28 ❤️ Erneuerung

Death has come to me, kissed me on my cheek, gave me closure
Immortal by design, I'll be meeting you here every time
Back from the dead, back from the dead
I′m back from the dead, back from the dead

Piep ... Piep... Piep

Das gleichförmige Geräusch hallte wie ein leises Echo in meinem Kopf wieder. Es war vertraut, doch es hatte noch nie so eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt wie in diesem Augenblick. Es war beinahe hypnotisch.

Piep... Piep... Piep

Mit jedem weiteren Ton schien es sich tiefer in mein Bewusstsein zu graben, unaufdringlich, aber dennoch präsent. Eine unerklärliche Entspannung legte sich über mich. Es war, als wollte ich die Eindrücke festhalten, die noch immer in meinen Gedanken umherwirbelten, noch ehe sie vollends verschwinden würden. Die Freiheit und die Unbeschwertheit, die ich an jedem Ort verspürt hatte, das alles klang noch immer in mir nach, wie das Zittern einer Gitarrensaite, deren Lied gerade verklungen war. Ich wollte es festhalten, so lange wie möglich, doch ich merkte, wie es mir langsam, unaufhaltsam entglitt, als wäre es feiner Sand, der mir aus den Händen rann. Die Helligkeit um mich herum gewann wieder an Intensität, doch dafür kehrten auch die Schmerzen zurück. Der Druck auf meiner Brust erschwerte das Atmen. Jeder Atemzug war wie ein Messerstich.

"Tsu?", drang eine Stimme zu mir. "Ich glaube, sie wacht auf. Sie blinzelt."

Die Stimme klang aufgeregt. Ich erkannte sie auf Anhieb wieder.

Schwerfällig versuchte ich die Lider zu heben und meine Augen zu öffnen. Alleine diese winzige Bewegung fühlte sich wie ein Kraftakt an. Eine sanfte Berührung an meiner Hand ließ mich wissen, dass Makoto direkt neben mir war. Meine Finger kribbelten leicht, als ich sie bewegte, fast als wären sie aus einem langen Schlaf erwacht. Ich brauchte ein paar Anläufe, bis ich meine Lider wieder offen halten und Makotos schemenhafte Gestalt neben mir ausmachen konnte. Ich sah, wie er meine Hand fest an seine Wange drückte. In seinen Augen glitzerten stumme Tränen.

Was war passiert?

"Gott sei Dank, Tsu!" Er presste meinen Handrücken gegen seine Lippen. Ich war zu schwach, um sie wegzuziehen, also ließ ich es geschehen. Eine seiner Tränen perlte an meiner Haut ab.

"Was'n los?"

Mehr brachte ich nicht hervor.

"Du hattest einen Herzinfarkt mit darauffolgenden Herzstillstand." Mein Kopf kippte schwach zur anderen Seite. Chishiya stand dort mit ungewohnt ernster Miene, seinen Blick konzentriert auf den Herzüberwachungsmonitor gerichtet. Er sah nachdenklich aus. "Ich musste dich wieder reanimieren."

Stirnrunzelnd sah ich zu ihm auf. Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte Chishiya sich über mich gebeugt und eine kleine Taschenlampe hervorgezogen, mit der er mir geradewegs in die Augen leuchtete. Reflexartig kniff ich meine Augen zu, doch er ließ kein Erbarmen walten und hielt meine Augenlider kurz mit den Fingern fest. Mit einem knappen Nicken steckte er die Taschenlampe wieder in seine Kitteltasche zurück. Ich blinzelte, immer noch geblendet von dem Licht.

"Ich.... war tot?", fragte ich bestürzt. Seine Worte drangen erst jetzt vollständig zu mir durch.

Chishiya nickte erneut.

"Es waren etwa zwei Minuten."

Ich starrte ihn an und ließ meinen Blick ungläubig zu Makoto schweifen.

Dieser nickte nur und drückte dabei fest meine Hand. Seit ich aufgewacht war, hatte er sie nicht ein einziges Mal losgelassen.

"Ich hatte solche Angst um dich", sagte er leise, seine Finger strichen über meinen Handrücken. "Dein Puls war nach der Wiederbelebung sehr schwach."

"Eine Bradykardie ist nichts Ungewöhnliches nach einem Herzstillstand", hörte ich Chishiya auf der anderen Seite murmeln.

