30♦️ Bellende Hunde beißen eben doch
Who let the dogs out?
Who, who, who, who, who?
Who let the dogs out?
Who, who, who, who, who?
Who let the dogs out?
Who, who, who, who, who?
Who let the dogs out?
Als ich am darauffolgenden Abend das Patientenzimmer betrat, stand Izumi vor dem weit geöffneten Fenster und bewegte sich angeregt zur Musik, die von draußen hereinkam. Sie war so vertieft in ihren Tanz, dass sie mich nicht einmal bemerkte. Es schien, als wäre sie in ihrer eigenen kleinen Welt, abgeschottet von der Realität. Sie bemerkte mich nicht und ich beobachtete sie ein klein wenig länger als nötig. Ich hatte sie noch nie so unbeschwert und losgelöst gesehen. Seit ihrer Reanimation wirkte sie irgendwie verändert, fast als hätte der Tod ihr auf wundersame Weise neues Leben eingehaucht.
"Sag mal, welchen Teil von 'Ruhe' hast du nicht verstanden?", durchbrach ich ihre energische Solo-Performance.
Sie fuhr herum, sichtlich erschrocken. Als sie mich sah, atmete sie jedoch erleichtert auf und lachte verlegen.
"Verdammt, Chishiya, sag doch was, ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen."
Ich zog geringschätzig eine Braue nach oben.
"Den bekommst du vermutlich auch so, wenn du dich nicht endlich schonst."
Sie rollte mit den Augen.
"Jetzt sei mal nicht so eine griesgrämige Miesmuschel. Es ist voll öde den ganzen Tag nur hier herum zu vegetieren und weiße Wände anzustarren. Davon wird man doch depressiv."
Ich seufzte und verschränkte dann streng die Arme.
"Deine emotionalen Befindlichkeiten sind mir ehrlichgesagt egal. Ich bin hier der Arzt und wenn ich sage, dass du Ruhe brauchst, dann verlange ich, dass du dich daran hältst. Dein nächstes Spiel ist in weniger als zwei Tagen. Selbst das könnte schon zu anstrengend für dich werden, also schließe jetzt das Fenster und leg dich wieder hin! Ich habe keine Lust dich ein weiteres Mal vom Boden aufzuwischen. Am Ende gibt der Welpe mir noch die Schuld."
Izumi holte tief Luft, sichtlich empört und plusterte ihre Wangen auf.
"Er hat einen Namen." Ich sah sie unbeeindruckt an. Dann drehte sie sich um und ließ unsanft das Fenster zuknallen. "Echt, du... nervst."
Aufgebracht stapfte sie an mir vorbei, geradewegs zu dem Bett und vergrub sich dann unter ihrer Bettdecke wie ein launischer Teenager.
"Gut so, dann habe ich erreicht, was ich wollte", gab ich triumphierend zurück.
Kurz darauf kehrte ich mit einem Stapel Bücher zurück, den ich wortlos auf ihre Bettdecke fallen ließ. Stirnrunzelnd blickte sie zu mir auf und ließ ihren Blick dann zu den Büchern wandern.
"Gegen die Langeweile", erklärte ich knapp.
Zögerlich schälte sie sich aus ihrer Bettdecke, nahm das obere Buch weg und starrte den Einband mit dem Titel Basiswissen Krankenpflege mit regloser Miene an. Ihr ungläubiger Blick schweifte wieder zu mir. Ich nickte ihr erwartungsvoll zu. Wie ein schwerer Stein glitt das Buch wieder aus ihrer Hand und sie griff sich unvermittelt an die Brust.
"Oh, ich habe plötzlich solche Schmerzen", sagte sie in übertrieben theatralischem Ton und drehte sich dann wieder von mir weg. "Du hattest Recht. Ich habe mich bestimmt zu sehr verausgabt."
Ich verschränkte erneut die Arme und warf ihr einen strengen Blick zu.
"Wenn das so ist, kann die Langeweile ja noch nicht so schlimm sein, oder willst du plötzlich nicht mehr auf der Krankenstation arbeiten?"
"Doch", murmelte sie leise. "Aber das ist wirklich viel Theorie."
"Die Theorie ist eine wichtige Vorbereitung auf die Praxis. Und im Moment fehlt dir leider noch das Fachwissen, um uns eine brauchbare Hilfe zu sein."
