♦️ Eine verdammte Pik 4
So long live the reckless and the brave
I don't think I wanna be saved
My song has not been sung
And long live the fast times
So come what may
I don't think I'll ever be saved
Our song has not been sung
Long live us
9...8...7
Ich nahm mir ebenfalls einen Korb von dem Stapel, während ich die anderen weiter beobachtete. Die Neue und das Mädchen in der Schuluniform schienen sich flüsternd miteinander auszutauschen. Im Gegensatz zu den anderen Spielern schien das Mädchen ihr helfen zu wollen.
Ich verstand nicht alles von dem, was sie erzählte, aber an der Reaktion der jungen Frau konnte ich auch so ablesen, worum es ging. Den Blick, den sie jetzt aufsetzte, hatte ich schon oft hier gesehen, gerade unter den Neuankömmlingen. Er spiegelte Unglauben, Panik und Angst wider.
6...5...4
Die anderen Spieler verteilten sich an der Grenze des Zentrums, der sicheren Zone. Auch ich nahm einen Platz dort ein. Von dort aus konnte ich einen guten Blick auf das Schild mit der Medizin-Abteilung erhaschen. Sie befand sich ausgerechnet weiter oben auf den Podesten. Doch ich hatte bereits einen Plan.
3...2...1...0
Spiel Start!
Die fünf Spieler stürmten alle gleichzeitig die Treppen hinauf. Die meisten von ihnen verschwanden rasch hinter den Regalen. Ich hingegen verharrte auf der Stelle und lauschte. Für einen kurzen Moment legte sich eine fast beunruhigende Stille über die Bücherei. Dann, Sekunden später, drangen erneut flüsternde Schritte an meine Ohren. Plötzlich knarzte es leise und sie Schritte wurden zügiger.
Ein lauter Knall ertönte.
Kurz darauf hallte ein ohrenbetäubender Schrei an den Wänden wider. Der Stimme nach zu urteilen war es Maki. Immerhin wusste ich jetzt, dass, unsere Gegner, die Bibliothekare, bewaffnet waren. Allerdings wusste ich noch nicht, wie viele es waren. Dennoch nutzte ich den Moment und schlich die Treppen nach oben. Als ich aus den Augenwinkeln sah, dass sich etwas in einem der Gänge bewegte, hielt ich inne und warf einen kurzen Blick auf das Geschehen. Maki lag reglos am Boden. Aus ihrem Hinterkopf sickerte langsam Blut heraus. Vor ihr stand eine andere Person - unverkennbar männlich mit einer Schusswaffe und einer seltsamen Vorrichtung auf dem Kopf, die ich aus der Entfernung nicht näher ausmachen konnte. Als der Kerl sich unvermittelt umdrehte, setzte ich meinen rechten Fuß auf die nächste Stufe, um unbemerkt an ihm vorbei zu schleichen.
Schon beim Auftreten mit dem Zeh merkte ich jedoch, dass die Dielen unter mir leise ächzten. Ich erstarrte in meiner Bewegung, doch der Kerl hatte sich bereits in meine Richtung gedreht und richtete die Waffe auf einen Punkt neben mir. Erst da fiel mir auf, dass er eine Art blickdichte Brille trug, die ihn offensichtlich blind machte.
Blinde Bibliothekare mit Schusswaffen. Das war auf jeden Fall mal was Neues. Doch jetzt musste ich erst einmal die Beine in die Hand nehmen, bevor der Kerl mir ausversehen das Hirn wegpustete. Ich rannte die letzten Stufen hinauf, dicht gefolgt von den Schritten des bewaffneten Mannes.
Verdammt!
Ich bog links in einen Gang ein und zog wahllos ein Buch aus dem Regal um es weit von mir weg zu werfen. Das Geräusch des Aufschlags ließ ihn irritiert innehalten. Er drehte sich um, weg von mir und ich begann hastig die Regalreihen durchzugehen um nach der Signatur meines ersten Buches zu suchen.
Titel: Atlas der Anatomie
Autor: Murakami Tai
Erscheinungsjahr: 2021
Auflage: 7. Auflage
Signatur: 611.00022
Die Zahl der Signatur hatte ich noch im Kopf. Ich schaute nochmal auf das Display um mir das Buchcover genauer anzusehen. Grün. Meine Finger glitten über die Buchrücken.
Ha, wer sagts denn?
Ich zog das schwere Buch aus dem Regal hervor. Im gleichen Augenblick drehte ich den Kopf und der Kerl stand plötzlich mit erhobener Waffe neben mir.
