich der kleine weiße Schäferhund auf das Dosenfutter, während ich an dem brühend warmen Kaffee nippe. Zwar würde es uns ohne die anfallende Kosten, die beispielsweise durch sein Futter anfallen finanziell etwas besser gehen, doch ich bringe es nicht über das Herz mich von ihm zu trennen.
Er ist mein ein und alles.
Mein bester Freund.
Mein Beschützer.
Mein Tröster.
Der beste Hund, den man sich nur vorstellen kann.
,, Na los, mein Junge, lass uns frische Luft schnappen'', sage ich, als er mit Trinken ebenfalls fertig ist.
Ich nehme mir noch ein belegtes Brötchen mit und schleiche zum Flur, um mich anzuziehen. Der Schäferhund trottet entspannt hinter mir her. Die Schlüssel und mein Handy stopfe ich derweil in meine Hosentaschen, bevor ich die schwarze Leine in seinem Halsband einhake und die Holztür überschwänglich aufreiße.
*-*-*-*-
Als nächstes muss ich Jihyun aus dem Bett bekommen. Das wird kein Kinderspiel, sein Kater erleichtert die Sache nicht gerade.
Wenigstens habe ich im Bad noch eine Aspirin gefunden, so dass er hoffentlich nicht ganz so unausstehlich sein wird, wie ich es mir ausmale.
Ab In die Höhle des Löwens. Als ich den Raum betrete, liegt der Löwe noch immer friedlich in seinem Bett. Fast schon wie ein kleines Schäflein. Aber beinahe nur fast.
Der Schein trügt, so bald ich ihn wecke, wird er mich zerfleischen.
,, Jihyun, aufstehen." Stille.
,, Jihyun, steh' auf. " Meine Stimme wird lauter, anscheinend allerdings noch nicht laut genug, denn er nuschelt lediglich etwas vor sich hin und hält sich schützend die Ohren zu. Er glaubt wohl mich so loszuwerden.
Nicht mit mir.
,, Jihyun, wenn du nicht sofort deinen Arsch aus dem Bett schwingst, dann mache ich dein Leben zur Hölle."
,, Du machst mein Leben schon zur Hölle." Der wehrte Herr spricht endlich mit mir.
,, Wenn du jetzt nicht aufstehst, dann gnade dir Gott." Mein Geduldsfaden ist endgültig gerissen, er muss aufstehen, ob er nun will oder nicht.
,, Aber -''
,, JETZT." Bei meinem Bruder bringt die freundliche Art selten etwas, stattdessen muss man bei ihm hart durchgreifen. So wie jetzt.
Murrend wird die blaue Decke zur Seite geschlagen.
,, Geht doch, du kriegst auch gleich eine Aspirin", sage ich und öffne die dunklen Türen des spärlich besetzten Kleiderschrank, das weinrote Sakko meiner Schuluniform ist der einzige Klecks Farbe, meiner sonst eher schlicht gehaltenen Teile. Wahrscheinlich auch der hochwertigste. Von meiner Schule habe ich ebenfalls eine graue Hose und eine dazu passende Krawatte zur Verfügung gestellt bekommen, worüber ich auch ziemlich glücklich bin. Denn sonst habe ich kaum ein Teil, genau genommen nur ein einziges nämlich ein weißes Hemd, das den strengen Vorgaben der Kleidervorschrift entspricht.
Außerdem wird so auch keiner wegen seiner Kleidung verurteilt. Alles in allem eine echt gute Sache.
In meinem Rücken spüre ich schon Jihyuns liebreizende Blicke, mit denen er mich am liebsten erdolcht hätte. Erdolchen ist kein Ausdruck, mein Bruder hätte sich am liebsten auf mich gestürzt. Aber seine Kopfschmerzen lassen es nicht zu, selber Schuld.
Wortlos reiche ich ihm ein Glas Wasser und eine Aspirin Tablette, die er dankend annimmt.
Peinliche Stille.
,, Jihyun," beginne ich irgendwann seufzend. Jetzt ist der richtige Augenblick um mit ihm zu reden, sich zu entschuldigen und für ihn dazu sein. ,, Es tut mir leid."
Und ich meine es auch so. Ich bin der ältere, ich trage die Verantwortung für ihn und ich habe versagt.
Ich sollte immer für ihn da sein. Immer versuchen ihn zu beschützen, immer ein richtiger Bruder für ihn sein. Ich habe Fehler begangen, nicht gerade wenige und ich hätte ihn verlieren können.
