40 ❤️ Neue Motivation

You leave me speechless
When you talk to me
You leave me breathless
The way you look at me

Im Beach herrschte seit einigen Tagen reges Treiben, das den sonst schon lebhaften Ort noch unruhiger erscheinen ließ. Überall wurde aufgeregt getuschelt über Kostümideen und potenzielle Tanzpartner, als wäre der Kostümball das ultimative Event seit wir in dieser düsteren Welt gefangen waren. Und vielleicht war das auch tatsächlich so. Es gaukelte uns eine Art von trügerischer Normalität vor, eine Normalität, nach der wir uns wohl alle insgeheim zurücksehnten.

Die Gemeinschaftsräume und die große Lobby waren plötzlich überladen mit Stoffresten, Nähzeug und improvisierten Accessoires. Jeder schien irgendeine verrückte Idee zu verfolgen, ganz gleich, ob er sie mit alten Hotelvorhängen oder ein paar Farbspritzern aus gesammelten Spraydosen umsetzen musste. Selbst Hatter streifte begeistert zwischen den Leuten umher, lobte jeden noch so absurden Einfall und ließ nicht aus, ständig zu betonen, dass der Beach ein Ort der Freiheit und Freude sei - wie geschaffen für eine Nacht voller Tanz und Kostüme.

Es kam mir langsam so vor, als wäre ich die Einzige, die noch keine Ahnung hatte, was sie an diesem Abend tragen sollte. Da ich kein großes Talent fürs Nähen besaß, betrachtete ich die anderen Frauen beinahe neidisch, wie sie sich atemberaubende Kleider aus Stoffresten zusammen flickten. Auch Kuina hatte angedeutet, dass sie an etwas arbeitete, doch sie hüllte sich in geheimnisvolles Schweigen.

Manchmal, wenn ich die anderen beim Planen ihrer Kostüme beobachtete, spukte noch immer dieses eine Kleid in meinem Kopf herum, welches im Schaufenster des Izumi Garden Tower ausgestellt war. Es wäre perfekt gewesen, elegant und stilvoll in Rot und Schwarz, perfekt für einen Ball, doch der Weg dorthin war weit und selbst, wenn ich irgendwie dorthin gelangen würde, wer weiß, ob es noch immer da wäre...

In der darauf folgenden Nacht hatte ich einen Traum. Ich befand mich in einem großen Ballsaal, ringsherum waren Menschen, die lachten und tanzten, doch ich nahm sie kaum wahr. Alles wirkte seltsam verschwommen, als hätte ich zuviel getrunken. Doch als ich an mir hinabsah, entdeckte ich das rote Kleid an meinem Körper. Der Stoff umspielte meine Beine, und als ich mich drehte, fühlte ich, wie es sanft um mich schwang, als würde es jeden meiner Schritte mit mir tanzen. Ein Gefühl von Leichtigkeit ergriff mich, ein seltsames, freies Schweben, bei dem der Lärm um mich herum immer leiser wurde, wie ein sich entfernendes Echo. Für einen Moment vergaß ich, wo ich war, drehte mich immer weiter und weiter, während alles nur wie in Trance an mir vorbeizog. Doch dann griff plötzlich jemand nach meiner Hand. Die Berührung war fest und bestimmt und als ich überrascht aufblickte, sah ich in ein Paar vertrauter, durchdringender Augen.

"Chishiya", hauchte ich, meine Stimme leicht rau.

Ein kleines überhebliches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Ohne ein Wort zog er mich näher an sich, seine Hand legte sich an meine Taille, und mit einer fließenden Bewegung begann er, mich über das Parkett zu führen. Seine Schritte waren sicher, seine Bewegungen mühelos, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Ein warmes Gefühl zog durch meinen gesamten Körper, während wir tanzten. Die gleichmäßigen Schritte, die langsamen, kreisenden Bewegungen und der intensive Blick seiner dunklen Augen waren beinahe hypnotisch. Es war, als gäbe es nur uns beide, und die Stille war so vollkommen, dass ich den Schlag meines eigenen Herzens hören konnte.

