02
PoV. Felix
//TW: Suizidversuch
Wie sonst immer jogge ich ein wenig in unserem Viertel. Die Leute hier kennen mich als den fröhlichen Jungen, der hier immer joggt. Fit sein ist einer meiner Top Prioritäten und auch heute lasse ich es nicht aus, obwohl mich die eine Sache von gestern ziemlich beschäftigt.
Ich weiß noch nicht einmal den Namen dieses Jungen. Er weiß meinen Namen, aber ich habe gar nicht nach seinem gefragt, weil ich mir viel zu starke Sorgen um ihn gemacht habe. Jetzt habe ich Angst, dass es schlechte Auswirkungen auf ihn hat, weil ich ihn nicht gefragt habe. Wieso? Es kann womöglich sein, dass er sich aufgrund dessen unwichtig fühlt und alles nur noch schlimmer wird. Mensch Felix, was kannst du eigentlich?
Ich jogge immer weiter, bis ich an einem Ort ankomme, der mir ziemlich bekannt vorkommt. Hier bin auch gestern gewesen und es ist kein anderer Ort als die Brücke, auf der ich diesen Jungen gesehen und aufgehalten habe. Ich fühle mich schon gleich wie ein besserer Mensch, weil ich eine gute Tat vollbracht habe, weil mir der Wohl anderer Menschen extremst wichtig ist. An dem Moment habe ich den Drang dazu gehabt, sein wertvolles Leben zu retten, weil er genauso wie alle anderen das Recht dazu hat, die Möglichkeit zu haben, die nahezu unendliche Menge an Luft einzuatmen, die uns das Gefühl von Lebendigkeit gibt.
Jeder Mensch, der auf die Idee kommt, sich umzubringen, muss eine Geschichte dahinter haben. Kein Seele würde sich grundlos das Leben nehmen. Da bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Ich wünsche mir, dass ich diesem Jungen eines Tages noch einmal begegne und er mir von seiner Geschichte erzählt. Okay, es ist etwas daneben, ihn über den Grund seiner Suizidgedanken auszufragen. Lieber will ich ihn kennenlernen. Etwas sagt mir, dass ich diesen Jungen wirklich gerne wiedersehen will.
Ich lehne mich an das Gelände, allerdings versuche ich mich möglichst gut festzuhalten. Zwar kann ich nicht runterfallen, da ich klein bin, aber starke Höhenangst habe ich schon und dann können Bilder kommen, die ich nicht in meinem Kopf haben will. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich großen Respekt vor dieser Brücke habe, da diese fürchterlich tief ist und wenn du da einmal runterfällst, dann bist du zu tausend Prozent tot. Der starke Prall auf den Boden, wenn man erstmal in die starke Tiefe fällt, sieht etwa so aus: Man könnte es damit vergleichen, dass ein Mensch schlagartig explodiert und nur noch Organe, Blut und Gedärme übrig bleiben. Man ist kompletter Matsch und das ist wirklich ein Bild, welches niemand zu Gesicht bekommen will. Es ist so schlimm, dass man diesen Menschen einfach nicht mehr identifizieren kann.
Ich habe wirklich starken Respekt. Niemals könnte ich mir das Leben nehmen, denn... ich habe wirklich sehr starken Angst vor dem Tod und außerdem ist mir das Leben viel zu wertvoll. Gott hat mir dieses Leben gegeben und dieses will ich einfach glücklich ausleben. Dabei will ich anderen Menschen so gut es geht helfen. Bei diesen Gedanken kommt mir immer wieder dieser Junge in den Sinn.
Vom Alter her hätte ich gesagt, dass er älter ist, trotzdem sind wir etwa gleich groß. Er trägt nur schwarz und er scheint, keinen großen Wert auf sein Aussehen zu legen. Kann möglicherweise daran liegen, dass er sich umbringen wollte. Seine Haare habe ich besonders schön an ihm gefunden, denn diese sind tiefschwarz und gewellt gewesen. Ich kann mich noch haargenau an diesen Jungen erinnern und er ist wirklich wunderschön. Auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne, ist es wirklich schade, dass ausgerechnet ein so wunderschöner Mensch sich das Leben nehmen will. In ihm habe ich das Gute gesehen.
