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„Hände durch das Loch und stillstehen, Jackson!", ertönte die Stimme des Wärters und ich tat, wie mir geheißen. Ich hatte keine Lust auf noch mehr Probleme, weil ich den Befehlen eines Wärters nicht gefolgt war.
Nachdem die Handschellen eng um meine Knöchel geschnallt worden waren, trat ich von der Tür zurück. Diese wurde kurz darauf geöffnet und drei Wärter traten in mein Blickfeld. Zwei der drei sahen so aus, als ob sie Schiss hätten, dass ich sie jeden Moment anfallen würde.
Der Größte von ihnen, welcher auch gleichzeitig der Jüngste zu sein schien, wirkte am entspanntesten. Ob es an seiner Unerfahrenheit lag oder ob er einfach auf cool machen wollte, wusste ich nicht. Im Grunde war es mir auch egal. Der mittlere Wärter, welcher auch derjenige gewesen war, der ihm in den vergangenen zwei Tagen das Essen gebracht hatte, sah gelangweilt aus.
„Vortreten!"
Ohne zu zögern, trat ich vor und wurde sofort an meinen Handschellen gepackt.
Das kalte Metall schnitt mir in die Knöchel, doch ich biss die Zähne zusammen und ging schweigend neben den Wärtern her. Laute Schreie von den anderen Gefangenen hallten in dem langen Korridor wider, während ich an den Zellen vorbeiging.
Dieser Ort war die reinste Irrenanstalt.
Ein lautes Geräusch ertönte, als der erste Wärter, welcher den aufgestickten Namen O'Brien auf seiner blauen Uniform trug, seinen Ausweis gegen den Scanner an der schweren Eisentür hielt.
„Wird's bald!", ertönte es hinter mir und mit einem Schlag in den Rücken wurde ich dazu getrieben, weiterzugehen. Die Zähne fest aufeinandergebissen, um ja keinen Laut von mir zu geben, ging ich durch die Tür und folgte O'Brien in einen Raum auf der rechten Seite.
Das helle Tageslicht, welches durch das Fenster kam, war fast wie ein Segen, denn seit meiner Inhaftierung hatte ich keine frische Luft mehr erhalten, geschweige denn das Tageslicht auf meiner Haut gespürt.
„Setzen! Ihr Anwalt wird gleich hier sein", kam es von O'Brien.
Ich tat, wie von mir verlangt und setzte mich, wobei die Position mit Handschellen hinter dem Rücken nicht unbedingt angenehm war.
Ich saß bereits einige Sekunden, als die Worte des Wärters zu mir durchsickerten. Hatte er mein Anwalt gesagt?
Bevor ich jedoch darüber nachdenken konnte, ob Curtis es wirklich geschafft hatte, dass Seth Floyd mich anhörte, wurde die Tür erneut geöffnet und ein Mann betrat den Raum.
Ich konnte nicht umhin, ihn von unten bis oben zu mustern.
Er musste ungefähr in meinem Alter sein, denn sein Gesicht hatte noch die jugendhaften Züge, die ich selbst durch meine Kindheit verloren hatte.
Seine Gestalt war nicht zu schlank, aber auch nicht unbedingt kräftig. Im Grunde hatte er genau an den richtigen Stellen Muskeln, die durch sein eng anliegendes, weißes Hemd und ein schwarzes Jackett verdeckt wurden. Die kurzen schwarzen Haare standen im Kontrast zu seiner nur leicht bräunlichen Haut, welche etwas heller als die von Ricky war.
Allgemein ähnelte Seth seinem Bruder äußerlich nicht wirklich. Ricky war etwas kleiner gewesen, trug die Nase gepierct und hatte fast immer zerrissene Jeans und ein verwaschenes Shirt getragen. Sein Äußeres war ihm relativ gleichgültig gewesen. Während Ricky immer einen grimmigen Ausdruck zur Schau gestellt hatte, wirkte Seth eher wie der Typ Mann, der offener für andere Menschen war.
Die braunen Augen, welche einen kühlen und resignierten Ausdruck in sich trugen, weiteten sich kurz, als er mich erblickte.
Etwas an der Art und Weise, wie er mich ansah, war anders. Es war schwer zu sagen, was in seinem Kopf vorging, aber es ärgerte mich, dass er offenbar keine Angst vor mir zu haben schien.