Wo war der denn so schnell hergekommen?
Ein Klicken ertönte und ich duckte mich rasch.
Peng.
Das war knapp. Ich blickte auf die Stelle im Regal, die jetzt schwarz ausgebrannt war. Um ein Haar wäre das mein Schädel gewesen. Ich griff in meine Tasche und hielt meinen selbstgebauten Taser mit ausgestrecktem Arm vor mir. Der "Bibliothekar" tastete sich blind an dem Regal entlang. Ich stellte den Taser auf die höchste Stufe und erwischte seine Hand, die gerade nach mir greifen wollte. Er zuckte wild umher und fiel dann bewusstlos, aber leider nicht geräuschlos zu Boden.
Ich musste mich schnellstmöglich vom Acker machen, sonst würde vermutlich gleich eine Horde wütender Bibliothekare hinter mir her sein. Eilig hastete ich die Treppen herunter und registrierte immerhin das eine Buch am Automaten, das ich hatte. Neben mir stand die Neue und hatte bereits drei Bücher in ihrem Korb.
Alle Achtung! Für einen Anfänger war sie nicht übel.
Scheinbar war mein Plan nicht so clever wie gedacht. Als sie ihre Bücher registrierte, sah ich, dass ihre Hände unkontrolliert zitterten. Ihr hellblaues Shirt und ein Teil ihrer Wange waren mit unzähligen Blutspritzern übersäht. Offensichtlich war es nicht ihr eigenes Blut. Sie wischte sich fahrig mit dem Handrücken über das Gesicht. Dann wandte sie sich jedoch entschlossen wieder ab und verschwand zwischen den Regalen.
Noch 20 Minuten.
Wie hatte ich so viel Zeit sinnlos vergeuden können? Wenn ich nicht bald aufholte, würde der Newbie mich in einem lächerlichen Pik 4 Spiel besiegen. Auch wenn Pik nicht gerade mein Lieblingsattribut war, hatte ich nicht vor gegen einen Grünschnabel zu verlieren.
Diesmal war ich vorausschauender mit meinen Schritten. Zudem hatte ich mir beim ersten Mal gemerkt, welche Stellen im Boden ich meiden musste. Und diesmal schien ich Glück zu haben. Ich fand vier Bücher ohne ein weiteres Mal angegriffen zu werden. Den Kampfgeräuschen nach zu urteilen waren sie gerade anderswo beschäftigt. Gerade, als ich mich jedoch auf dem Weg zur Safe Zone machte, hörte ich Schritte, die zunehmend lauter wurden. Eine Frau mit einer Axt in der Hand kam um die Ecke geschossen. Auch sie trug eine blickdichte Brille.
Wie konnte sie mich gehört haben?
Ich bog in einen der Korridore ein und sah dort den alten Mann mit dem Hawaii-Hemd liegen, der halb tot an einem Regal lehnte und sich die blutende Schulter hielt. Er musste mich gesehen und verraten haben, um die Axt-Frau von ihm abzulenken. Diese war mir dicht auf den Fersen, doch bevor ich die Biege machte, stahl ich die zwei Bücher aus dem Korb des Mannes. Er sah hilflos zu mir auf und röchelte verzweifelt, während ihm Blut aus dem Mund quoll. Ich warf ihm einen letzten abschätzigen Blick zu, bevor ich mich von ihm abwandte und floh. Da die verrückte Akt-Mörderin nur wenige Meter hinter mir war, musste ich rennen, was lautlos fast unmöglich war. Ich keuchte atemlos auf als ich endlich das Zentrum erreichte. Die Frau wollte mir folgen, doch in dem Moment, als sie die Grenze zur Safe Zone überschritt, ächzte sie unter Schmerzen auf und sackte augenblicklich in sich zusammen, während sie ihre Hand an ihre Ohren hielt.
Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass sie kleine Knöpfe im Ohr hatte, die jetzt rot aufblinkten. Geräuschefolter. So hielten sie die Bibliothekare also davon ab die Safe Zone zu betreten. Nicht übel. Ich war mir fast sicher, dass unsere Gegenspieler auch nur einfache Spieler waren, die an einem Spiel teilnahmen. Als würden sich die Spielemacher auch selbst die Hände schmutzig machen, um jemanden von uns abzuschlachten.