Stumm ließ ich meinen Blick von Chishiya zu Makoto zurückwandern, unfähig irgendwas zu erwidern. Ich versuchte die Ereignisse in meinem Kopf zu rekonstruieren - so viele Eindrücke schwirrten noch immer dort umher. Ich erinnerte mich an das unendliche Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit und die endlose Weite, als ich über die Stadt geschwebt war wie ein körperloses Phantom. Es hatte sich nicht annähernd wie Sterben angefühlt. Eher als ob... als ob etwas in mir zum Leben erwacht war, von dem ich geglaubt hatte, dass ich es für immer verloren hatte. Es war die pure Form von Glück, wie ein eigenartiger Rausch, der alle meine Synapsen völlig neu miteinander verknüpft hatte.

Wehmütig starrte ich an die Decke und schwelgte in der süßen Erinnerung meines Todes. Ein Teil von mir war fast traurig, so schnell wieder zurück zu sein. Vielleicht war der Tod doch nicht das Ende, sondern nur der Beginn von etwas Neuem...

"Hey, geht es dir gut?"

Makotos Stimme durchbrach unsanft meine Gedankengänge.

Ich nickte abwesend.

"Es geht mir hervorragend", antwortete ich und das war die Wahrheit. Auch wenn die Schmerzen noch immer nicht verklungen waren, schien ich noch immer mit meinem Geist im Jenseits zu wandeln. Die Realität dagegen überforderte mich plötzlich. Das Licht war zu grell, die Stimmen zu laut und Makotos Berührung wurde allmählich unerträglich. Abrupt löste ich meine Hand aus seinem Griff.

Makotos Miene war überrascht, doch er sagte nichts.

"Die Stromeinwirkungen aus deinem letzten Spiel könnten der Auslöser für deinen Infarkt gewesen sein", ergriff Chishiya wieder das Wort, der noch immer neben mir stand und irgendwas in die Tastatur hämmerte, "Besonders starke elektrische Impulse können das Herz beeinträchtigen, auch noch Tage oder Wochen später nach dem eigentlichen Vorfall. Ann hätte am besten gleich am selben Tag noch ein EKG machen sollen. Dein Elektrolythaushalt weist ein starkes Kaliumdefizit auf. Ich habe daher sofort eine Kaliumtherapie eingeleitet, um deinen Spiegel wieder in den Normbereich zu bringen."

Ich sah an mir hinunter und bemerkte zum ersten Mal den intravenösen Zugang, der an meinem linken Arm gelegt worden war. Ich seufzte auf. Irgendwie schaffte ich es immer wieder, mich in solche Situationen zu begeben. Offenbar war ich dazu verdammt mein gesamtes Leben in Krankenhausbetten zu verbringen.

Als ich Makoto in die Augen sah, erkannte ich wieder diesen Blick, den ich inzwischen nicht mehr ertragen konnte. Die aufrichtige Sorge, dass mir etwas Schlimmes zustoßen könnte, dass ich vielleicht sogar sterben könnte. Ich hatte diesen Ausdruck schon zu oft gesehen. Jedes Mal fühlte ich mich schrecklich, ihm solchen Kummer zu bereiten.

"Könnte es nicht auch einen anderen Auslöser gegeben haben?", fragte Makoto zögerlich an Chishiya gewandt. Panisch schüttelte ich den Kopf und warf Makoto einen warnenden Blick zu.

Chishiya verschränkte die Arme und hob skeptisch eine Augenbraue.

"Zweifelst du etwa an meiner ärztlichen Einschätzung?"

Ich sah, wie Makoto protestierend seinen Mund öffnen wollte, doch ich formte ein stummes "Nein" mit meinen Lippen.

Chishiyas aufmerksamer Blick wanderte zwischen uns hin und her.

"Nein, ich meine, das war...-also das war nur so eine Frage", stammelte er mit einem sehr unglaubwürdigen Lächeln. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu: "Gib Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst, Tsuki, völlig egal, was es ist. Ich könnte dir etwas aus der Küche vorbeibringen oder vielleicht ein Buch, um dich abzulenken."

Ich schüttelte schwach den Kopf.