„Ich danke Ihnen, Gentleman. Wenn Sie mich nun mit Mr. Jackson allein lassen würden?", kam es schließlich von ihm, allerdings ohne, dass er den Blick von mir abwandte. Die Wärter nickten, warfen mir einen letzten mahnenden Blick zu und verließen nacheinander den Raum. Die Tür fiel ins Schloss und zurück blieb eine Stille, die ich nicht einschätzen konnte.
„Mr. Jackson, Sie haben genau fünf Minuten, um mir zu sagen, was Sie von mir wollen."
Die Worte hörten sich kalt und abschätzend an, was mich nicht unbedingt wunderte. Zu erwarten, er würde mir mit Höflichkeit begegnen, wäre naiv gewesen. So jedoch, zwang er mich zu handeln, was mir gar nicht gefiel.
Eine Atmosphäre erfüllte den Raum, die nahezu erdrückend wirkte, während wir uns weiterhin abschätzig ansahen.
Scheiße verdammt, ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich ihm sagen sollte!
„Ich habe Ricky nicht getötet."
Es war der erste Gedanke, der durch meinen Kopf schoss und schließlich war es auch der Grund, warum ich in Handschellen in diesem gottverdammten Zimmer saß.
Auf eine Reaktion seinerseits wartend, biss ich meine Zähne zusammen und sah ihn weiterhin an.
„Was gibt Ihnen Grund zur Annahme, dass ich Ihnen glauben würde?"
Eine simple Frage, worauf ich definitiv keine gute Antwort hatte. Ich wusste genau, wie ich auf Seth Floyd wirken musste. Allein meine Erscheinung musste Abneigung bei ihm erzeugen. Mal abgesehen von meinem Ruf und der Vermutung, dass ich der Mörder seines Bruders war.
„Verdammt, ich hab ihn nicht umgebracht. Wieso hätte ich das tun sollen? Ricky war einer meiner besten Leute! Einer von uns! Wieso sollte ich meine eigenen Leute umbringen?"
„Mein Bruder lebte in dem Glauben, bei den Dark Bloods, das gefunden zu haben, was ihm meine Eltern verweigerten. Wären meine Eltern nicht so auf äußerliche Eindrücke und ihren Ruf fixiert, hätte sich Ricky niemals den Dark Bloods angeschlossen und er wäre jetzt nicht tot. Also wiederhole ich meine Frage ein letztes Mal: Was gibt Ihnen Grund zur Annahme, dass ich Ihnen glauben würde?"
Fuck, was glaubte dieses Arschloch eigentlich, mit wem er sprach?
„Wieso sind Sie hier, wenn Sie davon überzeugt sind, dass ich der Mörder bin?"
Eine Gegenfrage war nicht die beste Idee, aber sie verschaffte mir die nötige Zeit, eine Antwort zu finden, ohne zu viel von mir selbst preiszugeben.
„Auf Wiedersehen, Mr. Jackson", war alles, was Floyd sagte, bevor er sich umdrehte und auf die Tür zuging, durch die er erst vor wenigen Minuten gekommen war.
„Fuck! Ich hätte ihn nicht allein zu diesem Deal gehen lassen sollen! Aber ich habe ihn nicht umgebracht! Ricky war mein Bruder, verdammt!"
Mr. Floyd hielt in der Bewegung inne, blieb aber mit dem Rücken zu mir gewandt stehen. Seine Haltung wirkte angespannt und da ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich nicht genau, was nun kommen würde.
„Wo waren Sie in der Nacht, als mein Bruder ermordet wurde?"
Ich schluckte hart. Es war genau die Frage, die ich nicht beantworten wollte.
„Ich war in der Stadt", sagte ich lediglich.
Mit einem Ruck wandte sich Floyd um und mit nur wenigen Schritten, stand er direkt vor mir. Sein Gesicht war dem meinem so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte. Die dunklen Augen bohrten sich in meine und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er würde versuchen, eine Lüge in ihnen zu entlarven.
Etwas an der Art und Weise, wie er mich ansah, jagte einen Schauer über meinen Körper, der unweigerlich auf seine Nähe reagierte.
Heilige Scheiße! Reiß dich gefälligst zusammen!
„Ich war für eine flüchtige Bekanntschaft in einem Club am anderen Ende der Stadt."
Es war ein großer Teil der Wahrheit. Alles Weitere ging ihn nichts an.
