❤️ Gewissensbisse
Feels like I′m falling
Into a world
Into a world
I can't control
I hear it calling
Down in my soul
Grippin′ my bones
It won't let go
Ich erinnerte mich nicht an viel, als die elektronische Stimme mich endlich aus dem qualvollen Spiel erlöste. Die nervtötende Drehorgelmusik endete abrupt, doch ihr schriller Klang hallte noch lange in meinen Ohren nach. Was blieb, waren die lähmenden Schmerzen, die sich durch meinen gesamten Körper zogen. Das Metallband um meinen Hals hatte sich mit einem leisen, befreienden Klicken gelöst. Mit letzter Kraft hatte ich es heruntergerissen und weit von mir weggeschleudert, als könnte ich auf diese Weise den Albtraum abschütteln, der gerade hinter mir lag. Dann erst brach ich kraftlos auf dem Boden zusammen.
Von da an war meine Erinnerung lückenhaft, wie durch einen undurchsichtigen Nebelschleier getrübt. Dumpfe, unverständliche Stimmen drangen an mein Ohr, doch ihre Worte verhallten wie Schall und Rauch, beinahe als ob sie in einer fremden Sprache gesprochen würden. Ich war wie von der Außenwelt abgeschnitten, in einer unheimlichen Einsamkeit gefangen. Stattdessen spielten sich in meinem Kopf immer wieder die gleichen fürchterlichen Szenen ab. Ich blickte in die angsterfüllten Gesichter meiner Mitspieler, hörte das flehende Betteln und ihre ohrenbetäubenden Todesschreie. Immer und immer wieder. Es war, als wäre ich in einem endlosen Labyrinth aus meinen eigenen düsteren Gedanken gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab. Die Dunkelheit um mich herum schien mich gewaltsam zu erdrücken, und ich fühlte mich verloren in diesem verworrenen Albtraum aus Schmerz und Erinnerungen.
Ich hatte weder eine Ahnung, wie ich wieder auf die Füße kam, noch wusste ich, wie wir wieder zum Hotel zurückgelangt waren. Alles schien surreal und verschwommen, wie in einem schrecklichen Fiebertraum. Die Welt um mich herum, drehte sich erbarmungslos weiter, während ich in einem unerbittlichen Stillstand verharrte. Ich erinnerte mich daran, irgendwas vor mich hin gemurmelt zu haben, doch auch das verschwand bald in einem undurchsichtigen Nebel aus anderen Gedanken. Erst der kalte, erfrischende Regen, der mich wie ein Weckruf durchdrang, riss mich aus meiner vorübergehenden Trance. In diesem Moment spürte ich, wie mein Körper unkontrolliert zitterte, ein Zittern, das mich bis ins Mark frösteln ließ.
War es die Kälte des Regens, die mich erfasst hatte oder waren es die Schmerzen, die sich schwer wie Blei um meine Knochen gelegt hatten?
Die geschundene Haut an meinem Hals begann unangenehm zu brennen, fast so, als würde sich das Metallband noch immer eng um meine Kehle klammern, wie ein unsichtbares Phantom, das mich nie vergessen lassen wollte, was geschehen war.
Doch dann, inmitten meiner quälenden Gedankenspirale, stach plötzlich ein dunkles, katzenähnliches Augenpaar aus den Schatten hervor. Wie die Motten vom Licht, wurde ich beinahe magisch von ihnen angezogen und ein sanfter Hauch von Wärme strömte schlagartig durch meinen bebenden Körper. Für einen flüchtigen Augenblick schien sich die Dunkelheit in meinem Inneren ein wenig zu lichten und eine eigenartige Erleichterung überkam mich bei seinem Anblick. Seine Miene jedoch blieb starr und ausdruckslos, seine Emotionen fest hinter den dunkelbraunen Iriden verschlossen.
