❤️ Überlebt
I had a one-way ticket to a place where all the demons go
Where the wind don't change
And nothing in the ground can ever grow
No hope, just lies
And you're taught to cry in your pillow
But I survived
"Falls irgendwas ist, dann weck mich einfach, okay?", sagte Kuina fürsorglich, bevor sie das Licht löschte.
Ihr Zimmer beherbergte ein riesiges Doppelbett, das weitaus größer und bequemer war als meines. Selbst ohne eine der exklusiven Suiten zu bewohnen, war der Wohnstandard in ihrem Zimmer deutlich gehobener als der in den unteren Etagen.
Eine beruhigende Stille legte sich über uns. Nur, wenn man ganz genau hinhörte, vernahm man in weiter Ferne noch das Wummern der Bässe, das aus der Richtung des Pools zum Fenster hereingetragen wurde. Erst wenige Tage zuvor war ich selbst unter den Leuten gewesen, die ausgelassen gefeiert und getanzt hatten, doch nun war es wie eine längst verblasste Erinnerung an ein anderes Leben.
Ich zog die Decke ein wenig enger um meinen Körper und versuchte, in dieser unbekannten Umgebung eine angenehme Schlafposition zu finden, in der ich endlich zur Ruhe kommen konnte. Doch es war nach wie vor schwer, die Geschehnisse des Tages von mir abzuschütteln und die Dunkelheit in meinem Inneren zu vertreiben. Mein Kopf war überflutet von Bildern, die sich vor meinem geistigen Auge in einer quälenden Endlosschleife wiederholten und dort für immer manifestierten.
Allerdings spürte ich auch wie sich allmählich eine lähmende Erschöpfung in mir ausbreitete. Für einen kurzen Moment kämpfte ich noch gegen die bleierne Schwere meiner Augenlider an, die mich unerbittlich in einen tiefen Schlaf ziehen wollten. Mein Körper schien mich beinahe gewaltsam zur Ruhe zwingen zu wollen, als würde er wissen, dass Schlaf die einzige Fluchtmöglichkeit vor der grausamen Realität war. Schon bald leistete ich keinen Widerstand mehr und ließ die Beruhigungsmittel ihre Wirkung entfalten, indem ich ergeben meine Augen schloss. Mein letzter Gedanke, bevor ich endgültig weg driftete, galt den schönen, aber emotionslosen dunklen Augen und dem Mann, dem sie gehörten.
♡
Erst die Bewegung der Matratze neben mir holte mich wieder aus dem tiefen Schlummer, in den ich gefallen war. Meine Glieder schmerzten und fühlten sich ungewohnt steif an, als ich versuchte mich herumzudrehen, beinahe so, als wäre ich aus einem langen Koma wieder aufgewacht.
Hatte Ann mir dieses Mittel verabreicht, um mich zu beruhigen oder um mich zu betäuben?
Die Dosis, die sie mir gegeben hatte, hätte vermutlich sogar einen ausgewachsenen Elefanten umgehauen.
"Sorry, ich wollte dich nicht wecken", flüsterte Kuina und beugte sich zu mir herüber, als sie sah, dass ich sie verschlafen anblinzelte. "Wie hast du geschlafen?"
"Wie eine Tote", rutschte es mir heraus, bevor ich mir eilig auf die Lippe biss. War wohl nicht der beste Moment, sich mit den Toten zu vergleichen. "Ich glaube, Ann hat versucht mich umzubringen."
Kuina kicherte leise.
"Du darfst es ihr nicht verübeln. Mit Leichen kennt sie sich einfach besser aus."
Kuinas Kommentar rang mir trotz meiner Schmerzen ein müdes Lächeln ab. Ihr leichtfertiger Humor brachte etwas Helligkeit in die Finsternis des gestrigen Tages.
"Da kann ich ja froh sein, dem Seziertisch gerade so entronnen zu sein", entgegnete ich sarkastisch.
