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PoV. Chan
Ich brauche einen anderen Kugelschreiber, weil mein Jetziger bedauerlicherweise keine Tinte mehr enthält. Nun denn, ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass ich einen in meiner alten Federmappe für die Schule finde. Das sind noch Zeiten gewesen, als ich zur Schule gegangen bin. Ganz schlimme Zeiten, an welche ich nicht erinnert werden will. Zum Glück wird jetzt bald alles vorbei sein. Ich verfasse nur noch zwei Abschiedsbriefe. Einen lasse ich auf meinen Schreibtisch liegen und den anderen werde ich Changbin geben. Ihm werde ich dann dazu beauftragen, Felix diesen Brief zu überreichen. Zwei Abschiedsbriefe müssen geschrieben werden und dann werde ich mir endgültig das Leben nehmen. Ein für alle Mal kann dieses Leid ein Ende nehmen und ich kann nicht mehr aufhören, vor Freude zu weinen, da ich weiß, dass ich nicht mehr so lange warten muss.
Gerade bin ich dabei, den Brief für dieses Heim zu verfassen. Der Brief an Felix ist schon fertig und diesen habe ich erstmal versteckt, da ich beide Briefe erst morgen für meinen Plan brauchen werde. Was ich mit dem restlichen Tag machen werde, weiß ich noch nicht.
Hallo an alle,
die in diesem Heim wohnen und/oder arbeiten,
hier ist Bang Chan. Ich muss zugeben, dass ich euch die Zeiten hier mit meinen Problemen erschwert habe, doch ich garantiere euch, dass ich euch nicht weiter quälen werde. In den ganzen Jahren ist so viel passiert. Ich habe mich gesammelt und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich es noch weitere Jährchen nicht mehr weiter aushalten werde. Felix, die Person mit der ich viel Zeit letztens verbracht habe, hat mich noch die weiteren Wochen noch am Leben gehalten, sonst wäre ich schon viel früher tot gewesen. Von euch habe ich Dinge gehört wie, dass Felix mir guttut, was auch stimmt. Und genau deswegen verdiene ich ihn nicht. Außerdem kann er mich einfach nicht mehr am Leben halten. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem es einfach nur noch ein Wunder wäre, wenn ich den morgigen Tag noch erleben würde.
Mir ging es niemals wirklich gut. Nur ganz kurz, als ich mit Felix Zeit verbracht habe, doch das wars dann auch. Ich habe es Satt, in einer Gesellschaft zu leben, in welcher man mich verachtet. Die Schüler auf der alten Schule haben mich gemobbt und sogar verprügelt. Mein Vater hat mich missbraucht und die einzige Person, die ich früher geliebt habe - meine mutter - hat sich das Leben genommen. Ihr schränkt mich stark ein, nur weil ich eine Geschichte habe. Ich kann mit allem zusammen nicht mehr Leben. Ich kann mit diesem Leid nicht mehr umgehen und ich wünsche mir umso mehr, mir mein Leben einfach zu nehmen. Ich verdiene es nicht anders und deswegen werde ich es auch tun. Ganz gleich, ob ihr dies wollt oder eben nicht. Es gibt kein Zurück mehr, denn ich sehe keinen Sinn mehr in meinem Leben, wenn man mir kein schönes Leben bietet.
Vielleicht werden die Menschen nach meinem Tod merken, was sie falsch gemacht haben. Hoffentlich werden sich nach meinem Tod wenigstens die Menschen besser, welche mir Leid zugefügt haben. Das Wichtigste ist doch, aus seinen Fehlern zu lernen, nicht wahr? Mein größer Fehler war, noch länger am Leben zu bleiben, als geplant war, doch das werde ich ändern. Ab morgen werdet ihr alle eure Ruhe haben. Bitte haltet mich auch nicht auf. Ihr würdet auch nicht bei einem Menschen, der schwerkrank ist und im Sterben liegt, versuchen, diese am Leben zu halten, obwohl diese Person keine Chancen zum überleben mehr hat. Mit diesen Worten sage ich: Lebe wohl!
Bang Chan
Ich stecke den Brief ein und wische mir meine letzten Tränen aus dem Gesicht. Ich seufze erleichtert aus, da ich die Abschiedsbriefe jetzt fertig verfasst habe. Jetzt heißt es nur noch, diese dort zu lassen, wo sie hingehören und dann nehme ich mir das Leben. Diesmal wird der Plan funktionieren und dabei wird sich wirklich nichts in den Weg stellen! Ich setze mich auf mein Bett und anschließend lasse ich mich auf dieses fallen. Ein weiteres, erleichtertes Seufzen erklingt aus meinem Mund. Ich kann es nicht glauben, dass ich es gemacht habe. Und ebenso glaube ich nicht, dass ich es noch machen werde. Bald wird alles ein Ende nehmen.