Nur widerstrebend unterbrach ich unseren Augenkontakt und wurde alsbald wieder in die erbarmungslose Realität zurückgeworfen, in der ich mehrere unschuldige Menschen auf dem Gewissen hatte, getötet durch meine eigene Hand. Menschen, die jetzt nur tot waren, weil mir mein eigenes Leben wichtiger gewesen war. Wenn ich mich geopfert hätte, wären sie vielleicht noch am Leben gewesen. Doch ich war egoistisch gewesen und hatte mein eigenes Leben über ihres gestellt. Niemand hasste sich in diesem Augenblick mehr als ich mich selbst. Neun Menschenleben hatte ich auf dem Gewissen und diesmal gab es keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung.
Nichts.
Als dieser Fremde plötzlich auf mich losgehen wollte, angetrieben von dem unbändigen Wunsch nach Rache für seine Schwester, wurde mir schlagartig bewusst, dass meine Taten nicht ungesühnt bleiben konnten. Ich konnte die lodernde Wut in seinen Augen nahezu körperlich spüren, und ehrlich gesagt, ich verstand sie nur allzu gut. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, und es wäre mein kleiner Bruder gewesen, hätte ich vermutlich dasselbe getan. Doch es war nicht nur sein Durst nach Rache, der mir bewusst machte, dass ich nicht ungestraft davonkommen konnte, sondern auch die schwere Last meiner eigenen Schuld. Wie sollte ich je wieder ein sorgloses Leben führen, wenn ich die Bilder meiner eigenen Taten unauslöschlich in meinem Inneren trug?
Trotz meiner allzu gegenwärtigen Angst wäre ich bereit gewesen, alles zu tun, um die quälenden Erinnerungen der vergangenen Stunden aus meinem Kopf zu vertreiben, selbst wenn das bedeutet hätte, meinen eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Jeder musste die Konsequenzen für sein Handeln tragen und ich war entschlossen gewesen, auch meine zu tragen und die volle Verantwortung dafür zu übernehmen.
Doch dann kam er.
Chishiya.
Er schickte den Mann vor mir in den sicheren Tod, ohne mit der Wimper zu zucken, als wäre es nur ein notwendiges Übel, wie das Zerdrücken einer lästigen Mücke. Als hätte er solche Dinge bereits tausendmal getan. Ich fand keine Worte für seine Tat, so fassungslos war ich, als er unerwartet in der Lobby auftauchte und diesen Mann leichtfertig zum Tode verurteilte. Einerseits war ich geschockt von seiner routinierten Kaltblütigkeit, auf der anderen Seite empfand ich auch einen eigenartigen Anflug von Dankbarkeit. Ob beabsichtigt oder nicht, er hatte mir damit das Leben gerettet. Schon wieder. Dennoch schien es, als würde mit jeder verstrichenen Sekunde mehr Blut an meinen Händen kleben.
Wie konnte es nur so weit kommen?
"Komm, ich bringe dich jetzt besser zum Krankenflügel."
Makotos Stimme riss mich wieder aus meiner Trance, nachdem ich etwa eine geschlagene Minute in den Gang gestarrt hatte, in den Chishiya soeben verschwunden war.
Ich blinzelte ihn irritiert an und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen in der Lobby um.
"Wo ist eigentlich Kuina?", fragte ich jetzt aufgewühlt, seinen Kommentar ignorierend.
"Keine Ahnung. Sie ist plötzlich verschwunden. Aber viel wichtiger ist jetzt, dass du deine Wunde am Hals versorgen lässt. Die Verbrennung sieht übel aus. Ann kann sicher etwas tun, um die Schmerzen zu lindern."
Meine Hand wanderte unwillkürlich an meine Kehle, ertastete jedoch nur glatten Stoff. Erst da wurde mir bewusst, dass ich Makotos Jacke trug. Er musste sie mir nach dem Spiel übergestreift haben, zum Schutz vor dem Regen. Der Reißverschluss war hoch geschlossen, wodurch die Wunde, von der er gesprochen hatte, für andere unsichtbar blieb.
"Es tut eigentlich gar nicht so weh", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Ist nicht so schlimm, wie es aussieht."
