❤️ Traumtänzerin
I′ve been spending all my time
Just thinking 'bout you
I don′t know what to do
I think I'm fallin′ for you
Die nächsten Tage auf der Krankenstation waren... herausfordernd. Zumindest für mich. Chishiya hingegen schien mit den Anforderungen auf der Station locker klarzukommen, als hätte er nie etwas anderes gemacht, doch ich... sagen wir, dass Blut abnehmen nicht zu meinen Stärken gehörte. Und Chishiya war jemand, der kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, Kritik auszuteilen. Er stand bei jeder Blutabnahme neben mir und studierte akribisch jede meiner Bewegungen, was mich automatisch noch nervöser machte. Und dann begann ich Fehler zu machen.
Erst neulich hatte ich die Kanüle, nachdem der erste Versuch kein Blut hervorgebracht hatte, zu weit in die Vene einführt.
"Zu tief. Du zapfst hier keinen Ölvorrat an", waren seine missbilligenden Worte gewesen.
Bei einem anderen Mal hatte ich so gezittert, dass ich durch das ruckartige Bewegen der Kanüle die Vene der Patientin verfehlt hatte. Die Patientin zuckte zusammen und mein Herz sank nach unten.
"Ruhig", hörte ich Chishiyas fast gelangweilte Stimme neben mir.
Ich schluckte, versuchte, meine Hand stillzuhalten, doch ich konnte das Zittern nicht stoppen. Plötzlich griff Chishiya nach meiner Hand, die immer noch die Kanüle hielt, und half mir, die richtige Position zu finden. Ich spürte, wie sich seine Finger um meine schlossen. Sie waren kühl und bestimmt, fast wie sein Wesen. Mein Herz schlug schneller, nicht nur wegen der Kanüle in meiner Hand, sondern wegen seiner Berührung, die mich vollkommen aus der Fassung brachte.
"Du musst lernen, ruhiger zu werden", sagte er leise, als er meine Hand führte, die Kanüle präzise in die Vene einführte und das Blut endlich zu fließen begann.
Sein Gesicht war plötzlich so nah an meinem, dass ich fast seinen Atem in meinem Nacken spürte. Ich hielt die Luft an, konnte aber nicht verhindern, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken lief, und ich fragte mich, ob er meine Unsicherheit bemerkte, doch als er die Hand von meiner nahm, schien er vollkommen ungerührt.
"Jetzt weiter", sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. "Sei nicht so zögerlich und halt die Kanüle fest!"
Ich stand da, immer noch leicht benommen, während er sich wieder aufrichtete, als wäre nichts passiert. Meine Finger umschlossen die Kanüle, aber mein Kopf war woanders, immer noch bei seiner kühlen Berührung. Mit einem einzigen Griff hatte er mich zurück in die Realität geholt und gleichzeitig völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.
Allmählich beschlich mich das Gefühl, dass er solche Momente absichtlich herbeiführte. Vielleicht, weil es ihm insgeheim genauso viel Freude bereitete, wie Makoto zu provozieren, oder vielleicht, weil er auf seine eigenwillige Art versuchte, mir näher zu kommen. Aber sobald seine kalte, abweisende Seite wieder die Oberhand gewann, erschien mir dieser Gedanke geradezu lächerlich. Es war, als würden diese beiden unterschiedlichen Seiten von ihm Ping Pong spielen - heiß und kalt - immer im Wechsel, und je öfter er das tat, umso verwirrter war ich von seinem Verhalten.
Da Chishiya und ich ab sofort als festes Team auf der Station eingeteilt waren, musste ich allerdings lernen, mich mit der Situation zu arrangieren. Ann hingegen hatte sich selbst mit dem neuen Kollegen Fujita in der jeweils anderen Schicht eingeteilt. Ich hatte ihn bisher nur flüchtig kennengelernt. Er schien nett zu sein, konnte gut mit den Patienten umgehen und verfügte über ein umfangreiches Fachwissen zu diversen Krankheiten und Medikamenten.
