32 ❤️ Unverhofft kommt oft

I′m running with the wolves tonight
I'm running with the wolves
I′m running with the wolves tonight

Nach dem Abendessen versammelten sich die Bewohner des Beach wie üblich in der Lobby, um der täglichen Ansprache von Hatter zu lauschen.

Obwohl mir bewusst war, dass ich heute sterben könnte, war ich beinahe tiefenentspannt angesichts des bevorstehenden Spiels und spürte eine innere Gelassenheit, die mir selbst fast ein wenig unheimlich vorkam.

Ich hielt flüchtig nach Kuina Ausschau, doch ihre auffälligen Dreadlocks waren nirgends zu entdecken.

Inzwischen drängten sich hunderte Menschen dicht an dicht in der Halle, sodass ich die Suche schnell aufgab. Als ich eine Berührung an meiner Schulter spürte, wirbelte ich herum.

"Hey", sagte eine weibliche Stimme hinter mir. Ich lächelte erleichtert, als ich die junge Frau mit den blauen Haaren wiedererkannte. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken."

"Ah, hallo Minsu!"

Sie stellte sich direkt neben mich.

"Bist du endlich entlassen worden?", fragte sie und musterte mich kurz von der Seite.

"Ja, ich muss heute wieder spielen."

Sie nickte nur.

"Muss ich auch. Die acht Tage sind im Flug vorbei gewesen. Ich habe zwar noch ein bisschen Visa übrig, aber ich habe lieber ein paar Tage in Reserve."

Wie beim letzten Mal wirkte sie unglaublich cool und gefasst angesichts unserer Situation. Als ich sie eingehender betrachtete, fiel mir auf, dass sie eine Art Waffe auf dem Rücken trug.

"Keine üble Idee, sich ein paar Tage anzusparen. Bisher war ich leider nicht ganz in der Verfassung dafür", entgegnete ich.

"Verständlich. Ich hoffe, es geht dir wieder besser."

Ich nickte eifrig.

"Ja, danke. Sag mal, ist das ein Schwert auf deinem Rücken?"

Sie belächelte meine Frage.

"Ein Degen. Ich bin professionelle Fechterin. Bei manchen Spielen kann es ganz nützlich sein, eine Waffe bei sich zu haben", sagte sie schulterzuckend.

Ich kräuselte die Stirn.

"Ich dachte, nur der Militärtrupp darf Waffen bei sich führen."

"Richtig, ich bin seit kurzem Mitglied im Militär."

Ich öffnete überrascht den Mund.

"Oh", machte ich baff. "Das hab ich nicht gew-"

"Hier bist du. Wir haben dich schon überall gesucht."

Kuina quetschte sich durch die Menschenmassen und stand plötzlich vor uns, kurz nach ihr tauchte auch Makotos Kopf aus der Menge auf.

"Schön, dass du wieder unter den Lebenden weilst", sagte Kuina mit einem breiten Grinsen an mich gewandt und stieß mir spielerisch ihren Ellenbogen in die Seite.

„Nun, ich dachte, der Himmel kann noch ein wenig warten", erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln. "Hoffen wir mal, dass ich noch ein bisschen hier bleiben darf."

"Aber klaro, du hast doch nicht etwa vor, schon ins Gras zu beißen, oder?", fragte sie mit einer Spur Entrüstung in der Stimme.

Ich grinste als Antwort.

"Keine Angst. So schnell werdet ihr mich nicht los."

Das Stimmengewirr in der Halle verstummte abrupt. Unsere Augen richteten sich schlagartig oben auf die Empore, wo Hatter aufgetaucht war und im tosenden Applaus seiner Untergebenen badete.

Seine übliche Ansprache folgte, sowie eine unermüdliche Motivationsrede an alle seine Spieler. Immer wieder war lautstarkes Gejubel zwischen seinen Worten zu vernehmen.

Ich ließ meinen Blick in der Zeit aufmerksam durch die Halle wandern. An der Mauer, an der Chishiya für gewöhnlich lehnte, stand heute eine Gruppe junger Männer. Auch sonst war seine helle Jacke nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatte er noch auf der Krankenstation zu tun.

".... habe heute eine erfreuliche Nachricht zu verkünden. In genau einer Woche werde ich, euer Anführer, anlässlich meines dreißigsten Geburtstags ein besonderes Fest veranstalten."

Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder hoch zu der Empore. Hatter unterbrach sich kurz und lachte gekünstelt auf, während er seine Sonnenbrille gerade rückte.