Sie nickte mit zusammengepressten Lippen, aber wirkte zumindest etwas einsichtiger.
"Okay, ich sehe es mir mal an", seufzte sie und griff erneut nach dem obersten Buch, um es aufzuschlagen.
Erst als Ann ein paar Stunden später zur Ablösung auftauchte, fand ich wieder die Zeit nach ihr zu sehen. Sie lag noch immer im Bett, aber war vertieft in eine Zeichnung, die auf ihrem Schoß lag. Als sie mich bemerkte, klappte sie schnell ihren Zeichenblock zu und grinste mich an.
"Ah, hey", sagte sie und legte ihre Sachen beiseite. Ihre gesamte Haltung war viel entspannter als noch vor wenigen Tagen. Sie lächelte jetzt viel öfter und es stand ihr überraschend gut.
"Und? Wie weit bist du gekommen?", wollte ich wissen.
Izumi legte den Zeichenblock beiseite und betrachtete nachdenklich die Bücher vor sich. "Naja, ich habe gerade erst angefangen und schon das Gefühl, dass mir der Kopf schwirrt. Ich meine, wer hätte gedacht, dass es so viele Arten von Verbänden gibt?"
Ihr konsternierter Gesichtsausdruck, als sie das sagte, brachte mich unwillkürlich zum Schmunzeln.
"Wenn dich das schon überwältigt, warte nur ab, bis du erfährst, wie viele Arten von Patienten es gibt", entgegnete ich amüsiert. "Auch wenn theoretisches Wissen wichtig ist, lernt man im medizinischen Bereich die meisten Dinge durch praktische Erfahrung."
"Das leuchtet mir ein. Aber bisher konnte ich noch nicht sonderlich viel Erfahrung sammeln."
Ich nickte.
"Deshalb sollten wir die Zeit, in der du dich erholst, nicht ungenutzt verstreichen lassen", sagte ich und verschwand kurz, um das Tablett mit den Instrumenten zu holen, das ich bereits vorbereitet hatte. Sie betrachtete mich skeptisch, als ich wieder zurückkam und auf dem Tisch neben ihr abstellte. "Ich werde dir jetzt Blut abnehmen und dir währenddessen erklären, wie das Ganze abläuft. In Zukunft wird das eine deiner Aufgaben sein, also sieh genau hin!"
"Blut abnehmen?", wiederholte sie langsam und schluckte hörbar.
"Ja, du hilfst uns nur, wenn du auch solche verantwortungsvollen Aufgaben übernehmen kannst."
Sie nickte zurückhaltend. Ich setzte mich auf den Hocker und zog mich damit an ihr Bett heran. Ohne Vorwarnung griff ich nach ihrem Unterarm und drehte ihn auf die Innenseite. Die unerwartete Berührung ließ sie ruckartig zusammenzucken. Das EKG neben ihr reagierte prompt und begann zu piepsen. Sie öffnete protestierend den Mund, sagte jedoch nichts. Behutsam platzierte ich das Injektionskissen unter ihrem Arm.
"Erstmal bittest du den Patienten den Arm ganz auszustrecken und dabei mit der Faust pumpartige Bewegungen auszuführen. Bevor du die Stelle desinfiziert, tastest du vorsichtig nach der Vene. Nicht in jedem Falle wird sie sofort sichtbar sein. Verlass dich nicht auf deine Augen, du musst Sie fühlen.", sagte ich und fuhr bewusst langsam mit den Fingern über ihre Ellenbeuge. Ihre Muskeln vibrierten leicht unter meiner Berührung und verrieten ihre innerliche Anspannung. "Wenn du sie gefunden hast, spürst du beim Draufdrücken einen leichten, federnden Widerstand." Ich demonstrierte es, indem ich leicht auf ihre Vene drückte. "Versuch es selbst! Du wirst den Unterschied merken."
Zögerlich begann sie mit ihrer anderen Hand über ihre rechte Armbeuge zu tasten. Ich umfasste ihr Handgelenk und führte ihren Finger zu der blauen Ader, die sich unter ihrer Haut abzeichnete.
"Genau da. Spürst du sie?"