Die nagenden Schuldgefühle hatten die Intensität meiner Schmerzen so weit gemildert , dass ich sie zu diesem Zeitpunkt tatsächlich kaum noch spürte. Eine eigenartige Taubheit hatte sich über meinen Körper gelegt, fast so, als hätte sich mein seelischer Schmerz und die Emotionen von meiner körperlichen Hülle getrennt. Ich fühlte mich merkwürdig entrückt, wie aus meinem eigenen Körper gerissen. Ich wollte am liebsten schreien, weinen oder irgendwas zerstören und das alles gleichzeitig, doch alles, wozu ich fähig war, war es dazusitzen und gedankenversunken vor mich hin zu starren.
"Jetzt sei nicht unvernünftig, Tsu. Ich weiß, dass du leidest. Außerdem zitterst du noch immer", sagte er und legte seine warme Hand auf meinen Arm, um das Bibbern zu unterbinden.
"Ich würde jetzt gern auf mein Zimmer gehen", hörte ich mich sagen, während ich ausdruckslos auf Makotos Hand starrte. Seine Stirn legte sich in Falten.
"Ich denke nicht, dass es jetzt gut wäre, dich alleine zu lassen. Ich weiß, du gibst dir die Schuld für den Tod dieser Menschen. Aber nicht du trägst die Schuld an dem, was passiert ist. Es ist diese kranke Welt, die Schuld daran ist. Aber du, Tsuki, hast dir nichts vorzuwerfen."
"Ich will jetzt einfach auf mein Zimmer gehen", wiederholte ich tonlos, befreite meinen Arm entschieden aus seinem Griff und stand auf. Doch meine Beine, immer noch wackelig wie Götterspeise, versagten, noch ehe ich auch nur einen einzigen Schritt tun konnte. Makoto fing mich kurzerhand auf.
"Ich bringe dich hin", seufzte er nachsichtig, während er mich enger an sich heran zog. "Aber ich werde dich diese Nacht bestimmt nicht alleine lassen. Nicht in diesem Zustand."
"Es geht mir wirklich gut", nuschelte ich gegen seine Schulter, wehrte mich jedoch nicht länger gegen seine Hilfe und ließ mich bereitwillig von ihm zu meinem Zimmer führen.
Ich wollte niemandem unnötig zur Last fallen, aber ich konnte nicht abstreiten, dass ich es niemals alleine dorthin geschafft hätte. Mein Körper schaltete sich wie von selbst in den Automatik-Modus, weil es so viel einfacher war, als sich meinen verwirrenden Gefühlen zu stellen. Gefühle, bei denen ich im Moment ohnehin nicht in der Lage war, sie vernünftig zu verarbeiten.
Wie ein schwerer Stein sank ich in die weiche Matratze meines Bettes und blieb reglos dort liegen, den Blick starr zur Decke gerichtet. Makoto setzte sich neben mich und streichelte etwas zögerlich über meinen Kopf. Er schien nicht so recht zu wissen, was er mit mir anfangen sollte. Um ehrlich zu sein, wusste ich es genausowenig. Als ich blinzelte, merkte ich, dass mir Tränen in den Augen standen. Vollkommen lautlos perlten sie auf meiner Wange ab, doch bevor sie sich in meinen Haaren verloren, wurden sie von Makotos Finger abgefangen.
"Bitte rede mit mir, Tsu! Ich mache mir Sorgen um dich."
Ich schluckte, doch kein Wort kam über meine Lippen. Ich war noch immer in diesem Zustand von Erschütterung und Unglauben gefangen, der mich fest in seinem eisernen Griff hielt. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Nichts von dem, was ich zu sagen hätte, könnte in irgendeiner Weise verschönigen, was ich getan hatte, geschweige denn es ungeschehen machen. Es wäre ohnehin bedeutungslos.
"Es wird dir sicher helfen, wenn du darüber sprichst", versuchte er es erneut.
"Lass mich allein. Bitte!", brachte ich mühevoll hervor.