,,Chan?" ruft plötzlich eine bekannte Stimme und ich nehme ein lautes Klopfen an der Tür wahr. ,,Was ist?" von mir ganz knapp, ehe die Person den Raum betritt und mich erwartungsvoll anschaut. Es handelt sich bei der Person um Felix, was mich ein wenig wundert. ,,Hey.. was machst du hier?" frage ich ein wenig verwundert, da ich mit Felix' Besuch nicht gerechnet hätte. Ich bin davon ausgegangen, dass unser letztes Treffen bereits stattgefunden hat. Nichts desto trotz tut es noch ganz gut, Felix noch ein letztes Mal zu Gesicht zu bekommen.
,,Chan.. wir müssen ganz dringend reden.." wird Felix los und schließt darauf folgend die Tür hinter sich. Er kommt mir immer näher und setzt sich zu mir auf mein Bett. Weiterhin schaut er mich mit diesen erwartungsvollen und vor allem stark funkelnden Augen an. ,,Worüber denn?" will ich wissen und plötzlich greift der Rosahaarige nach meinen beiden Händen, welche er darauf folgend mit seinen eigenen verschränkt.
,,Du.. Chan.. Hyung.. ich habe die letzten Tage viel über uns nachgedacht und es gibt einfach etwas, was ich unbedingt loswerden will." kommt aus Felix' Mund und nun bekomme ich langsam Angst. Will er unsere Freundschaft abbrechen? Wenn dies der Fall sein sollte.. wieso habe ich dann Angst? Ich will mich sowieso noch umbringen. ,,Worüber denn?" wiederhole ich mich, da ich langsam ungeduldig werde. Plötzlich kommt mir Felix extrem nah, sodass unsere Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind.
,,Naja.. da ich es schwer in Worte fassen kann, deswegen will ich es dir irgendwie anders zeigen. Ist das okay für dich?" fragt mich Felix plötzlich, doch verstehe gerade gar nicht, was er meint. Deswegen gebe ich nur ein leise gemurmeltes ,,Okay?" von mir. Auf einmal liegen seine Lippen auf meinen, wodurch meine Augen komplett weiten. Passiert das gerade wirklich? Küsst mich Felix? Und wieso verliere ich die Kontrolle über meinen Körper. Ich erwidere den Kuss plötzlich, da ich diesen Jungen liebe und ich ihm schon immer zeigen wollte, wie sehr ich ihn mag. So ein Abschiedskuss ist doch was ganz Gutes, ehe ich von der Erdoberfläche verschwinde.
Nun schließen sich meine Augen ebenso und versuche, mich beim Küssen zu entspannen. Seine Lippen sind genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe: So sanft und süß. Wie will man diese Lippen nicht küssen wollen, denn diese sind einfach nur wunderschön. Und jetzt habe ich auch die Bestätigung.
Wir lösen uns irgendwann von den Kuss und erneut realisiere ich, was eigentlich passiert ist. Nebenbei stelle ich fest, dass etwas passiert, was nicht passieren hätte sollen. Erstens wollte ich Felix nicht mehr sehen und zweitens ist dieser Kuss unerwartet gekommen. ,,Es tut mir Leid Chan.. ich.. ich wusste sonst nicht, wie ich dir meine Liebe für dich zeigen.. ich mag dich wirklich sehr." nuschelt Felix vor sich hin und lässt anschließend seinen Kopf hängen.
Hat er das wirklich sagt? Liebt er mich? Zwar hat er das recht indirekt gesagt und trotzdem konnte ich ganz gut vermitteln, was er mir beichten wollte. Und ich muss zugeben, dass diese Beichte ganz unpassend kommt. Jetzt so, bevor ich mir das Leben nehmen wollte.
,,Wie? Und wieso?" frage ich ein wenig skeptisch. Ich will ihm nicht sagen, dass ich seine Gefühle erwidere, weil ich weiß, dass ich ihm nicht guttun würde. Ich wäre ein schlechter Freund und jetzt hat sich umso mehr bestätigt, dass ich sterben muss. Felix muss mich vergessen und anschließend mit jemanden zusammenkommen, welcher ihn mehr verdient als ich.
,,Wie? Also... naja.. wenn man mit einem Menschen viel Zeit verbringt, dann kann sich möglicherweise in einem etwas Entwickeln. Gefühle oder so. Und ich habe mich in dich verliebt, was mich gar nicht wundert: Du bist ein wundervoller und liebevoller Mensch. Zudem hast du mich von Anfang an so akzeptiert, wie ich bin. Du hast nicht nur hingenommen, dass ich Genderfluid bin, sondern unterstützt mich dabei. Du tust auch mehr für mich, als es andere tuen und deswegen bin ich dir mehr als dankbar dafür, dass es dich gibt. Du bist das Beste, was mir je passiert ist und deswegen würde ich dir am liebsten meine ganze Liebe geben." Ich bin jetzt umso unentschlossener. Was soll ich tun? Felix hat ernsthaft Gefühle für mich.