Sie nickte steif. Ihre Wangen waren von einem zarten Rotschimmer überzogen. Ihr Puls war inzwischen bei 109 Schlägen pro Minute. Auch wenn ich ihre körperlichen Reaktionen auf meine Nähe ein wenig amüsant fand, musste ich aufpassen, dass ich ihr Herz nicht gleich überforderte.
"Solltest du nicht sofort eine geeignete Stelle finden, zögere nicht auch am anderen Arm zu tasten! Manchmal hilft es auch, sanft auf die Haut zu schlagen oder die Stelle zu reiben, um die Gefäße zu erweitern. Außerdem kannst du den ganzen Unterarm benutzen, das ist die gängigste Stelle um Blut abzunehmen, nicht nur in der Armbeuge."
Ich zog ein paar sanfte Kreise in ihrer Armbeuge und spürte, wie sie währenddessen erschauderte. Es fiel mir immer schwerer, mir meine Genugtuung über die Situation nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Ich streifte mir rasch die Handschuhe über und erklärte ihr, wie sie die Stelle desinfizierte und den Stauschlauch am Oberarm anlegte. Anschließend griff ich nach der Punktionskanüle.
"Diese Kanüle wird auch Butterfly genannt, wegen der kleinen Flügel an der Seite. Sie hilft dir, einen besseren Halt zu haben, wenn du die Nadel einführst." Ich demonstrierte ihr, wie man sie richtig festhielt. "Taste nochmal kurz nach der Vene, bevor du beginnst und spanne die Haut ein wenig vor dem Ansetzen. Dann positioniere die Nadel an der Vene!", erklärte ich weiter, während ich es ihr vormachte. "Sei zügig und zögere nicht! Halte die Kanüle beim Einstechen ein wenig flach, damit du die Rückwand der Arterie nicht verletzt. Und achte darauf, dass die kleine Öffnung der Schräge nach oben zeigt."
Ich schob die Nadel mühelos unter ihre Haut. Ihr Arm zuckte leicht.
"Siehst du, das hätten wir", sagte ich zufrieden, als ich sah, wie die dunkelrote Flüssigkeit in den Schlauch lief. Als mein Blick zu Izumi ging, stellte ich fest, dass sie plötzlich ein wenig blass um die Nase war und reglos auf den Schlauch starrte. "Was ist los? Sag jetzt nicht, dass du kein Blut sehen kannst?"
"Doch, aber... ich weiß nicht, ob ich sowas tun kann. Bei anderen Blut abnehmen, meine ich. Das ist irgendwie gruselig."
Ich runzelte die Stirn.
"Bei deinen ersten Versuchen bin ich ja dabei, also kein Grund zur Sorge. Und falls du umkippen solltest, fange ich dich auf", erwiderte ich mit leichtem Spott in der Stimme.
Sie schob die Lippen ein wenig nach vorn. Ich griff unbeirrt nach dem Blutentnahmeröhrchen und befestigte es an dem Schlauch, während ich ihr die weiteren Schritte erläuterte.
„Manchmal kann es sein, dass du die Vene knapp verfehlst, oder an der Venenwand anliegst. Das merkst du, wenn du kein Blut im Schlauch siehst, aber dich unter der Haut befindest. Dann kannst du vorsichtig nachstechen, was ich dir bei Gelegenheit zeigen werde." Sie beobachtete skeptisch, wie das Blut in das Röhrchen lief. „Wenn die Röhrchen gefüllt sind, legst du Sie in deinem kleinen Körbchen ab. Nimm dir einen Tupfer, öffne den Stauschlauch und presse diesen auf die Einstichstelle, unmittelbar nachdem die Kanüle draußen ist." Ihre Anspannung schien sich immerhin ein bisschen zu lösen, als ich die Nadel wieder aus ihrer Haut entfernte.
"Das war's schon", sagte ich und tauschte den Tupfer gegen ein kleines Pflaster aus. Ihr Puls hatte sich inzwischen wieder ein wenig normalisiert. "War doch gar nicht so schlimm, oder?"
"Nein, aber ich musste es ja auch nicht selbst machen", murmelte sie.
"Mit ein wenig Übung bekommst auch du das hin und irgendwann denkst du nicht mehr darüber nach." Ich entfernte das Röhrchen mit Izumis Blutprobe und nahm es an mich. "Das nächste Mal wirst du es selbst versuchen. Noch hast du ein paar Tage Zeit, um dir die Theorie anzusehen, aber dann lasse ich keine Ausrede mehr gelten."
