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Alec Jackson verheimlichte mir etwas, dessen war ich mir sicher. Das Gute war, dass ich am längeren Hebel saß und wenn Alec nicht den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen wollte, musste er reden.
Je früher er das tat, umso schnell konnte ich von hier weg. Was genau mich dazu geritten hatte, dem Anführer der Dark Bloods zu helfen, war mir schleierhaft. Wahrscheinlich lag es daran, dass mein Gewissen es nicht mit meinem Kopf vereinbaren konnte, einen Unschuldigen im Gefängnis zurückzulassen.
Seit meines ersten Tages als Anwalt verfolgte ich dieselbe Taktik mit meinen Klienten. Ich vertrat sie nur, wenn sie ehrlich zu mir waren. Es war ein simples Prinzip. Die Wahrheit gab mir die Chance, das Bestmögliche für sie herauszuholen und nur so wollte ich arbeiten.
Welche Taten meine Klienten begangen hatten, blendete ich für diesen Zeitraum aus. Es war meine Aufgabe, die gerechte Strafe auszuhandeln – nicht über ihre Taten zu urteilen.
Menschenkenntnis war in meinem Beruf das A und O. Wer sie nicht hatte, konnte gleich wieder einpacken.
Und genau diese Fähigkeit hatte mir klargemacht, dass Alec Jackson meinen Bruder nicht getötet hatte. Wofür auch immer dieser Mann sich schuldig fühlte, es war nicht der Mord an Ricky. Ich hatte die Wahrheit in seinen Augen gesehen und es brachte mich fast um.
Es wäre viel leichter gewesen, wenn er der Mörder gewesen wäre. So hätte ich ihn - außer bei der Urteilsverkündung in sechs Monaten - nie wieder zu Gesicht bekommen und das Thema wäre erledigt. Zumindest auf dem Papier.
Jetzt habe ich das Gefühl, ihm aus dieser Lage heraushelfen zu müssen. Denn so ungern ich es auch zugab, dieser Typ hatte etwas an sich, was ich nicht einzuordnen wusste. Es war, als ob etwas Offensichtliches direkt vor mir war und ich es nicht begriff.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich den Namen nicht mehr weiß. Es ist irgendein Schuppen, wo man sich anonym zum Vögeln treffen kann. Ich habe nicht darauf geachtet, wie der Club heißt."
Ich wusste sofort, dass Alec log. Was ich nicht wusste, war, warum er aufgrund dieser Information riskierte, sein Leben lang hier eingesperrt zu werden.
Während mein Gehirn also fieberhaft nach einem Grund dafür suchte, sah ich ihn weiterhin an. Seine Augen spiegelten immer noch dieselbe Emotion wie vorhin wider und endlich konnte ich diese Regung einordnen. Das in seinen Augen war keine Schuld. Nein, es war Scham.
Und mit einem Mal traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Alec war homosexuell.
Das musste der Grund sein, warum er den Namen des Clubs nicht nennen wollte und ebenfalls der Grund, warum es eine anonyme Bekanntschaft war.
Die Information, dass der Anführer der Dark Bloods auf Männer stand, würde seinem Ruf mit Sicherheit schaden und so, wie ich diesen Typ (und sein Ego) einschätzte, konnte er damit nicht umgehen.
Ein kribbelndes Gefühl wanderte durch meinen Körper bei der Vorstellung, dass Alec an Männern interessiert war.
Kurz wog ich meine Möglichkeiten ab, entschloss mich aber schlussendlich, es darauf anzulegen. Was hatte ich schon zu verlieren?
„Hören Sie mir gut zu, denn ich werde es nur einmal sagen: Ich gebe Ihnen hier und jetzt die Chance, mit mir zu sprechen und es wird keine zweite Chance geben. Mir ist vollkommen egal, in welcher Art von Club Sie waren. Hier geht es um meinen Bruder. Wenn Ihnen Ihre sexuelle Orientierung mehr wert ist als Ricky, dann habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen. Also, wie heißt der Club?"
Alecs Augen weiteten sich bei meinen Worten und ich wusste sofort, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Seine sonst so kühle Maske verschwand für einen Moment und ich erhaschte einen Blick auf die Angst, welche er krampfhaft zu unterdrücken versuchte.
War es wirklich so schrecklich für ihn, zuzugeben, dass er schwul war?
Ich ließ mir äußerlich nichts anmerken und wartete gespannt auf seine Antwort. Der kurze Moment seiner Verletzlichkeit war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Stattdessen war er nun noch verschlossener.
„Haben Sie etwas zum Schreiben?", kam es schließlich kalt von ihm und ich nickte.