"Nun, machen wir uns nichts vor, eigentlich ist es schon der Vierzigste, aber behaltet das für euch", sagte er mit deutlich gesenkter Stimme. Einige ringsherum lachten. "Ich möchte, dass wir diesen Anlass nutzen, um unsere bisherigen Erfolge gebührend zu feiern."

Er machte eine dramatische Pause.

"Aus diesem Grund veranstalte ich einen Kostümball rund um das Motto Alice im Wunderland. Ich möchte, dass jeder, ohne Ausnahme, an diesem Event teilnimmt und erwarte, dass ihr vorher genügend Visa-Tage sammelt, damit niemand am Festtag gezwungen ist, an einem Spiel teilzunehmen. Lasst uns stattdessen alle ein wenig Spaß haben und unsere Zeit hier genießen. Das ist meine Art, euch für euren Einsatz zu danken."

Er klatschte in die Hände und der darauf folgende Applaus breitete sich wie ein Lauffeuer in der Halle aus. Einige pfiffen ihm anerkennend zu, andere grölten den bekannten Hatter-Schlachtruf im Chor.

Ich hingegen hielt mich mit der Begeisterung noch ein wenig zurück.

Bei ihm klang es ja gerade so, als wäre das die erste echte Party, die je im Beach stattgefunden hatte.

Nach Hatters Ankündigung brach plötzlich überall wirres Getuschel in der Lobby aus.

"Ein Kostümball?"

Minsu neben mir sah wenig angetan aus von der Idee. Kuina jedoch zuckte nur mit den Schultern.

"Klingt doch eigentlich ganz lustig. Ich bin dabei."

Ich gluckste über ihre Reaktion.

"Ja, könnte ziemlich spaßig werden", stimmte ich nach kurzer Überlegung zu.

Makoto stöhnte nur und blickte etwas mürrisch drein.

"Also da könnte ich wirklich drauf verzichten. Außerdem wird das bestimmt eine Menge Arbeit für mich."

"Ach ja, du bist ja der Koch im Beach. Ich freue mich schon auf das üppige Buffet", sagte Kuina mit einem schalkhaften Grinsen.

Makoto lachte bitter auf.

"Ist doch eine großartige Herausforderung für dich", versuchte ich ihn aufzumuntern. "Und ich weiß jetzt schon, dass es unglaublich lecker wird."

Meine Worte entlockten ihm ein Lächeln.

"Wahrscheinlich hast du Recht. Deinetwegen habe ich jetzt einen Grund, mich besonders ins Zeug zu legen."

Ich erwiderte sein Lächeln, obwohl ich im Inneren ein schlechtes Gewissen hatte. Ich machte ihm unnötige Hoffnung. Das wusste ich. Doch ich wollte ihn auch nicht enttäuschen. Zu viel hatte er schon meinetwegen ausstehen müssen.

Als die Menge sich auflöste, blieben nur noch die zurück, die heute spielen würden. Auch Kuina hatte sich bereits von uns verabschiedet und uns alles Gute gewünscht.

Makoto und Minsu reihten sich mit mir zusammen in der Schlange vor der Lostrommel ein. Inzwischen war ich doch ein wenig aufgekratzt, aber viel mehr aus Neugier, als aus Furcht.

In welches Spiel würde ich wohl heute kommen?

Bisher kannte ich nur Pik und Herz. Wenn ich mich zwischen den beiden entscheiden müsste, fiele mir die Wahl recht leicht.

Ein weiteres Herzspiel wäre mit Sicherheit die schlimmste Option. Vor allem die Schmerzen, die mich beim letzten Mal beinahe an meine körperlichen Grenzen gebracht hatten, wollte ich nicht nochmal durchmachen müssen. Ebenso wenig war ich darauf erpicht, erneut diejenige zu sein, die über das Leben anderer entscheiden musste.

Trotzdem fühlte ich mich besser vorbereitet als beim letzten Spiel. Diesmal wusste ich, was auf mich zukommen könnte. Wenn man das Schlimmste bereits erlebt hatte, dann erschien einem das Kommende gleich weniger beängstigend. Das war zumindest der Gedanke, der mir etwas Zuversicht gab.

Entschlossen griff ich in die Lostrommel und zog einen Zettel von ganz unten hervor. Ich entfaltete ihn und starrte auf die Zahl. Es war eine 9.

Makoto, der bereits eine 11 gezogen hatte, schaute mir über die Schulter.

