33 ❤️ Mit High-Speed ins Ungewisse

I'm on the highway to hell
On the highway to hell
I'm on the highway to hell
On the highway to... HELL

Die andere Frau, die sich als Hayashi Sayuri vorgestellt hatte, hatte sich inzwischen auf dem Beifahrersitz niedergelassen.

Niragi stapfte deutlich angepisst zur Fahrertür und ließ sie zuknallen.

Es behagte mir ganz und gar nicht, dass dieser gesetzlose Rowdy die Kontrolle über das Steuer hatte. Trotz meiner Bedenken stieg ich in das Fahrzeug ein und setzte mich auf die gegenüberliegende Seite der Rückbank.

Unwillkürlich ging mein Blick hinüber zu Chishiya, der sich bereits weit zurückgelehnt und ein paar Ohrstöpsel eingesteckt hatte. Er sah aus, als wäre er kurz davor ein Nickerchen zu machen und es machte den Eindruck, als wäre ihm meine Anwesenheit kaum egaler. Ich wollte ihn fragen, wie es möglich war, dass er hier in meinem Spiel war. Die Wahrscheinlichkeit war immerhin sehr gering...

War es bloß ein dummer Zufall?

Das Motorengeheul riss mich aus meinen Gedanken.

"Schnallt euch besser an, sonst garantiere ich für nichts mehr", hörte ich Niragi sagen, als er den Rückwärtsgang einlegte. Doch er kam nicht weit, denn ein lautes Klopfen an der Scheibe ließ ihn innehalten.

Neben der Fahrertür stand eine junge Frau und hämmerte energisch gegen die Scheibe. Ich konnte sehen, wie sie einen Zettel mit einer 9 darauf gegen das Glas drückte.

"Bitte! Lasst mich noch mitfahren!", flehte sie inständig.

Niragi lachte nur hämisch und verriegelte die Türen von innen. Dann beobachtete er amüsiert, wie sie verzweifelt mit den Fäusten an das Fenster klopfte. "Bitte, macht auf! Mein Visum läuft heute ab."

Inzwischen war sie fast den Tränen nahe. Niragi wirkte fast ungerührt von der Szene.

"Niragi, mach ihr gefälligst die Tür auf! Wir haben noch genug Platz", warf ich unwirsch ein.

"Klappe halten auf den billigen Plätzen", gab er zurück.

Ich stöhnte.

"Ich tue wirklich ALLES. Bitte!", erklang erneut ihre hilflose Stimme.

Entgegen meiner Erwartung ließ Niragi die Scheibe ein wenig nach unten.

"Wirklich alles, Kleines?", säuselte er und ich konnte im Rückspiegel erkennen, wie er seinen lüsternen Blick an ihrem Körper hinabgleiten ließ. "Mir würde da nämlich so einiges in den Sinn kommen."

Für einen Moment wirkte sie fast erstarrt, doch dann nickte sie langsam.

Kaum zu fassen, dass er ihre Situation zu seinem Vorteil ausnutzte. Ich für meinen Teil wollte lieber nicht wissen, was sie Niragi für diesen Gefallen schuldig war. Ich kannte ihn immerhin gut genug, um zu wissen, dass es nichts harmloses sein würde.

"Steig ein! Aber denke bloß nicht, ich vergesse das. Du schuldest mir was für meine Großherzigkeit."

Ein leises Schnauben war neben mir zu vernehmen. Ich hatte angenommen, dass Chishiya neben mir längst geistig abwesend war, doch trotz der Ohrstöpsel schien er alles um sich herum mitzukriegen.

Die Frau ließ sich das nicht zweimal sagen und öffnete die Hintertür, nachdem Niragi die Sicherung gelöst hatte.

Verdammt, wirklich jetzt?

Etwas steif rutschte ich in die Mitte, um ihr Platz zu machen, näher an Chishiya heran. Der jedoch sah nach wie vor völlig unbeteiligt aus dem Fenster. Die gedämpfte Musik aus seinen Ohrhörern war jetzt deutlich zu vernehmen.

Etwas angespannt faltete ich meine Hände im Schoß zusammen. Ich wusste nicht, wohin mit ihnen und wollte den Körperkontakt zu Chishiya auf ein Minimum reduzieren, doch in dieser Enge war das fast unmöglich.

"Hallo, und Dankeschön", nuschelte die Neue neben mir leise, als sie ihren Platz eingenommen hatte.