Chishiya jedoch schien ihn aus irgendeinem Grund nicht ausstehen zu können. Beim Schichtwechsel hatte ich schon mehrmals mitbekommen, wie sie hitzige Debatten über Behandlungsmethoden oder Wirkweisen von Medikamenten führten, von denen ich nichtmal die Hälfte verstand. Keiner der beiden schien bereit zu sein nachzugeben bis schließlich Ann einschritt und eine Entscheidung fällte, um dem ewigen Disput ein Ende zu bereiten. Und meistens gab sie Fujita recht.
Auch wenn Chishiya darauf fast gleichgültig reagierte, konnte ich die geringfügige Frustration darüber manchmal an seinen Augen ablesen. Er versuchte seine Emotionen zu verbergen, doch hin und wieder konnte ich, während unserer engen Zusammenarbeit, einen flüchtigen Blick hinter seine gleichgültige Fassade erhaschen. Vielleicht war ich die Einzige, die es bemerkte, weil ich ihn so oft beobachtete, bei dem, was er tat. Manchmal fiel mir schon gar nicht mehr auf, dass ich ihn anstarrte, wenn er mir etwas erklärte. Erst wenn Chishiya mich unsanft wieder in die Gegenwart holte, registrierte ich, dass ich völlig abgedriftet war. Ich hasste es, wenn mein Gesicht dann jedes Mal verräterisch glühte und Chishiya ein kleines amüsiertes Grinsen zeigte, als würde er genau wissen, an was ich gedacht hatte.
"Und wie läuft's auf der Krankenstation?", fragte Makoto, als wir am darauffolgenden Abend zusammen im Restaurant saßen.
Es klang betont beiläufig, doch ich spürte, dass mehr hinter seiner Frage steckte, als er vorgab.
Ich zuckte mit den Schultern und kaute mein Essen bedächtig langsam herunter, während ich über eine Antwort sinnierte.
"Ganz okay, denke ich", sagte ich nachdenklich, während ich mit den Stäbchen in den Nudeln herumstocherte. "Die Arbeit ist nicht leicht und es gibt viel, das ich noch lernen muss, aber ich fuchse mich irgendwie rein. Chishiya ist..." Als ich seinen Namen erwähnte, verzog er sofort das Gesicht, als hätte er in was Saures gebissen. Sofort bereute ich, dass ich überhaupt damit angefangen hatte, doch es war zu spät, um den angefangenen Satz zurückzunehmen. Sein erwartungsvoller Blick ruhte auf mir. "...sagen wir, er hält mich auf Trab", beendete ich hastig den Satz. "Aber ich komme schon klar."
Er lachte tonlos auf und legte sein Besteck beiseite.
"Sicher. Du tust immer so, als wäre alles in Ordnung, aber ich kenne dich, Tsu. Und ich kenne ihn. Ich kann mir vorstellen, wie er seine Position ausnutzt, um dir das Leben schwer zu machen. Ich wette, dieser Kerl genießt es insgeheim, dich herumkommandieren."
Es fiel mir schwer, nicht genervt aufzustöhnen. Ich wusste, dass es hier nicht wirklich um meine Arbeit auf der Krankenstation ging, sondern nur um Chishiya. Es war, als hätte er nur darauf gewartet, das Thema zur Sprache zu bringen.
"Ja, Chishiya ist... sagen wir mal, speziell, aber ich komme klar. Er weiß, was er tut und... ehrlich gesagt, ich lerne viel von ihm. Also, mach dir keine Sorgen um mich. Er ist nur ein schwieriger Kollege, sonst nichts."
Meine Worte schienen nicht die gewünschte Wirkung zu erzielen, sondern machten ihn eher argwöhnischer. Vielleicht zurecht, weil sie selbst in meinen Ohren seltsam hohl klangen.
Nur ein Kollege.
Als ob.
Wäre er das wirklich, dann würde er wohl kaum regelmäßig meinen Puls in bedenkliche Höhen treiben. Doch das war etwas, was ich Makoto gegenüber niemals zugeben würde. Nicht nur, weil ich ihn damit verletzen würde, sondern auch, weil ich mir selbst noch nicht ganz sicher war, was genau da zwischen mir und Chishiya vor sich ging.