Ich blicke in die weite Ferne und frage mich, wohin die ganzen Menschen kommen, die sich das Leben nehmen. Suizid an sich ist eine Sünde. Würden sie in die Hölle kommen? Ich allerdings hoffe so sehr, in den Himmel zu kommen, wenn ich eines Tages diesen Zeitpunkt erreicht habe. Wenn mich Gott zu sich holt, dann bin im Himmel. Ich habe viele guten Taten vollbracht und ich werde auch weiter so machen.
Schon wieder bin ich so sehr in Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass jemand auf mich zugegangen ist. Und diese eine Person, die auf mich zugegangen ist, isr nicht nur irgendwer gewesen. Es ist niemand anders als der Junge, wessen Leben ich gestern gerettet habe. Ich drehe mich hastig zu ihm um und er wird immer langsamer. Ich weiß nicht, was jetzt passieren wird. Bitte komme nicht auf die Idee, dich wieder umbringen zu wollen.
„Felix.... als hättest du nur auf mich gewartet." nuschelt er und klingt bei der Äußerung ziemlich zerbrechlich und fertig mit der Welt. Ich schaue ihn an und überlege einfach, ob ich ihn einfach in meine Arme nehmen soll oder einfach direkt ein Gespräch anfangen soll? Schlussendlich entscheide ich mich für das Gespräch.
„Das ist ein Zufall. Ich bin jetzt eigentlich hier, weil ich Joggen gewesen bin und ich hier nur Pause gemacht habe." erkläre ich ihm einfach und schaute ihn ein wenig bemitleidend an. Er wirkt so kaputt. In seinem Augen kann ich sehen, dass er sich danach sehnt, sein Leben schnellstmöglich zu beenden. Das tut meinem Herzen wirklich weh, ihn so sehen zu müssen.
"Also bist du gar nicht gekommen, um mich aufzuhalten? Umso besser, denn mich braucht keiner." behauptet er, ehe er plötzlich auf das Gelände zurennt und sich extremst nervös an diesem festhält. „Ich will endlich sterben!" wünscht er sich, doch ich kann nicht zulassen, dass er sich etwas tut. Ich renne ihn hinterher und halte ihn dann von hinten fest, indem ich meine Arme um ihn schlinge. Ich habe wirklich Angst, dass ich ihn sterben lasse. Nein, das kann ich nicht tun...
„Was machst du da Felix? Kannst du mich nicht einfach von der Brücke stürzen lassen?" fragt er ziemlich ernst und irgendwie macht es mich froh, dass er sich meinen Namen gemerkt hat. Okay Felix, du musst am Ball bleiben. Zugleich macht es mich auch traurig, dass er dieses Verlangen hat, wirklich alles aufzugeben. Ich will nicht, dass er sich so etwas wünscht und aus diesem Grund teile ich ihm mit: „Wieso ich dich nicht von der Brücke stürzen lasse? Ich glaube, ich muss mich wiederholen, nicht wahr? Hmm.. dein Leben ist wirklich was Wertvolles und ein toller Mensch wie du verdient es, zu leben."
„Wie kannst du solche Worte von dir geben, wenn du mich kein Stück kennst?" hinterfragt er, während ich mich langsam von ihm löse. Nichts desto trotz passe ich auf, dass er nicht auf dumme Gedanken kommt. Ich habe nur gemerkt, dass er absolut kein Fan von Berührungen ist. „Ich muss dich nicht wirklich dafür kennen.. mir reicht es nur, in deine Augen zu sehen..." äußere ich einfach und starre auf seinen Rücken.
Plötzlich dreht er sich um und sein Gesichtsausdruck zeigt mir, dass er anfangen will zu weinen. „In meine Augen? Du willst mir damit sagen, dass ich mit meinen verheulten Augen aussehe, als hätte ich eine unschuldige Seele? Das ist wirklich sehr naiv von dir." behauptet er, während er in der Zwischenzeit immer lauter am schluchzen ist. Ich muss es ihm erklären, damit er versteht, was ich damit meine. Das verstehen immer alle falsch.