"Hey! Izumi Tsuki", stellte ich mich freundlich vor. "Du kannst aber Izzy sagen."

Zum ersten Mal betrachtete ich sie genauer. Sie war noch jung, kaum älter als 17, schätzte ich, hatte eine Stupsnase und ein eher rundliches Gesicht. Außerdem trug sie eine rahmenlose Brille, die ein wenig schief saß und hatte zarte Sommersprossen, die auf ihren Wangen verteilt waren. Sie sah unschuldig und kindlich aus. Zu jung für Borderland und diese Spiele.

"Kiko" , entgegnete sie schüchtern. Ihre Stimme klang ein wenig piepsig und zart.

Ich lächelte sie sanft an, doch just in dem Augenblick wurden wir alle fest in unsere Sitze gepresst. Ein panischer Aufschrei folgte. Niragi war ausgeparkt und rauschte in Vollspeed von dem Gelände.

Er lachte diabolisch auf und klang dabei mehr denn je wie ein irrer Psycho. Die Frau neben ihm, die geschrien hatte, sah plötzlich erschreckend blass aus.

Auch mir drehte sich fast der Magen um bei Niragis rasantem Fahrstil und die meiste Zeit waren wir beschäftigt damit uns in unseren Sitzen zu halten. Da ich in der Mitte saß, gab es nur wenige Möglichkeiten, sich irgendwo festzuklammern. Als wäre das nicht schon schlimm genug, grölte ein grässlicher Death Metal-Song aus den Lautsprechern, der in meinen Ohren mehr nach Geschrei als nach Musik klang.

Als Niragi plötzlich scharf nach links in eine Seitenstraße bog, geriet der Wagen ein wenig ins Schlingern und mein Kopf wurde erbarmungslos gegen Chishiyas Schulter gedrückt. Reflexartig griff ich nach seinem Arm und krallte mich dort fest. Als ich merkte, was ich getan hatte, zog ich ihn schnell wieder weg, als hätte ich mich daran verbrannt.

"Sorry", murmelte ich und lachte nervös, während ich meinen Pony über die Stirn strich.

Chishiya drehte seinen Kopf zu mir und sah mir dann geradewegs in die Augen. Ich konnte spüren, wie mir das Blut in die Wangen kroch.

„Lass dich nicht aufhalten", sagte Chishiya trocken, bevor er sich wieder zurücklehnte und die Augen schloss, als wäre nichts gewesen. Ich starrte ihn verblüfft an. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er mir irgendeine sarkastische Bemerkung an den Kopf werfen würde oder sich zumindest über mich lustig machte.

"Verdammt, kannst du nicht etwas langsamer fahren, Niragi?", beschwerte sich seine Beifahrerin, deren schrille Stimme es kaum schaffte, gegen die laute Musik anzukommen. "Ich würde gern lebend ankommen."

"Jetzt seid mal nicht solche Langweiler. Ein bisschen Spaß hat noch niemandem geschadet."

Niragi trat noch einmal fester aufs Gas und nun wurde auch mir etwas anders zumute. Mein Herz überschlug sich fast vor Überforderung. Erst der nahe Körperkontakt zu Chishiya, dann Niragis halsbrecherischer Fahrstil. Das war eindeutig mehr, als ich ertragen konnte.

Ich sah hinüber zu Kiko, die die Augen fest zusammengekniffen hatte und nur noch stoßweise atmete.

"Hey, wir schaffen das schon", sagte ich zuversichtlich. "Wir sind bestimmt gleich da."

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich sie oder mich selbst damit beruhigen wollte. Doch Kiko nickte und öffnete dann wieder langsam die Augen.

"Ich habe trotzdem Angst", sagte sie. "Das Spiel..."

Ich nickte verständnisvoll.

"Wir alle haben Angst, aber vielleicht können wir uns gegenseitig helfen."

Ihre Anspannung schien sich nach meinen Worten tatsächlich ein wenig zu lösen.

Die restliche Fahrt über versuchte ich irgendwie zu überleben und meinen Mageninhalt da zu behalten, wo er war. Zwischendurch huschte mein Blick immer wieder zu Chishiya, der fast teilnahmslos die Häuser beim Vorbeiziehen betrachtete.

Es fiel mir schwer, meine Augen von ihm abzuwenden. Selbst sein Seitenprofil war so makellos, dass es mich förmlich in seinen Bann zog. Jede Kontur seines Gesichts, vom markanten Kinn bis zu den geschwungenen Wangenknochen, war von einer solchen Perfektion, dass ich mich kaum davon losreißen konnte.