"Nein, danke. Ich glaube, ich brauche gerade nur etwas Ruhe", sagte ich ehrlich und war erleichtert, dass ich ihn rechtzeitig davon abhalten konnte, alles gedankenlos auszuplaudern. Wenn ich eine Sache nicht wollte, dann dass jeder hier von meinem Herzleiden erfahren würde. Dann würde Ann nicht nur wollen, dass ich nicht mehr hier arbeite, sondern ich würde auch wieder von allen nur als die bedauernswerte "Herzkranke" gesehen werden. Das hatte ich ein für allemal satt.

"Verstehe. Du bist sicher erschöpft."

Er versuchte seine Enttäuschung zu verbergen, doch es war zu offensichtlich, dass es nicht das war, was er sich erhofft hatte.

"Dann wäre jetzt wohl eine gute Gelegenheit sich zu verabschieden, damit die Patienten sich ausruhen können und der Arzt ungestört seiner Arbeit nachgehen kann", sagte Chishiya nonchalant.

Makoto funkelte ihn finster an. Das bedrohliche Knistern zwischen den beiden war fast körperlich zu spüren, als ihre Blicke sich begegneten. Stirnrunzelnd sah ich zwischen den beiden hin und her. Dann, zu meinem Erstaunen, stand Makoto schließlich auf.

"Wie heißt es so schön: Der Klügere gibt nach."

Chishiya schnaubte leise, doch es war trotzdem nicht zu überhören.

"Wie war das?", fragte Makoto sichtlich aufgebracht, während er absichtlich seine Knochen knacken ließ. Ich rollte mit den Augen. Es war echt unglaublich, wie wenig nötig war, um Männer dazu zu bringen, sich wieder wie Kleinkinder aufzuführen.

Chishiya hob die Hände und setzte einen arglosen Gesichtsausdruck auf.

"Oh, tut mir leid, ich vergaß, dass du dein Diplom in der Fachrichtung Weisheiten für Hundewelpen gemacht hast. Im Stöckchenholen bist du sicher ungeschlagener Champion."

Makoto knirschte hörbar mit den Zähnen. Ich stöhnte und vergrub verzweifelt das Gesicht in meinen Händen.

"Ich denke, es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst, Makoto. Wir sehen uns morgen wieder, okay?", sagte ich sanft, um diese ziellose Diskussion zu beenden.

Er nickte, wenn auch widerwillig, das konnte man ihm ansehen. Der Gedanke, dass er mich mit Chishiya hier alleine zurückließ, schien ihm nicht zu gefallen. Doch er schien sich zusammenzunehmen.

"Gute Nacht, Tsu. Schlaf gut und erhol dich", sagte er jetzt mit sanfter Stimme an mich gewandt. Dann richtete er seinen Blick wieder zu Chishiya: "Und sollte ihr irgendwas zustoßen, dann bringe ich dich eigenhändig um, Dr. Who."

Mit diesen Worten rauschte er hinaus aus dem Zimmer.

Chishiya schüttelte nur belustigt den Kopf.

"Er weiß schon, dass Dr. Who kein Arzt ist."

"Du solltest wirklich aufhören, ihn zu provozieren", sagte ich vorwurfsvoll, als Makoto außer Hörweite war.

"Vielleicht sollte er lieber aufhören, sich provozieren zu lassen. Und ich war schließlich nicht derjenige, der meine Kompetenz in Frage gestellt hat. Als hätte er irgendeine Ahnung von Medizin..."

"Er macht sich einfach nur Sorgen um mich. Ein Gefühl, dass dir sicherlich vollkommen fremd ist", schnappte ich.

"Weil es unnötig ist. Du bist hier in guten Händen."

Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden. Mit so einer Antwort hatte ich sicherlich nicht gerechnet. Auch wenn seine Worte harsch formuliert waren, wirkten sie doch irgendwie... intim. Es war, als wüsste ich, dass ich ihm voll und ganz vertrauen konnte, auch wenn ich es nicht logisch erklären konnte.

Unter Anstrengung zog ich mich ein wenig von der Matratze hoch, um mich aufzurichten.

"Das würde ich an deiner Stelle unterlassen", sagte Chishiyas scharfe Stimme.

Ich rollte mit den Augen.

"Ich will doch nur zur Toilette. Ist das jetzt auch verboten?", gab ich trotzig zurück, doch Chishiya hatte bereits ein kleines weißes Gerät gezückt, dessen Anblick alleine mich merklich zusammenzucken ließ.