Meinen geliebten kleinen Bruder. Dieser Gedanke wird mich noch lange quälen.
Jihyun erwidert nichts, schaut mich an stattdessen mit einem undefinierbaren Blick an. Sekunden verstreichen.
,, Es ist... Es ist nicht deine Schuld'', sagt er nach längerem Warten zögernd.
,, Wessen Schuld denn dann? Aish, Jihyun. Glaubst du mir fällt es leicht dich so fertig zu sehen, Tag ein Tag aus und genau zu wissen, dass ich sowieso nichts daran ändern kann. Egal was ich tue, was ich sage. Ich habe das Gefühl, dass du mir immer mehr davon gleitest.
Weißt du wie es ist, wenn dein kleiner Bruder zu dir sagt, er hat darüber nachgedacht sich umzubringen und danach einfach spurlos verschwindet?
Es ist ein beschissenes Gefühl und noch beschissener ist es, wenn du weißt, dass du Schuld daran bist. Dir hätte sonst noch was passieren können. Glücklicherweise hat mir dieser eine Junge gesagt, dass er dich gesehen hat.
Sonst hätte ich dich noch später oder womöglich gar nicht gefunden. Ich habe verdammte Scheiß Angst um dich und ich will nicht noch eine geliebte Person verlieren. Das würde ich nicht aushalten. Niemals.''
Zum Ende hin werde ich lauter, schreie schon fast und lasse all die unterdrückten Gefühle raus.
Schmerz, Trauer, Frust, Verzweiflung und auch Wut. Unbändige Wut.
Ich bin wütend auf alles, auf mich, auf ihn, sogar auf dieses dumme Kissen neben mir. Ich würde am liebsten einfach schreien, mir die Seele aus dem Leib brüllen wie ein verletztes Tier, das kurz vor seinem Ende steht.
Das würde ich jetzt gerne tun. Aber ich kann nicht, weil ich sonst wahrscheinlich eine Anzeige wegen Ruhestörung am Hals haben würde.
,, Minnie", schluchzt Jihyun. Es ist eine Ewigkeit her, als er mich so genannt hat. Nein keine Ewigkeit, genau acht Monate ist es her. Das letzte Mal war bevor wir sie das letzte Mal gesehen haben, bevor sich ihre Brust das letzte Mal gehoben und gesenkt hat.
Mama hat gelächelt. Sie hat gesagt, dass sie uns liebt, dass wir stark sein sollen, dass wir das Beste sind, was ihr passiert ist und dann...dann haben sich ihre Augen geschlossen. Für immer.
,, Minnie, Ich vermisse sie. Ich vermisse Mom." Eine Träne verlässt seine Augenwinkel und die anderen lassen nicht lange auf sich warten. Er weint hemmungslos, schluchzt immer wieder.
Ohne lange zu überlegen, renne ich auf ihn zu und nehme ihn in den Arm. Etwas, das ich schon lange hätte tun müssen. Schlinge meine Arme so fest ich kann um meinen Bruder.
,, Ich vermisse sie auch, Jihyun, aber wir müssen stark sein. Sie hätte es so gewollt."
Sanft streiche ich über seinen Rücken. Ich spüre wie mein T-Shirt durchnässt wird, doch ich beschwere mich nicht. Ein T-Shirt ist ein T-Shirt, es ist ersetzbar, anders als mein kleiner Bruder.
,, Wir stehen das zusammen durch."
,, Versprochen?"
,, Versprochen."
,, Indianer Ehrenwort?" Er streckt mir seinen kleinen Finger entgegen.
,, Indianer Ehrenwort." Ich hacke meinen kleinen Finger bei ihm ein.
Ich werde alles in meiner Macht stehende tun um ein besserer Bruder für ihn zu sein. Alles.
,, Und jetzt mach dich fertig, wir müssen zur Schule."
,, Du hast den Moment versaut." Er lacht, dabei werden seine Augen immer zu kleinen Schlitzen. Wie bei ihr.
Ich stimme mit ein. Dieser Moment ist kostbar, scheint ewig zu währen. Doch auch die Ewigkeit scheint irgendwann zu enden.
Ich wechsle rasch in meine Schulkleidung , während Jihyun sich erst einmal frisch macht. Ordentlich lege ich die anderen Sachen zusammen und verstaue sie in unserem Kleiderschrank.