Es verwunderte mich jedes Mal aufs Neue, wie schnell ich wieder Witze reißen konnte, nach allem, was mir widerfahren war. Vielleicht war das aber auch nur eine Art Verdrängungsmechanismus, um mich der bitteren Wirklichkeit nicht stellen zu müssen. Die Erinnerungen an das Spiel vom Vortag kamen allmählich wieder zu mir zurück. Erinnerungen, die ich lieber für immer aus meinem Gedächtnis gelöscht hätte. Doch ich wusste, dass selbst die Medikamente nicht dazu imstande waren, mich meine Gräueltaten je vergessen zu lassen.
"Ich muss zugeben, du siehst auch etwas besser aus als gestern", bemerkte Kuina mit deutlich ernsterer Stimme, als sie mich mit sorgenvoller Miene musterte.
"Viel schlechter wäre wohl auch kaum möglich gewesen."
"Im Ernst, ich bin froh, dass du okay bist. Ich glaube, du standest gestern ganz schön unter Schock."
Ich nickte nur stumm. Um ehrlich zu sein, war ich mir noch nicht sicher, ob ich ihn auch tatsächlich überwunden hatte. Dass ich immer noch am Leben war, fühlte sich aus irgendeinem Grund falsch an.
"Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst, Izzy-chan. Und wenn du darüber reden willst, dann bin ich da, aber falls nicht, dann ist das auch okay", versicherte sie mir mit einem sanftmütigen Lächeln.
Ihre Worte rührten mich.
"Danke, Kuina. Das ist wirklich nett von dir", murmelte ich leise. "Das habe ich gar nicht verdient."
"Red keinen Unsinn! Ich kenne dich vielleicht noch nicht lange, aber ich erkenne, wenn jemand ein gutes Herz hat", erklärte sie beharrlich, ohne ihren Blick von mir abzuwenden.
"Wenn du meinst..."
"Oh, das tue ich", gab sie voller Überzeugung zurück, und sprang leichtfüßig vom Bett auf, um die Vorhänge vor den Fenstern aufzuziehen. Gleißendes Tageslicht fiel in das Zimmer und ich legte schützend meine Hände auf die Augen. "Ich werde jetzt mal fix duschen gehen. Danach kannst du ins Badezimmer, um dich fertig zu machen und dann gehen wir zusammen runter zum Frühstück, okay?"
Der Ton, den sie anschlug, ließ nicht viel Raum für Gegenargumente, weshalb ich nur nickte und dann versuchte meinen trägen Oberkörper langsam aufzurichten. Als Kuina im Nebenzimmer verschwunden war, tasteten meine Hände prüfend nach dem Verband an meinem Hals. Er saß noch genauso fest, wie Ann ihn mir am Vortag angelegt hatte. Am liebsten hätte ich ihn mir von der Kehle gezerrt, weil der unangenehme Druck mich noch immer an das enge Metallband erinnerte, dass mich gefangen gehalten und fast zu Tode gefoltert hatte. Doch ich wusste auch, dass der Verband nötig war, damit die Wunde abheilen konnte, ohne sich zu infizieren. Ann hatte gesagt, dass Narben an der Stelle zurückbleiben werden. Ich war gebrandmarkt worden: meine gerechte Strafe, für das, was ich getan hatte. Möglicherweise sogar eine härtere Strafe, als im Tod Erlösung zu finden, denn es bedeutete, dass ich für immer mit den Folgen meiner Taten leben musste.
Immer noch schwerfällig, hievte ich meine Füße über den Rand der Matratze und sah mich dann zum ersten Mal eingehender in Kuinas Räumlichkeiten um. Die Fensterfront, durch die das helle Tageslicht strömte, verlieh dem Raum eine freundliche Atmosphäre. Abgesehen von dem größeren Bett gab es nicht viele Unterschiede zu meinem Zimmer. Doch ein besonderes Detail hob Kuinas Quartier von meinem ab: ein Balkon.