Ich ging zum Verbuchungsautomaten und trug die Bücher ein, die ich eingesammelt hatte. Insgesamt waren es jetzt sieben Stück. Ein lautes Brüllen lenkte mich von meiner Tätigkeit ab. Ich beobachtete wie Kawasaki der Axt auswich und sich ins Zentrum rettete. Er hatte bereits einen tiefen Kratzer, der sich quer über sein gesamtes Gesicht zog. Er scannte seine Bücher am Automaten ein. Er hatte erst fünf.
Ich wartete kurz bis die Frau mit der Axt wieder außer Sichtweite war und startete dann einen dritten Anlauf. Ich schaffte es immerhin zwei weitere Bücher zu ergattern ohne einem Angriff ausgesetzt zu sein.
Noch 15 Minuten.
Maki war tot. Der ältere Herr vermutlich auch. Kawasakis Leiche entdeckte ich nur kurze Zeit später. Er war fast geköpft worden. Kein schöner Anblick. Aber was war mit dem Mädchen und der jungen Frau? Ich hatte sie schon länger nicht mehr gesehen, geschweige denn gehört.
Als ich ein viertes Mal die Stufen nach oben nahm, war alles seltsam ruhig. Zu ruhig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass unsere Gegenspieler bereits alle ausgeknockt waren. Ich bog ein in die Abteilung mit der klassischen Literatur und sah das Mädchen mit der Schuluniform auf einer kleinen Trittleiter stehen.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte ihren Arm weit nach oben um an ein Buch in der obersten Reihe zu gelangen. In dem Moment, als sie den Einband zu fassen bekam, geriet sie ins Schwanken und verlor das Gleichgewicht. Ich sah wie die Trittleiter nach vorne kippte und das Mädchen den Halt unter den Füßen verlor. Schnell sprintete ich zu ihr hinüber, um das Schlimmste zu verhindern und fing sie auf dem Boden ab, doch das scheppernde Geräusch der Leiter, schallte durch die gesamte Bücherei.
"Wir müssen hier weg", zischte ich mit einem Blick auf die Wand hinter uns. Wir befanden uns in einer Sackgasse. Prima. Das Mädchen jedoch schien sich bei ihrem Sturz die Bänder gezerrt zu haben. Sie weinte bitterlich und hielt schmerzverzerrt ihren Fuß fest.
Zur Hölle, was interessierte mich dieses Kind?
Ich stürmte zu dem einzigen Ausgang, der zwischen den beiden Bücherregalen lag, doch es war bereits zu spät. Ich blickte langsam auf. Vor mir stand ein Schrank von einem Mann. Es war ein anderer, als der von vorhin. Er war so massig, dass er mit seinem Körper den gesamten Ausgang blockierte. Gegen ihn kam ich mir fast wie ein Hobbit vor. Der Riese hielt einen seltsamen Schlauch in der Hand, den er jetzt direkt auf uns richtete.
War das ein Flammenwer-?
Weiter kam ich nicht, da wurde meine Frage schon beantwortet. Heiße Flammen schossen aus dem Rohr empor und ich schaffte es gerade noch rechtzeitig meinen Körper flach auf den Boden zu pressen. Hysterische Schreie erklangen hinter mir, die mir bis ins Mark gingen. Er hatte das Mädchen erwischt. Sie verbrannte gerade bei lebendigen Leibe.
Shit.
Ich musste weg hier. Ich blieb flach am Boden liegen und versuchte in dieser Haltung unauffällig an ihm vorbei zu kriechen, doch die Flammen hatten sich innerhalb kürzester Zeit ausgebreitet. Der beißende Rauch begann meine Atemwege zu reizen und ich kam nicht lange gegen den Drang an auf zu husten. Eine weitere Flamme schoss haarscharf an mir vorbei und ich schaffte es im letzten Moment auszuweichen. Ich schätze mal das war's dann. Der Kerl würde hier alles innerhalb von Minuten abfackeln und ich war wegen der beschissenen Laserschranke so lange hier gefangen bis das Spiel vorbei war.
Eine verdammte Pik 4.
Lächerlich.
Offensichtlich war meine lang anhaltende Glückssträhne jetzt ein für allemal vorbei. Eine kräftige Hand zerrte mich nach oben und presste mich gewaltsam gegen das nächstbeste Regal. Der Muskelprotz grinste schadenfroh und richtete das Ende des Flammenwerfers genau auf meinen Kopf.