Erneut bewegte er seinen Kopf in meine Richtung und sah mir geradewegs in die Augen. Mein Herz stolperte schmerzhaft und begann dann, wie auf Befehl, schneller zu schlagen. Hitze stieg mir in die Wangen, und ich senkte reflexartig den Kopf, unfähig, seinem intensiven Blick standzuhalten.

Ich konnte spüren, wie seine Augen noch einen Moment auf mir ruhten, bevor er sich wieder unbeirrt den vorbeiziehenden Häusern zuwandte. Mein Herz hämmerte unnachgiebig gegen meine Brust, als ich mühsam versuchte, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.

Niragi kurvte weiterhin wie ein Geistesgestörter durch die menschenleeren Straßen, während das ohrenbetäubende Geschrei aus den Lautsprechern den Wagen erfüllte. Neben mir hatte Kiko die Augen wieder zusammengekniffen und wirkte blasser als je zuvor. Ich legte eine Hand auf ihren Arm, um sie zu beruhigen.

„Wir sind gleich da", wiederholte ich, innerlich hoffend, dass es stimmte.

Sie nickte zögerlich.

"Hey, dort", Hayashi deutete aufgeregt auf eine große Leuchttafel, die vor der Zufahrt eines großen unterirdischen Parkhauses aufgetaucht war und den Weg zum Spiel wies.

Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wurden wir unsanft nach vorn geschleudert. Niragi legte eine fast schon aggressive Vollbremsung hin, um die Einfahrt rechtzeitig zu erwischen.

Am liebsten würde ich diesen Idioten packen und kräftig durchschütteln - wenn mir nur nicht so speiübel wäre.

Chishiya schien die Situation weiterhin mit stoischer Gelassenheit zu betrachten.

„Niragi, wenn du versuchst, uns alle umzubringen, könntest du zumindest vorher Bescheid sagen", bemerkte er trocken, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

„Ach, halt den Rand, Chishiya", knurrte dieser zurück.

Das Fahrzeug kam mit quietschenden Reifen zu stehen. Niragi hatte es quer über zwei Parkplätze manövriert, ohne auf die vorgegebenen Linien zu achten. Ich konnte es kaum erwarten, aus diesem Fahrzeug zu kommen. Die Fahrt hatte für meinen Geschmack schon viel zu lange gedauert.

Der Motor erstarb und die grässliche Musik mit ihr. Die darauffolgende Stille war ein wahrer Balsam für die Ohren. Niragi und seine Beifahrerin stiegen zuerst aus dem Wagen aus.

Kiko öffnete zögerlich die Tür. Chishiya starrte auf seinen MP3-Player und seufzte schwer, als er ihn abschaltete. Dann erst zog er am Türöffner und bequemte sich aus dem Auto.

Ich stieg auf Chishiyas Seite aus und sah mich dann neugierig um. Wir befanden uns in einer riesigen Tiefgarage. Es war stockdunkel, lediglich ein paar schwache Lichter am Fahrstuhl spendeten etwas Helligkeit.

"Wo sind wir eigentlich genau?", wagte Kiko vorsichtig zu fragen.

"Keine Ahnung. Ich war damit beschäftigt, nicht aufs Armaturenbrett zu kotzen", sagte Hayashi mit einem finsteren Seitenblick zu Niragi.

"Auf jeden Fall sind wir irgendwo im Minato Bezirk, in der Nähe vom Roppongi-Museum. Da sind wir vorhin vorbeigefahren", erinnerte ich mich vage.

"Wir befinden uns unterhalb des Izumi Garden Towers", hörte ich Chishiya sagen. Ich sah mich verwirrt um, weil dieser gerade noch neben mir gewesen war, jetzt aber vor der Tür des Fahrstuhls stand und mit einer kleinen Taschenlampe die große Tafel an der Wand studierte.

Izumi Garden Tower?
Natürlich.

Wenn man so hieß, dann kannte man gezwungenermaßen auch das Gebäude dazu, das nebenbei auch zu den höchsten Wolkenkratzern Tokyos gehörte.

Ich hoffte inständig, dass der gleiche Name des Gebäudes nur Zufall war und ich nicht wieder in einem Spiel landete, in dem ich eine tragende, aber undankbare Hauptrolle einnehmen musste.

