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Das letzte bisschen an rationalem Denken in meinem Kopf hatte sich in dem Moment verabschiedet, als Seth mich geküsst hatte. Seitdem hatte das Verlangen die Oberhand gewonnen und steuerte mein Handeln.
Ich musste nicht hinter mich blicken, um zu wissen, dass Seth mir folgte. Seine Schritte waren auf jeder Stufe zu hören und als ich nach rechts in Richtung eines Zimmers ging, war er bereits so dicht hinter mir, dass ich die Hitze seines Körpers dicht an meinem Spüren konnte.
Fuck, wie sehr dankte ich Gott in diesem Moment, dass mein Zimmer zusammen mit meinem Büro das einzige auf der rechten Seite in diesem Haus war. Was auch immer heute Abend passieren würde, es änderte nichts an dem beschissenen Umstand, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich hier eigentlich tat.
Ein verfluchtes Wort von Seth zu meinen Brüdern und mein Ruf wäre für immer im Arsch. Was, wenn jemand etwas mitbekommen würde? Immerhin versuchte jemand, mich in den Knast zu bringen und der Umstand, dass ich mit meinem Anwalt vögelte, wäre dabei mit Sicherheit hilfreich.
Noch bevor ich meine Zimmertür erreicht hatte, war ich davon überzeugt, einen Fehler begangen zu haben. Scheiße, wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, war ich ein Feigling durch und durch!
Seth schloss die Tür hinter sich und blieb daran angelehnt stehen. Für einige Augenblicke sah er mich einfach nur an. Umso länger ich zögerte, umso mehr erlosch das Funkeln in seinen Augen, bis es schließlich vollkommen verschwand.
Fuck! Ich hatte es versaut!
„Ist schon in Ordnung, Alec. Du musst nichts sagen. Lass es uns einfach vergessen, okay?"
Er klang weder angepisst, noch lag eine andere Art von Emotion in seiner Stimme.
„Was meinst du?", erwiderte ich, obwohl es mehr als offensichtlich war, worauf er anspielte.
„Alec, lass es gut sein. Es war ein langer Tag und ehrlich gesagt hab ich jetzt keine Energie, um mich mit dir auseinanderzusetzen."
„Was zum Teufel soll das jetzt heißen?"
Warum auch immer, fühlte ich mich bei diesen Worten wie vor den Kopf gestoßen. Sich mit mir auseinandersetzen hörte sich an, als ob ich ein beschissenes Projekt wäre.
„Das soll heißen, dass es ein Fehler war, dich zu küssen."
Meine Kiefermuskulatur spannte sich an. Ich war also ein Fehler, nichts weiter. Wütend auf mich selbst, weil ich es zugelassen hatte, dass Seth mich so veraschte, ballte ich meine Hände zu Fäusten.
„Verpiss dich!"
Seth seufzte, wandte sich dann aber zur Tür. Als er sich noch einmal zu mir umdrehte, wirkten seine Züge müde und abgeschlagen.
„Ich hol dich morgen um halb neun ab. Trag das Beste, was du im Schrank hast. Ich will, dass du beim Richter einen guten Eindruck hinterlässt."
Ich erwiderte nichts. Mein Temperament war auf dem besten Weg, das Ruder zu übernehmen und wenn Seth noch länger hier blieb, würde ich meinen Zorn nicht mehr im Zaum halten können.
Zu meinem – und Seths – Glück, verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Das Zittern meiner Fäuste war nun auf meinen ganzen Körper übergegangen, doch ich wartete, bis ich die Haustür zugehen hörte, bevor ich meiner Wut freien Lauf ließ.
Meine Gedanken strömten unablässig auf mich ein und es war schwer zu sagen, welche Seite in mir die Oberhand gewonnen hatte. Die, die Wut über den Umstand empfand, dass ich wirklich geglaubt hatte, Seth würde mich wollen oder die, die Scham in mir auslöste, weil ich mein Verlangen nicht unter Kontrolle hatte.
