37 ❤️ Hinter dem Lächeln
Baby, I'm too lost in you
Caught in you
Lost in everything about you
So deep I can't sleep, I can't think
I just think about the things you do
I'm just too lost in you
Als Hayashi das Licht löschte, legte sich eine wohlige Stille über das Zimmer. Schwaches Mondlicht schimmerte durch die Lücken der Vorhänge und warf sanfte Muster an die Wände. Ich drehte mich auf die Seite, weg von Kiko, die direkt neben mir lag. Hayashi hingegen beanspruchte das andere Doppelbett für sich alleine. Ich lauschte ihrem ruhigen, gleichmäßigen Atem und konnte nicht anders, als sie für ihre Fähigkeit, so schnell und sorglos in den Schlaf zu gleiten, zu bewundern.
Trotz meiner Müdigkeit, trotz meiner Erschöpfung war ich so aufgekratzt, als hätte ich literweise Kaffee in mich hineingeschüttet. Jede Faser meines Körpers war angespannt, mein Geist unfähig zur Ruhe zu kommen. Die Bilder des Tages jagten noch immer durch meinen Kopf - das Spiel, der tiefe Abgrund, die Todesschreie meiner Mitspieler, das beklemmende Gefühl von Angst. Doch so sehr mich all das erschüttert hatte, drifteten meine Gedanken trotzdem immer wieder zu einer Person ab: Chishiya.
Chishiya, dessen kühler, analytischer Blick, mich stets zu durchdringen schien und der scheinbar furchtlos durchs Leben spazierte. Es war, als gäbe es nichts in der Welt, was ihn wirklich aus der Fassung bringen konnte. Nicht einmal die Aussicht, aus 134 Metern zu fallen, schien ihn sonderlich beunruhigt zu haben. Und als ich den Vorschlag gemacht hatte, einen anderen Weg zu wählen, hatte er überraschend schnell zugestimmt. Dass er meine Idee wirklich ernst genommen und sie sogar für gut befunden hatte, hatte mein Herz unwillkürlich wilde Saltos vollführen lassen. Es war, als hätte er vollstes Vertrauen in meine Theorie. Weder Furcht, noch Zweifel waren auf seinem Gesicht abzulesen. Diese Ruhe, die er immer ausstrahlte, irritierte mich manchmal.
Wie konnte man so unberührt bleiben? Woher nahm er diese Selbstsicherheit? Oder war das alles nur Fassade?
Ein Teil von mir wollte das glauben. Dass unter seiner rauen Schale aus Sarkasmus und Gleichgültigkeit doch ein echter Mensch mit Gefühlen steckte, der Angst und Zweifel hatte, wie wir alle. Kurz nachdem Chishiya vor Erschöpfung auf dem Dach zusammengebrochen war, war es, als hätte ich für einen winzigen Augenblick etwas hindurchschimmern sehen. Als hätte er mir gewährt, einen Blick auf den wahren Chishiya zu erhaschen. Ob beabsichtigt oder nicht, ich hatte den Eindruck, dass wir uns bei diesem Spiel näher gekommen waren.
Ich drehte mich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich fragte, was genau mich an ihm faszinierte. War es seine Unnahbarkeit, die mich reizte? Oder war es die Art, wie er mich manchmal ansah - als wäre ich ein Rätsel, das er gerne lösen würde?
Egal, wie sehr ich es versuchte, meine Gedanken kehrten jedes Mal zurück zu ihm. Dabei wusste ich, dass er nicht das war, wonach ich suchte. Chishiya war nicht liebevoll, so wie Makoto. Er war unberechenbar, ein Einzelgänger und scheinbar auch manipulativ. Man konnte ihm nicht trauen, oder? Und doch schlug mein Herz jedes Mal schneller in seiner Nähe.
Es war lächerlich. In dieser Welt, in der jeder Tag eine neue Bedrohung brachte, in der es jederzeit vorbei sein konnte, sollte ich mich nicht von so etwas Banalem ablenken lassen. Aber ich konnte nicht anders. Irgendwas an ihm ließ mich nicht los, etwas, das ich nicht genau benennen konnte und mich nachts wach hielt. Vielleicht war es genau diese Unnahbarkeit, die mich anzog. Vielleicht war es aber auch nur meine Neugier, herauszufinden, ob es wirklich noch etwas anderes unter der kühlen Oberfläche gab, etwas, das er bisher sorgfältig versteckte.