Schließlich wurden wir langsamer und ich spürte, wie er eine Hand an meine Wange hob. Er neigte sich zu mir, sein Gesicht näherte sich. Meine Wangen flammten erwartungsvoll auf, als seine Lippen fast auf meinen lagen. Das Klopfen meines Herzens schwoll dramatisch an, wie ein unaufhaltsamer Trommelwirbel und ich schloss die Augen, bereit mich in seinem Kuss zu verlieren, doch... ein lautes Klopfen zerriss schlagartig die Stille. Die Wärme wich aus meinem Körper und ich spürte, wie ich unsanft aus meiner Vorstellung gerissen wurde.

"Tsuki? Bist du schon wach?"

Ich erkannte Makotos Stimme, die aus der Ferne zu mir drang.

"Nein, nicht", nuschelte ich halb benommen in mein Kissen, die Augen noch fest geschlossen, als wollte ich verzweifelt versuchen, das Bild im Kopf festzuhalten und den Traum fortzuführen - doch ich spürte bereits, wie er mir entglitt. Die Realität hatte mich wieder eingeholt. Ich knurrte leise. "Verdammt..."

Makoto strahlte mich über beide Ohren an, als ich noch halb verschlafen die Tür öffnete.

"Ich hab gute Neuigkeiten", verkündete er und trat ungefragt ein. "Ich hab jemanden gefunden, der dir ein Kostüm schneidern könnte. Er hat ein gutes Händchen für sowas und sagt, er bietet seine Hilfe an. Du könntest sofort zu ihm, er muss nur deine Maße nehmen und..."

Ich starrte ihn an, immer noch halb im Dämmerzustand, während Makoto munter weiter redete. Die Szene aus meinem Traum hallte noch immer in mir nach. Chishiya, der mit mir getanzt hatte und mich küssen wollte. Ich war fast ein bisschen sauer auf Makoto für die unerwünschte Unterbrechung. Es war, als wüsste er, dass ich von Chishiya geträumt hatte - was natürlich Unsinn war. Aber dennoch, hätte er nicht wenigstens zwei Minuten später klopfen können?

"Ein Kostüm?" murmelte ich schließlich, noch immer nicht ganz bei der Sache.

"Ja, er kann dir dein Wunschkleid anfertigen, wenn du willst. Du musst nur schnell genug sein, damit er es noch fertig bekommt. Es sind ja nur noch wenige Tage bis dahin."

Makoto grinste mich an, als erwartete er ein Lob von mir.

Ich nickte langsam.

"Das klingt... toll", ich gab mir ehrlich Mühe begeistert zu klingen, doch ich fürchtete, dass es misslang. "Danke, Makoto. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen."

Er schien meine Unsicherheit zu bemerken.

"Ich meine, es war nur ein Angebot. Ich dachte, du würdest dich freuen."

Die Enttäuschung in seiner Stimme war kaum zu überhören.

"Nein, schon gut, ich freue mich, wirklich", bekräftigte ich, während ich mit der Hand durch meine wirren Locken fuhr. "Aber ich möchte auch nicht, dass jemand sich meinetwegen so viel Arbeit zumutet. Da hätte ich ein schlechtes Gewissen."

Makoto schüttelte nur den Kopf und schenkte mir ein sanftes Lächeln.

"Mach dir darum keine Sorgen, Tsu. Er macht das gern, und ich dachte... na ja, es wäre schön, dich so richtig strahlen zu sehen."

Seine Worte rührten mich ein wenig und sofort schlich sich wieder ein schlechtes Gewissen in meine Gedanken. Schließlich nickte ich ihm zu, rang mir ein Lächeln ab und erwiderte:

"Na gut. Ich überleg's mir."

Makoto schien erleichtert und verabschiedete sich mit einem fröhlichen "Bis später!" und einem kleinen Winken.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, lehnte ich mich dagegen, ließ meine Augen kurz zufallen und versuchte, die Erinnerung an den Traum zurückzuholen, doch das Kribbeln und die Wärme, die ich verspürt hatte, waren längst verfolgen.