Ich kann nicht einschätzen, wie stark seine Gefühle sind, allerdings muss er diese schnell loswerden, sonst wird es ihm immer schlechter gehen.
,,Seit wie lange ist das denn so?" frage ich ihn aus Interesse. Ich brauche definitiv mehr Informationen, um die Situation besser einschätzen zu können. ,,Ich glaube, beim ersten Treffen direkt, als ich dir das Leben gerettet habe. Als ich dir in die Augen gesehen habe, war ich mir sicher, dass ich dich beschützen muss." erklärt mir Felix und langsam werde ich immer unsicherer darüber, ob ich mich umbringen soll oder ob ich glücklich mit Felix zusammenkommen kann? Aber wenn wir schlussendlich ein Paar wären... wären meine Probleme automatisch weg? Nein! Felix kann mir meine Probleme nicht beseitigen oder sie nur ausblenden, obwohl er der wichtigste Person in meinem Leben ist.
Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass mich nichts mehr retten kann... ich zweifele jetzt wieder daran, dass der Selbstmord die optionale Lösung wäre. Ich habe Angst, dass Felix dasselbe Schicksal ergeht wie mir mit meiner Mutter. Das war der erste, richtiger Auslöser und ab da ist es Bergab gegangen.
Ich bin mir immer unsicherer darüber, was jetzt der idealere Weg für uns beide wäre. Deswegen brauche ich wieder eine Nacht, um über alles nachzudenken. Und dabei bin ich mir so sicher gewesen, mich umzubringen, damit das ganze Leid ein Ende hat. Doch jetzt kommen Felix' Gefühle dazu, die mich aus dem Konzept bringen. Was soll ich machen?
,,Wow.. Felix.." nuschele ich vor mich hin. Ich denke ein wenig über die Worte meines Gegenübers nach, ehe ich ihm einfach mitteile: ,,Du.. das ist mir grade ein wenig zu viel gewesen, da ich grade ziemlich viel im Kopf habe. Erlaubst du mir, diese Nacht zum Nachdenken zu geben. Dann kriegt du morgen auch deine Antwort. Die Antwort wird zu dir kommen, also bleibe morgen besser zu Hause. Also... klingt das nach einem Plan?"
,,Ja, natürlich! Es tut mir Leid, Hyung. Dies war wahrscheinlich ein wenig zu viel für dich, was ich vollkommen erstehen kann, aber mache dir keine Sorgen drum. Ich gebe dir zu viel Zeit zum Nachdenken, wie du brauchst. Ich versuche jetzt auch nicht, dich zu treffen. Also.. wenn du dann deine Antwort geben willst: Du weißt, wo du mich findest. Ich gehe nirgendwo hin. Soll ich dich jetzt auch in Ruhe lassen? Dann würde ich mich wieder auf dem nach Hause machen, Hyung?" redet Felix vor sich hin, ehe ich ihm folgende Antwort gebe: ,,Ja bitte. Ich gebe dir, so schnell es nur geht, eine Antwort dazu. Ich danke dir, für dein Verständnis, Lix. Hab dich lieb.. vergiss das nicht ja?"
,,Ich habe dich auch lieb, Chan. Bis dann!" von Felix, ehe er mit einem sanften Lächeln im Gesicht das Zimmer verlässt und ich ihn irgendwann draußen auf dem Weg nach Hause sehe. Ich seufze traurig. Lebe wohl, Felix! Oder? Nein... ich kann mir doch nach diesem Gespräch nicht das Leben nehmen. Felix Worte sind eine Einladung zu einem besseren Leben, welche ich eigentlich annehmen sollte, oder?
Ich stehe auf und hole den Abschiedsbrief von Felix raus, welchen ich mit ins Badezimmer nehme, um ihn auf mein Waschbecken zu legen. Anschließend krame ich mein Feuerzeug aus meiner rosafarbigen Strickjacke heraus. Da ist anzumerken, dass ich diesen Strickpullover immer trage, seitdem mir Felix diesen gekauft hat. Ich weiß nicht wieso, doch durch diesen fühle ich mich wirklich wohler. Es fühlt sich an, als wäre Felix immer bei mir. Nun denn, ich zünde den Abschiedsbrief an, da er inzwischen nicht mehr aktuell ist.
Ich beobachte den brennenden Briefumschlag mit den ganzen, tiefgründigen Worten drinnen, welcher immer mehr durch die immer größer werdende Flamme vernichtet wird. Ich bin am verzweifeln. Was soll ich jetzt tun? Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass dies eine ganz lange Nacht wird.
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