Als ich durch die Scheibe nach draußen blickte, bemerkte ich, dass der Himmel noch immer in den zarten Farben des Sonnenaufgangs schimmerte. Rasch erhob ich mich vom Bett und schnappte mir meinen Yukata, um ihn mir überzuziehen. Ich merkte, dass ich noch immer etwas wackelig auf den Beinen war, als ich an die Balkontür herantrat und sie öffnete. Die frische Morgenluft, die mir entgegenschlug, war befreiend und ließ mich fast gierig den Sauerstoff inhalieren. Ich trat über die Schwelle und blickte fasziniert zum Himmel hinauf, der in den verschiedensten Pastelltönen erstrahlte. Das furchtbare Unwetter hatte sich verzogen und die Luft war wieder federleicht und erfrischend.
Eine angenehme Stille hatte sich jetzt über die Hotelanlage gelegt, als würden sämtliche Bewohner noch in einem tiefen Schlaf verharren. Nur das vereinzelte Kreischen der Möwen am Himmel und das weit entfernte Rauschen des Meeres war zu vernehmen.
Gedankenverloren lehnte ich mich über die Brüstung und ließ für einen kurzen Moment den Ausblick mit der stetig aufsteigenden Sonne über Tokyo auf mich wirken. Doch diese Idylle ließ mich auch unweigerlich an all die Menschen denken, die nie wieder einen Sonnenaufgang erleben würden - und das alleine meinetwegen.
Ich schloss die Augen und blinzelte mühevoll meine Tränen weg, die sich gerade anbahnen wollten. Gestern noch, hatte ich alles Erdenkliche dafür tun wollen, um in dem Spiel nicht sterben zu müssen, doch nun war ich mir nicht mehr sicher, ob das die richtige Entscheidung gewesen war.
Was war der einfachere Weg: das Leben oder der Tod?
Gab es überhaupt einen einfachen Weg?
Gab es eine richtige oder eine falsche Entscheidung?
Und wie lernte man, mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen zu leben, wie schwierig sie auch sein mochten?
Frustriert vergrub ich die Hände in meine Locken und gab ein verärgertes Knurren von mir.
"Was denn? Schlecht geschlafen?"
Ich zuckte zusammen und mein Kopf fuhr hektisch herum.
Der unerwartete Klang dieser Stimme hatte mich so erschreckt, dass mein Herz wild gegen meine Brust trommelte.
Meine Augen weiteten sich ungläubig.
Da stand Chishiya, lässig über dem Geländer lehnend, eine Kaffeetasse in der Hand und das gewohnte spöttische Grinsen auf den Lippen. Man konnte ihm regelrecht ansehen, dass er meine Reaktion auf sein plötzliches Auftauchen sehr unterhaltsam fand.
"C-chishiya", stammelte ich mit leicht schriller Stimme und begann dann hektisch meine Haare zu ordnen, als mir bewusst wurde, dass ich vermutlich wie ein geplatztes Sofakissen aussah.
Sein selbstgefälliges Grinsen wurde noch ein wenig breiter, vermutlich weil man mir jetzt ansehen konnte, wie ich errötete.
"Was? Hast du etwa erwartet, dass du hier oben vollkommen alleine bist?"
Ich grummelte leise vor mich hin, während mein Blick sich zunehmend verfinsterte. Hätte ich eher gewusst, dass er das Zimmer direkt neben Kuina bewohnte, wäre ich bestimmt nicht so gedankenlos vor die Tür gegangen.
Ich rollte etwas genervt mit den Augen.
"Du bist wirklich überall, oder?", gab ich immer noch etwas aufgebracht zurück und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Was willst du?"
"Mmmh", machte er nachdenklich und nippte kurz mit dem Blick in die Ferne gerichtet an seiner Kaffeetasse. "Ich dachte, ich genieße die einmalige Aussicht an diesem wunderschönen Morgen und die Gelegenheit, dich mit meiner Anwesenheit zu belästigen."
"Klingt mir fast so, als bräuchtest du mal ein Hobby."
Chishiya ließ ein zynisches Lachen vernehmen.
"Ein Hobby? Ich habe doch bereits eins. Es nennt sich, in deinem Leben auftauchen, wenn du es am wenigsten erwartest", entgegnete er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen.
Ich schnaubte leise.
"Du meinst so wie gestern Nacht?"
