16 ♦️ Strippenzieher

Luck and intuition play the cards with Spades to start
And after (s)he′s been hooked I'll play the one that′s on her heart

Der plötzliche Wolkenbruch durchbrach abrupt die stickige Schwüle. Ein angenehmer Windzug strich durch das geöffnete Fenster herein und fuhr sanft über mein Gesicht. Schon bald jedoch prasselte der Regen so heftig auf den Asphalt, dass ich beschloss das Autofenster rasch wieder zu schließen.

Einige Fahrzeuge waren bereits von ihrer nächtlichen Tour wieder zurückgekehrt, und die meisten Menschen, die aus den Autos stiegen, versuchten eilig, vor dem einsetzenden Regenguss ins Gebäude zu flüchten. Regenschirme wurden hektisch aufgespannt und Kapuzen in Windeseile über die Köpfe gezogen.

Mein Blick wanderte unwillkürlich zu dem Wagen hinüber, der beinahe zeitgleich mit uns eingetroffen war. Aufmerksam beobachtete ich die drei Personen, die ausstiegen, unbewusst Ausschau haltend nach den dunkelbraunen Locken. Ich hatte keine plausible Erklärung dafür, aber es interessierte mich, ob sie ihr Spiel tatsächlich überlebt hatte.

Stirnband und Ueda waren bereits ausgestiegen, nur Mira saß noch immer reglos neben mir auf dem Rücksitz. Ihr intensiver Blick ruhte erneut auf mir, und ihre Augen hatten wieder diesen unheimlichen Glanz, als könnte sie sich mit ihnen direkt in mein Herz bohren.

"Es ist wirklich ein Jammer, dass unser Ausflug so schnell vorbei ist", seufzte sie schwer, und ein Hauch von Wehmut lag in ihrer süßlichen Stimme. "Es hat so viel Spaß gemacht."

"Ja, äußerst bedauerlich", gab ich knapp zurück und griff fast fluchtartig nach dem Türöffner. Der kalte Regenschauer schien beinahe verlockend angesichts der Vorstellung, noch eine Sekunde länger mit dieser Frau in einem Auto festzustecken.

Draußen auf dem Parkplatz stülpte ich notgedrungen meine Kapuze über, während meine Augen sorgfältig die Umgebung sondierten. Der starke Regen jedoch verschleierte zunehmend die Sicht und es war mir kaum noch möglich, mehr als ein paar schemenhafte Silhouetten zu erkennen, die geisterhaft in der Dunkelheit verschwanden.

Die schweren Regentropfen peitschten erbarmungslos auf mich ein. Binnen weniger Sekunden war ich bis auf die Unterwäsche durchgeweicht, weshalb ich mir schnell einen trockenen Unterschlupf unter dem Vordach des Gebäudes suchte, wo ich mich seitlich gegen eine breite Säule lehnte.

Von meiner versteckten Position aus, konnte ich unauffällig das rege Geschehen auf dem Parkplatz beobachten. Ein weiteres Fahrzeug rollte langsam heran, sein Motorengeräusch gedämpft vom Regen. Meine Augen, die sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fokussierten abwartend den dunkelblauen Kombi. Dieses Mal war ich mir trotz der schlechten Sichtverhältnisse sicher, dass es das richtige Fahrzeug war.

Vier menschliche Silhouetten stiegen nacheinander aus dem Wagen, gefolgt von einer weiteren Person, die allem Anschein nach fast aus dem Rücksitz gehievt werden musste. Sie ließ sich wehrlos nach oben zerren und klammerte sich dann fest an die Person, die ihr heraus geholfen hatte.

Ein gleißender Blitz erhellte schlagartig die Umgebung und tauchte die Szenerie in ein beinahe gespenstisches Licht. In diesem flüchtigen Moment erhaschte ich, wie Izumis Lockenmähne unter der Kapuze ihrer Jacke zum Vorschein kamen, von der ich mir sicher war, dass sie sie vorhin noch nicht getragen hatte.