"Sei nicht so starrsinnig! Als würde ich dich jetzt einfach so zurücklas-"
Ein drängendes Klopfen, das durch die Tür drang, unterbrach ihn.
"Izzy? Bist du da?", erkannte ich Kuinas vertraute Stimme. Makoto wandte sich um und stand auf, um sie hereinzulassen.
"Hey, wie geht es ihr?", fragte sie an ihn gewandt und klang dabei aufrichtig besorgt.
"Keine Ahnung. Sie redet nicht darüber."
Als Kuina sich neben mein Bett fallen ließ, wandte ich mich automatisch von ihr ab. Nicht, weil ich sie nicht sehen wollte. Nein, ich schämte mich vor ihr, für das, was ich getan hatte. Meinen Kopf fest in den Kissen vergrabend, gab ich ein fast unmerkliches Wimmern von mir.
"Izzy", sagte sie sanft und legte ihre Hand tröstlich auf meinen Arm. "Du solltest dich von Ann untersuchen lassen. Ich begleite dich auch zur Krankenstation."
"Das hab ich alles schon versucht. Sie blockt völlig ab", stöhnte Makoto resigniert.
"Ist doch logisch. Sie steht noch unter Schock. Ich weiß zwar nicht genau, was passiert ist, aber ich kann es mir in etwa vorstellen. Herzspiele sind kein Spaziergang. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie jetzt zu bedrängen, hilft weder ihr, noch uns."
"Was schlägst du denn dann vor? Irgendwas muss ich doch tun. Ich kann es nicht ertragen, sie so leiden zu sehen."
Seine Stimme klang zunehmend verzweifelter. Es war nicht seine Stärke, solche emotionalen Situationen zu händeln. Er war zwar stets verständnisvoll, aber trotzdem oft nicht in der Lage, sich in mich hineinzuversetzen und zu verstehen, was ich wirklich brauchte. Seine Fähigkeit, die Emotionen anderer nachzuempfinden, war meistens Fluch und Segen zugleich. Das Leid anderer konnte ihn so sehr mitreißen, dass es ihn oft selbst überforderte.
"Gib ihr etwas Zeit. Sie wird schon darüber reden, wenn sie so weit ist. Allerdings sollte sie sich trotzdem dringend von Ann durchchecken lassen. Was genau ist mit ihr geschehen?"
Makoto zögerte kurz, bevor er antwortete.
"Sie musste so ein Folter-Halsband tragen, das ihr mehrere heftige Elektroschocks verpasst und Brandmale auf ihrer Haut hinterlassen hat."
"Verstehe, ich gehe zur Krankenstation und frage, ob Ann was da hat, was ihr helfen könnte. Bleib in der Zeit bei ihr, bis ich wieder zurück bin", wies sie Makoto an. Nur kurze Zeit später hörte ich, wie die Tür ins Schloss fiel.
Makoto seufzte schwer und setzte sich dann wieder neben mich auf die Bettkante. Diesmal berührte er mich nicht, stattdessen blieb er eine Weile lang stumm an meiner Seite.
"Es ist okay, wenn du nicht darüber reden willst", fing er nach einigen verstrichenen Minuten unsicher an. "Aber ich finde, du solltest dir nicht die Schuld geben an dem, was passiert ist. Du hast getan, was du konntest. Statt an die Menschenleben zu denken, die dem Spiel zum Opfer gefallen sind, solltest du lieber an die denken, die du gerettet hast. Ich bin mir sicher, kein anderer hätte die Kraft gehabt, so lange durchzuhalten, wie du es getan hast."