Er nickte nur langsam und musterte mich dann nachdenklich, fast so, als würde er sich ein Exponat in einem Museum ansehen. Sein Blick blieb dabei an meinem Hals hängen. Hastig legte ich meine Haare über die Schulter, um den Verband damit zu abzudecken, während in meinen Wangen schlagartig Wärme aufstieg.
"Ich hab gehört, es war eine Herz 8."
Der Spott war plötzlich gänzlich aus seiner Stimme verschwunden und sein überhebliches Grinsen war wie weggewischt.
"Ja", entgegnete ich heiser und versuchte zwanghaft seinen Blicken zu entgehen.
Abwesend starrte ich ins Leere.
"Das Leben ist manchmal wie eine Runde Poker", begann er plötzlich und setzte dabei seine Tasse ab. Die morgendliche Sonne warf einen weichen Glanz auf sein Gesicht und der Wind wirbelte seine hellen Haare ein wenig auf, sodass es beinahe anmutig wirkte. In diesem Moment sah er aus wie ein Gemälde, das einen vollkommen in seinen Bann zog. "Wir alle haben Karten in der Hand, manchmal gute, manchmal schlechte", fuhr er fort und ließ seinen Blick dabei wieder in die Ferne schweifen, "Und manchmal, wenn wir Pech haben, bekommen wir eine Herz 8. Man kann versuchen, sich ein besseres Blatt zu wünschen, aber manchmal ist das Leben grausam und lässt uns unsere Karten nicht ändern. Und das ist der Moment, in dem wir wählen müssen, wie wir unser Blatt spielen. Das Spiel, das wir spielen, kann uns stärker machen, indem es uns dazu bringt, Risiken einzugehen, die wir normalerweise nie eingehen würden. Dennoch haben wir immer eine Wahl, wie wir unsere Karten spielen. Aber ganz egal, wie man sich letztendlich entscheidet. Man wird immer mit den Konsequenzen leben müssen."
Ich hielt einen langen Moment inne, um ausgiebig über seine Metapher des Lebens nachzudenken, die einerseits so ernüchternd und leichtfertig, aber andererseits auch etwas zutiefst Wahres an sich hatte.
Hatte ich Chishiya bisher falsch eingeschätzt?
"Und wie lebt man mit seinen Entscheidungen?", wollte ich von ihm wissen.
"Am besten, indem man aufhört darüber nachzudenken und akzeptiert, dass man die Vergangenheit ohnehin nicht mehr rückgängig machen kann."
"Du tust so, als wäre das das einfachste der Welt?", murrte ich. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass er Recht hatte. Mit der endlosen Grübelei kam ich keinen Schritt weiter. Es machte die Menschen schließlich auch nicht wieder lebendig.
Chishiya zuckte mit den Schultern.
"Es ist müßig, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die sich ohnehin nicht mehr ändern lassen. Reue ist ein Gefühl, dass man sich auch sparen kann. Stattdessen sollte man seine Energie dafür aufwenden, den Blick nach vorn zu richten statt zurück. Denn nur die Zukunft ist das, was man beeinflussen kann."
Ich hielt einen kurzen Moment inne, um über sein Gesagtes eingehender nachzudenken. Sicher führte endloses Grübeln eher selten zum Ziel, aber Reue zu zeigen, war doch etwas zutiefst menschliches. Ohne sie wäre man doch nur ein totes Stück Holz und kein Mensch aus Fleisch und Blut.
"Dieser Kerl... der, der mich gestern umbringen wollte. Ist er jetzt wirklich tot?", fragte ich zögerlich, weil mir dieser Gedanke schon die ganze Zeit im Kopf herumschwirrte.
Chishiya nahm einen ausgiebigen Schluck aus seiner Tasse, bevor er antwortete.
"Schätze schon", sagte er vollkommen ruhig.
"Warum hast du das get-?"
"Hier bist du, Izzy. Ich hab schon gedacht, du bist alleine zum Frühstück gegangen."
Etwas erschrocken wandte ich den Kopf zu der Stimme um.
Kuina stand plötzlich neben mir und ließ ihren Blick neugierig umherwandern, um nach jemanden Ausschau zu halten.