Aus meiner Aktentasche zog ich einen leeren Notizblock hervor und legte ihn auf den kleinen Tisch, der zwischen uns stand.
Da Alecs Hände in Handschellen waren, konnte er nicht selbst schreiben. Also nahm ich einen Stift und setze ihn auf dem leeren Papier auf. Mein Blick war dabei immer noch auf Alec gerichtet.
„Monach Highway. An der Ausfahrt Riverside ist eine Tankstelle. Dort bin ich auf dem Rückweg stehengeblieben, um zu tanken. Der Typ in der Tanke hieß Fred oder so ähnlich. Hatte rote Haare und eine Brille. Er wird sich an mich erinnern und wenn nicht, dann werden es die Überwachungskameras für ihn tun."
Für einen Moment sah ich Alec einfach nur an. Meine Frage, ob er sich wirklich so sehr für seine Sexualität schämte, war damit beantwortet.
Ich schrieb die Informationen auf, die er mir soeben gegeben hatte und ließ den Notizblock wieder zurück in meine Aktentasche gleiten.
Dann ging ich zur Tür und klopfe dagegen, damit einer der Wärter sie öffnete.
Die kurze Zeit, die der Wärter dafür benötigte, nutzte ich und warf einen letzten Blick auf Alec. Dieser saß noch immer an derselben Stelle wie zuvor. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos und ich konnte nicht umhin, mich für einen kurzen Augenblick zu fragen, wie schwer es für ihn sein musste, in seiner Position ein solches Geheimnis mit sich herumzutragen.
Bevor ich allerdings zu viel darüber nachdenken konnte, wurde die Tür mit einem leichten Quietschen geöffnet. Mit einem knappen Nicken verabschiedete ich mich von meinem neuen Klienten und richtete dann meinen Blick nach vorne. Die Gänsehaut, welche sich unter seinem Blick über meinen ganzen Körper verteilte, ignorierte ich dabei so gut es ging.
***
Zwei Tage später hatte ich endlich so viel meiner Arbeit erledigt, dass ich etwas früher Schluss machen konnte. Mein Ziel war die Tankstelle, die Alec mir genannt hatte. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass er log, aber das Protokoll verlangte, dass ich seine Aussage überprüfte.
So fand ich mich keine halbe Stunde später auf eben dem großen Rastplatz wieder, welcher an der Ausfahrt Riverside lag. Die kleine Tankstelle auf der rechten Seite war so unscheinbar, dass ich sie im Vorbeifahren fast übersehen hatte.
Schließlich steuerte ich meinen Wagen auf einen Parkplatz und stellte den Motor ab.
Ein kleines, blinkendes Schild zeigte mir, dass die Tankstelle rund um die Uhr geöffnet hatte.
Ich nahm meine Sonnenbrille ab, stieg aus und atmete die trockene Abendluft von Austin ein. Trotz dessen, dass es nach neunzehn Uhr war, lag die Temperatur immer noch bei achtundzwanzig Grad, was zur Folge hatte, dass mir nach nur wenigen Schritten der Schweiß auf der Stirn stand.
Ich betrat die Tankstelle und steuerte auf den Tresen zu, an dem – wie von Alec beschrieben - ein junger Mann mit roten Haaren und Brille stand, der mich leicht misstrauisch ansah. Mir entging keinesfalls der leicht blaue Schatten unter seinem rechten Auge und die aufgeplatzte Lippe.
„Guten Tag, Sir. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?", fragte er freundlich.
Ich setzte ein höfliches Lächeln auf und stoppte vor dem Tresen. Zugegeben, mein teurer Anzug gepaart mit meiner Aktentasche, zeigte den Menschen bereits, dass ich Anwalt war.
„Mein Name ist Seth Floyd. Ich bin Anwalt und hier, weil ich Sie nach einem Mann befragen möchte, welcher angegeben hat, vor einigen Wochen hier gewesen zu sein."
Angst zeichnete sich in dem Gesicht des Rothaarigen ab. Eine Vermutung begann sich in mir aufzubauen, doch ich sagte nichts, sondern zog ein Foto von Alec aus meiner Aktentasche. Ich legte es auf den Tresen zwischen uns und beobachtete dabei genaustens seine Mimik. Diese sprach Bände, denn seine Augen weiteten sich und sein Blick huschte immerzu zwischen mir und dem Foto hin und her.
„Kennen Sie diesen Mann?"
„N – Nein, ich hab ihn noch nie zuvor gesehen", antwortete er hastig.
Meine Vermutung verstärkte sich nur noch mehr, als er begann, krampfhaft einen Punkt hinter mir zu fixieren. Offenbar war jemand vor mir hier gewesen. Dieser Jemand wollte wohl nicht, dass Alec ein Alibi bekam und das verunstaltete Gesicht des Angestellten war eine Warnung gewesen, es ja nicht zu vermasseln.