"Kannst du auch nicht schlafen?", drang ein leises Wispern zu mir.
Ich wandte mich zur Seite und sah Kiko direkt in die Augen. In der Finsternis konnte ich nur die Umrisse ihres Gesichts ausmachen, doch ich spürte, wie sie mich aufmerksam musterte.
"Nicht wirklich", murmelte ich. "Zu viele Gedanken."
"Geht mir auch so. Das Spiel war... es war furchtbar. So viele mussten ihr Leben lassen. Ich wünschte, das würde endlich aufhören."
Ihre Stimme klang gegen Ende fast wie ein Wimmern. Ich rückte ein Stückchen näher zu ihr und überlegte, was ich trostreiches sagen konnte, doch vermutlich gab es nichts, womit ich unsere Situation schön reden konnte.
"Du hast Recht. Manchmal scheint es, als wäre alles aussichtslos. Auch ich habe Angst, vor dem was noch kommen könnte, aber weißt du was? Solange wir hier sind und kämpfen, haben wir eine Chance, das zu überstehen. Wir müssen weitermachen, für all die, die es nicht geschafft haben. Damit ihr Tod nicht umsonst gewesen ist."
Ich sah, wie Kiko leicht nickte und merkte, dass sie sich ein wenig entspannte. Vielleicht war es gar kein Trost, den sie brauchte, sondern nur das Gefühl, dass sie nicht alleine war.
"Du und dein Teampartner... Chishiya", sie sprach seinen Namen vorsichtig aus, als wüsste sie, dass es ein heikles Thema für mich war. "Ihr habt gut zusammengearbeitet."
Es war keine Frage, eher eine Feststellung, doch die Worte trafen mich unvorbereitet.
Allein sein Name ließ meinen Puls drastisch ansteigen.
"Ich denke, das haben wir."
"Steht ihr euch nahe?"
Ob wir uns nahe standen? Konnte man jemanden wie ihm überhaupt nahe stehen?
"Ich weiß nicht. Wir kennen uns noch nicht so lange", entgegnete ich wahrheitsgemäß.
"Es wirkte nur so, als wärt ihr ein eingespieltes Team. Als würdet ihr einander vertrauen."
Ihre Worte waren zögerlich und fast lautlos.
"Naja, wir hatten wohl einfach keine andere Wahl."
"Es ist nur. Ich kenne Chishiya... flüchtig. Er scheint niemand zu sein, der anderen leicht vertraut, deshalb hat es mich überrascht."
Ich gluckste leise.
"Ja, mich auch. Aber wahrscheinlich hat er nur taktisch gehandelt. Ich weiß nicht..."
"Magst du ihn?"
Diese direkte Frage von jemandem wie Kiko hatte ich nicht kommen sehen. Und eigentlich musste ich bei solchen Fragen nie lange überlegen. Entweder mochte man jemanden oder nicht. Und eigentlich gab mein Herz darauf nur eine eindeutige Antwort. Dennoch zögerte ich.
"Ich... ähm... weiß nicht."
"Natürlich mag sie ihn. Selbst ein Blinder hätte das gesehen."
Kiko und ich erstarrten, als Hayashis Stimme von der anderen Seite des Raumes hinüber hallte.
"Hayashi", flüsterte Kiko erschrocken.
"Was denn? Dachtet ihr wirklich, ich könnte bei eurem Gesäusel schlafen?", gab sie unbeeindruckt zurück.
Ich biss mir auf die Lippen und spürte, wie meine Wangen anfingen zu brennen.
Hatte ich mich so leicht verraten? Waren mir meine Gefühle für Chishiya so leicht anzusehen?
"Entschuldige", murmelte Kiko.
Doch Hayashi ignorierte sie.
"Weißt du, Izumi, ich kenne dich zwar noch nicht lang, aber es hat gereicht, um zu merken, wie du Chishiya ansiehst. Jedes Mal, wenn er nicht hinsieht, waren deine Blicke bei ihm. Dein Gesicht spricht Bände und die Art, wie du herumdruckst, wenn es um ihn geht... dafür braucht man wirklich kein großer Menschenkenner sein."
