10

PoV. Chan

TW// Selbstverletzung (mit detaillierten Beschreibungen), Suizidgedanken, indirekte Erwähnung von Esstörungen

Als ich auf mein Zimmer gerannt bin, habe ich schlagartig die Tür zugeknallt und darauf folgend mich in meinem kleinen und vor allem ziemlich ranzigen Zimmer eingeschlossen. Egal, wie sehr ich dieses Zimmer hasse, ich habe keine Lust mehr auf meine Betreuer, denn sie gehen mir tierisch auf die Nerven. Außerdem bin ich noch nie in meinem ganzen Leben so stark unter Druck gesetzt worden, wie jetzt heute beim Abendessen. Schrecklich, wie sie immer einen zu zwingen müssen, etwas zu essen, obwohl man das psychisch gar nicht mehr schafft.

Ich halte es dort nicht mehr aus, sie setzen mich nur unter Druck und zwingen mich zu Dingen, die ich nicht möchte. Dabei habe ich gehofft, dass sie mir helfen. Vielleicht haben sie einfach nur eingesehen, dass ich einfach ein hoffnungsloser Fall bin, der nicht mehr zu retten ist.

Es ist besser so, dass ich mich und einschließe, denn so kann mich jeder in Ruhe lassen. Das Abendessen war heute schlimm. Sie haben mich dazu gezwungen, das Doppelte zu mir zu nehmen, wie sie sonst so zu mir nehme. Ich habe es nicht mal geschafft, meine eigene Portion zu essen, und dann erwarten Sie, dass ich mehr als sonst verschlinge. Sie denken auch echt, dass sie mir helfen können, wenn sie mich jetzt so zwingen, das Doppelte zu mir zu nehmen, wie ich sonst zu mir nehme. Sie können mich mal.

Ich bin frustriert. Ich bin genervt von dem ganzen. Ich will nur noch von der Erdoberfläche verschwinden. Wieso kann ich mich einfach das Leben nehmen? Felix, wieso willst du mich so lange am Leben halten? Ich habe es nicht verdient zu leben. Ich leide schon seit meiner Geburt. Das leben will mich ja gar nicht haben. Es will mich loswerden und genau deswegen will ich seinen Wunsch erfüllen.

Aber da ich mich gerade sehr schlecht umbringen kann, weil mich Felix durchgängig in Schutz nimmt, habe ich keine andere Wahl, als mir selbst leid zuzufügen. Zwar kann ich jetzt nicht sterben, allerdings kann ich mich weiterhin selbstverletzen. Ich will mich gerade so gerne ritzen. Und genau das werde ich jetzt auch tuen.

Mein ganzes Zimmer suche ich nach der Klinge ab, bis ich es in meiner Nachttisch Schublade finde. Ich hole sie heraus und geh mit dieser in mein eigenes Badezimmer, um meinem Waschbecken einen frischen, roten Anstrich zu verpassen. Ich schaue mich im Spiegel an und realisiere, was für eine Missgeburt ich eigentlich bin. Wie kann der nur Felix mit mir befreundet sein wollen? Ich bin nichts weiter als ein Absturzkind, welches nichts in seinem Leben erreicht hat. Ich gehe nicht mehr zur Schule, denn ich schwänze durchgängig. Ich rauche. Ich trinke. Und ab und zu ziehe ich an einen Joint, um mich zu entspannen. Ich tue mir selber vieles an und denke durchgängig daran, mich umzubringen.

Ich krempele meinen Ärmel aus, damit ich meine wunderbaren Narben betrachten kann, die mich an die unschönsten Zeiten erinnern. Erst vor drei Jahren habe ich richtig damit angefangen, mir Schaden auf dieser Art und Weise zuzufügen, weil ich mich erst mal nicht getraut habe. Allerdings traue ich mich noch weniger dazu, mich eines Tages umzubringen, obwohl ich es diesmal geschafft hätte, wenn es nicht Felix gewesen wäre. Wie lange würde es dauern, bis ich wieder den ganzen Mut dazu habe, von der Brücke zu springen?

Ich fange an. Einmal gehe ich sanft mit der Klinge über meine sehr empfindliche Haut, wodurch ich mir einen Kratzer hinzufüge. Ich gehe es langsam an, da es zwei Wochen her ist, als ich mir das letzte Mal paar Schnitte zugefügt habe. Wird ja mal langsam Zeit, dass ich mir neue Kratzer zufüge.

Nun traue ich mich, mir tiefer in meine Haut reinzuschneiden, wodurch sich eine andere Schicht erreiche. Diese Stille fängt an zu bluten. Das ganze Blut betrachte ich mit mein glasigen Augen, wobei ich feststelle, dass dies weniger wehtut, als ich mir gedacht habe. Auch wenn es schon zwei Wochen her ist, als ich mich das letzte Mal verletzt habe, scheint es so, als würde ich mich an diese Schmerzen gewöhnen, bis ich eines Tages nichts mehr spüre. Also, bis ich eines Tages das Gefühl habe, komplett gestorben zu sein. Für mich ist Leid zu fügen auch eine Art Methode, durch welche ich auch recht schnell sterben kann, wenn ich es richtig mache.

Allerdings kann ich das nicht machen, weil Felix im Weg steht. Irgendwie hält mich der kleine, sommersprossige Australier am Leben, wie auch immer er das schafft.

Die nächsten Schnitte füge ich mir zu. Wie gut sich dieser Schmerz anfühlt. Dieser gib mir das Gefühl von Lebendigkeit, obwohl ich eigentlich das Gegenteil möchte. Das hilft mir wirklich, etwas zu spüren, immerhin nimmt mir das Leben ziemlich viel Kraft weg. Ich fühle mich schwach und die ganzen Schnitte zeigen mir, dass ich doch noch etwas spüre oder noch zu etwas Kraft habe. Das ist noch das letzte, was ich noch auf eigene Hand ausführen könnte. Für alles andere wäre nicht zu schwach und da würde sich mehr lohnen, von der Brücke zu springen.

Ich mache weiter und ich kriege meine Tränen nicht mehr unter Kontrolle. Es werden immer mehr, da mir das Leben nur noch schadet. Am liebsten will ich alles beenden und aufgeben. Wieso versteht das Felix nicht? Wenn ich verschwinde, dann geht es so vielen Menschen besser. So viele Menschen ersparen sich den Stress, auf mich aufzupassen und ich könnte meine Mutter wiedersehen. Es gibt mehr Vorteile dafür, sich umzubringen, als Vorteile, noch am Leben zu bleiben.

Und irgendwann ist mein Arm wieder voller neuer Kratzer, aus denen eine Menge Blut raus läuft. Ein Glück, dass ich von meinem Waschbecken bin, denn jetzt muss ich die Gelegenheit nutzen, das Blut von meinen Arm auszuspülen, ehe ich ein Verband um meinen verunstalteten Arm binde.

Nachdem ich auch das restliche Blut weg gespült habe, lehne ich mich mit meinen Händen an das Waschbecken, ehe sich in meinen Augen weitere Tränen bilden und diese über meine Wangen rollen. Ich halte es nicht mehr aus. Ich wünschte, dass ich das alles jetzt beenden könnte, vor mir sehe ich nichts mehr, ich habe keine Zukunft vor mir liegen. Ich werde niemals so zukunftsorientiert sein können wie es Felix ist.

Wenn ich nicht sterben kann, dann quäle ich mich weiter, weil ich es nicht anders verdiene. Ein glückliches Leben verdiene ich nicht. Ich verdiene es zu leiden. So wollte es doch mein Leben, nicht wahr?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top