„Wirklich? Mein Klient hat angegeben, in der Nacht des zwanzigsten Juni hier getankt zu haben. Sind Sie sich sicher, dass er nicht hier war?"
Meine Stimme war immer noch höflich, doch der wissende Unterton blieb keinesfalls verborgen.
Anstatt mir eine richtige Antwort zu geben, fuhr er sich nervös durch das rote Haar und sah dann durch die große Glasfront zu seiner Rechten. Es wirkte fast so, als ob er erwartete, dort jemanden stehen zu sehen.
„Ich sehe jeden Tag dutzende von Menschen und kann mich nicht an jedes Gesicht erinnern", kam es schließlich von ihm.
Ein gekünsteltes Lächeln erschien auf meinen Zügen. Dieser Typ dachte wohl, ich wäre leicht abzuschütteln.
„Dessen bin ich mir bewusst. Da mein Klient durch seine vielen Tätowierungen und sein Gang-Logo jedoch einen besonderen Eindruck bei den meisten Menschen hinterlässt, bin ich davon ausgegangen, dass er Ihnen aufgefallen sein muss."
Die Lippen des Rothaarigen begannen zu zittern und ich spürte deutlich, dass mein Sieg nahe war – wenn ich es nur richtig anstellte.
„Hören Sie mir zu." Ich warf einen Blick auf das kleine metallene Namensschild, welches den Namen Frederik trug. „Mein Klient hat mir eine deutliche Beschreibung von Ihnen gegeben und nach allem, was ich sehe, haben Sie Überwachungskameras hier. Ich kenne Sie zwar nicht, doch Sie wirken auf mich wie ein anständiger Mann. Sollten Sie mich also belügen, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag zu stellen, um Zugriff auf Ihre Überwachungsvideos zu erhalten. Das würde nicht nur mich viel Zeit kosten, sondern auch ein großes Problem für Sie werden, falls Sie mich gerade belügen. Also, Frederik, ich frage Sie noch ein letztes Mal. Kennen Sie diesem Mann?"
Mit offenem Mund sah mich mein Gegenüber an. Er hatte anscheinend nicht erwartet, dass ich so unnachgiebig sein würde. Seinen Zwiespalt deutlich spürend, lehnte ich mich etwas über den Tresen und sagte gespielt besorgt: „Sie wollen doch sicher nicht vorbestraft werden, oder, Frederik?"
„Nein, natürlich nicht!"
„Dann würde ich Ihnen raten, mir die Wahrheit zu sagen. War dieser Mann hier in der Nacht des zwanzigsten Juni oder nicht?"
„Ja. Ja, das war er. Er kam aus Richtung der Stadt und hat hier seinen Wagen getankt."
Meine Lippen formten sich zu einem triumphierenden Lächeln.
„Ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit, Frederik. Wenn ich Sie bitten dürfte, mir Ihre Telefonnummer zu geben, damit ich Sie für diese Aussage noch mal erreichen kann?"
Erneut zögerte der Rothaarige, doch dann nahm er einen Stift und schrieb elf Ziffern auf ein loses Blatt Papier. Bevor er es sich anders überlegen konnte, nahm ich ihm den Zettel mit der Telefonnummer ab und richtete mich wieder auf.
„Wollen Sie mir sagen, wer Sie so zugerichtet hat?"
Jeder Idiot hätte diesen Zusammenhang erkannt und doch kam es mir so vor, als ob Frederik nicht damit gerechnet hätte.
Hastig schüttelte er den Kopf und ich nickte. Wenn er nicht sprechen wollte, konnte ich ihm nicht helfen. Vielleicht würde er seine Meinung ja noch ändern.
„Sollten Sie es sich anders überlegen, hier ist meine Karte. Danke für Ihre Zeit."
Ich legte ihm meine Visitenkarte auf den Tresen und schenkte ihm ein letztes, freundliches Lächeln. Dann verließ ich die Tankstelle wieder und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Auto.
Die Temperatur im Inneren des Wagens war mittlerweile bei vierzig Grad angekommen und ich griff sofort zum Knopf der Klimaanlage, um diese so kühl wie nur möglich einzustellen.
Dann erweckte ich den Motor zum Leben und fuhr vom Parkplatz in Richtung des Highways.
Alec hatte also nicht gelogen.
Ich hatte nun die Information in der Hand, die darüber entschied, ob sich einer der gefürchtetsten Gangster erneut auf Austins Straßen rumtreiben würde oder nicht.
Die Frage war nur, würde ich sie nutzen oder nicht?
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