,, Beeil dich", rufe ich ihm zu.
Er brummt irgendetwas zurück, das ich nicht richtig verstehe. Ich zucke mit den Schultern, er wird sicher gleich kommen. Derweil kann ich ihm schnell etwas machen. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass wir uns ranhalten müssen. Schnell beschmiere ich zwei Brotscheiben und schmeiße auf beide irgendetwas, das halbwegs appetitlich aussieht. Wird schon schmecken. Ich fülle noch etwas Futter in Ddosuns Napf, falls er Hunger bekommt. Ich greife nach einer Nashi-Birne und einer Banane.
,, Ich nehme die Nashi." Also bleibt für mich die Banane. Toll.
Ich packe die Früchte schnell ein und drücke ihm die Cerealien samt Schüssel und Löffel in die Hand.
Die Milch steht auf dem Tisch. Dafür ernte ich einen Nicht-dein-Ernst- Blick von meinem Bruder, der sich trotzdem wiederwillig hinsetzt.
,, Iss so viel du schaffst", teile ich ihm mit und setze mich ihm gegenüber.
Dann werden wir eben ein bisschen schneller laufen. Die Zeit muss sein.
,, Hast du schon gegessen?" Jihyun.
,, Ja, bevor ich mit Ddosun draußen war."
Seine Portion ist nicht gerade die größte, aber besser als gar nichts. So lange er überhaupt etwas in seinem Magen hat, ist es schon ein Erfolg. Nach genau zwei Löffeln legt er den Löffel beiseite.
Ich lächele ihn aufmunternd an und reiche ihm seine Päckchen.
Jetzt aber nichts wie los.
Wir spurten zum Flur, schnappen unsere Sachen und eilen zur Schule so schnell unsere Füße uns tragen können.
Gerade noch rechtzeitig.
Respektvoll verbeugen wir uns vor dem Lehrer und warten darauf, dass er uns durchlässt.
Er nickt uns kurz zu und lässt Jihyun und mich passieren.
,, Wir sehen uns in der Pause, du weißt wo", sage ich zu ihm, bevor sich unsere Wege trennen.
Im Klassenzimmer bin ich einer der letzten und setze mich still an meinen Platz.
Ab jetzt sind es noch genau drei Stunden, bis zur ersten Pause.
Zwei Doppelstunden Koreanisch und eine Stunde Mathe.
Scheiße.
,, Sie dürfen jetzt gehen. "
Unsere Klasse erhebt sich und verabschiedet sich höflich mit einer Verbeugung von der Lehrkraft. Erst als diese den Raum verlassen hat, dürfen auch wir unsere Sachen einpacken und in unsere Frühstückspause. Der erste und zweite Jahrgang hat zusammen Pause, während der Abschlussjahrgang noch unterrichtet wird. Auch ohne ihn sind die Gänge nicht gerade leer. Die rund vierhundert Schüler strömen aus den Klassenzimmer und verteilen sich auf dem ganzen Gelände. Unsere Schule besitzt zwei Cafeterien, in der einen treffe ich Jihyun.
Wie immer ist zum Erbrechen viel los, fast alle Tische sind besitzt, die Lautstärke ist hoch.
Es wird gegessen, geredet, gelacht. Normale Jugendliche einfach.
Unser Tisch ist einer der wenigen freien, liegt vor allem an seiner abgelegenen Lage.
Ich nehme Platz und krame in meiner Tasche nach meinem Brot.
Ohne groß nachzudenken beiße ich hinein und verzog angewidert das Gesicht. Was zur Hölle?
,, Schmeckt nicht so toll, was?" Grinsend setzt sich mein Bruder zu mir.
Ich schüttele noch immer mit verzogenem Gesicht den Kopf.
,, Muss trotzdem runter, ist sonst Schade um die verschwendeten Lebensmittel", erwidere ich Schulter zuckend und nehme noch einen Bissen, was ich Sekunden später bereue. Widerlich.
,, Ich würde gerne ein Foto von deinem Gesichtsausdruck machen, er ist so unbezahlbar. Du schaust ungefähr so."
Er verzieht sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze, was mich ungewollt zum Lachen bringt.
,, Hör auf. So schaue ich nicht" Ich halte mir peinlich berührt die Hände vor das Gesicht.
Doch eigentlich will ich nicht, dass er aufhört. Es erfüllt mein Herz mit Freude, ihn so zu sehen. So unbeschwert, so befreit. Es macht mich glücklich, wenn er glücklich ist.