Sie war also offensichtlich noch am Leben, doch ihr Zustand schien alles andere als gut zu sein. Sie wirkte schwach und abgekämpft, fast abwesend von dem, was um sie herum geschah. Selbst in dieser kurzen Zeitspanne konnte ich erkennen, dass sie wie Espenlaub zitterte.

Dicht an ihrer Seite lief der schlaksige Typ mit dem Welpenblick und hielt schützend einen Schirm über sie, während er sie mit seinem anderen Arm seitlich abstützte. Argwöhnisch beobachtete ich, wie er ihr etwas ins Ohr flüsterte und sie enger zu sich zog, während sie gemeinsam auf den Eingang des Hotels zusteuerten. Die Art und Weise, wie er sich um sie bemühte, erzeugte eine eigenartige Abneigung in mir. Womöglich lag das aber auch nur an seinem dümmlich naiven Gesichtsausdruck.

Wieso war der Kerl überhaupt in ihrem Fahrzeug gewesen, obwohl sie getrennt voneinander losgefahren waren?

Die Gruppe lief einige Meter an mir vorbei, ohne mich zu beachten, während ich versuchte ein paar ihrer Worte aufschnappen, doch ihre Stimmen wurden allesamt vom Geprassel des Regens verschluckt.

Kurz bevor sie die Drehtür erreichten, hob Izumi träge ihren Kopf und tangierte dabei unerwartet meinen Blick. In diesem kurzen Moment verlor sie sich fast in meinen Augen, ein Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte und gleichzeitig viel zu schnell vorrüber war. Trotz der Entfernung entgingen mir ihre deutlich geröteten Augenränder nicht.

Hatte sie geweint?

"Du wirst doch nicht etwa anfangen dir Sorgen um die Kleine zu machen?", erklang eine honigsüße Stimme neben mir, die unsanft meine Gedankengänge durchbrach.

Ich unterdrückte den Drang genervt aufstöhnen und wandte mich stattdessen demonstrativ von der Person ab, die zu dieser Stimme gehörte. Der Umstand, dass Mira ausgerechnet mir gegenüber von Izumi sprach, ließ mich misstrauisch die Augen verengen.

Ahnte sie womöglich etwas?

Eine innere Stimme warnte mich davor, überhaupt auf ihren Kommentar einzugehen, doch diesmal ignorierte ich sie geflissentlich.

"Sicher nicht. Ich war nur neugierig, wie viele heute zurückkehren und ob einer von ihnen möglicherweise die fehlenden Karten ergattern konnte."

"Nun, das weiß ich nicht, aber mir hat gerade ein Vöglein gezwitschert, dass es ein sehr umfangreiches Spiel gab mit einer bisher nie da gewesenen Spieleranzahl. Angeblich war es eine Herz 8."

Sie lachte geziert auf, als wäre gerade ihr größter Wunsch in Erfüllung gegangen.

Eine Herz 8 also.

Das erklärte zumindest, weshalb Izumi in diesem erbärmlichen Zustand war.

Herzspiele - ich kannte sie nur zu gut. Sie waren erbarmungslos, brutal und spielten mit den tiefsten Urängsten der Menschen. Wer auch nur einen Hauch von Mitleid für seine Mitstreiter zeigte, hatte kaum eine Chance. Vermutlich war das einer der Gründe, warum mir diese Spiele besser lagen als andere. Nicht mehr als Karo, aber definitiv mehr als Pik oder Kreuz.

Zwei Herzspiele hatte ich während meiner Zeit hier erfolgreich absolviert. Einige andere kannte ich aus Erzählungen. Ich konnte mir also grob ausmalen, was Izumi durchgemacht hatte. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie überlebt hatte, mit ihrer naiven Einstellungen die ganze Welt retten zu wollen.