Einmal hole ich ganz tief Luft und jetzt bin ich bereit, ihn darüber aufzuklären: „Du bist keine unschuldige Seele mehr, aber du bist es gewesen... es hat Menschen oder Situationen gegeben, die dich verändert haben. Deine Seele wurde von bösen Menschen unrein gemacht, obwohl du dies nicht wolltest. Du sehntest dich nach einem besseren Leben, doch du hast zugleich immer gedacht, dass dein Leben dies nicht zulässt. Ich kann nicht vorhersagen, was passiert ist, aber es ist etwas passiert, sonst wärst du nicht noch einmal hier, um dich umzubringen-"
Eine kurze Verschnaufpause, bevor ich weiterreden kann. Dabei versuche ich, meine Tränen möglichst gut zurückzuhalten.
„-Ich meine.. ich habe dich gestern aufgehalten und trotzdem bist du nochmal hier. Es muss wirklich schreckliches in deinem Leben passiert sein, dass du dich so stark danach sehnst, dein Leben schnellstmöglich zu beenden."
„Du hast vollkommen recht..." gibt Chan zu, der sich heulend zusammenbrechend auf die Knien fallen lässt. Ich kann nicht anders als auf ihn zuzugeben, um ihn in die Arme zu nehmen. So sehr will ich ihm einfach trösten und ihm sagen, dass er allein deswegen wundervoll ist. Er hat es mir nicht direkt gesagt, aber er hat bestätigt, dass es stimmt, was ich denke. Ich will bedingungslos für diesen Jungen da sein.
„Schon okay..!" sage ich einfach und lege einen Arm um ihn. Ich muss mir etwas überlegen. Was kann ich tun, um ihn zu beruhigen? Auf jeden Fall muss ich ihn von der Brücke weglocken. Nur wie? Vielleicht biete ich ihm einfach an, etwas mit mir zu unternehmen. Scheiß auf meine Routine, das Leben eines Menschen ist mir persönlich viel wichtiger. Ganz gleich, ob ich diese Person kenne oder nicht.
Nichts desto trotz will ich ihn kennenlernen und deswegen will ich ihm vorschlagen, etwas miteinander zu unternehmen. Nur was? Am besten etwas, wodurch er sich etwas beruhigen kann.
„Du.. am besten gehen wir ganz weit weg von einer Brücke. Du könntest etwas Ablenkung gebrauchen und deswegen frage ich dich, ob wir einfach gemeinsam zu einem Café gehen, um dort einfach was zu trinken?" frage ich einfach, ohne dabei auch nur ein Stück zu zögern. Dabei schaue ich ihm in die Augen und ich stelle wiedermal fest, wie sehr dieser Junge leidet. So knallrote Augen habe ich lange nicht mehr gesehen und ich will alles dafür tun, damit in diese in der Zukunft nicht mehr so aussehen, als hätte er sich bekifft.
„Hmmm. na gut.." nuschelt er vor sich hin und schnieft einmal kurz, ehe ich ihm auf die Beine helfe. Weiterhin halte ich seine Hand fest, die erstaunlicherweise wirklich sehr groß ist. Aber kein Wunder, denn ich habe wirklich sehr kleine. „Glaub mir.. ein warmes Getränk wird dir guttun." verspreche ich ihm und gemeinsam gehen wir los. Ich ziehe ihn langsam mit und weise ihm sozusagen den Weg zum Café.
Dabei fällt mir plötzlich ein, dass ich gar nicht nach seinem Namen gefragt habe. Ich bin viel zu sehr mit seiner wertvollen Seele beschäftigt gewesen, dass ich komplett vergessen habe, nach seinem Namen zu fragen.
„Es tut mir Leid, dass diese Frage erst so spät kommt, aber.. wie heißt du eigentlich?" von mir, wobei ich ein wenig nervöser werde.
„Wie ich heiße? Bang Chan ist mein ganzer Name... Chris und Chan sind meine Spitznamen, aber bitte nenn mich Chan. Das bevorzuge ich lieber." erwähnt er und sein Blick ist die ganze Zeit nach vorne gerichtet.
Chan also... wieso finde ich diesen Namen so fesselnd? Vor allem finde ich es schön, dass er ebenso einen englischen Namen wie ich hat. Hätte er gesagt, dass es ihm egal wäre, wie ich ihn nenne, dann wäre ich bei dem englischen Namen geblieben, allerdings will mich bei ihm nicht unbeliebt machen. Eigentlich finde ich ihn so recht sympathisch und ich hoffe auch, dass ich ihn ein wenig kennenlernen kann.
Ich will gerne wissen, nach hinter diesem Jungen noch so steckt.
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