◇
In den nächsten Tagen versuchte ich Izumi bestmöglich auf ihre kommende Arbeit in der Krankenstation vorzubereiten. Immer, wenn ich zwischendurch Zeit hatte, zeigte ich ihr die wichtigsten Instrumente und Medikamente und versuchte ihr beizubringen, wie man leichte bis mittelschwere Verletzungen behandelte. Einerseits wollte ich, dass sich die Zusammenarbeit mit ihr in Zukunft leichter gestaltete, andererseits hoffte ich, dass es mir die Chance geben würde, ihr näher zu kommen. Das funktionierte zumindest so lange, bis der Welpe auftauchte und dazwischen funkte. Er kam zu jeder Mahlzeit, dreimal am Tag und blieb manchmal fast eine halbe Stunde lang. Oft hatte ich jedoch so viel zu tun, dass ich es nicht immer schaffte, ihn rechtzeitig rauszuwerfen. Dieser Kerl war ein wahres Ärgernis.
Bei seinem letzten Besuch stand ich ein wenig abseits im gleichen Raum und bereitete eine Infusion vor, als ich ihr Gespräch aufschnappte.
"Ich habe für dich extra dein Lieblingsessen gemacht. Es war nicht so leicht, das Schweinefleisch zu besorgen, kann ich dir sagen", hatte Aoyama stolz verkündet.
Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite.
"Du hast wirklich Tonkatsu gemacht? Für mich?", fragte sie euphorisch und griff nach der Bentobox, die er ihr unter die Nase hielt. "Wie hast du das angestellt?"
Er zwinkerte ihr wieder zu.
"Ein Zauberer verrät niemals seine Tricks."
Aus dem Augenwinkeln beobachtete ich, wie Izumi von dem panierten Fleisch kostete und vollkommen verzückt die Augen schloss.
"Das ist soooo gut. Das Beste, was ich seit langem gegessen habe", seufzte sie überglücklich und schob sich gleich noch mehr in den Mund. "Ich liiiiebe Tonkatsu."
Kurz darauf stand ich mit verschränkten Armen hinter Aoyama.
"Was Hatter wohl dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass sich jemand an seinen Vorräten bedient?"
Der Welpe fuhr zusammen, als er meine Anwesenheit bemerkte und verzog verbittert das Gesicht, während er sich zu mir umdrehte.
"Meines Wissens gibt es keine Beach-Regel, die dagegen spricht."
"Interessant. Wir haben also einen Dieb in unseren Reihen, der seine Taten nicht mal bereut. Wer sich unerlaubt an Essensvorräten bedient, scheut sich sicher auch nicht davor, das mit Spielkarten zu tun. Vielleicht sollte ich das lieber melden."
Aoyama sprang plötzlich abrupt von seinem Stuhl auf und packte mich am Kragen meines Kittels. Ich ging einen Schritt zurück und lächelte spöttisch. Auf seiner Stirn pochte eine Ader.
"Tu es doch, du Möchtegern-Doktor! Ich habe keine Angst vor dir, nur weil du zufällig Ratsmitglied bist", fuhr er mich wütend an.
"Makoto, lass ihn los!", hörte ich Izumi im Hintergrund rufen. "Das führt doch zu nichts."
Der Angesprochene knurrte, lockerte jedoch widerwillig seinen Griff und stieß mich dann etwas grob von sich weg.
Ich richtete meinen Kittel und grinste siegessicher.
"Braver Hund."
Ich hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, da hatte ich seine Faust schon im Gesicht.
◇
Izumi tupfte vorsichtig das Blut von meiner Lippe und drückte dann ein steriles Tuch darauf. Auch, wenn die Wunde höllisch brannte, blieb ich vollkommen reglos sitzen während ihrer Behandlung.
"Ich weiß gar nicht, wieso ich das hier mache", echauffierte sie sich und schüttelte fassungslos den Kopf. "Du hast dir das hier selbst zuzuschreiben."
"Es ist eine gute Übung für dich", nuschelte ich, meine Worte durch die Schwellung leicht verwaschen.
"Ihr benehmt euch wirklich wie zwei testosterongesteuerte Vollidioten."