Der Rest der Gruppe gesellte sich zu Chishiya, um ebenfalls einen Blick auf die riesige Tafel zu werfen. Sie gab Auskunft über die ansässigen Einrichtungen in dem Hochhaus. Dazu gehörten unter anderem ein Hotel, mehrere Restaurants, Apartments, Banken und eine Vielzahl an Geschäften und Arztpraxen.

Chishiya wandte sich wortlos ab und drückte die Taste neben dem Aufzug, die augenblicklich gelb aufleuchtete. Die Anzeige über der Tür zeigte das Stockwerk an, in dem sich der Aufzug gerade befand. Nach kurzer Wartezeit glitten die Türen auf und gaben den Weg zu einem geräumigen, modernen Fahrstuhl aus Glas frei.

Chishiya ging vor, die anderen folgten ihm ins Innere.

"Woah, 201 Meter!", sagte ich erstaunt, als ich auf einen großen Monitor blickte, der an der Wand des Aufzugs angebracht war und auf dem ein detailliertes, dreidimensionales Modell des Turms zu sehen war. Darauf war außerdem zu erkennen, dass das Hochhaus mehrstufig aufgebaut war und aus unterschiedlich hohen Ebenen bestand und demzufolge auch mehrere Aufzüge besaß, die diese Ebenen ansteuerten.

Laut der Abbildung befanden wir uns in Fahrstuhl C. Ich tippte ihn auf dem Bildschirm an und erhielt einige nützliche Informationen dazu. Unser Aufzug führte zu einer der höheren Ebenen, genauer gesagt reichte er bis ins 30. Stockwerk. Und dieses lag in rund 134 Metern Höhe.

"So hoch?", wisperte Kiko, die mir, seit wir ausgestiegen waren, keinen Millimeter mehr von meiner Seite gewichen war.

Willkommen, Spieler, bitte begeben Sie sich ins oberste Stockwerk!

Die emotionslose Stimme ließ mich augenblicklich zusammenfahren. Alle starrten auf den Lautsprecher, aus dem sie gekommen war.

Chishiya reagierte als Erster und hatte die Taste schon gedrückt, bevor die Worte der Computerstimme wieder verklungen waren. Langsam setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und fuhr aus dem Kellergeschoss nach oben.

Als wir das düstere Parkhaus hinter uns ließen, enthüllten die Glaswände des Fahrstuhls eine beeindruckende Aussicht auf die nächtliche Stadt. Fasziniert starrte ich hinaus und konnte in der Ferne die leuchtend roten Laserstrahlen der anderen Spielorte sehen. Es waren erschreckend viele.

"Warum muss es so weit oben sein?", fragte Kiko unheilvoll und klammerte sich jetzt an den Halterungen fest, die an der Wand angebracht waren.

„Warum so ängstlich, kleine Kiko-chan? Hast du etwa Höhenangst? Wie süß", spottete Niragi selbstgefällig.

Ich funkelte ihn zornig an.

"Lass sie in Ruhe, du geistesgestörter Freak", zischte ich, wohl wissend, dass es ziemlich dumm war Niragi zu beleidigen, schließlich hatte er eine Waffe und ich hatte gar nichts. Doch das hatte mein großes Mundwerk bisher nur selten aufgehalten. Egal, wie gefährlich die Situation war oder wie sehr mein Verstand zur Vorsicht mahnte, meine Zunge schien immer schneller zu sein als mein Überlebensinstinkt.

Niragi erstarrte für einen Moment und drehte dann langsam den Kopf in meine Richtung. Dann brach er in schallendes, psychopathisches Lachen aus.

"Wirklich putzig, Schillerlocke", sagte er höhnisch und legte eine Hand auf das Gewehr, das an seiner Schulter hing. "An deiner Stelle würde ich nicht so eine große Klappe haben. Ich würde nur ungern dein hübsches Köpfchen durchlöchern müssen. Wäre ja schade drum." Er grinste breit und trat dann einen bedrohlichen Schritt näher an mich heran. "Also bedenke deine Wortwahl, wenn du mit mir sprichst."

Ich hielt seinem Blickkontakt eisern stand, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Alle Anwesenden schienen gebannt darauf zu warten, dass etwas passierte.