"Die menschliche Psyche ist doch wirklich unglaublich faszinierend. Nach außen wirkst du immer so kalt und berechnend, aber dann rettest du plötzlich unerwartet das Leben dieser jungen Frau. Wer hätte das gedacht?", gluckste sie und hielt sich dabei geziert die Hand vor den Mund, während ich sie nur vollkommen ausdruckslos anstarrte. "Oh, keine Sorge, Chishiya. Dein kleines Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben", fügte sie mit einem verschwörerischen Funkeln in den Augen hinzu, als unsere Blicke sich kreuzten. "Von mir erfährt bestimmt niemand etwas."

Mit einem letzten unterdrückten Kichern wandte sie sich von mir ab und verschwand. Mit verbitterter Miene sah ich ihr hinterher.

Diese falsche Schlange.

Ich hatte gewusst, dass etwas im Argen lag, sobald ich erfahren hatte, dass sie in meine Gruppe eingeteilt wurde - nein - ich hatte es schon viel eher gewusst. Der Blick, den sie mir während der Ratssitzung zugeworfen hatte, hatte sie verraten. Sie plante etwas. Sie wollte mit mir spielen. In gewisser Weise tat sie es bereits. Ich glaubte kein einziges Wort aus ihrem Mund. Ihr gesamtes Verhalten war eine unterschwellige Drohung gewesen.

Ich habe dich in der Hand, denn ich kenne dein kleines Geheimnis, Chishiya.

Das war die Botschaft, die sie mir unausgesprochen übermittelt hatte. Doch wie hatte sie davon erfahren können? Als ich Izumi vor vier Tagen hierher gebracht hatte, hatte ich äußerste Vorsicht walten lassen, hatte jeden meiner Schritte genau bedacht und war sogar den Überwachungskameras ausgewichen.

Hatte sie möglicherweise unser Gespräch vor dem heutigen Spiel belauscht? Oder verfügte sie über geheime Informaten, die für sie das Geschehen im Beach auskundschafteten?

Eins stand auf jeden Fall fest: ich musste mich in Zukunft vor dieser Frau in Acht nehmen. Sie war wesentlich gefährlicher als alle Mitglieder des Rates zusammengenommen. Schon vom ersten Tag an war mir aufgefallen, wie geschickt sie Hatter um den kleinen Finger wickelte und im Hintergrund die Fäden zog. Zum Schluss war er felsenfest davon überzeugt, es wäre seine eigene Idee gewesen. Sie war eine Meisterin der Manipulation und damit eine ernstzunehmende Konkurrenz für mich. Ich musste mir gründlich überlegen, wie ich nun am besten vorgehen sollte. Noch hatte ich immerhin ein paar Tage Zeit mir etwas auszudenken, bevor meine Galgenfrist endgültig ablief.

Der Regen hatte inzwischen ein wenig nachgelassen, doch der klamme Stoff auf meiner Haut begann zunehmend unangenehmer zu werden, weshalb ich beschloss mich wieder in Bewegung zu setzen, um mein Zimmer aufzusuchen und dort ein wenig Ruhe zu finden.

Doch als ich nichtsahnend die Lobby betrat, bahnte sich bereits der nächste Tumult an. Ein hochgewachsener Kerl drängte sich rücksichtslos an mir vorbei, gefolgt von drei weiteren Männern, die ich sofort als Mitglieder des Militärtrupps erkannte. Sie stürmten direkt auf eine andere Gruppe Menschen zu, die sich am Rand der Lobby niedergelassen hatten. Eine Gruppe aus drei Menschen, die mir nur allzu bekannt waren.

"Das wirst du büßen, du kleine Schlampe", brüllte er lautstark durch die Halle und baute sich zu meiner Überraschung direkt vor dem Sessel auf, in dem Izumis zusammengesunkene Gestalt saß. Davor hockte unverkennbar Kuina, die sich jetzt ebenfalls verwundert zu den Männern umdrehte. Sofort sprang Hundewelpe dazwischen und stellte sich schützend vor sie.