"Irgendwelche letzten Worte?", fragte er fast schon amüsiert, während er mir die Luft mit seiner riesigen Pranke abdrückte. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht antworten können. Mit den Händen versuchte ich seinen Griff um meine Kehle zu lockern, doch er war zu stark. Ich schnappte hilflos nach Luft und vor meinen Augen breitete sich schwammige Dunkelheit aus. Ich merkte wie mit jeder Sekunde, die verging das letzte Quäntchen Leben aus mir heraussaugt wurde.
Meine Hände sanken kraftlos nach unten. Ein winziger, aber heller Lichtschein tanzt vor meinen Augen hin und her und aus irgendeinem unerfindlichen Grund folgte ich ihm. Doch dann begann der Druck auf meine Luftröhre schlagartig nachzulassen.
Erleichtert rang ich nach Luft. Ich hustete gequält und konnte mich schließlich aus dem engen Griff befreien. Meine Sicht wurde langsam wieder klarer. Und ich spürte...Regen?
Ich blickte nach oben und sah, dass die Sprinkler-Anlage ausgelöst wurde. Die Flammen wichen langsam zurück. Vermutlich war der Kerl in dem Moment von dem Wasser überrascht worden, als ich gerade an der Grenze zum Tod schwebte. Der Riese baute sich erneut bedrohlich vor mir auf. Wenn ich jetzt meinen Taser benutzte, würde ich uns wohl beide ins Jenseits befördern.
Gerade als er erneut abfeuern wollte, tauchte aus dem Nichts eine Axt hinter ihm auf und landete zielsicher in seiner Halsschlagader. Blut spritzte über den Boden und verteilte sich auf meiner weißen Kleidung. Missmutig verzog ich das Gesicht.
Nur wenige Sekunden später kippte der Koloss um wie ein Stein und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Erst jetzt konnte ich sehen, dass es die junge Frau mit den Locken war, die ihm die Axt in den Hals gerammt hatte. Sie keuchte laut auf und die Axt landete neben ihm auf dem Parkett. Sie hielt sich schmerzverzerrt die Seite, aus der unaufhaltsam Blut heraussickerte. Mit einem letzten Röcheln sackte sie ebenfalls in sich zusammen.
Noch 5 Minuten.
Schnell rappelte ich mich auf und fischte das durchgeweichte Buch aus dem Wasser, welches das Mädchen vorhin aus dem Regal gezogen hatte. Ihre verbrannte Leiche lag direkt daneben. Der angesengte modrige Geruch, der von ihr ausging, war Übelkeit erregend. Der Sprinkler lief noch immer und am Boden bildete sich allmählich eine tiefe Lache aus Wasser und Blut.
Neben der jungen Frau, die mich gerettet hatte, fand ich ein weiteres Buch. Ich hob es auf und nahm es ebenfalls an mich. Dann warf ich einen Blick auf ihre zusammengesunkene Gestalt, die inzwischen in einer blutdurchtränkten Pfütze lag. An ihrem unfokussierten Blick erkannte ich, dass sie am Rande der Bewusstlosigkeit umhertrieb. Ich hockte mich kurz neben sie und sah missbilligend auf sie hinab.
"Es war ziemlich dumm von dir mein Leben zu retten, denn nun wirst du wohl bedauerlicherweise sterben. Trotzdem danke."
Ihre fast leblosen Augen fixierten mich daraufhin kurz und ein stummes Flehen lag in ihrem Blick. Ich wandte mich kopfschüttelnd von ihr ab, um die letzten beiden Bücher zu registrieren, welche mich auf eine Gesamtzahl von 11 Büchern brachte.
Das Spiel ist beendet.
Gratulation. Zwei Spieler haben Game Clear erreicht und bekommen ein 4-Tages-Visa ausgehändigt!
Moment... hatte ich richtig gehört? Zwei Spieler? Hatte der Grünschnabel etwa genauso viele Bücher wie ich registriert? Es musste so sein. Die anderen waren schließlich allesamt tot. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Game Clear erreichte nach den Regeln nur der Spieler mit der höchsten Anzahl an registrierten Büchern. Hätte ich die letzten beiden Bücher also nicht an mich genommen, hätte diese Anfängerin das Spiel haushoch gewonnen.
Bedauerlich für sie, dass sie ohnehin bald sterben wird.
Wieso nur war sie so dämlich und hatte einen Fremden gerettet?