"Hey, deine Glückszahl. Aber leider sind wir wieder nicht in der gleichen Gruppe", fügte er mit enttäuschter Miene hinzu.

"Waren wir letztes Mal auch nicht und trotzdem im gleichen Spiel."

"Das wird wohl kaum ein zweites Mal funktionieren."

"Und was hast du?", fragte ich an Minsu gewandt. Sie drehte ihren Zettel um. Darauf stand eine 1.

"Ach, verdammt", sagte ich mit einem kleinem Grinsen. "Wäre auch zu schön gewesen."

"Meistens ist es besser, wenn man nicht zusammen im gleichen Spiel landet", antwortete sie und starrte dabei geistesabwesend ins Leere.

Makoto nickte betroffen.

"Ja, einen Freund sterben zu sehen, ist sicher nochmal etwas anderes als einen Fremden."

Ich schloss kurz die Augen und seufzte.

"Wahrscheinlich habt ihr Recht. Aber in einem Teamspiel ist es bestimmt von Vorteil", überlegte ich laut.

"Das hängt wahrscheinlich vom jeweiligen Spiel ab", sagte Makoto und sah sich dann etwas überrascht in der Halle um, die sich rasant geleert hatte. "Wir sollten uns mal beeilen, sonst fahren sie noch ohne uns los."

Gemeinsam eilten wir zum Parkplatz und teilten uns dort auf.

"Wir sehen uns", sagte ich mit einem kämpferischen Gesichtsausdruck, als würde das die Chance erhöhen, dass es auch passierte. "Gebt euer Bestes!"

Makoto drehte sich mehrmals nach mir um und winkte, als er das Fahrzeug mit der Nummer 11 ansteuerte. Nur zwei Parkplätze weiter, stand das Auto, das mich zu meinem heutigen Spiel bringen würde. Doch als ich meinen Blick zu dem Wagen gleiten ließ, spürte ich, wie mein Herz augenblicklich Richtung Magengrube sank.

An dem Fahrzeug lehnte ein junger Kerl mit gemustertem Hemd, Gewehr auf der Schulter und einem markanten Dutt am Hinterkopf.

Niragi.

Der widerliche Typ, der mich letztens festgehalten und betatscht hatte. Ihm hatte ich die ansehnliche Platzwunde auf meiner Stirn zu verdanken, die inzwischen glücklicherweise wieder verheilt war.

Er war gerade dabei seinen anzüglichen Blick an der jungen Frau hinabgleiten zu lassen, die bei ihm stand und wie Niragi eine Schusswaffe trug, die sie in ihren Hosenbund gesteckt hatte: ein Zeichen, dass sie ebenfalls zum Militär gehörte. Mein Herz begann nun spürbar zu klopfen.

Warum musste ausgerechnet er in meiner Gruppe sein?

Von wegen Glückszahl. Ich war verflucht. Irgendjemand gönnte mir den Frieden nicht.

Ich holte tief Luft und versuchte, mich wieder zu entspannen, als ich auf die kleine Gruppe zuging.

"Hey", begrüßte ich die zwei Anwesenden knapp und hielt dann meine gezogene Zahl sichtbar nach oben. "Ich gehöre wohl zu euch."

Als Niragi mich erblickte, breitete sich ein selbstgefälliges Lächeln auf seinem Gesicht aus.

"Na, das ist ja eine Überraschung. Der kleine Wildfang von neulich. Das wird ja richtig interessant heute", sagte er und wackelte verheißungsvoll mit seiner gepiercten Augenbraue. Seine Augen klebten förmlich an meinem Dekolleté fest, auch wenn die Kleidung, die ich trug, nicht viel davon offenbarte. "Gleich zwei süße Schnecken in meinem Auto. Ich wäre für einen flotten Dreier zu haben."

Ich rollte mit den Augen.

Was für ein perverser Widerling.

Ich beobachte, wie seine Zunge aus seinem Mund hervorblitzte, als könnte er sie nur schwer in Zaum halten.

"Träum weiter", entgegnete ich kühl.

Die andere Frau, die nur ein knappes, bauchfreies Top und eine halb zerfetzte Shorts trug, warf Niragi ein anrüchiges Grinsen zu. Sie schien nicht abgeneigt von seinem Vorschlag zu sein. Ich konnte nur hoffen, dass noch jemand halbwegs Normales zu unserer Gruppe stieß.