,, Stimmt, du schaust eigentlich eher so."
,, Gar nicht wahr." Ich verschränke gespielt beleidigt die Hände vor der Brust.
,, Habe ich wohl den kleinen Jimin verletzt?" Er kneift mir spielerisch in die Seite.
Was ist mit ihm passiert? Ich kann nicht glauben, dass das die selbe Person ist, die sich an meiner Schulter ausgeweint hat. Unmöglich.
,, Wer bist du? Was hast du mit meinen Bruder Park Jihyun gemacht?''
,, Du bist so ein Idiot. " Er rollt mit den Augen.
,, Nicht so frech hier, ich bin schließlich dein großer Bruder."
Ich grinse wahrscheinlich wie ein Perverser und es ist mir so egal. Endlich, endlich gibt es einen Lichtblick. Eine Hoffnung für meinen Jihyun. Dafür erst Mal einen Bissen von diesem ekelhaften Etwas. Mir wirs schlecht.
,, Das ist pure Folter. "
,, Für dich vielleicht, die Nashi ist köstlich." Er knabbert vorsichtig an der Birne. Langsam aber sicher werde ich ihn da raus holen. Indianer Ehrenwort. Selbst wenn es Wochen, Monate oder Jahre dauern wird, ich werde nicht von seiner Seite weichen.
Jedes Grinsen, jede Lache, ist ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt mir, dass Park Jihyun noch nicht verschwunden ist und ich werde dafür sorgen, dass er es niemals tut.
Leider vergeht die Zeit, wenn sie am schönsten ist, viel zu schnell. Ich verabschiede mich von ihm und folge den anderen Zweitklässlern unserer Schule, während Jihyun sich zu den Erstklässlern gesellt.
Nächstes Jahr werde ich meinen Abschluss machen und wohl oder Übel studieren gehen. Der Gedanke allerdings Appa und Jihyun alleine zu lassen macht mir Angst. Mein Traum war ursprünglich die Busan High School of Arts. Als Kind hatte ich es immer geliebt zu tanzen,
Als Kind... vor acht Monaten war tanzen neben dem Piano mein Leben. Ich hatte jede freie Sekunde geübt in der ich Zeit hatte. Manchmal bis spät in die Nacht. Bis... es passierte.
Seit dem habe ich mit beidem aufgehört. Das Geld hat nicht gereicht, genauso wenig wie die Zeit. Ich komme mir selbstsüchtig vor, wenn ich das so schon knappe Geld aus dem Fenster werfe.
Deshalb werde ich mir diese Woche noch einen Job suchen, dann kann ich hoffentlich die Kosten für die Leihgebühren bezahlen und vielleicht einen kleinen Teil für uns beitragen. Möglicherweise kann ich sogar wieder anfangen ins Tanzstudio zu gehen. Ich weiß, dass ich kein Vermögen verdienen werde, doch ich werde das Beste daraus machen.
Es wird hart, keine Frage. Für einen heiß begehrten Platz an meiner Traum Universität, für meinen Traum, für eine unsichere Zukunft, werde ich auch den Rest meiner freien Zeit opfern.
Ich schaffe das. Für mich.
Ich schaffe das. Für Mama.
Ich schaffe das. Für Papa.
Für Jihyun. Für alles, was ich mir etwas bedeutet, was ich liebe.
Mein Schlafdefizit macht sich im Verlauf des Tages immer mehr bemerkbar, ich bin fast im Unterricht eingeschlafen und das wäre mein sicheres Ende gewesen. Im schlimmsten Fall hätten sie mich der Schule verweisen können.
Unsere Lehrkräfte kennen keine Gnade. Jeder der auf negative Weise auffällt hat ein echtes Problem. Widerspruch zwecklos, verschlimmert das ganze nur.
Dafür gibt es nur eine Lösung? Kaffee. Literweise Kaffee. Selbst wenn das Zeug schlecht für den Körper ist, ich brauche das Koffein. Dringend. Anders kann ich meinen Zehn-stündigen Schultag nicht überleben. Nächstes Jahr werden es noch mehr. Elf.
Die Schule hat bestimmt schon ein Haufen Geld mit dem Verkauf von Kaffee gemacht, die Schüler reißen sich praktisch darum, als gäbe es keinen Morgen. Mich mit eingeschlossen.