"Mit wem redest du da?"
Als ich erneut zum Nachbarbalkon blickte, war Chishiya verschwunden.
"Ähm, mit niemandem", log ich schnell.
"Naja, Selbstgespräche können manchmal auch sehr hilfreich sein, nicht wahr?"
"Ja, stimmt", gab ich noch immer etwas verwirrt zurück und warf einen letzten Blick hinüber auf die Stelle, an der gerade eben noch Chishiya gestanden hatte. Dann folgte ich Kuina wieder zurück in ihr Zimmer.
♡
"In letzter Zeit ist hier immer ziemlich viel los", sagte Kuina, als wir nach endloser Suche zwei freie Sitzplätze für uns ergattert hatten. "Ich verstehe jetzt langsam, warum es dieses Rekrutierungsverbot gab. Es ist hier fast so voll wie in einer Bahnhofshalle."
Während ich lustlos in meinem Reis herum stocherte, ließ ich meinen Blick eingehend durch das Restaurant wandern, unbewusst Ausschau haltend nach dem hellblondem Haarschopf. Irgendwas an ihm ließ mich nur schwer wieder los. Möglicherweise waren es seine Worte, die mich ins Grübeln gebracht hatten.
Als Kuina mich etwas stirnrunzelnd musterte, versuchte ich jedoch zwanghaft meine Konzentration wieder auf das Essen vor mir zu richten.
"Kommt Chishiya nicht auch zum Frühstück?", fragte ich und versuchte, meine Frage beiläufig klingen zu lassen.
Kuina schnaubte.
"Chishiya? Der ist meistens schon weitaus früher hier. Er umgeht diese Menschenmassen, wo er nur kann. Aber wieso interessiert dich das?"
"Naja...gestern hat er..ich hab mich nur gefragt", begann ich zusammenhangslos. "ich wüsste einfach gern, warum er das getan hat."
"Chishiya ist Teil des Rats. Wenn er einen begründeten Verdacht hat, dass jemand ein Verräter sein könnte, dann muss er handeln. Das ist seine Aufgabe", gab sie schulterzuckend zurück, als wäre es nichts weiter, worüber ich mir Gedanken machen müsste.
"Denkst du, er hat es wirklich nur aus Pflichtgefühl getan?", fragte ich, noch immer nicht vollkommen überzeugt. Womöglich hakte ich aber auch nur nach, weil mir die Antwort nicht gefiel.
Kuina griff nach ihrer Tasse Tee und schlürfte ein wenig vom Rand ab.
"Zerbrich dir nicht den Kopf über ihn! Es ist eben Chishiya", sagte sie, als wäre das eine einleuchtende Erklärung für sein Verhalten. Irgendwie machte es aber auch den Eindruck, als würde sie dieses Thema lieber umgehen wollen.
Ich seufzte und versuchte, das Frühstück zu genießen, auch wenn mein Appetit merklich nachgelassen hatte. Kuina jedoch, die gerade ihre Stäbchen zum Mund führen wollte, hielt plötzlich lange in ihrer Bewegung inne und ließ sie dann langsam wieder sinken, ohne ihre Augen von mir abzuwenden. Sie sah aus, als wäre ihr gerade etwas Wichtiges klar geworden.
"Er ist der Geist", murmelte sie gedehnt.
"Bitte?", fragte ich verwirrt.
"Der Geist mit den schönen Augen, den du neulich nach der Party erwähnt hast. Du hast Chishiya damit gemeint, oder nicht?"
Ihre Worte lösten eine verschwommene Erinnerung in mir aus, an jenen Abend, an dem Hideki mich übermäßig mit Alkohol versorgt hatte und Kuina mir geholfen hatte, in mein Zimmer zu kommen. Ich konnte mich daran erinnern, ihr etwas erzählt zu haben, aber die genauen Einzelheiten waren im Nebel des Alkohols verlorengegangen.
"Ich ähm- nein. Ich weiß nicht, wovon du redest", nuschelte ich verlegen und wich ihren Blicken gekonnt aus, doch meine warmen Wangen verrieten mich.