"Wieso kannst du nicht einfach mit Ann oder diesem Pharma-Typen zusammen arbeiten? Die sind bestimmt angenehmer als er."
Es fiel mir schwer, nicht mit den Augen zu rollen.
"Ann hat uns so eingeteilt, weil in jedem Team ein Arzt sein muss. Chishiya und Ann haben beide eine vollwertige medizinische Ausbildung, während Fujita und ich nur Assistenzkräfte sind", erklärte ich geduldig.
"Aber du könntest doch stattdessen mit Ann zusammenarbeiten, oder?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Chishiya und Fujita können sich nicht ausstehen. Sie würden sich die ganze Zeit nur ankeifen."
"Klar, wer kommt auch schon mit Dr. Überheblich klar? Nur dich scheint es nicht zu stören, dass du mit ihm zusammen arbeiten musst", knurrte er.
Ich schloss die Augen für einen Moment, atmete tief durch und versuchte, die Wut, die in mir aufstieg, zu unterdrücken.
"Es stört mich nicht, weil ich mich auf die Arbeit konzentriere, Makoto! Nicht auf ihn."
Makoto schnaubte und klang dabei ungewohnt abfällig.
"Es ist also okay für dich, dass er dich wie eine Praktikantin behandelt?"
Es fiel mir immer schwerer, ruhig zu bleiben.
"Nun, er hat auch das Recht dazu, schließlich hat er Medizin studiert, während ich-... ich bin nur seine Assistentin."
Makoto lehnte sich zurück und verschränkte mit finsterer Miene die Arme vor der Brust.
"Wieso verteidigst du ihn eigentlich immer?"
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
"Tu ich gar nicht", protestierte ich, meine Stimme nun wesentlich schärfer als zuvor, vielleicht weil ein kleiner Teil von mir wusste, dass seine Anschuldigung nicht ganz aus der Luft gegriffen war.
"Doch genau das tust du. Immer, wenn es um ihn geht, bist du auf seiner Seite. Denkst du mir ist nicht aufgefallen, wie du ihn ansiehst?"
Der Klang seiner Stimme hatte nun einen leicht gekränkten Unterton angenommen. Doch inzwischen war ich so in Rage, dass ich keine Rücksicht mehr auf seine Gefühle nahm.
"Das sagst du doch nur, weil du ihn nicht ausstehen kannst?", zischte ich.
Makoto verengte die Augen.
"Ja, ich kann ihn auch nicht ausstehen, weil er ein arroganter und manipulativer Bastard ist. Es gibt Gerüchte über ihn und... verdammt - ich mache mir einfach Sorgen, Tsu, dass du zu blauäugig bist und dich von ihm einwickeln lässt."
Ich schnaubte säuerlich auf.
"Weißt du, was ich glaube, Makoto? Dass du eifersüchtig auf ihn bist, weil ich mehr Zeit mit ihm verbringe statt mit dir. Ist es nicht so?"
Makoto sah mich einen langen Moment an, vollkommen erstarrt, als hätte es ihm kurzzeitig die Sprache verschlagen. Er senkte den Blick und starrte in seine Tasse, die er fest umklammert hielt.
"Vielleicht hast du Recht, Tsu. Vielleicht bin ich eifersüchtig. Aber das ändert nichts daran, dass ich mir Sorgen mache", sagte er leise und hob wieder den Kopf, um mir offen in die Augen zu sehen.
"Das musst du nicht", entgegnete ich, immer noch etwas schnippisch, aber bemüht darum, nachgiebiger zu klingen. "Ich bin nicht so naiv, wie du vielleicht denkst, Koto."
Er nickte nur stoisch. Dann legte sich ein kurzes, unangenehmenes Schweigen über uns. Ich beobachtete, wie er unruhig mit seinen Fingern gegen das Porzellan klopfte.
"Also, dieser Kostümball, der bald stattfinden soll. Gehst du hin?", fragte er plötzlich, als wollte er zwanghaft das Thema wechseln.
Er sah mich aus den Augenwinkeln an, leicht angespannt, aber auch mit einem Hauch von Hoffnung darin.