Als ich auf der Krankenstation ankam, schienen alle bereits auf mich zu warten. Ann hatte am Morgen eine kurze Besprechung einberufen, um ein paar dienstliche Dinge durchzugehen und anscheinend war ich die Letzte, die zu ihnen stieß.

„Sorry", murmelte ich hastig und schloss die Tür leise hinter mir.

Mein Blick glitt durch den Raum und blieb an Chishiya hängen. Ich erstarrte und spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss. Seine Augen glitzerten belustigt, als hätte er meinen verschlafenen Zustand sofort bemerkt. Er lehnte lässig im Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen und die Hände tief in den Kitteltaschen vergraben, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen.

"Ausgeschlafen?" , kommentierte er trocken, eine Spur von Belustigung in der Stimme.

Ich verengte die Augen.

„Ja, danke der Nachfrage", entgegnete ich scharf und setzte mich auf den letzten freien Stuhl, bemüht, mich von seiner Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Ann räusperte sich und begann die Tagesordnungspunkte durchzugehen, doch ich konnte nicht umhin, Chishiyas Seitenblick zu bemerken, der auch während der Besprechung immer wieder zu mir glitt, als würde ihn das Spiel, das wir miteinander spielten, bestens unterhalten.

Ann besprach mit uns den neuen Dienstplan und informierte uns darüber, dass unsere Schichten nun wöchentlich rotieren würden, damit es fair zuging. Chishiya und ich hatten diese Woche bereits die Frühschicht übernommen. In dieser waren wir vor allem für die Nachsorge der verletzten Spieler vom Vorabend verantwortlich gewesen. Allerdings musste man sich in dieser Zeit auch um Patienten kümmern, die mit ganz alltäglichen Beschwerden zu uns kamen, ganz egal ob jemand eine Erkältung hatte und nur Nasenspray benötigte oder ob jemand über Magenschmerzen klagte.

"Gut", sagte Ann abschließend. "Ein letzter Punkt: der Kostümball. An dem Abend gibt es keine Spiele, daher reicht wahrscheinlich eine Frühschicht, es sei denn, wir haben noch stationäre Patienten. Da Fujita und ich in dieser Woche Frühdienst haben, können wir das übernehmen. Falls es später doch nötig sein sollte, könnten wir uns eventuell abwechseln, damit jeder die Möglichkeit hat, an der Feier teilzunehmen. Ich denke, es sollte reichen, wenn immer einer von uns die Station besetzt."

Sie sah erwartungsvoll in unsere Gesichter.

"Nicht nötig", warf Chishiya ein und hob, ohne einen Augenblick zu zögern, die Hand. "Ich übernehme den Abenddienst."

Ich biss mir auf die Lippe und sah, wie Ann überrascht eine Augenbraue hob.

"In Ordnung, wenn du dir sicher bist. Aber du weißt, dass du nicht verpflichtet bist, Chishiya. Der Abend ist als Möglichkeit gedacht, auch mal abzuschalten."

Chishiya zuckte nur mit den Schultern, als wäre das ganze Thema für ihn belanglos.

„Ich überlasse die Tanzfläche lieber anderen."

Mein Herz sank ein wenig, auch wenn ich mir nicht sicher war, warum. Der Gedanke, dass er nicht beim Ball sein würde - es fühlte sich ernüchternd an. Mir entging nicht das winzige, selbstzufriedene Grinsen, das sich auf seinen Lippen abzeichnete, als er meinen enttäuschten Blick bemerkte.

„Na schön", sagte Ann schließlich und wandte sich wieder an uns alle. "Dann wäre das geklärt. Wenn es so bleibt, übernimmt Chishiya die Spätschicht. Der Rest von euch ist damit vom Dienst entbunden."

Als wir schließlich aufstanden, trafen sich Chishiyas und mein Blick kurz, und ich meinte, einen Hauch von Amüsement in seinen Augen zu erkennen, als hätte er genau gewusst, dass ich gehofft hatte, ihn dort zu sehen.