"Hey, wo ist dein Problem?", knurrte dieser ihn an. Er packte den Welpen bedrohlich am T-Shirt und schüttelte ihn.

"Was mein Problem ist? Die Kleine da, hat meine Schwester ermordet. Sie ist eine Mörderin. Also geh mir gefälligst aus dem Weg, du Loser."

Er gab ihm einen kräftigen Schubser, sodass der Welpe ins Taumeln geriet, doch der rappelte sich schnell wieder auf.

"Sie kann nichts dafür, Mann. Sie hat nur versucht, ihr Leben zu retten. So wie wir alle", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Denkst du das interessiert mich? Sie ist verantwortlich für ihren Tod. Also muss sie ebenfalls sterben."

Ich legte etwas erstaunt den Kopf zur Seite. Izumi sollte tatsächlich jemanden getötet haben? Schwer vorstellbar, nach allem, was ich über sie wusste.

Der Kerl stürzte sich wie ein blutrünstiger Wolf auf den kleinen Welpen und zog plötzlich eine Schusswaffe aus seinem Gürtel hervor, um sie auf Izumi zu richten. Mit einem hörbaren Klicken löste er die Sicherung. Doch ihr Beschützer versuchte, ihn noch immer vehement zurückzudrängen, um ihm die Waffe abzunehmen.

"Lass ihn, Koto. Er hat Recht. Es ist meine Schuld. Ich sollte dafür bestraft werden", brachte Izumi mit einem leisen Schluchzen hervor. "Ich verdiene es nicht weiterzuleben."

Ihre Worte schienen den Kerl kurzzeitig aus dem Konzept zu bringen. Er hielt für einen Augenblick inne und starrte sie ungläubig an.

Verdammt, hatte sie jetzt den Verstand verloren?

"Geh beiseite. Bitte. Lass mich für meine Taten büßen", beharrte sie mit fester Stimme.

"Nein", er schüttelte verzweifelt den Kopf, ohne sich von der Stelle zu rühren. "Das lasse ich nicht zu."

Seine Tapferkeit in allen Ehren, aber der Welpe würde es mit Sicherheit nicht mal schaffen, ein frisch geborenes Katzenjunges aufzuhalten.

Seufzend vergrub ich die Hände in meinen Jackentaschen und schlenderte gemächlich zu ihnen hinüber. Als sie mich bemerkten, erntete ich von allen Seiten verwirrte Blicke. Ich wartete kurz bis ich ihre volle Aufmerksamkeit hatte.

"Sanada, nicht wahr?", fragte ich dann an den Kerl mit der erhobenen Waffe gerichtet. Er runzelte irritiert die Stirn und nickte betreten. "Ich erinnere mich an deine Schwester. Ich habe sie vor dem heutigen Spiel rein zufällig belauscht, als sie sich mit einer Freundin unterhalten hat. Was ich da gehört hab, war wirklich aufschlussreich, denn sie hat dort behauptet, dass du nach deinem letzten Spiel unerlaubterweise eine Karte einbehalten hättest. Wenn ich mich nicht irre, dann sprach sie von einer... Pik 6", erzählte ich und versuchte dabei einen betroffenen Gesichtsausdruck aufzusetzen. "Hatter wäre bestimmt nicht begeistert, wenn er davon erfahren würde."

Das Gesicht des Angesprochenen zerfiel förmlich vor Fassungslosigkeit. Entgeistert ließ er die Waffe in seiner Hand sinken.

"Was zum Kuckuck redest du da? Ich hab keine Karte", brüllte er mich jähzornig an und ich beobachtete mit Genugtuung, wie sein Gesicht sich dabei hässlich rot färbte.

Die anderen Militärmitglieder beäugten ihn nun ebenfalls skeptisch.

"Ist das wahr, Sanada?", fragte einer von ihnen.