Der Ball. Den hatte ich fast vergessen. Und das obwohl es im Beach aktuell kaum ein anderes Thema gab. Doch die Arbeit auf der Station und der Kampf mit der fast täglichen Blutabnahme hatten mich zu sehr vereinnahmt.
"Wahrscheinlich", entgegnete ich vage. "Laut Hatter soll an dem Tag keiner zu den Spielen rausfahren, das heißt, es wird auch keine Verletzten geben. Kann allerdings sein, dass wir stationär Patienten haben, aber Ann hat sich noch nicht dazu geäußert." Ich zuckte mit den Schultern. "Und du? Musst du dich nicht ums Buffet kümmern?"
Er nickte und wirkte dabei immerhin etwas entspannter als zuvor.
"Ja, aber ich teile mich mit den Kollegen rein, deshalb werde ich wohl mal vorbeischauen. Ich dachte, wir könnten vielleicht zusammen hingehen."
Seine Finger schlangen sich wieder fester um den Henkel der Tasse. Dann nahm er einen kurzen Schluck, ohne mich anzusehen. Er versuchte es herunter zu spielen, aber ich konnte sehen, dass meine Antwort von Bedeutung für ihn war. Er war noch nie gut darin, seine Gefühle zu verbergen. Ich zögerte ein wenig, vielleicht etwas zu lange.
"Ähm ja, klar. Wieso nicht?", sagte ich und versuchte, gleichmütig dabei zu klingen, obwohl mein Herz plötzlich schwer wurde.
Ich war unsicher, ob ich das wirklich wollte, aber wie sollte ich ihm das schonend beibringen? Auch wenn wir kein Paar mehr waren, bedeutete er mir immer noch viel und ich wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte. Außerdem hatte ich momentan keine Energie mehr für weitere Diskussionen. Dennoch...es fühlte sich falsch an, ihm jedes Mal Hoffnungen zu machen, wo keine war. Es war, als würde ich ihn nur vertrösten. Doch ich wusste, dass ich nicht ewig so weitermachen konnte.
Aber da war auch etwas anderes, das mich zurückhielt. Ein Gedanke, der immer wieder im hintersten Winkel meines Verstandes lauerte. Chishiya. Sein Name tauchte sofort in meinem Kopf auf, als Makoto den Ball erwähnte.
Würde er auch dort sein?
Sofort manifestierte sich das Bild in meinem Kopf: Chishiya, lässig und unbeteiligt, vielleicht in einem legeren Anzug, der genau so wenig förmlich war wie er selbst. Er würde am Rand des Saals stehen, die Arme verschränkt, sein halbherziges Lächeln auf den Lippen, während er alles beobachtete. Und ich... würde meinen Blick immer wieder zu ihm wandern lassen. Vielleicht würde er mir sogar einen seiner trockenen Kommentare zuwerfen, die mich immer irgendwie aus dem Konzept brachten. Und was, wenn wir dann doch, völlig unerwartet, zusammen tanzen würden?
Der Gedanke war so absurd, dass ich fast laut aufgelacht hätte, aber irgendwie konnte ich ihn nicht abschütteln.
"Tsu?"
Makotos Stimme riss mich aus meinem Tagtraum. Ich blinzelte verwirrt.
"Ähm ja, sorry", sagte ich schnell. "Ich meine, warten wir erstmal ab. Wenn auf der Station doch mehr zu tun sein sollte, werde ich vielleicht doch nicht gehen können. Aber davon abgesehen hab ich nicht mal was zum Anziehen", fügte ich mit einem schiefen Grinsen hinzu.
Das war die lahmste Ausrede überhaupt, doch irgendwie hoffte ich innerlich darauf, dass er das Thema damit endlich fallen ließ. Doch stattdessen lächelte er mich sanft an.
„Das kriegen wir schon hin", sagte er zuversichtlich. „Ich kann mich mal umhören, wo die anderen ihre Kostüme herbekommen. Aber du siehst sowieso immer wunderschön aus, egal was du trägst."