Gäbe es im Beach gerade kein Rekrutierungsverbot, hätte ich ja vielleicht in Erwägung gezogen sie dorthin mitzunehmen, denn ich stand zugegeben nur ungern in der Schuld anderer Leute. Zudem hatte sie sich nicht allzu schlecht geschlagen, dafür, dass es ihr erstes Spiel war.
Ich ging zu dem weißen Tisch hinüber, auf dem die Karte der Pik 4 lag.
Wer hätte gedacht, dass eine 4 so blutig enden würde?
Zufällig war es eine von den Karten, die noch keiner von uns im Beach gesammelt hatte. Hatter würde entzückt sein von der Ausbeute. Schade nur, dass er sich nicht mehr sonderlich lange darüber freuen wird. Ich ließ die Karte in meine Jackentasche verschwinden und zog mir meine Turnschuhe wieder über. Anschließend suchte ich nach Kawasakis Leiche und fischte die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche.
Nun musste ich auch noch zurückfahren. Immer musste man alles selbst machen.
Die Lichter ringsherum erloschen plötzlich und mit ihnen verstummte auch der Sprinkler.
Das Spiel war offiziell vorbei und die Bibliothek lag wieder in kompletter Dunkelheit als wäre nie etwas geschehen. Ich zog eine kleine Taschenlampe aus meiner Hosentasche hervor und schaltete sie ein. Ein leises Wimmern ließ mich jedoch innehalten. Offensichtlich war meine heldenhafte Retterin noch am Leben.
Ich streifte durch die Regalreihen bis der Lichtkegel ihre kümmerliche Gestalt eingefangen hatte. Sie versuchte gerade sich aus dem knöcheltiefen Wasser zu ziehen, scheiterte jedoch kläglich daran. Ihre Hand war noch immer auf ihren Unterleib gepresst, um das Blut zu unterbinden, aber das war mindestens genauso effektiv als würde man ein Küchensieb benutzen, um Wasser zu filtern.
"Was soll das denn werden, wenn's fertig ist?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. Sie reagierte nicht, sondern kämpfte erneut gegen die Bewusstlosigkeit an. Eins musste man ihr lassen: sie hatte einen starken Überlebenswillen und offensichtlich auch eine hohe Schmerzgrenze. Jeder andere wäre von den Schmerzen längst ohnmächtig geworden.
Ich seufzte schwer, legte die Taschenlampe auf dem Boden ab und packte ihren Oberkörper, um sie aus der Wasserlache zu ziehen. Ich merkte, dass sie sich gegen meine Berührungen wehren wollte, aber ich glaube sie war längst nicht mehr klar bei Sinnen.
"Shhtt", machte ich und hielt ihre Arme dabei fest.
Als sie sich etwas beruhigt hatte, legte ich sie an einer trockenen Stelle wieder ab. Ich fragte mich, was zur Hölle ich hier überhaupt tat. Warum half ich ihr? Warum kümmerte es mich, wenn sie hier krepierte? Sie war doch selbst schuld an ihrem Elend. Ich hatte sie schließlich nicht darum gebeten mich zu retten.
"Dummes Mädchen", murmelte ich.
Ihre Augenlider flatterten hektisch auf und zu und ich war erschrocken, als sie plötzlich nach meiner Hand griff und sie drückte. Ihre Haut war eiskalt. Ich entwand mich ihrem Griff schnell und riss stattdessen einen breiten Streifen Stoff von ihrem T-Shirt ab, den ich dazu verwendete einen provisorischen Verband an ihrem Bauch anzubringen. Die Wunde sah nicht gut aus. Wenn sie innere Verletzungen hatte, dann war es vermutlich ohnehin längst zu spät, um sie zu retten. Aber genaueres konnte ich erst sagen, wenn ich es schaffte sie zum Beach zu bringen. Nur dort hatte ich die entsprechenden Mittel um sie medizinisch zu versorgen, auch wenn mir immer noch schleierhaft war, warum ich sie überhaupt retten wollte.
Weil sie mich gerettet hatte.
Das war im Augenblick die einzig vernünftige Erklärung, die mir einfiel. Allerdings war das etwas, worüber ich mir auch später Gedanken machen konnte. Jetzt zählte jede Sekunde. Behutsam schob ich meine Arme unter den leblosen Körper der Frau und hob sie hoch. Ihr Gesicht war dabei vollkommen friedlich.
"Falls du das überlebst, erklärst du mir hoffentlich, warum du das getan hast."
Irgendwie blieb in mir dennoch das ungute Gefühl zurück, dass ich das hier schon sehr bald bereuen werde.
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