"Natürlich nicht", widersprach er panisch, doch die anderen nahmen ihn weiter mit ihren Fragen in die Mangel, sodass ich kurz die Gelegenheit fand, meine Augen bedeutungsvoll zu Kuina wandern zu lassen.

Sie wird wissen, was zu tun ist.

Ein kaum merkliches Nicken wurde zwischen uns ausgetauscht, dann entfernte sie sich unauffällig vom Geschehen.

Die anderen waren unterdessen noch immer in eine hitzige Diskussion verwickelt.

"Dann beweise doch, dass du keine Karten hast! Lass uns alle zusammen in dein Zimmer gehen und nachsehen", schlug ein anderer jetzt vor.

"Könnt ihr gern machen, aber ich schwöre, dass ich keine Karten habe", beteuerte Sanada weiterhin.

Ein winziges Zucken schlich sich auf meine Mundwinkel.

Noch nicht.

"Schwörst du es beim Leben deiner Schwester?"

"Verdammt, ich bring dich um, du Bastard!", blaffte Sanada ihn an und ging sogleich auf ihn los. "Chishiya ist ein hinterhältiger Lügner. Ich habe nie eine einzige Karte unterschlagen."

Ich beobachtete wie jemand ihm einen kräftigen Schlag mitten ins Gesicht verpasste, der ihn ins Straucheln brachte.

"Chishiya gehört dem Rat an. Er wird sich sowas ja kaum ausdenken. Und wenn es nicht wahr ist, dann kannst du es uns ja sicherlich beweisen."

Sanada hielt immer noch entrüstet seine geschwollene Gesichtshälfte.

"Seid ihr wahnsinnig geworden?", fuhr er sie an. "Ihr könnt euch gern überall umsehen, aber ihr werdet nichts finden. Ich habe keine Geheimnisse vor dem Beach."

Wie überzeugend er doch klang. Leider hatte er das Pech, dass ich mehr Einfluss im Beach hatte als er. Wenn Kuina ihre Aufgabe zufriedenstellend erfüllte, sollte seine Leiche schon bald bei den anderen im Container verrotten.

"Das werden wir ja noch sehen. Ich habe dich schon immer für wenig vertrauenswürdig gehalten", sprach einer der Männer mit einem Hauch von Triumph in seiner Stimme, bevor er und die anderen sich allmählich aus der Lobby entfernten. Izumi und ihr Beschützer verfolgten sie fassungslos mit den Augen. Als unsere Blicke sich zum zweiten Mal begegneten, spiegelte sich Verunsicherung in ihren Augen wider.

Der junge Mann wandte sich aufrichtig besorgt zu ihr um.

"Geht es dir gut?", fragte er und griff dabei nach ihrer Hand.

Izumis Lippen brachten nur ein fahriges Lächeln zustande.

"Ja, keine Sorge. Ich fühle mich nur ausgelaugt."

Sie schien bemüht darum ihm Unbeschwertheit vorzutäuschen, doch ich erkannte ein falsches Lächeln, wenn ich es sah.

"Ist ja auch kein Wunder nach allem...", meinte er, während ich beobachtete, wie sie ihre Hand galant aus seinem Griff befreite.

Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich vor ihnen eine spöttische Verbeugung andeutete, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete. Izumi starrte mich daraufhin perplex an.

"Gern geschehen", sagte ich betont sarkastisch und wandte mich dann ohne ein weiteres Wort von ihnen ab.

"Was für ein arroganter Wichtigtuer", knurrte der Welpe hinter mir.

Ich grinste amüsiert.

Meine Antipathie beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit.

"Weißt du wie verdammt knapp das war? Um ein Haar hätten sie mich erwischt", zischte Kuina aufgebracht, als sie neben mir auf dem Dach auftauchte. Der Schauer war inzwischen vorüber, doch das dumpfe Grollen über uns war noch deutlich zu vernehmen.