Ich zwang mich zu einem Lächeln. Seine Worte klangen so aufrichtig und liebevoll, wie sie es immer taten, aber genau das brachte mich in eine unangenehme Zwickmühle. Makoto war gut darin, mich zu ermutigen und mich mit Komplimenten zu überschütten. Er war charmant, ohne Frage. Früher hatte ich das an ihm geschätzt. Doch jetzt... jetzt fühlte es sich an, als würde er mich in eine Ecke drängen.
"Danke", sagte ich leise und senkte den Blick, schuldbewusst.
Die Worte fühlten sich hohl an, fast wie eine Pflicht. Und trotzdem schaffte ich es nicht, ihm klar zu machen, dass ich mir diese Nähe nicht mehr wünschte. Dass ich etwas anderes suchte. Oder vielleicht jemanden.
Wieder drifteten meine Gedanken ab zu der bizarren Vorstellung, wie Chishiya mich zum Tanzen aufforderte. Wie seine Hand sanft meine Hüfte umfasste, während er mich mit überraschender Sicherheit über das Parkett führte. Seine Augen, diese tiefgründigen, unnahbaren Augen, die meinen Blick festhielten, während wir uns in einem langsamen Walzer bewegten. Fast, als würde sich die Welt um uns herum auflösen.
"...du mir eigentlich noch zu?"
Ich zuckte zusammen und die Vorstellung von Chishiya und mir zerbröselte langsam vor meinen Augen. Makoto sah mich stirnrunzelnd an.
"Ich... tut mir Leid, was hast du gesagt?"
Makoto stöhnte nur.
"Ach, nichts."
Nach dem Abendessen führte mich mein Weg automatisch zum Dach hinauf. Eine leichte Brise wehte mir um die Nase, angenehm und salzig wie das Meer, das man zumindest in der Ferne erahnen konnte. Ich ließ meine Hände in meine Jackentaschen gleiten und nahm einen tiefen Atemzug. Die Luft hier oben war sauber und rein, ganz anders als die Luft, die ich aus dem alten Tokyo kannte. Eine Weile starrte ich hinaus auf die Häuser und beobachtete die Wolken beim Vorbeiziehen. Seit dem Spiel war ich jeden Tag hier oben gewesen. Warum wusste ich nicht genau.
Irgendwie konnte ich hier besser nachdenken, den Kopf frei bekommen, doch ich wusste, dass das nicht der einzige Grund war. Immer wenn ich hier war, musste ich auch an ihn denken... an unsere Begegnung auf dem Dach - und auch an unser letztes Spiel. Der Moment, als wir auf dem Dach des Wolkenkratzers lagen und er mich mit diesem Blick angesehen hat - ich hatte immer noch Gänsehaut davon. Und nun stand ich hier, mit der naiven Hoffnung, dass er vielleicht auftauchen würde. Doch bis jetzt war ich immer allein geblieben. Nur ich und meine schwachsinnigen Gedanken. Doch das imaginäre Bild von Chishiya und mir im Ballsaal wollte nicht verblassen. Es hatte sich eingebrannt, fast wie das Halsband, dessen Abdruck ich noch immer auf der Haut trug.
Ich seufzte leise und rieb mir mit der Hand über die Stirn, als könnte ich Chishiya damit aus meinen Gedanken jagen. Doch ich wusste, dass er sich längst dort eingenistet hatte, wie ein ungebetener Gast - ein Parasit. Ich schnaubte unwillkürlich.
Welch passender Vergleich.
Ich sollte lieber versuchen, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen. Möglicherweise waren Kuinas Warnung und Makotos Bedenken gegenüber Chishiya doch gerechtfertigt und ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Vielleicht...
Ich seufzte erneut, diesmal deutlich frustrierter und wandte mich abrupt zum Gehen, um das Dach hinter mir zu lassen. Doch etwas ließ mich innehalten. Die Anzeige über dem Fahrstuhl leuchtete plötzlich auf und zeigte die Etage an, in der er sich befand. Wie erstarrt, verfolgte ich, wie die Zahlen wechselten...5...6...7...und die Anzeige plötzlich bei der 8 stehen blieb. Ein leises mechanisches Rattern ertönte.