"Du rührst dich nicht von der Stelle, bevor ich nicht ein Herzecho von dir habe."

Chishiya kam näher und bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte er sich dicht über mich gelehnt. Unwillkürlich wich ich zurück.

"Es wäre hilfreich, wenn du dafür deinen Oberkörper freimachen würdest", raunte er gegen mein Ohr.

PiepPiepPiepPiep

Der Ton neben uns begann innerhalb von Sekunden zu eskalieren.

Dieses verdammte EKG.
Nein, dieses dumme, naive Herz.

Ich schob seinen Arm von mir weg.

"Nein, kein Ultraschall", protestierte ich und verkroch mich schutzsuchend unter meiner Bettdecke.

Auch, wenn ich hier an diesem seltsamen Ort augenscheinlich gesund war, hatte ich keine Ahnung, wie es in meinem Inneren aussah. Die Angst, dass er davon erfahren könnte, ließ mich beinahe hysterisch werden. Chishiya ließ von mir ab, als er meine Reaktion bemerkte. Er stöhnte resigniert.

"Du benimmst dich wirklich kindisch."

"Ein Ultraschall ist nicht nötig. Mein Herz ist vollkommen in Ordnung", beharrte ich.

"Oh, jetzt bist du also der Arzt?", entgegnete er mit ironischer Stimme.

"Du kannst mich nicht dazu zwingen."

"Stimmt, das kann ich nicht", sagte er gelassen. "Aber wenn ich das Risiko eingehe und du einen weiteren Infarkt bekommst, dann wird mich der Welpe dafür verantwortlich machen und mir ans Bein pinkeln. Darauf bin ich wirklich nicht sonderlich scharf."

"Sein Name ist Aoyama Makoto", sagte ich trotzig.

"Wenn ich das Echo nicht mache, wird Ann es tun, sobald sie zurück ist", sagte er, als hätte er mich nicht gehört. "Denkst du, sie wird Zeit mit deinen Zimperlichkeiten verschwenden?"

"Pfff..."

Chishiya legte das Gerät jetzt vollkommen ruhig beiseite und schaltete es ab.

"Gut, ich kann auch warten, bis du eingeschlafen bist. Und irgendwann wirst du schlafen."

Ich starrte ihn empört an.

"Warte mal. Drohst du mir gerade?"

Seine Mundwinkel zuckten leicht vor Belustigung. Dann griff er erneut nach dem Gerät, um es hochzuhalten.

"Oder ich kann es jetzt tun. Egal, wofür du dich entscheidest, am Ende werde ich bekommen, was ich will - mit oder ohne deiner Erlaubnis."

Ich funkelte ihn finster an.

"Warst du wirklich Medizinstudent oder ehemaliger Mafiaboss im Organhandel?", knurrte ich.

Chishiya sagte nichts, aber ein kleines, fast unmerkliches Grinsen legte sich auf seine Lippen. Dann verschränkte er nachdrücklich die Arme.

"Ich warte."

Ich presste fest die Lippen zusammen. Offensichtlich kam ich nicht um diese Untersuchung herum. Und wenn ich ehrlich war, dann wusste ich, dass es auch vernünftiger wäre. Doch die Angst, dass jemand die Wahrheit über mich erfahren könnte, war in diesem Moment größer, als die Angst erneut zu sterben.

Wenn ich mich weiterhin weigerte, machte ich mich wahrscheinlich eher verdächtig. Schon jetzt konnte ich sehen, dass Chishiya mich misstrauisch beäugte. Er ahnte etwas. Mit Sicherheit.

Ich nickte schließlich, einsichtig, aber dennoch etwas verbittert.

"Okay, okay." Sein triumphierendes Lächeln, als er das Gerät erneut startete, gefiel mir absolut nicht.

"Mach dich frei und leg dich auf die Seite."

Ich kannte die Prozedur. Ich hatte das schließlich schon oft genug über mich ergehen lassen müssen. Damals, als die Welt noch ein sicherer Ort war. Damals, als ich fast dem Tode geweiht war.

Mein Gesicht begann wieder ein wenig zu brennen, als ich mein Top nach oben schob. Den Kittel trug ich schon längst nicht mehr. Irgendjemand musste ihn mir nach der Wiederbelebung ausgezogen haben. Normalerweise hatte ich kein Problem damit, mich vor Ärzten zu entkleiden, doch das hier war anders. Weil es Chishiya war.