Makotos Worte versetzten mir einen Stich. Ja, ich hatte versucht, so viele Menschen wie möglich vor dem Tod zu bewahren. Sogar die, die es nicht zu schätzen gewusst hatten. Ich hatte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt - zumindest so lange, wie mein lädierter Körper es zugelassen hatte. Dennoch, rein statistisch gesehen, hatte ich mehr Leben genommen, als gerettet. Schon alleine für Makotos Rettung, waren drei Menschenleben für immer ausgelöscht worden, darunter auch das eines Kindes. Ich hatte ein Kind getötet. Wie konnte er also behaupten, dass ich unschuldig an all dem war? Ich hätte die Möglichkeit gehabt, sie alle zu retten, wenn mein eigener Selbsterhaltungstrieb in diesem Moment nicht größer gewesen wäre.
Jetzt nach einer fadenscheinigen Ausrede dafür zu suchen, wäre armselig von mir. Ich war noch immer am Leben, aber der Preis, den ich dafür gezahlt hatte, war unermesslich.
Ich enthielt mich einer Antwort und Makoto schien diesmal immerhin zu akzeptieren, dass ich keine geben wollte.
Als Kuina wieder zurückkehrte, war sie nicht alleine, sondern hatte Ann im Schlepptau, die einen schweren Medizinkoffer neben das Bett stellte. Offensichtlich konnte ich dieser Leibesvisitation nicht entkommen.
"Zieh die Jacke aus", befahl sie mir und drehte dann den Kopf zur Seite, um sich an die anderen beiden zu wenden: "Und vielleicht ist es besser, wenn ihr uns in der Zeit alleine lasst. Ich kann jetzt niemanden gebrauchen, der mir Löcher in den Nacken starrt."
Kuina und Makoto nickten einsichtig und verließen kurz darauf das Hotelzimmer, während ich schwerfällig versuchte, mir die Jacke von den Schultern zu streifen. Jeder einzelne Muskel schien in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Manche von ihnen gaben noch immer ein spontanes Zucken von sich, als hätte der Strom nie aufgehört, durch meinen Körper zu fließen.
"Wie viele waren es?", fragte Ann, als wir alleine waren.
"W-wie bitte?"
Ich sah sie fragend an, als sie die Wunde an meinem Hals genauer inspizierte.
"Stromschläge. Wie viele?"
"Weiß nicht...einige", murmelte ich leise. Ich hatte irgendwann aufgehört zu zählen.
"Das sind Verbrennungen zweiten, fast schon dritten Grades. Ich werde nicht verhindern können, dass Narben zurückbleiben. Außerdem können Stromschläge auch noch lange nach dem Ereignis zu gesundheitlichen Problemen führen. Es wäre daher besser, wenn du die nächsten Tage noch unter Beobachtung stehen würdest."
Ich verzog unwillkürlich das Gesicht.
"Bitte, ich will nicht schon wieder auf die Krankenstation", stöhnte ich widerstrebend.
"Es ist mir egal, wo du bist, hauptsache nicht alleine."
Ich nickte zögerlich, als sie den Koffer öffnete und sich ihre Instrumente zusammen suchte.
Sie drückte eine Kapsel aus einem Blister und reichte sie mir zusammen mit einer Flasche Wasser.
"Das ist Oxycodon. Es hilft gegen die Schmerzen."
"Nur gegen die körperlichen, nehme ich mal stark an", gab ich bitter zurück.
"Ja, aber ich kann dir auch ein leichtes Beruhigungsmittel geben, wenn du das möchtest."
Ich nahm ihr Angebot dankbar an und schluckte eine weitere Tablette hinunter. In diesem Moment hätte ich wohl alles getan, um diesen Tag endlich vergessen zu können, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist.
"Die Kette an deinem Hals. Du solltest sie ablegen, bevor ich anfange", sagte sie dann.
Zögerlich fanden meine Finger den Weg zu meinem Nacken und versuchten, den Verschluss zu ertasten. Doch meine Hand fuhr schlagartig zurück, als ich zum ersten Mal in Berührung mit der verbrannten Haut kam. Die Schmerzen, die ich vorhin zwischenzeitlich kaum wahrgenommen hatte, schienen jetzt mit doppelter Intensität zurückzukehren.