Obwohl ich versuchte mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, kreisten meine Gedanken den restlichen Tag unaufhörlich um die Tatsache, dass Chishiya beim Ball nicht dabei sein würde. Seit mir die absurde Vorstellung in den Kopf gesprungen war, wie es wäre, mit Chishiya zu tanzen, hatte auch ich eine gewisse innerliche Vorfreude auf das Event verspürt. Natürlich hatte ich nie wirklich erwartet, dass er mich zum Tanzen auffordern würde. Aber zu wissen, dass er zumindest dort sein könnte, dass wir uns vielleicht in der Menge begegnen würden... diese Möglichkeit hatte eine gewisse Spannung in mir ausgelöst, die ich nicht erklären konnte. Jetzt jedoch war diese kleine Hoffnung ebenso zerplatzt wie mein Traum heute Morgen.

Warum war es mir überhaupt so wichtig, dass er dort war? Ich hatte doch bereits zugesagt, mit Makoto hinzugehen. Und wenn er Chishiya dort sehen würde, wäre der Abend sowieso gelaufen. Das Letzte, was ich wollte, war eine Szene, die alles komplizierter machte, als es ohnehin schon war.

Ich schüttelte innerlich den Kopf, versuchte, diese Gedanken abzuschütteln.

"Es ist nur ein lächerlicher Ball", murmelte ich leise zu mir selbst und griff wieder nach den Patientenakten.

Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Abend mehr Bedeutung für mich gewonnen hatte, als ich mir selbst eingestehen wollte.

Am nächsten Morgen saß ich alleine mit meinem Frühstückstablett im Restaurant und stocherte gedankenverloren in meinem Reis herum. Plötzlich schob sich ein Tablett in mein Sichtfeld. Ich hob den Kopf und sah, wie Kuina sich, sichtlich gut gelaunt, auf den Stuhl gegenüber fallen ließ.

"Na, was starrst du denn so trübsinnig in dein Essen?", fragte sie in neckendem Unterton und zog eine Grimasse. "Schlecht geschlafen?"

Ich grinste schief und zuckte mit den Schultern.

"Ein bisschen vielleicht."

Kuina sah mich skeptisch an.

"Ach komm schon. Das ist doch längst nicht alles, oder? Ich kenne dich." Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Tee und sah mich aufmerksam an. "Lass mich raten, du hast über diesen Ball nachgedacht, oder?"

Ich seufzte leise und schob das Essen auf meinem Teller hin und her.

"Schon. Ehrlichgesagt weiß ich noch nicht, ob ich überhaupt Lust darauf habe, vor allem weil ich nicht mal was zum Anziehen habe", gestand ich zerknirscht.

Natürlich hatte ich vergessen, diesen Typen aufzusuchen, den Makoto mir so hell auf begeistert empfohlen hatte. Wobei das nicht ganz stimmte. Ich hatte es nicht vergessen, sondern war einfach nicht hingegangen. Vielleicht, weil meine Motivation für diese bescheuerte Feier nach Chishiyas Ankündigung gestern vollkommen verflogen war.

Kuina hob erstaunt die Brauen.

"Also, wirklich, wieso hast du nicht einfach mich gefragt?", fragte sie und wirkte dabei regelrecht empört, was mich beinahe zum Lachen brachte. "Wir finden schon was für dich. Ich bin ziemlich gut im Improvisieren, weißt du? Wie wär's, wenn du heute nach deinem Dienst zu mir aufs Zimmer kommst? Ich treibe bis dahin ein paar Sachen auf und wir veranstalten eine kleine Modenschau. Ich besorge noch ein paar Snacks und was Anständiges zu trinken und dann lassen wir es uns richtig gut gehen - ein richtiger Mädelsabend eben. Und zur Krönung singen wir danach noch eine Runde Karaoke. Was hältst du davon?"