Noch immer sah mich mein Gegenüber nur an. So langsam wurde mir unwohl unter seinem Blick. Eine Reaktion, die ich von mir nicht kannte. Für gewöhnlich war ich derjenige, der andere nervös machte. Die Tatsache, dass Seth Floyd diese Wirkung auf mich hatte, war alles andere als gut. Ich wusste die Signale meines Körpers zu verstecken, aber scheiße, dieser Typ hatte etwas an sich.
„Und nun wollen Sie, dass ich Sie verteidige? Es mag Ihnen wohl entgangen sein, Mr. Jackson, aber nur, weil Sie meinem Bruder die Kugel nicht selbst in den Kopf gejagt haben, bedeutet das nicht, dass Sie nicht an seinem Tod schuld sind."
Das genügte.
„Glauben Sie nicht, dass ich das nicht wüsste? Scheiße, ich war für ihn verantwortlich und habe es vermasselt! Aber wenn ich unschuldig hier eingebuchtet werde, sind Ihre Chancen, Rickys Mörder zu finden, gleich null. Keiner meiner Leute wird Ihnen auch nur eine Frage beantworten! Also warum ziehen Sie sich nicht den Stock aus dem Arsch und geben mir eine Chance, hier rauszukommen, um denjenigen dafür bezahlen zu lassen, der Ricky das angetan hat?"
Floyds Augen weiteten sich leicht bei meinen Worten und mit einer schnellen Bewegung wich er einen Schritt zurück. Ein Schatten huschte über sein Gesicht und es dauerte einen Moment, bis ich die Regung einordnen konnte. Es war Schmerz. Ein Gefühl, welches ich nur zu gut kannte.
„Sie wollen mir also weiß machen, dass Sie nicht der Böse sind?"
Der Sarkasmus in seiner Stimme passte nicht zu der Art, wie er sich gab. Offensichtlich hatte ihm der Tod seines Bruders zugesetzt. Etwas, worüber ich mir zunächst nicht sicher gewesen war.
Ricky hatte seit der Auseinandersetzung mit seinem Bruder nicht mehr über ihn gesprochen. Nachdem dieser vor Gericht gelogen hatte, um die Dark Bloods zu decken, war ich davon ausgegangen, dass Seth ihn abgewiesen hatte. Mittlerweile war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
„Jeder von uns ist der Bösewicht in irgendjemandes Geschichte", erwiderte ich schließlich.
Floyd nickte, sagte jedoch nichts. Unsicher, ob es mir gelungen war, ihn von meiner Unschuld zu überzeugen, wartete ich darauf, dass er etwas sagte.
Während die Minuten verstrichen, steigerte sich meine innere Anspannung. Äußerlich sah man mir nichts davon an, dessen war ich mir sicher. Jahrelange Kontrolle über meine Gedanken und Gefühle erlaubten es mir, lässig auf mein Gegenüber zu wirken. Selbst, wenn ich in diesem Moment alles andere als lässig war.
„Ich benötige den Namen Ihrer Bekanntschaft, damit ich Ihnen ein Alibi verschaffen kann. Geben Sie mir den Namen und ich sehe, was ich für Sie tun kann."
Nicht gerade die Antwort, die ich hören wollte.
„Es gibt keinen Namen. Das ist der Sinn einer flüchtigen Bekanntschaft, oder nicht?"
Die Worte kamen angespannter heraus, als beabsichtigt, was mir einen leicht fragenden Blick bescherte.
„Dann geben Sie mir den Namen des Clubs, in dem Sie waren. Ich bin sicher, man wird sich dort an Ihre Erscheinung erinnern."
Sein Blick glitt ein weiteres Mal über mich. Zugegeben, der orange Jumpsuit, den ich seit meiner Inhaftierung trug, machte nicht gerade etwas her, aber selbst mit ihm mussten Floyd meine unzähligen Tätowierungen und Narben aufgefallen sein. Ein Erkennungsmerkmal, welches mich überall herausstechen ließ.
„Ich weiß nicht, wie der Club heißt."
Es war eine Lüge. Er wusste es und die Wut auf seinem Gesicht, machte es nur zu deutlich.
„Verflucht, hören Sie auf, mich zu verarschen! Wenn Sie jemals wieder das Tageslicht ohne Gitterstäbe sehen wollen, fangen Sie besser an, zu reden oder Sie sehen mich heute zum letzten Mal."
Meine Kiefer begannen zu mahlen.
Scheiße, entweder sagte ich ihm, wo ich gewesen war und verlor damit meinen Ruf, oder ich würde für immer in einer Zelle sitzen.
Stellte sich nur die Frage, was die bessere Option für mich war.
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