***
Nach einer beschissenen Nacht, mit gerade mal ein paar Stunden Schlaf, fand ich mich am nächsten Morgen um halb neun ins Seths Camaro wieder, der in Richtung Stadtzentrum fuhr. Ich kannte das Gerichtsgebäude nur zu gut und allein der Gedanke, mich gleich irgendwelchen Schnöseln gegenüber zu wissen, bereitete mit Übelkeit.
Seth hatte seit seinem wortkargen ‚Guten Morgen' kein Wort mehr verloren und ich hatte mir nicht mal die Mühe gemacht, etwas darauf zu erwidern, als ich eingestiegen war.
Die letzte Nacht hatte mir offenbart, was für ein hirnloser Idiot ich gewesen war. Seth würde mich noch mehr in Schwierigkeiten bringen als meine Mordanklage.
Nach dem heutigen Tag würde ich nicht mehr allein mit ihm bleiben, so viel war sicher. Sollte der Richter ihm den Fall entziehen, wäre sowieso alles umsonst gewesen und mein Arsch würde direkt wieder in den Knast wandern. Vielleicht war es so einfacher für alle. Nur leider konnte ich das nicht mit mir vereinbaren, denn ich hatte geschworen, Rickys Mörder zu finden und hinter Gittern war das nicht gerade eine einfache Aufgabe. Ich musste nur so lange auf freiem Fuß bleiben, bis ich ihn zur Strecke gebracht hatte und danach war mir alles scheißegal.
Zwanzig Minuten später kamen wir vor dem Gerichtsgebäude zu stehen. Seth, der heute einen seiner üblichen Anzüge trug, stieg aus und ich nutzte die Gelegenheit, um mich ein letztes Mal zu sammeln. Auf den wenigen Stufen zum Gebäude wurde ich mit abschätzigen und kritischen Blicken gemustert. Mein Anzug war bei weitem nicht so edel wie der von Seth. Im Gegenteil – ich hatte dieses Ding mit achtzehn für die Beerdigung meiner Großmutter gekauft. Ich sah einfach nur beschissen lächerlich aus! Die Leute wussten so oder so, wer ich war. Es würde sie einen Dreck kümmern, ob ich in einem beschissenen Anzug steckte oder nicht.
Vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes stoppte Seth und wandte sich mir zu.
„Überlass mir das Reden und antworte nur, wenn der Richter dich direkt anspricht. Lass dich nicht von der Staatsanwaltschaft provozieren, denn genau das wollen sie. Sie wollen beweisen, dass du nichts weiter als ein Krimineller bist."
„Da haben sie ja auch nicht unrecht", erwiderte ich provozierend.
Seths Züge erstarrten für einen Augenblick, doch er schien hier keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen. Also senkte er seine Stimme etwas und sagte leise: „Hör mir zu, Alec. Das, was gestern zwischen uns passiert ist, hat hier nichts zu suchen, verstanden? Hier geht es um deine Freiheit und um meinen Ruf als Anwalt."
„Sprich nicht mit mir, als ob ich ein dummes Kind wäre!", fauchte ich und Seths Augenbrauen wanderten in die Höhe.
Für einen Moment war ich mir sicher, dass er etwas erwidern würde, doch stattdessen warf er mir einen letzten warnenden Blick zu und betrat das Gerichtsgebäude.
Zu behaupten, die Leute in diesem Gebäude hätten einen Stock im Arsch, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Ihre gaffenden Blicke ignorierend, folgte ich Seth in den ersten Stock und betrat nur wenige Minuten später ein Besprechungszimmer, welches noch leer war.
Es dauerte allerdings nicht lange und eine Frau betrat den Raum. Sie war mittleren Alters und hatte ihre blonden Haare zu einem strengen Knoten zusammengebunden. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie noch nie in ihrem elendigen Leben gelacht und als ihr Blick auf mich fiel, rümpfte sie demonstrierend die Nase.
Fuck, was glaubte die Bitch eigentlich, wer sie war?
„Ms. Brown, wie angenehm, Sie zu sehen", kam es höflich von Seth, der auf sie zugegangen war, um ihre Hand zu schütteln.
Die Bitch schien allerdings alles andere als begeistert, denn sie warf Seth lediglich einen missbilligenden Blick zu und ignorierte seine Hand.
„Von angenehm kann keine Rede sein, Mr. Floyd", erwiderte sie und ihre Stimme war viel zu hoch für meinen Geschmack.