Sie strahlte mich an wie ein Honigkuchenpferd und ich konnte nicht anders als über ihren Enthusiasmus zu kichern. Sofort spürte ich, wie sich meine innere Anspannung etwas legte und ich mich davon anstecken ließ.

"Das klingt perfekt. Aber du meinst richtiges Karaoke? Wie willst du das machen?"

Kuina schmunzelte über meine Reaktion.

"Ich hab neulich eine alte Konsole aufgetrieben mit einem Karaokespiel. Das wird genial, Izzy. Vielleicht hast du ja Lust auch die Kleine einzuladen, von deinem Spiel neulich. Wie hieß sie doch gleich? Kikyou?"

"Kiko", sagte ich und nickte begeistert. "Ich werde sie fragen. Je mehr desto besser, oder?"

Kuina lachte herzhaft und nickte.

"Ja, klar, also wenn du noch jemanden hast, frag ruhig. Das wird bestimmt ein toller Abend. Ich freu mich schon."

"Und ich mich erst", sagte ich und fühlte wie eine kleine Last von mir abfiel.

Die Aussicht auf einen entspannten Mädelsabend hellte meine Stimmung merklich auf. Mit beschwingten Schritten machte ich mich auf den Weg zur Krankenstation und nahm mir vor, mir den Tag nicht vermiesen zu lassen - schon gar nicht durch Chishiyas übliche Sticheleien.

Doch sobald mich der stressige Alltag auf der Station wieder im Griff hatte, stand ich wieder unter Strom. Die Zeit verging wie im Flug, als die erste Welle Patienten eintraf, und ich konzentrierte mich darauf, keinen Fehler zu machen. Irgendwo tief in mir keimte die leise, vielleicht verzweifelte Hoffnung, dass Chishiya diesmal nichts an meiner Arbeit auszusetzen hatte. Ein Lob wäre wahrscheinlich zu viel verlangt, aber keine Kritik wäre ja auch schon mal ein guter Anfang.

Doch natürlich ließ er es sich nicht nehmen, seine üblichen Spitzen auszuteilen. Wenn auch seltener und mit weniger Spott als sonst, kommentierte er immer wieder meine Handgriffe - hier eine kleine Korrektur, dort ein knappes "Achte auf den Winkel." Ich merkte, wie mein anfänglicher Optimismus ein wenig bröckelte, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen. Stattdessen redete ich mir ein, dass weniger Kritik immerhin auch sowas wie ein Fortschritt war. Kleine Siege, sagte ich mir stumm und biss die Zähne zusammen.

Ein ruhiger Moment trat schließlich ein, als sich die Schicht ihrem Ende näherte und der Patientenandrang langsam verebbte. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und ließ mich erleichtert in einen Stuhl fallen, als ich bemerkte, dass Chishiya mich aus den Augenwinkeln musterte. Es war wieder einer seiner Blicke, den ich nicht richtig deuten konnte, kühl und analytisch, als versuchte er mich mit seinen Augen zu röntgen.

"Nicht übel heute... für deine Verhältnisse", sagte er und klang fast ein wenig zufrieden, als die Andeutung eines Lächelns über seine Lippen huschte.

"Was soll das heißen Für meine Verhältnisse?", knurrte ich und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Er zuckte mit den Schultern, als hätte er nicht mal bemerkt, dass er mich gekränkt hatte.

"Nun, das heißt, ich war überrascht, dass du heute kein Blutbad verursacht hast", sagte er mit einem amüsierten Funkeln in den Augen und verschränkte lässig die Arme.

Ich schnaubte und wandte mich ab, versuchte, meinen Ärger zu verbergen. Warum hatte ich eigentlich erwartet, dass er auch nur einmal eine nette Bemerkung machen würde?

"Ein einfaches 'Gut gemacht' wäre wohl zu viel verlangt, oder?" fragte ich spitz und riskierte einen Seitenblick in seine Richtung.

Chishiya zog die Augenbrauen hoch und schien einen Moment lang tatsächlich darüber nachzudenken, bevor sein übliches, überhebliches Lächeln zurückkehrte.