Sie lehnte sich mit verschränkten Armen zurück in das Polster.
"Ich fasse es nicht. Du stehst auf ihn? Auf Chishiya?", fragte sie entgeistert.
"Was? Nein?", widersprach ich und schüttelte vehement den Kopf.
Kuina zog argwöhnisch die Augenbrauen nach oben. Sie glaubte mir kein Wort.
"Ich meine, er sieht gut aus. Und er hat schöne Augen", flüsterte ich mit einem verlegenen Grinsen und spürbar glühenden Wangen.
"Du solltest dich lieber von ihm fernhalten, Izzy. Ich meine es ernst. Chishiya ist niemand, mit dem du deine Zeit verbringen solltest."
"Ach, und was ist mit dir? Bist du nicht diejenige, die mit ihm befreundet ist?"
"Wir sind....flüchtige Bekannte", sagte sie schnell.
"Das wirkte aber nicht so."
"Izzy, bitte. Ich kenne ihn schon etwas länger als du. Du könntest jeden x-beliebigen Typen am Beach haben, aber nicht unbedingt ihn."
Aufgebracht legte ich meine Stäbchen beiseite.
"Warum nicht? Was verschweigst du mir?"
Kuina seufzte.
"Du lässt nicht locker, oder?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich will doch nur nicht, dass dir das Herz gebrochen wird", sagte sie und sah mich dabei mit einer ungewohnten Ernsthaftigkeit in den Augen an. "Chishiya ist ein Einzelgänger und nicht gerade der Typ für ernsthafte Beziehungen."
"Wer hat gesagt, dass ich an sowas gedacht habe?", knurrte ich.
"Du scheinst mir jedenfalls keine von denen zu sein, die nur auf eine schnelle Nummer aus ist. Daher würde ich einfach gern verhindern, dass du dir bei ihm irgendwelche Hoffnungen machst und am Ende vielleicht enttäuscht wirst."
Sie schob ihre Hand zögerlich zu mir hinüber und legte sie besänftigend auf meine. Auch, wenn ich tief in meinem Inneren wusste, dass Kuina es nur gut meinte, war ich immer noch etwas verstimmt über die Tatsache, dass sie mich diesbezüglich bevormunden wollte. Trotzdem wollte ich auch nicht länger mit ihr diskutieren. Um des Friedens Willen.
"Ich passe schon auf mich auf", versicherte ich ihr. Sie schien immerhin einigermaßen zufrieden mit meinen Worten zu sein, denn sie ließ das Thema Chishiya daraufhin endgültig ruhen.
"Gut, also was wollen wir heute machen? Wir könnten nachher eine Runde im Pool drehen, wenn du willst?"
"Klingt verlockend, aber ehrlich gesagt fühle ich mich noch nicht gerade pooltauglich", sagte ich und deutete auf den Verband um meinen Hals.
"Ah ja, das hatte ich fast vergessen. Dann verschieben wir das lieber auf ein anderes Mal. Was hältst du von einem gemütlichen Filmabend in meinem Zimmer?"
"Klingt nach einer guten Idee."
"Und vorher könnten wir uns ja etwas Zeit beim Beachvolleyball vertreiben", schlug sie enthusiastisch vor. Sie war nicht davon abzubringen, den Tag mit mir verbringen zu wollen.
"Kuina, sei mir bitte nicht böse, aber....ich glaube ich brauche vorher einfach ein bisschen Zeit für mich selbst. Das gestern war alles wirklich etwas überwältigend."
Falls sie enttäuscht war, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
"Klar, das verstehe ich", sagte sie verständnisvoll. "Schotte dich nur nicht zu sehr ab! Du weißt ja, Ann hat gesagt, dass du lieber noch unter Beaufsichtigung bleiben solltest."
"Es geht mir wirklich gut, Kuina. Mach dir keine Sorgen."
Kuina stand auf und griff nach ihrem Tablett.
"Dann sehen wir uns heute Abend. Gegen 7 bei mir?"
Ich nickte lächelnd.
"Ja, bis dahin."
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