Ohne ihn wäre ich hoffnungslos aufgeschmissen. So halte ich die Schule tagtäglich aus. Sowie Gestern. Und Heute. Der Gong ist wie Musik in meinen Ohren. Wunderbare Musik.
Die meisten beeilen sich nach Schulende mit zusammenpacken, sie haben Busse, die sie nicht verpassen dürfen oder in seltenen Fällen Jemand, der auf sie wartet. Ich habe nichts von beiden, Jihyun hat noch Unterricht und unser Vater kommt sowieso erst in Stunden.
Ich laufe durch die leeren Gänge, an verschiedenen Klassenzimmern vorbei. Selbst am Musikzimmer, wo die ganzen Schulinstrumente gelagert werden. Von Bläsern, zu Schlagzeugen, selbst ein Piano können sie ihr eigen nennen...
Abrupt bleibe ich stehen. Ich habe es doch allen ernstes vergessen, bei dem gestrigen Trubel.
Gestern habe ich mich für die Piano Stunden eingetragen, den ganzen Nachmittag konnte ich deswegen nicht stillsitzen.
Auf einen Schlag bin ich hellwach, meine Fingerspitzen beginnen zu kribbeln. Ohne großartig nachzudenken greift meine Hand nach der Türklinke und übt einen leichten Druck aus.
Da steht es. Das Kunstwerk. Wie benommen lege ich meine Sachen in die Ecke.
Wie kannst du nur so etwas schönes machen? Ich will das auch machen können. - Dann zeige ich es dir, es ist eigentlich ganz einfach.
Verschiedene Bilder und Szenarien fluten meinen Kopf. Unsere Familie während des Essens. Mama und Papa lächelnd. Jihyun wie er mir meine Gabel klaut, ich wie ich deswegen lautstark protestiere.
Eomma, die uns beide in den Arm nimmt.
Ich spüre wie etwas feuchtes meine Wangen hinunter läuft. Bleib stark.
Ich atme tief ein und aus und setze meinen Weg fort.
Der Hocker ist bequem gepolstert, sanft streichle ich über den glänzenden Klavierdeckel und hebe ihn an. Die darunterliegende Tastatur scheint mir so vertraut wie unbekannt zu sein.
Ohne Zweifel ist das kein billiges Piano, hat der Schule bestimmt ein kleines Vermögen gekostet.
Eine Schande, dass kaum einer es benutzt.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und beginne das, was ich mich lange Zeit nicht getraut habe. Ich spiele.
Schnell merke ich, dass meine Finger es nicht verlernt haben. Schon bald schweben sie über die schwarzen und weißen Tasten. Ich schließe meine Lider. In diesem Moment fühle ich mich das erste Mal richtig verbunden mit ihr. Es scheint so, als würde sie wirklich bei mir sein, direkt neben mir sitzen.
Gott, wie sehr habe ich das alles vermisst. Ich fühle mich wie befreit, als wäre die schwere Last von meinen Schultern genommen worden.
Ich bin glücklich.
Musik macht mich glücklich.
Doch mein Glück wird viel zu schnell wieder kaputt gemacht wie schon so vieles in meinem Leben.
Ein Räuspern lässt mich zusammenzucken. Blitzschnell nehme ich meine Hände von dem Piano und hebe meinen Kopf leicht an. Im Türrahmen steht ein mir nur all zu bekannter dunkler Haarschopf. Der Junge von Gestern. Jungkook.
Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf.
,, Ich ehm... tut mir leid...ehm...du hast sehr gut gespielt...Ich...", mit einer Handbewegung deutet er auf eine der Gitarren. Seine Wangen färben sich rötlich.
Ich nicke wie benommen, um ehrlich zu sein hat es mir die Sprache verschlagen.
,, Natürlich", murmele ich und stehe auf. ,, Tut mir leid."
Mein Blick ist starr auf den Boden gerichtet, die Situation ist mir mehr als unangenehm. Ich greife hastig nach meiner Tasche und wäre am liebsten reflexartig weg gerannt.
Ich bin nicht der kontaktfreudigste, häufig werde ich sowieso von den meisten gemieden.
Ich bin ein Außenseiter, ausmachen tut es mir jedoch nicht viel.
Ich kann auf Freunde verzichten, die sich eigentlich einen Scheiß Dreck um mich kümmern und nur an sich denken.
Jungkook geht einen Schritt zur Seite.
,, Ich hoffe deinem Bruder geht es wieder besser."
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