Dieser musterte mich erwartungsvoll, als ich mein Oberteil zögerlich über den Kopf zog. Ich zog die Decke automatisch ein wenig höher, als ich den BH ablegte. Währenddessen versuchte ich tief durchzuatmen, um mich selbst zu beruhigen. Doch alleine der Gedanke an den engen Körperkontakt mit ihm reichte, um meinen Puls energischer werden zu lassen. Auch wenn Chishiya mich nicht direkt berühren würde, so würde er mir dennoch sehr nahe kommen. Das ließ sich bei dieser Untersuchung nicht vermeiden.

Ich spürte seine forschenden Blicke auf mir. Sie waren nicht anzüglich, eher fokussiert, als wartete er nur darauf, dass er endlich beginnen konnte. Als ich mich auf die Seite positionierte, wich ich seinen Blicken bewusst aus. Es war zu unangenehm, ihnen schutzlos ausgesetzt zu sein. Mein Gesicht musste inzwischen verräterisch glühen vor Scham.

Konnte es eigentlich noch schlimmer werden?

Chishiya jedoch hatte sich längst wieder abgewandt, um das Gel auf den Kopf der Sonde zu geben.

"Bleib so und beweg dich nicht!", sagte er mit gefasster Stimme, während mein Herz mich lautstark verhöhnte.

Seine Hand kam näher und ich zuckte bei dem Kontakt mit dem kalten Gel auf meiner Haut ein wenig zusammen. Sofort wurde das Piepsen neben mir wieder hektischer, egal wie sehr ich versuchte meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Seine Präsenz ließ sich nicht ausblenden. Die Hand, die das Gerät führte, ließ sich nicht ignorieren.

Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, dass das meine Nervosität etwas mildern würde.

"Ein sehr lebhaftes Herz, wie mir scheint."

Ich hörte ein kleines, amüsiertes Lächeln in seinen Worten heraus. Er genoss meine Situation. Er wusste genau, was es mit mir machte, was er mit mir machte und ich verfluchte ihn dafür.

Er änderte die Position ein wenig und verfolgte live auf dem Bildschirm das Geschehen. Ich öffnete die Augen wieder und folgte seinem Blick. Ich beobachtete meine Herzklappen, die scheinbar zügig auf- und zu schnappten wie kleine Mausefallen. Auch wenn ich nicht erkennen konnte, ob sie einwandfrei funktionierten, wusste ich immerhin ungefähr, welche Teile des Herzens auf dem Monitor zu sehen waren, weil der Arzt im Krankenhaus es mir schon oft erklärt hatte.

"Willst du es hören?", fragte Chishiya plötzlich. Er drückte eine Taste. Kurz darauf vernahm ich ein leises, rhythmisches Hämmern. "Das ist die Mitralklappe. Sie ist eine von vier Herzklappen. Deine scheint jedenfalls in einwandfreiem Zustand zu sein."

Er fuhr fort und schien dabei komplett fokussiert auf die Bilder meines Herzens zu sein, während seine Hand blind das Gerät führte. Er machte ein paar Screenshots. Eine der Aufnahmen schien er sich jedoch besonders lange anzusehen.

"Irgendwelche Vorerkrankungen?", fragte er plötzlich.

Ich schluckte schwer. Mein Puls wurde wieder angespannter.

"Nein", sagte ich schnell, ehe ich eingehender darüber nachgedacht hatte.

Chishiyas Blick glitt kurz zu mir. Ich konnte ihn nicht ganz deuten, versuchte aber einen möglichst glaubwürdigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Dann wandte er sich wieder ab.

"Verstehe", entgegnete er nur.

Danach wurde er auffällig schweigsam, als würde er über etwas nachgrübeln.

"Es ist doch alles in Ordnung, oder?", durchbrach ich irgendwann die angespannte Stille zwischen uns.

Chishiya nickte langsam. Dann schaltete er abrupt das Gerät aus und begann es zu säubern.

"Wir sind hier fertig. Mach dich sauber und zieh dich wieder an!"

Er reichte mir ein paar trockene Tücher. Etwas verwirrt rappelte ich mich wieder auf und wischte mir das Gel von der Haut.

"Ist alles okay?"