Ich hielt den Atem an, während die Fahrstuhltüren langsam aufschwangen. Mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich, als ich mir vorstellte, wie er dort stehen würde - lässig, wie immer, die Hände in den Taschen und ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Doch anstatt des blonden Haarschopfes stand dort... Kiko.
Ich blinzelte verwirrt. Sie hingegen hob schüchtern die Hand zum Gruß.
"Hey, Tsuki", sagte sie mit einem verlegenen Lächeln und trat aus dem Aufzug, während ich sie noch immer ungläubig anstarrte. "Du siehst aus, als hättest du jemand anderes erwartet."
Sie musterte mich neugierig. Ich hob die Hände und schüttelte hastig den Kopf.
"Nein, gar nicht... ich...war nur überrascht. Das ist alles. Was machst du denn hier oben?"
Kiko grinste etwas verstohlen, als wüsste sie, dass ich nur schnell das Thema wechseln wollte.
"Weißt du, ich habe dich die letzten Tage immer wieder hier oben gesehen", sagte sie schließlich leise, fast vorsichtig. „Ich wollte einfach mal sehen, was dich hierher zieht."
Ich lachte nervös, zog meine Jacke enger um mich und versuchte, möglichst beiläufig zu wirken.
"Ach, ich schnappe nur frische Luft... und genieße dabei die Aussicht ein wenig."
"Klar," antwortete sie langsam, ihr Blick ruhte fest auf mir. "Er ist auch oft hier, oder? Chishiya meine ich."
Ich wandte schnell den Blick ab und zuckte mit den Schultern.
"Wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen."
Kiko schmunzelte.
"Natürlich nicht", sagte sie in gespielt ernstem Tonfall.
Als sich unsere Blicke trafen, hielt ich es jedoch nicht mehr aus. Meine gleichgültige Miene zerfiel und ich prustete los.
Kiko stimmte in mein Lachen ein. Unser Gelächter hallte auf dem Dach wider und sofort löste sich etwas von der Anspannung in mir, die ich in den letzten Tagen verspürt hatte. Es tat gut, einfach mal zu lachen in einer Welt, die nur Chaos und Zerstörung mit sich brachte.
"Na gut, erwischt! Vielleicht habe ich doch ab und zu nach ihm Ausschau gehalten...", gestand ich grinsend, während ich die Augen verdrehte.
"Schon gut, Tsuki, du musst es mir auch nicht erzählen, wenn du nicht willst", sagte sie, als wir uns wieder beruhigt hatten.
Ihre Worte klangen verständnisvoll, ohne jede Neugierde. Ich entspannte mich ein wenig in ihrer Gegenwart.
"Danke dir."
Nach kurzem Zögern trat Kiko einen Schritt näher.
"Eigentlich wollte ich mich bei dir bedanken. Du weißt schon, für deine Hilfe im letzten Spiel", murmelte sie und klang plötzlich wieder zurückhaltender.
Überrascht sah ich sie an.
"Was hab ich denn gemacht?"
Sie sah auf und blickte in die Ferne, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. Ihre langen glatten Haare wurden fast dramatisch vom Wind umhergewirbelt. Sie strich sie etwas verlegen hinters Ohr.
"Mehr, als du denkst. Du warst einfach da, hast mir Halt gegeben und mir Mut gemacht. Das ist mehr als andere hier im Beach je tun würden. Hier denkt jeder nur an sich selbst. Aber du hast das nicht getan."
Ein warmes Gefühl durchströmte mich bei ihren Worten. Ich wusste, dass es in dieser Welt schwer war, jemandem zu vertrauen, aber hier stand sie, mit ehrlichem Dank und einem kleinen Lächeln, das alles ein wenig heller erscheinen ließ.
"Gern geschehen", sagte ich leise.
Ich legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, und wir standen eine Weile schweigend nebeneinander, den Blick über die Stadt gerichtet.
Als sie sich schließlich verabschiedete und zurück in den Fahrstuhl stieg, blieb ich noch einen Moment allein auf dem Dach zurück. Die Aussicht war dieselbe, und doch fühlte sich alles plötzlich leichter an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top