"Ich bin nicht... du hast keine Ahnung", stammelte ich, während meine Hände sich unwillkürlich zu Fäusten ballten.
Sie gab ein missbilligendes Schnauben von sich.
"Ist es, weil er dir das Leben gerettet hat?", höhnte sie. "Wenn du glaubst, dass Chishiya sowas aus Nettigkeit tut, dann kennst du ihn nicht besonders gut. Ich an deiner Stelle, wäre lieber vorsichtig. Chishiya gilt als kalt und berechnend und er tut nie etwas, ohne dabei irgendeine Absicht zu verfolgen, die ihm einen Vorteil verschafft. Wenn du also denkst, er wäre dir nahe, dann nur, weil du ein kleiner Bauer auf seinem Schachbrett bist."
Mein Magen verkrampfte sich unwillkürlich. Ich spürte, wie Wut in mir aufstieg. Ich wusste nicht, ob Hayashi das tat, um mich zu provozieren oder um mich zu warnen. Doch der Ton, mit dem sie sprach, klang weder freundschaftlich, noch sonderlich besorgt.
"Das kommt ausgerechnet von jemandem, der einem Typ wie Niragi hinterher rennt", gab ich bitter zurück.
Sie lachte erneut, doch es war kein fröhliches Lachen.
"Du denkst also Chishiya wäre besser? Dabei sind sich die beiden viel ähnlicher, als du denkst. Chishiya mag subtiler vorgehen, ja, aber er schert sich genauso wenig um die Menschen, wie Niragi es tut."
Der Zorn in mir wuchs. Wie konnte sie es wagen Chishiya mit Niragi zu vergleichen? Das war absurd. Niragi war grausam, ohne jedes Mitgefühl und hatte Vergnügen dabei Frauen zu schikanieren und Menschen sterben zu sehen. Chishiya war nicht ansatzweise so wie er.
"Das kann nicht dein Ernst sein. Diese beiden haben nichts gemeinsam", brachte ich zähneknirschend hervor. "Niragi ist ein Monster. Er genießt es, Menschen zu quälen. Chishiya hingegen ist... ja, er wirkt vielleicht kalt und berechnend, aber er rennt nicht durch die Gegend und knallt sinnlos Leute ab."
"Er tut es vielleicht nicht so offensichtlich wie er, aber er manipuliert Menschen, stachelt sie gegeneinander auf", Hayashi sprach ruhig, als würde sie mir eine offensichtliche Tatsache erklären. "Oder glaubst du wirklich, er hat dich gerettet, weil er so nett ist? Ich habe schon gesehen, wie er Menschen beim Sterben zugesehen hat, ohne ihnen zu helfen. Glaubst du also immer noch, dass er so viel anders ist als Niragi?"
Ihre Worte hallten diesmal lange in mir nach. In meinem Kopf tauchte eine Erinnerung auf, der Moment, als mich dieser Kerl vom Militärtrupp fast umgebracht hätte. Auch, wenn ich Chishiya dort mein Leben zu verdanken hatte, so hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, um diesen Mann zum Tode zu verurteilen. Doch ich wollte nicht wahrhaben, dass Hayashi Recht haben könnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einfach daneben stehen würde, während jemand starb, ohne einzugreifen. Immerhin war er angehender Arzt.
"Vielleicht sollten wir jetzt besser schlafen. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns", sagte Kiko unsicher, bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte.
In diesem Augenblick war ich ihr wirklich dankbar für den Themenwechsel, denn ich hatte nur wenig Lust, dieses ziellose Gespräch mit Hayashi fortzusetzen.
"Richtig, gute Nacht", grummelte ich leise und drehte mich wieder auf die Seite, weg von den beiden anderen.
Kiko reagierte als Einzige auf meine Worte, und kurz darauf kehrte wieder Stille in den Raum ein - doch diesmal fühlte sie sich bedrückend und schwer an. Hayashis Worte über Chishiya wollten mir nicht aus dem Kopf gehen. Warum hatte sie sich überhaupt in unser Gespräch eingemischt? Und was ging sie meine Gefühle für Chishiya an? Trotz aller Versuche, die Gedanken zu verdrängen, ließ mich ihre Behauptung nicht los. Hatte sie wirklich recht, oder sah ich etwas in Chishiya, das gar nicht da war?