"Oh, ich bin mir sicher, es würde dir gefallen, Löckchen. Meine Zungenfertigkeiten sind ungeschlagen. Danach würdest du mich um eine zweite Runde anbetteln."

Er kam näher und drängte mich plötzlich gegen die Tür des Wagens, indem er mich mit seinen Armen dort gefangen hielt, während seine Zunge schon fast lüstern über seine Lippen leckte. In seinen Augen glänzte nackte Gier.

Ich straffte meine Schultern und reckte entschlossen das Kinn.

"Lieber würde ich in dem heutigen Spiel verrecken, als mich von dir begrabschen zu lassen", warf ich ihm an den Kopf und hoffte, dabei souverän genug zu klingen.

Seine Lippen formten sich zu einem schmierigen Grinsen und er verringerte erneut den Abstand zwischen uns. Widerstrebend wich ich zurück.

"Du hast Glück, dass ich auf störrische Frauen stehe", schnurrte er leise an mein Ohr. "Ich mag es, sie zu zähmen. Auch du wirst dich mir bald hingeben. Es ist nur noch eine Frage der Zeit."

Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt, als er das sagte. Ich verzog unwillkürlich den Mund, als er mit seiner Zunge ein paar eigenartige Verrenkungen vollführte.

Seine Finger streiften meine Wange und fuhren an meinem Hals entlang Richtung Brust. Seine schnalzende Zunge war inzwischen fast an meinem Ohr angelangt. Ich schluckte und überlegte, ob es schlau wäre, ihm mein Knie in seine Testikel zu rammen.

Mein Blick schweifte zu dem Gewehr, das er geschultert hatte. Keine gute Idee. Vermutlich würde er mir sofort das Hirn wegpusten, wenn ich eine falsche Bewegung machte.

"Wirklich bemerkenswert, wie du es schaffst in Rekordzeit Unbehagen und Abscheu bei Frauen hervorrufen. Vielleicht solltest du deine Zungenakrobatik lieber für eine Zirkus-Freakshow aufheben."

Beim Klang der vertrauten Stimme schnellte mein Kopf augenblicklich zur Seite. Das kleine spöttische Lächeln versetzte meinem Herzen sofort einen Auftrieb.

"Chishiya", brachte Niragi zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. "Verzieh dich, du elender Verräter!"

Der Angesprochene seufzte.

"Ich fürchte, das ist leider unmöglich", sagte er und kramte dann einen Zettel aus seiner Jackentasche hervor, um ihn sichtbar in die Höhe zu halten.

Eine 9 stand darauf.

Verdammt, das kann nicht wahr sein!

Und überhaupt, wieso nahm Chishiya heute an einem Spiel teil? Dieser Mistkerl hatte mit keiner einzigen Silbe erwähnt, dass er heute vorhatte zu spielen. Und jetzt kreuzte er hier auf, als wäre es das Normalste auf der Welt.

Auf Chishiyas Gesicht machte sich ein triumphierendes Grinsen breit. Niragis selbstgefälliges Lächeln hingegen schwand langsam dahin. Wahrscheinlich löste sich seine Vorstellung von einem flotten Dreier gerade in Luft auf.

"Ach, ist die Kleine etwa deine neue Freundin? Hast du sie deshalb gerettet und den Beach verraten...weil du so verknallt in sie bist, Chishiya?", zog er ihn auf und grinste dämlich. "Ist ja herzallerliebst."

Chishiya ließ sich von Niragis provokanter Bemerkung nicht aus der Ruhe bringen.

„Faszinierend, Niragi, wie dein Gehirn immer auf der niedrigsten Stufe arbeitet. Es wäre mir viel zu anstrengend, meinen Verrat mit so einer rührseligen Geschichte zu rechtfertigen. Vielleicht solltest du dich mehr auf deine eigenen, bescheidenen Fähigkeiten konzentrieren, anstatt mir solche albernen Motive zu unterstellen."

Chishiya wandte sich gleichmütig ab und schlenderte dann zum Wagen, um die Hintertür zu öffnen.

Niragi fletschte die Zähne und seine Hand schien instinktiv nach seiner Schusswaffe zu greifen, doch Chishiya hatte bereits auf dem Rücksitz Platz genommen, ohne sich um dessen Befindlichkeiten zu scheren. Ich konnte nicht anders, als ihn für diese Gelassenheit zu bewundern.

Eins war jedenfalls jetzt schon klar: dieses Spiel würde alles andere als langweilig werden.

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