Seth ließ sich davon nicht beirren und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Scheiße, wie konnte er nur so ruhig bleiben? So, wie sie ihn ansah, war ihr Problem nicht nur auf seine Klientenwahl bezogen.
Da sie mich keines Blickes würdigte, tat ich es ihr gleich und setzte mich neben Seth, der an dem großen Tisch Platz genommen hatte.
Minuten des Schweigens vergingen, bevor sich die Tür erneut öffnete und ein Mann den Raum betrat. Er musste die sechzig bereits überschritten haben und auch sein Gesicht sah so aus, als ob er das Wort ‚Lächeln' nicht einmal buchstabieren konnte.
„Ms. Brown, Mr. Floyd. Ich habe zwanzig Minuten, um mich dieser Angelegenheit zu widmen, also verschwenden wir am besten keine Zeit."
Er nahm am Kopf des Tisches Platz und erst dann fiel sein Blick auf mich. Zugegeben, ich hatte mit einem feindseligeren Ausdruck gerechnet als den, den er mir zuwarf.
„Sie sind also Mr. Jackson. Der Anführer der Dark Bloods. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, junger Mann."
Hatte er gerade junger Mann gesagt?
Meinen Mund bereits für eine Erwiderung geöffnet, kam Seth mir zuvor.
„Euer Ehren, wir werden nicht viel Zeit benötigen. Wie bereits am Telefon erwähnt, hat Mr. Jackson mich kontaktiert, um mich über die Sachlage des Mordes aufzuklären."
„Sachlage? Sie meinen wohl, dass Ihr Bruder von diesem Kriminellen erschossen wurde", kam es spitz von Ms. Smith und mein Puls begann bereits bei ihren Worten zu rasen.
„Ich habe Ricky nicht erschossen!", fuhr ich dazwischen, doch sofort ergriff Seth wieder das Wort.
„Was mein Klient damit sagen möchte, ist, dass hier nicht darüber entschieden wird, ob er schuldig ist oder nicht. Mir ist der Umstand des Konfliktes durchaus bewusst und ich versichere Ihnen, dass ich gut über meine Entscheidung nachgedacht habe, diesen Mann zu verteidigen."
Die Bitch ließ ein kaum zu überhörendes Schnauben von sich, doch Seth ignorierte sie und ich tat mein Bestes, nichts Dummes zu sagen.
„Mr. Floyd, der Umstand des Verwandtschaftsgrades zu dem Opfer ist durchaus ein Risikofaktor für die Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft hat nicht unrecht mit ihrem Einwand und ich hoffe, Sie können mir einen guten Grund nennen, warum Sie sich entschlossen haben, Mr. Jackson zu verteidigen."
„Den habe ich, Euer Ehren."
„Grund oder nicht. Im Staat Texas gilt das Gesetz, dass keine Verwandtschaftsgrade zwischen dem Opfer und der Justiz vorhanden sein dürfen. Demnach -",
„Wie Sie bestens wissen, ist die Justiz in diesem Absatz nicht genau definiert, was uns zur Annahme führt, dass dieser Absatz eher auf die Staatsanwaltschaft zutrifft, als auf den Anwalt des Angeklagten. Ich denke nicht, dass bei der Verfassung dieses Gesetzes davon ausgegangen wurde, dass es jemals einen Strafverteidiger gibt, der den vermeintlichen Mörder eines Familienmitgliedes verteidigt."
„Umso mehr stellt sich doch die Frage, warum Sie es tun, Mr. Floyd. Was springt für Sie dabei raus? Geld, Gefälligkeiten oder wollen Sie einfach nur beweisen, dass ihresgleichen heil mit allem davonkommen können?"
What the fuck? Was sollte das bedeuten, ihresgleichen?
„Ms. Brown, bitte achten Sie auf Ihre Wortwahl. Politische, sowie ethnische Ansichten haben in diesem Raum nichts verloren!", wies sie der Richter zurecht.
„Verzeihung, Euer Ehren."