Grelles Sonnenlicht riss mich am nächsten Morgen unsanft aus dem Schlaf. Mit einem lauten Murren hob ich die Hand, um mein Gesicht vor dem gleißenden Licht zu schützen.
"Aufstehen, wir brechen gleich auf", erklang eine schroffe Stimme.
Blinzelnd öffnete ich die Augen und traf auf Hayashis kühle Miene. Ich stöhnte leise und rieb mir dabei den Schlaf aus den Augen.
"Ja, ja, ich bin ja schon wach..."
"Los, raus aus den Federn", drängte sie weiter und ohne Vorwarnung riss sie mir die Decke weg.
"Hey, spinnst du?", protestierte ich, doch sie schüttelte nur unbeeindruckt den Kopf.
"Wenn du noch länger trödelst, kommen wir nie im Beach an."
Ich seufzte genervt, rollte mit den Augen und ließ mich widerwillig von der Matratze gleiten.
Während ich mich noch mühsam aufraffte, war Kiko bereits wach und voller Energie. Mit einem freundlichen Lächeln schüttelte sie ihre Decke ordentlich auf und sah aus, als wäre sie gerade frisch aus dem Bett gesprungen - ganz im Gegensatz zu mir, die sich fühlte, als wäre sie von einem Lastwagen überrollt worden.
"Wozu machst du dein Bett? Wir kommen doch eh nie wieder hierher zurück", warf Hayashi stirnrunzelnd ein.
Sie saß bereits auf einem der Stühle, fertig zum Aufbruch, und beobachtete uns mit dem kritischen Blick einer Gefängnisaufseherin. Ich konnte es kaum erwarten, sie endlich loszuwerden - ihre Anwesenheit machte mich zunehmend nervös. Wahrscheinlich war diese einschüchternde Aura eine der Grundvoraussetzungen, um im Militärtrupp des Beach aufgenommen zu werden.
Kiko zuckte nur mit den Schultern.
"Aus Gewohnheit."
Nachdem ich mich in einen halbwegs ansehnlichen Zustand gebracht hatte, verließen wir gemeinsam das Hotelzimmer. Unwillkürlich glitt mein Blick zu dem Hotelzimmer gegenüber.
"Wir beide gehen schon mal vor", sagte Kiko schnell, als sie meinen Blick bemerkte. "Du kannst ja in der Zeit Chishiya holen."
Hayashi verzog das Gesicht und schien etwas entgegnen zu wollen, doch Kiko war bereits vorausgegangen. Sichtlich angefressen, stapfte Hayashi ihr schließlich hinterher.
Ich atmete tief ein und versuchte mich damit ein wenig zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg. Das Hämmern meines Herzens war jetzt wieder so schnell, dass ich es kaum ignorieren konnte. Zögerlich wandte ich mich um zu seiner Tür und hob meine Hand. Ich klopfte zweimal kurz hintereinander.
"Chishiya?"
Meine Kehle war so trocken, dass meine Stimme gegen Ende fast versagte. Ich wartete kurz, lauschte. Als ich nichts hörte, klopfte ich erneut, diesmal kräftiger.
"Bist du da?"
Wieder keine Antwort. Etwas beunruhigt, presste ich das Ohr gegen die Tür. Doch kein Laut drang heraus.
"He, bist du da drin? Chishiya?", versuchte ich es erneut und kam mir dabei schon fast etwas albern vor.
Wieso antwortete er nicht? Ignorierte er mich absichtlich oder hatte er das Zimmer schon längst verlassen, ohne uns Bescheid zu geben?
Sollte ich einfach reingehen, um nachzusehen?
Doch etwas ließ mich zögern. Seufzend ließ ich meine Hand von der Tür sinken und kaute unschlüssig auf meine Unterlippe. Ein bisschen besorgt war ich schon, aber vielleicht war er wirklich längst aufgebrochen. Ohne uns. Irgendwie würde ich ihm das zutrauen.
Gerade als ich die Hand heben wollte, um ein letztes Mal zu klopfen, hörte ich plötzlich ein lautes Räuspern hinter mir.
"Denkst du die Tür kapituliert freiwillig, wenn du nur oft genug klopfst?"
Ich fuhr herum und stieß dabei beinahe gegen den Türrahmen.