"Dabei ist dein Freund doch derjenige, der seine Aggressionen nicht im Griff hat."
"Weil du ihn immer wieder provozieren musst... Verdammt, das hört gar nicht mehr auf zu bluten", murmelte sie und klang dabei fast ein wenig besorgt.
"Muss ich etwa zum Arzt?", warf ich spöttisch ein.
Izumi funkelte mich finster an.
"Noch so ein Spruch und du wirst bald einen kompetenten Pathologen brauchen."
"Wow, jetzt läuft sie zu Hochtouren auf. Was war vorhin in deinem Essen?"
Sie seufzte.
"Halt doch jetzt einfach mal den Rand!"
"Zu Befehl, Schwester Tsuki."
Als die Blutung endlich etwas nachließ, desinfizierte sie die Wunde, so wie ich es ihr am Tag zuvor beigebracht hatte. Bei der Prozedur zuckte ich zum ersten Mal ein wenig unter ihrer Berührung zusammen, auch wenn sie sich bemühte, behutsam vorzugehen. Izumi musterte die Wunde kritisch.
"Das sieht nicht gut aus. Vielleicht sollte Ann da lieber nochmal einen Blick drauf werfen."
Ich stand auf, um mir das Ganze selbst anzusehen. Der Blick in den Spiegel ließ mich aufstöhnen.
"Das muss genäht werden", stellte ich schnell fest, als ich die Verletzung näher inspirierte.
"Dann sollten wir Ann informieren."
"Ich krieg das schon selbst hin", widersprach ich. "Bring mir das Nähbesteck von drüben!"
Sie starrte mich perplex an.
"Das kann nicht dein Ernst sein. Du solltest das nicht selbst machen. Ich werde Ann holen gehen", sagte sie entschieden und stand von ihrem Bett auf.
"Du bleibst, wo du bist!", sagte ich ruhig, aber bestimmt. "Du bist meine Patientin und hast keine Erlaubnis von mir, die Krankenstation zu verlassen. Geh und hol das Nahtset... und am besten auch einen Handspiegel."
Izumi sah mich entrüstet an, schnaubte dann kurz wütend auf und lief hinüber ins Untersuchungszimmer. Ich hätte es theoretisch selbst machen können, doch ich wollte, dass sie lernte, meine Anweisungen korrekt in die Tat umzusetzen.
"Gut", lobte ich sie, als sie mit den geforderten Gegenständen wieder zurückkam. "Halte den Spiegel hoch!"
"Du bist vollkommen übergeschnappt", grummelte sie, tat jedoch, was ich sagte und richtete den Spiegel so aus, dass ich meine Lippe gut im Blick hatte.
"Bleib so! Beweg dich nicht!", wies ich sie an.
"Willst du das nicht mal betäuben?", fragte sie baff, als ich nach der chirurgischen Nadel griff und den sterilen Faden in die Öse führte.
"Für fo eine Lappalie follten wir keine Vorräte vergeuden", lispelte ich, während ich an meiner Unterlippe herum hantierte.
Izumis Blick wirkte zunehmend beunruhigt, als sie mich dabei beobachtete, wie ich die Wunde mit gezielten Stichen verschloss. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich selbst nähte, aber es war eine Premiere, es im Gesicht zu tun und dass es spiegelverkehrt war, machte die Sache nicht gerade leichter. Normalerweise war so eine Platzwunde in wenigen Minuten versiegelt, doch das hier benötigte ein wenig mehr Konzentration. Das Schlimmste daran waren allerdings die Schmerzen während der Prozedur. Ich versuchte, mühevoll keine Miene zu verziehen, doch Izumi fühlte so mit mir mit, dass ihr Gesichtsausdruck die Qualen widerspiegelte, die ich währenddessen hatte. Als ich endlich fertig war und den restlichen Faden entfernte, schien sie beinahe erleichtert. Sie ließ den Spiegel sinken und rieb sich schmerzverzerrt die Arme.
"Ich kann echt nicht glauben, dass du das getan hast", sagte sie, ohne die Augen von der frisch genähten Wunde zu nehmen.
"Und? Steht es mir?"
"Oh ja, es unterstreicht dein loses Mundwerk", entgegnete sie bitter.
"Mir scheint, als ist dir die Wiederbelebung ein bisschen zu gut bekommen."