„Niragi, kannst du nicht mal eine Minute ohne dein albernes Machogehabe auskommen? Das ist zwar ganz unterhaltsam, aber irgendwann auch ziemlich ermüdend." Chishiyas Stimme klang gelangweilt, als er sich von der Wand löste, gegen die er gelehnt hatte, und langsam auf uns zuging. "Wir wissen doch alle, dass du das größte Spielzeug von allen hast."

Niragi kniff die Augen zusammen, sein Gesicht verzerrt vor Wut, aber Chishiyas unerschütterliche Gelassenheit schien ihn zu entwaffnen. Mit einem letzten intensiven Blick auf mich trat er einen Schritt zurück und spuckte auf den Boden.

„Wir sind hier noch nicht fertig, Löckchen."

Ich atmete erleichtert auf. Im selben Moment öffneten sich die Fahrstuhltüren. Chishiya ging voran. Im Vorbeigehen, wisperte ich ihm ein fast lautloses "Danke" zu. Er wandte sich kurz um und erwiderte meinen Blick mit einem kleinen, spöttischen Lächeln. Das alleine reichte, um mein Herz wieder aufleben zu lassen.

Wie oft hatte er mir jetzt schon aus der Patsche geholfen?

Ich hatte aufgegeben zu zählen.

Vermutlich würde ich diese Schuld niemals begleichen können.

Sobald wir den Aufzug verlassen hatten, gingen die Lichter über uns an.
Wir standen mitten in einer weitläufigen Einkaufspassage. Verwirrt sahen wir uns um.

"Da", bemerkte Kiko und deutete auf einen Bildschirm, der im Schaufenster eines Elektrofachgeschäfts hing.

Ein schwarzer Pfeil, der darauf abgebildet war, wies den Weg zum Spiel. Wir folgten den Hinweisen und gelangten in ein Treppenhaus, das ursprünglich als Fluchtweg gedient hatte. Die Pfeile führten uns hinauf zu einer schmalen Metalltreppe. Als wir am oberen Ende angelangt waren, blieben wir vor einer einzelnen Tür stehen.

An dieser prangte ein rot-weißes Warnschild mit der Aufschrift: Dachzugang - Zutritt nur für autorisiertes Personal. Darunter war ein weiteres Schild angebracht, auf dem stand: Achtung: Betreten auf eigene Gefahr.

Kiko, die immer noch neben mir stand, starrte entgeistert auf das Warnschild, ihre Augen waren aufgerissen vor Angst.

„Ich... ich weiß nicht, ob ich das kann", krächzte sie, ihre Stimme zitterte leicht. „Das Dach... es ist so hoch. Und was wenn wir..."

Ihre Stimme erstarb.

„Mach dir keine Sorgen", sagte ich sanft und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Wir werden das schon schaffen. Gemeinsam, okay?"

Kiko sah mich an, immer noch nicht vollkommen überzeugt, doch sie nickte schließlich langsam.

„Okay", murmelte sie.

"Nun mach schon, Löckchen. Ich will hier nicht festwachsen", beschwerte sich Niragi hinter mir. Mein Blick fiel unwillkürlich zu Chishiya, der mir knapp zunickte, als wollte er mich ermutigen.

Ich holte tief Luft und öffnete dann entschlossen die Tür. Ein kühler Windstoß empfing uns, als wir hinaustraten und das Dach des Gebäudes betraten.

Wir sahen uns um, doch viel gab es auf den ersten Blick nicht zu sehen. Wir standen auf einem unspektakulären, aber überdimensionalen Flachdach, mit nichts als nacktem Beton unter unseren Füßen. Kaum hatten wir es betreten, wurde die Umgebung durch zahlreiche Scheinwerfer erhellt. Schützend hielt ich mir die Hand vors Gesicht. Das grelle Licht schmerzte fast in den Augen.

Als sie sich daran gewöhnt hatten, sah ich mich eingehender um. Die Scheinwerfer beleuchteten nur die Hälfte des Daches, auf der wir gerade standen.

Außer uns war niemand zu sehen. Niragi steuerte als erstes auf den ebenfalls beleuchteten weißen Tisch zu, auf dem wie gewohnt mehrere Smartphones aufgereiht waren.

"Scheint, als bräuchten wir noch ein paar Spieler", sagte Niragi, als er das Handy weggenommen hatte und sein Display aufleuchtete.

Auch ich warf einen Blick auf den Tisch und zählte stumm neun Telefone. Mit Niragis zusammen fehlten uns also noch fünf Spieler.