Ann bot an mir zu helfen und zog sich ein paar dünne Gummihandschuhe über, um behutsam den Verschluss der Kette zu öffnen. Nachdem sie sie auf den Nachttisch abgelegt hatte, begann sie geduldig die Verbrennungen an meinem Hals zu reinigen, während ich immer wieder unter höllischen Schmerzen aufzuckte. Nach der qualvollen Prozedur legte sie einen sterilen Verband um meinen Hals an.
"Du solltest die nächsten Tage trotzdem zur Nachsorge auf die Krankenstation kommen. Dann kann ich nochmal einen Blick darauf werfen und gegebenenfalls den Verband wechseln", sagte sie, als sie ihre Sachen wieder zurück in dem Koffer verstaute.
"Danke, Ann", sagte ich und versuchte mich an einem milden Lächeln.
Sie nickte nur knapp.
"Am besten, du ruhst dich jetzt ein wenig aus. Gute Nacht", mit diesen Worten wandte sie sich ab und verließ den Raum. Um ehrlich zu sein, bezweifelte ich noch, dass ich eine gute Nacht haben würde. Trotz meiner körperlichen Erschöpfung war an Schlaf überhaupt nicht zu denken, denn dafür müsste mein Geist erst einmal zur Ruhe kommen.
Unmittelbar nachdem Ann das Zimmer verlassen hatte, klopfte es erneut an die Tür.
"Ja?"
Meine Stimme klang rau, meine Stimmbänder strapaziert von den heutigen Ereignissen.
Zögerlich steckte Kuina den Kopf durch die Tür.
"Darf ich reinkommen?", fragte sie ungewohnt zurückhaltend.
"Sicher."
Sie kam näher, ihr Blick fiel auf den Verband, den Ann an meinem Hals angelegt hatte.
"Geht es dir etwas besser?"
In ihren Augen spiegelte sich noch immer Sorge wider.
"Ein bisschen", murmelte ich, während ich mich wieder ein wenig in das Kissen zurück sinken ließ. Es war die Wahrheit. Die Wirkung der Medikamente begann sich langsam zu entfalten, und der brennende Schmerz ließ allmählich nach. Mein Körper fühlte sich zunehmend betäubt an, und ich driftete in einen ruhigen Zustand, fast so, als würde ich auf fließendem Wasser umhertreiben. "Wo ist Makoto?", fragte ich dann etwas verwundert über seine Abwesenheit.
"Hab ihn dazu überredet zu gehen, was echt nicht einfach war, aber ich habe ihm versichert, dass ich mich um dich kümmern werde", entgegnete sie und trat dabei näher ans Bett heran. Sie schien erleichtert, dass ich diesmal nicht verschlossen reagierte. "Ich dachte nur, vielleicht wäre es dir lieber, wenn du ihn nicht die ganze Zeit um dich hast."
Ich nickte nur stumm. Vermutlich war es besser so. Im Moment empfand ich Kuinas Anwesenheit tatsächlich als angenehmer, besonders da ich nun wusste, dass sie mich nicht zu irgendwelchen Gesprächen drängen würde.
"Ann sagt, dass es besser wäre, wenn vorerst jemand auf dich Acht gibt, also habe ich ihr versprochen, genau das zu tun."
"Du willst also über Nacht hierbleiben?", fragte ich stirnrunzelnd.
"Ehrlichgesagt hab ich schon das Bett in meinem Zimmer für dich hergerichtet", gestand sie etwas kleinlaut. "Denkst du, dass du es bis dahin schaffst?"
Ein schwaches, aber dankbares Lächeln kämpfte sich auf meine Lippen, als ich zaghaft nickte. Kuinas Großzügigkeit überwältigte mich fast genauso sehr wie die Gewissensbisse, die noch immer an mir nagten. Hätte sie nur den leisesten Hauch einer Ahnung von dem, was ich getan hatte, würde sie mit Sicherheit nicht mehr so großzügig sein. Dennoch empfand ich auch eine gewisse Erleichterung darüber, nicht vollkommen alleine durch diesen Alptraum zu müssen.
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