Chishiya lehnte lässig an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt und sah mich mit seinem typisch belustigten Grinsen an.
"Chishiya?", entfuhr es mir. "Wo kommst du denn her?"
Meine Stimme war ein wenig höher, als ich es beabsichtigt hatte, und ich spürte, wie mir Röte in die Wange stieg.
"Ich war spazieren. Der Flur ist lang", sagte er und machte eine ausschweifende Handgeste in Richtung Korridor. "Und was lungerst du vor meinem Zimmer herum?"
"Wie lange stehst du schon da?", überging ich seine Frage.
"Hmm, eine Weile."
Sein überhebliches Grinsen brachte mich kurz aus dem Konzept. Ich spürte, wie mein Gesicht noch wärmer wurde, doch versuchte das rasch zu überspielen, indem ich ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkte.
"Und du hieltest es nicht für nicht nötig, dich eher bemerkbar zu machen?", echauffierte ich mich weiter.
Er stieß sich von der Wand ab, schob leichtfertig die Hände in die Taschen und kam dann ein paar Schritte auf mich zu.
"Warum? Dein Dialog mit der Tür war sehr unterhaltsam und ich war neugierig, wie lange du noch weiterklopfen würdest, bis du aufgibst. Aber dein Durchhaltevermögen hat mich beeindruckt. Es wirkte fast ein wenig verzweifelt, wie du da gestanden hast, als würdest du dir Sorgen um mich machen."
Ich reckte trotzig das Kinn.
"Träum weiter. Ich wollte nur sicherstellen , dass du nicht verschlafen hast."
"Wie rücksichtsvoll von dir."
Ich verdrehte die Augen.
"Ich war kurz davor, einfach reinzugehen und dich aus dem Bett zu zerren."
Er zog die Augenbrauen hoch, ein weiteres schelmisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
"Oh Wirklich? Ich bin mir sicher, das wäre ein interessantes Erlebnis gewesen."
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, aber ließ mich nicht von seinem spöttischen Ton aus der Fassung bringen. Ich sah ihm entschlossen in die Augen und verschränkte die Arme noch fester.
"Mach dir nichts vor, Chishiya. Ich hätte dich nur aus Pflichtgefühl geweckt, damit du nicht den Anschluss verpasst. Mehr nicht."
Er lachte leise und trat zur Seite, um mir Platz zu machen.
"So selbstlos wie immer", gab er mit zynischem Lächeln zurück. "Wollen wir dann los oder hast du noch andere Verpflichtungen?"
Ich schnaubte abfällig und funkelte ihn bedrohlich an. Es war kaum zu übersehen, wie sehr er meine kleinen Wutanfälle genoss. Und auch, wenn es äußerlich nicht den Anschein machte, so mochte ich unsere kleinen Neckereien zwischen uns mehr, als ich vor ihm zugeben würde. Doch das Gespräch mit Hayashi gestern Nacht schwirrte noch immer in einer hintersten Gehirnwindung meines Kopfes herum. Ihre absurde Behauptung, dass Chishiya in Wirklichkeit genauso skrupellos war wie Niragi.
"Erst, wenn du aufhörst, so selbstgefällig zu grinsen."
"Wieso? Hast du etwas gegen mein Grinsen?", fragte er mit gespielter Entrüstung.
"Es irritiert mich. Es wirkt, als wüsstest du mehr als der Rest der Welt. Du bist... wie die Grinsekatze. Tauchst einfach irgendwo aus dem Nichts auf, lächelst überheblich und verschwindest dann wieder, als wäre das alles nur ein Spiel, das zu deinem eigenen Vergnügen stattfindet."
"Die Grinsekatze, hm?" Er neigte wieder den Kopf, als würde er intensiv über meinen Vergleich nachdenken. "Ein passender Spitzname. Ich nehme das als Kompliment."
"Natürlich tust du das..."
Ich seufzte leise und wandte mich zum Gehen. Chishiya schlenderte mir mit einer fast tiefenentspannenden Gelassenheit hinterher.
♡
"Ihr habt euch ja ziemlich lange Zeit gelassen", begrüßte Hayashi uns schroff, als wir im Foyer ankamen.
Ihr wachsamer Blick glitt wie ein scharfer Messerstich zwischen uns hin und her, als würde sie nach den kleinsten Anzeichen von Unregelmäßigkeiten suchen.