Ich atmete tief ein und nahm mir dann ebenfalls eins weg. Die Anderen folgten meinem Beispiel und der Tisch leerte sich rasant.

Ein leises, knackendes Geräusch ertönte und alle Köpfe wandten sich zur Tür, die sich abrupt geöffnet hatte.

Drei weitere Personen standen dort. Zwei Frauen und ein Mann.

Die eine Frau war schon älter, vielleicht 50, sah jedoch recht sportlich und jung geblieben aus. Sie ging zielstrebig zu dem Tisch und schnappte sich ein Handy.

Die anderen beiden gehörten augenscheinlich zusammen und machten ebenfalls den Eindruck, als würden sie nicht das erste Mal an einem Spiel teilzunehmen. Sie begrüßten uns lediglich mit einem Kopfnicken.

Der Mann war groß, schlank und gutaussehend, wirkte aber eher wie jemand, der Akten sortiert, statt seine Freizeit mit Sport zu verbringen.

Die Frau war vermutlich gleichaltrig, um die 30 schätzte ich, klein, aber mit weiblichen Rundungen an den richtigen Stellen. Sie erschien mir ein wenig overdressed für das, was uns bevorstand. Besonders ihre Kleidung war nicht wirklich praktikabel. Angefangen vom knappen Höschen bis hin zu dem fragwürdigen Leder-Oberteil, das weniger als mancher Bikini bedeckte und den mörderisch hohen Absatzschuhen. Komplettiert wurde das Ganze mit einer dunkel getönten Sonnenbrille, die mich widerwillig an Hatter erinnerte.

Niragi pfiff anerkennend, als er sie sah und grinste zweideutig.

"Wow, scharfe Braut", sagte er laut genug, dass jeder es hören konnte. "Hast du einen Waffenschein für diese zwei beeindruckenden Argumente?"

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Die Frau jedoch schien Niragi komplett zu ignorieren, stattdessen steuerte ihr männlicher Begleiter plötzlich auf ihn zu und sah ihn mit todbringender Miene an.

"Noch so ein dämlicher Spruch zu meiner Schwester und ich schubs dich vom Dach, du kleines Stück Scheiße", knurrte er säuerlich.

Niragi grinste nur höhnisch.

"Hey, das war nur ein Kompliment für deine Schwester", rief er ihm hinterher, als sie sich zusammen in eine andere Ecke verzogen, wo der Kerl sich erst einmal in aller Seelenruhe eine Zigarette ansteckte.

Mein Blick schweifte unauffällig zur Seite und ich bemerkte sofort, dass Chishiya fehlte. Hektisch sah ich mich um und entdeckte ihn auf der anderen Seite des Daches, die noch immer in völliger Dunkelheit lag. Er stand fast am äußeren Rand des Gebäudes, nahe der Brüstung und ließ seinen Blick nachdenklich über die nächtliche Szenerie schweifen.

Neugierig ging ich zu ihm hinüber, die Arme fest um meinen Körper geschlungen. Der Wind hier oben war frischer als gedacht.

"Was treibst du da?", fragte ich neugierig und blieb dann neben ihm stehen, um seinem Blick zu folgen.

Erst da begriff ich, was Chishiya wirklich gesehen hatte.

Aus der Dunkelheit hob sich schemenhaft ein schmaler Steg hervor, der geradewegs hinüber zu einem anderen Gebäude führte. Das wenige Licht, das von der Stadt herauf schien, ließ den Steg nur schwach erkennen. Er wirkte schmal und bedrohlich, wie ein dünner Faden, der über einen Abgrund gespannt war.

"Oh mein Gott. Was ist das?", krächzte ich, mein Herz begann wieder unwillkürlich schneller zu schlagen. Hilflos sah ich zu Chishiya, der völlig entspannt neben mir stand und wie üblich die Hände in seinen Taschen vergraben hatte. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

"Dieses Spiel könnte wirklich interessant werden", sagte er, seine Augen funkelten dabei schwach im Licht.

In dem Moment, als Chishiya das sagte, gingen wie auf Befehl auch die übrigen Lichter ringsherum an.

Der lange Steg, der sich vor uns erstreckte, wurde nach und nach von kleinen Lämpchen ausgeleuchtet, die wie winzige Leuchtkäfer im Dunkeln aufglommen. Die schmale Brücke, die zuvor nur ein schattenhafter Umriss war, enthüllte nun ihr unheilvolles Ausmaß.

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