Chishiya sah mich nicht an, sondern stand von dem Hocker auf und wandte sich dem Drucker zu, während ich mir mein Oberteil wieder über den Kopf zog.

"Ja, aber du musst dich noch schonen, mindestens 3 Tage. Keine körperliche Arbeit, kein Stress. Am besten wäre es, wenn du dir bis zu deinem nächsten Spiel Ruhe gönnst. Außerdem musst du neben dem Kalium dreimal täglich Amiodaron einnehmen gegen die Herzrhythmusstörungen. Allerdings müssen wir warten bis Ann wieder zurück ist, weil nur sie den Zugang zum Tresor hat."

"Okay", sagte ich langsam.

Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder besorgt sein sollte. Chishiya benahm sich merkwürdig und ich war mir nicht sicher, ob er vielleicht doch etwas gesehen hatte, das ihm etwas über meine Krankheit offenbart hatte. Vielleicht machte ich mir aber nur unnötig Sorgen. Schließlich hätte er mir doch mitgeteilt, wenn es anders wäre.

Ich ließ mich ein wenig erschöpft in die Kissen zurücksinken.

"Chishiya, sag mal", der Angesprochene hielt inne und diesmal sah er mich wieder an. Ich zögerte kurz. "warst du schon mal... tot?"

Die Frage war plötzlich in meinem Kopf aufgetaucht, vielleicht, weil ich mit irgendjemandem über das reden wollte, was passiert war. Aber auch, weil Chishiya immer so wirkte, als hätte er keine Angst davor zu sterben.

"Nein, war ich nicht."

"Schade", sagte ich und lächelte, während ich verträumt zur Decke starrte. "Es war ganz anders, als ich es mir immer vorgestellt hatte. Irgendwie... war es sogar eine interessante Erfahrung. Aber da ich zurückgeholt wurde, fühlt es sich jetzt an, als hätte ich ein Buch gelesen, ohne die letzte Seite zu kennen."

Chishiya musterte mich eingehend und ließ sich dann wieder neben mir auf den Hocker sinken.

"Das klingt, als hättest du eine Art Nahtoderfahrung gehabt."

"Ja, genau." Ich nickte eifrig und gestikulierte wild mit den Händen. "Ich habe gespürt, wie ich mich von meinem Körper gelöst und Zeit und Raum überwunden habe. Es war wie ein Traum, nur realer und lebendiger. Es hat sich ein wenig angefühlt, als würde man ruhig und langsam unter Wasser treiben, vollkommen abgeschirmt von den Geräuschen und allen anderen Eindrücken. Aber dann war es, als hätte mich plötzlich jemand unsanft wieder aus dem Meer gezogen. Das war der Moment, in dem mein Herz wieder zu schlagen begann."

Chishiya hörte mir aufmerksam zu und ließ meine Worte einige Zeit auf sich wirken. Erst nach einigen verstrichenen Sekunden setzte er zu einer Antwort an:

"Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien und Berichte von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Diese Phänomene können durch verschiedene physiologische Prozesse erklärt werden, die während eines nahen Todes auftreten. Zum Beispiel können Sauerstoffmangel im Gehirn, chemische Reaktionen im Körper oder die Aktivität bestimmter Hirnregionen zu halluzinatorischen Erlebnissen führen. Auch die Freisetzung von Endorphinen und anderen Neurotransmittern kann dazu beitragen, dass Menschen in solchen Momenten ein Gefühl der Ruhe und des Friedens erleben. Obwohl diese Erfahrungen subjektiv real wirken, sind sie letztendlich das Ergebnis von biochemischen und neurologischen Prozessen im Körper."

Ich grinste nur, als er seine Rede beendet hatte, weil die Antwort irgendwie so typisch Chishiya war. Jemand, der es selbst nicht erlebt hatte, konnte wahrscheinlich auch nicht nachvollziehen, wie es sich angefühlt hatte.

"Mag schon sein, aber das ist mir egal. Ich weiß, was ich gesehen und gefühlt habe. Es war irgendwie bizzar, aber auch merkwürdig schön, als wäre alles plötzlich ganz friedlich."

Chishiya nickte und folgte meinem träumerischem Blick hoch zur Decke.

"Das erklärt zumindest, warum du kurz nach der Reanimation gelächelt hast."

"Hab ich?"

"Hast du."

Ich schmunzelte. Unsere Blicke trafen sich und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.

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