"Da du noch in einem Stück bist, scheint doch alles gut gegangen zu sein", sagte ich gelassen.

Sie nickte etwas zerknirscht und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ich hab sogar ein paar mehr Karten verteilt, um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Deppen sie auch finden."

"Sehr gut. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann."

"Denkst du nicht, es wird auffallen, dass es nur Replikate sind?", fragte sie stirnrunzelnd.

Ich schnaubte abfällig.

"Denen? Wohl kaum."

"Okay, und wozu das Ganze?"

"Was meinst du?", gab ich mich ahnungslos.

Sie rollte mit den Augen.

"Du weißt ganz genau, was ich meine, Chishiya. Dein Pokerface zieht bei mir nicht."

Ich seufzte leise.

"Sagen wir mal so: der Typ hat's verdient. Der Rest interessiert mich nicht. Einer weniger im Militär ist wohl kaum ein tragischer Verlust."

"Okay, da stimme ich dir zu, aber...", sie zögerte kurz, nahm ihren Plastikstiel aus dem Mund und starrte unangenehm berührt auf den Boden, "hast du es nicht in erster Linie getan, um Izzy zu helfen?"

Ich hielt kurz inne und ließ meinen Blick nachdenklich in die Ferne schweifen. Genau die gleiche Frage hatte ich mir kurz zuvor ebenfalls gestellt. Doch was scherte mich die junge Frau überhaupt? Ich hatte meine Schuld bei ihr längst beglichen. Es gab also keinen logischen Grund, weshalb mich ihr Schicksal weiterhin kümmern sollte.

Und doch hatte ich getan, was ich getan hatte...

"Ich denke, dass sie eventuell noch nützlich für uns sein kann", erwiderte ich nach reichlicher Bedenkzeit.

Kuina stutzte und ließ ihre Arme dann fassungslos wieder sinken, während sie mich entgeistert anstarrte.

"Nützlich? Du meinst sie soll die Richtige sein für unseren Plan?"

"Ich werde es herausfinden. Aber ja, vielleicht ist sie genau das, wonach wir die ganze Zeit gesucht haben", antwortete ich vage.

Selbst ohne in ihr Gesicht zu blicken, erkannte ich, was sie von meiner Aussage hielt. Als ich es dennoch tat, sah sie mich mit einem Ausdruck an, als würde sie mich gerade zum allerersten Mal klar sehen. Man konnte ihr ansehen, dass sie das, was sie wirklich sagen wollte, herunter schluckte.

"Also, ich weiß ja nicht...", sagte sie schließlich zögerlich.

"Lass das mal meine Sorge sein, Kuina."

Sie stöhnte.

"Mach doch, was du willst, aber ich werde jetzt wieder nach unten gehen, um ihr meine Hilfe anzubieten. Dieses Spiel muss grausam gewesen sein. Eine Herz 8. Ich will es mir nicht mal vorstellen. Nacht, Chishiya", mit diesem letzten schnippischen Satz wandte sie sich um und brauste davon.

Jetzt wusste ich immerhin wieder, warum ich es generell vorzog, alleine zu arbeiten. Andererseits hätte ich es ohne sie nicht geschafft, die Karten in Sanadas Zimmer zu schmuggeln. Wenn sie wollte, konnte sie sich lautlos wie ein Ninja fortbewegen und das ohne eine Spur zu hinterlassen, was sie zur perfekten Komplizin für ein Verbrechen machte. Schon alleine deshalb sollte ich mir Kuina nicht zur Feindin machen.

Obwohl meine Antwort bezüglich Izumi vor allem Kuinas Neugier beschwichtigen sollte, musste ich zugeben, dass die junge Frau mit den Locken sich vielleicht tatsächlich als nützlich für unseren Plan erweisen könnte. Doch bevor ich das sicher wusste, musste ich ihr zuerst genauer auf den Zahn fühlen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top