"Du solltest dich bei ihm entschuldigen."
Sie sah mich mit ernster Miene an.
Ich schnaubte ungläubig.
"Also er verpasst mir eine und ich soll mich dafür auch noch entschuldigen?"
"Du hast es doch selbst herausgefordert. Wenn du aufhören würdest dauernd solche gemeinen Bemerkungen in seiner Gegenwart zu machen, dann wäre das nicht passiert."
"Oh, also denkst du, ich habe es nicht anders verdient?"
Sie zögerte kurz und zuckte dann mit den Schultern.
"Ein wenig schon, ja."
"Ich bin wirklich erschüttert", entgegnete ich völlig ungerührt.
"Sich zu entschuldigen beweist Zivilcourage, also überwinde deinen Stolz und tu das Richtige!"
Ich seufzte.
"Na, schön", gab ich mich widerwillig geschlagen. "aber im Gegenzug hältst du dich an alles, was ich dir sage. Keine unnötigen Tanzeinlagen, keine Alleingänge im Korridor. Du bleibst unter Beobachtung so lange bis ich dich gehen lasse und du wirst dich aufs Lernen fokussieren."
Sie nickte missmutig.
"Gut, aber erst, wenn du dich wirklich entschuldigt hast. Ich will es aus deinem Mund hören."
Izumi schien wirklich beharrlicher zu sein, als ich dachte, und im Interesse meines Plans, entschied ich mich dazu, ihrer Bitte nachzukommen, sobald Aoyama wieder hier war.
Als Ann am selben Tag in der Krankenstation auftauchte, um ihre Schicht anzutreten, war sie nicht alleine, sondern hatte einen Mann im Schlepptau.
"Chishiya, darf ich vorstellen: das ist Fujita Haruto. Er ist erst seit gestern bei uns im Beach und hat sich bereit erklärt, in der Krankenstation auszuhelfen."
Der Angesprochene straffte den Rücken und machte einen überhöflichen Knicks vor mir. Augenscheinlich war er um die 30, trug eine schwarz gerahmte Brille und wirkte mit seinem strengen Mittelscheitel und dem faltenfreien Hemd wie ein pedantischer Spießer.
"Es würde mich freuen, wenn ich euch bei euerer Arbeit unterstützen darf. Ich habe vorher als Pharmazeut im Krankenhaus gearbeitet, also besitze ich auch medizinische Vorkenntnisse."
Was für ein Schleimer...
"Super, jetzt nehmen wir also auch schon Pharmazeuten. Wir müssen wirklich verzweifelt sein."
"Chishiya", zischte Ann mir mit empörter Miene zu, doch Fujita lächelte nur unbekümmert.
"Keine Sorge, ich bin es gewöhnt, mit Ärzten zusammenzuarbeiten, die an Selbstüberschätzung leiden."
"Na, dann bist du es sicher auch gewöhnt zu spuren", gab ich spöttisch zurück. Als Ann ihren strengen Gesichtsausdruck zu mir gleiten ließ, blieb ihr Blick an meinem Gesicht hängen.
"Was ist mit deiner Lippe passiert?", fragte sie mit gerunzelter Stirn.
"Nur ein bissiger Hundewelpe", winkte ich schnell ab. Ich hatte wenig Lust darauf dieses Thema mit Ann durchzukauen.
Die Falten in ihrer Stirn wurden ein wenig tiefer.
"Und wer hat dich genäht?"
"Ich."
Wie Izumi zuvor schüttelte sie nur den Kopf.
"Sonst irgendwelche Vorkommnisse?", fragte sie.
"Izumi ist soweit stabil. Die andere Frau, Motomiya-san, ist noch schwach. Ich musste ihr Morphium verabreichen. Der andere ist auf dem Weg der Besserung. Die Medikamente scheinen endlich angeschlagen zu haben."
"In Ordnung, ich schlage vor, du machst für heute Schluss. Ich übernehme die Schicht zusammen mit Fujita."
"Willkommen im Team", sagte ich mit einem höhnischen Lächeln, als ich an unserem neuen Kollegen vorbeiging.
An dieser Stelle möchte ich mich zum wiederholten Male bei _Kxtsune_ bedanken dafür, dass sie mein Geschreibsel immer nochmal auf medizinische Korrektheit prüft ♡
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