"Vielleicht... irgendwann. Wenn du's wirklich verdienst."

Ein leises, genervtes Lachen entwich mir. Gerade, als ich etwas Scharfes erwidern wollte, bemerkte ich, wie er zu dem Spind hinüber ging, in dem normalerweise unsere Arbeitsuniformen aufbewahrt wurden und eine Papiertüte daraus hervorzog.

"Hier, bevor du weiter jammerst!"

Bevor ich reagieren konnte, hatte er mir die Tüte mit einem lässigen Schlenker aus dem Handgelenk zugeworfen. Ich war so überrascht, dass sie mir fast aus den Händen geglitten wäre, doch schaffte es gerade noch rechtzeitig, sie abzufangen, bevor sie auf dem Boden landete.

"Was... ist das?", fragte ich irritiert und wagte einen kurzen Blick hinein, doch außer braunem Papier konnte ich nicht viel erkennen.

"Das wirst du sehen, wenn du es auspackst", sagte er, während er nebenbei völlig entspannt nach seiner Kaffeetasse griff und einen Schluck nahm.

Ich sah ihn skeptisch an, während ich versuchte, seine undurchdringliche Miene zu entschlüsseln. Zögerlich, aber auch mit einer gewissen Neugier, griff ich in die Tüte und holte den sorgfältig in Papier gewickelten Gegenstand hervor. Ich spürte, dass es etwas Weiches war. Vorsichtig riss ich das dünne Papier auf. Als ich es auffaltete und den Inhalt herauszog, blitzte leuchtendes Rot und feine, schwarze Spitze hervor. Meine Finger glitten fast ehrfürchtig über den glatten Stoff, und ich musste blinzeln, um sicherzugehen, dass ich nicht träumte. Es war das rote Kleid, das wir neulich im Schaufenster gesehen hatten - das Kleid, das ich seit Tagen nicht aus dem Kopf bekam.

Verwirrt hob ich den Blick und sah Chishiya an.

"Aber wo hast du... und wieso?", fragte ich überfordert, während mein Blick zwischen ihm und dem Kleid hin und her wanderte.

Ich konnte nicht glauben, dass Chishiya dorthin zurückgegangen war, nur um es für mich zu holen. Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen, fast als ob er es genoss, mich sprachlos zu sehen.

Er zuckte wieder mit den Schultern, als wäre es keine große Sache für ihn. Doch genau das war es. Jedenfalls für mich.

"Du hast es angestarrt, oder nicht? Ich dachte, du wolltest es vielleicht auf dem Ball tragen."

"Aber...das ist keine Erklärung.
Du-...wieso solltest du das für mich tun?", brachte ich zusammenhangslos hervor.

Chishiyas Augenbrauen wanderten nach oben.

"Wieso nicht? Sieh es als Motivation."

Verwirrt und ein wenig überwältigt suchte ich nach Worten, das Kleid noch in den Händen und spürte, wie meine Wangen warm wurden.

"Danke", flüsterte ich schließlich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch. "Ich... weiß gar nicht, was ich sagen soll."

Chishiya nickte nur, als hätte er genau diese Reaktion erwartet.

"Dann sag am besten nichts", erwiderte er ruhig, bevor er sich mit einem letzten, flüchtigen Lächeln abwandte und den Raum verließ.

Ich blieb allein zurück, das Kleid fest umklammert und die Gedanken wirr. Tausend Fragen wirbelten in meinem Kopf umher, aber die größte von allen war die, die ich am wenigsten beantworten konnte:

Warum machte er es mir nur so schwer, ihn nicht zu mögen?

Zu Beginn hielt ich es ja noch für eine gute Idee zu jedem Kapitel einen passenden Song zu suchen, aber inzwischen treibt es mich zur Verzweiflung 😂 manchmal brauch ich länger den Song zu finden als das Kapitel zu schreiben. Aber irgendwann kommt bestimmt der Moment, wo ich mal wirklich keinen mehr finde....

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