"Izumi hatte ein sehr intensives Gespräch mit meiner Tür, da wollte ich sie nur ungern unterbrechen", antwortete Chishiya trocken.
Meine Augen weiteten sich ungläubig, und sofort schoss mir die Hitze ins Gesicht. Empört funkelte ich ihn an
"Hey, das ist doch gar nicht wahr. Ich hab nur geklopft, weil ich dachte, du wärst in dem Zimmer", protestierte ich, meine Stimme war eine Oktave höher als gewöhnlich.
"Wie gesagt, sehr intensiv", entgegnete er nur und grinste, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu machen, seine Belustigung zu verbergen.
Ich plusterte in Rage die Wangen auf, doch das schien er nur noch unterhaltsamer zu finden.
Hayashi rollte genervt mit den Augen.
"Seid ihr dann fertig oder braucht ihr noch ein paar Minuten, um das auszudiskutieren?", fragte sie und blickte wieder zwischen uns hin und her, doch diesmal sagte niemand etwas. "Kiko und ich haben beschlossen, bevor wir losgehen, noch ein paar Vorräte für den Rückweg zu besorgen. Kommt ihr mit?"
Sie ließ ihren Blick fragend in die Runde schweifen.
"Geht ruhig ohne mich", sagte Chishiya unerwartet. "Ich werde in der Zeit die Arztpraxen auf ein paar brauchbare Medikamente durchsuchen."
Hayashi nickte knapp und drehte sich zu Kiko um, die ebenfalls zustimmend nickte.
"Gut, dann gehen wir. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten am Haupteingang. Das sollte ausreichen."
Chishiya war schon dabei, sich abzuwenden. Hayashi und Kiko gingen in die entgegengesetzte Richtung. Ich hingegen verharrte unschlüssig auf der Stelle und sah zwischen ihm und den anderen beiden hinterher. Der Gedanke, mit Hayashi und Kiko Vorräte zu suchen, erschien nur wenig verlockend, vor allem hatte ich keine Lust, länger als nötig Hayashis Launen zu ertragen und mich von ihr zurechtweisen zu lassen. Aber das war längst nicht der einzige Grund...
Hayashi drehte sich zu mir um.
"Kommst du endlich oder was?", fragte sie ungeduldig.
"Ich... ich gehe mit Chishiya Medikamente holen", entschied ich schließlich. "Immerhin arbeite ich auch auf der Krankenstation."
"Das wird nicht nötig sein", erklang Chishiyas kühle Stimme hinter mir. "Ich schaffe das allein."
"Aber.." Ich sah ihn flehend an. "vielleicht kann ich nützlich sein. Zwei Augenpaare sehen mehr als eines, oder?"
Er hob skeptisch eine Augenbraue.
„Izumi, du hast keine Ahnung von Medikamenten. Wofür willst du also mitkommen? Um mir die Verpackungen vorzulesen?"
Da war er wieder. Der sarkastische, unnahbare Chishiya. Doch so leicht wollte ich mich nicht abwimmeln lassen.
"Dann helfe ich dir beim Tragen. Außerdem ist es viel sicherer, zu zweit unterwegs zu sein", argumentierte ich weiter.
Mein Blick glitt wieder zu Hayashi, die nur genervt mit dem Kopf schüttelte.
"Macht doch, was ihr wollt... wir gehen dann schonmal."
Sie wandte sich gleichgültig ab. Kiko jedoch sah mir noch kurz hinterher und schenkte mir ein ermutigendes Lächeln.
Chishiya seufzte schwer, als ich ihm ein verlegenes Grinsen zuwarf. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er mir den Rücken zu und ging den Korridor entlang. Ich zögerte nur kurz, bevor ich ihm hastig folgte, meine Schritte leicht beschleunigend, um mit ihm mitzuhalten.
„Du bist wirklich hartnäckig, weißt du das?"
Seine Stimme klang kühl, aber auch resigniert, als hätte er sich schon längst damit abgefunden, dass er mich nicht loswerden würde.
Doch als ich ihn von der Seite betrachtete, bemerkte ich ein winziges Lächeln, das für den Bruchteil einer Sekunde über seine Lippen huschte. Vielleicht war er doch nicht so unnahbar, wie er immer tat.
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