„Nun, auch ohne die Fallakte genaustens gelesen zu haben, muss ich doch sagen, dass es eine außergewöhnliche Situation ist, Mr. Floyd. Zwar ist es mir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich über die Schuld oder Unschuld von Mr. Jackson zu urteilen, jedoch muss ich zugeben, dass auch ich verwundert über Ihre Zusage bezüglich seiner Verteidigung war."
Der Richter räusperte sich und warf mir einen langen und abschätzenden Blick zu.
„Wie dem auch sei ... da der Absatz im Gesetzbuch nicht genaustens definiert ist, handelt es sich um eine Grauzone und dadurch folglich um meine Entscheidung, ob diese Situation unangebracht ist."
Was genau dieser Typ davon hielt, dass Seth mich verteidigte, war schwer zu sagen. Wahrscheinlich konnte er wegen seinem ganzen Moralgehabe nur seine Abneigung gegen mich nicht offen zeigen. In Gedanken hatte ich mich bereits darauf eingestellt, zurück in den Knast zu wandern.
„Euer Ehren, Mr. Floyds Mitleid mit Mr. Jackson in allen Ehren, aber Sie werden doch kaum widersprechen, dass dies eine mehr als unangebrachte Situation darstellt."
Hatte sie gerade Mitleid gesagt?
„Wie bitte?"
Seth's Tonlage hatte sich so schnell verändert, dass sogar der Richter ihm einen überraschten Blick zuwarf.
„Wie meinen, Mr. Floyd?", kam es hochnäsig von diesem Miststück.
„Mitleid ist wohl kaum das richtige Wort, Ms. Brown. Mr. Jackson mag wohl einen fraglichen Ruf haben, aber Sie haben keinerlei Ahnung von sein Leben oder seinem Charakter. Ich habe weder Mitleid mit ihm, noch finde ich einen guten Grund, es jemals für ihn zu empfinden. Der Grund, warum ich Mr. Jackson als meinen Klienten angenommen habe, ist ziemlich einfach. Ich vertraue ihm und er hat mir versichert, meinen Bruder nicht getötet zu haben. Ob Sie das nun für angemessen halten oder nicht, interessiert mich – mit Verlaub – wenig. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder es verdient hat, eine gute Verteidigung zu bekommen, egal, aus welcher Gesellschaftsschicht er stammt oder welcher Ruf ihm nachgesagt wird. Mr. Jackson ist des Mordes angeklagt und verdient es daher, auch vor dieser Anschuldigung verteidigt zu werden. Also, Ms. Brown, wenn Sie keine weiteren Beanstandungen bezüglich meiner Motive haben, würde ich Ihnen ans Herz legen, solche unangebrachten Äußerungen in Zukunft für sich zu behalten."
Mit einem Mal war der Raum so still, dass es schon fast unangenehm war. Scheiß drauf, was ich bis heute Morgen noch gedacht habe. Ich hatte vieles erwartet, aber nicht das. Mich vor Sheriff McClark zu verteidigen war eine Sache, aber es vor einem Richter und einer Staatsanwältin zu tun, war eine völlig andere.
Zum ersten Mal, seit ich Seth kennengelernt hatte, fragte ich mich, was er wirklich von mir dachte. Ich hatte ihn nie gefragt und scheiße nochmal, ich würde es wahrscheinlich auch nie tun. All das, was er eben gesagt hatte, nein, wie er es gesagt hatte, entsprach nicht im Geringsten dem, was ich erwartet hatte.
„Nun, Mr. Floyd, ich denke, Mr. Jackson kann sich glücklich schätzen, Sie als Anwalt zu haben."
Der Richter lächelte grimmig, aber ich schenkte ihm nicht wirklich viel Beachtung. Mein Blick galt der Tussi gegenüber von mir. Sie sah aus, als ob ihr jemand ihre dumme Aktentasche ins Gesicht geschlagen hätte und ich konnte nicht umhin, ihr ein triumphierendes Grinsen zuzuwerfen, als der Richter auf seine Unterlagen blickte.
„Wir sehen uns dann voraussichtlich zur Anhörung am 21. Dezember, Ms. Brown, wenn Sie sonst keine weiteren Angelegenheiten zu besprechen haben?"
Ein schneller Blick auf alle Anwesenden und allgemeines Kopfschütteln später erhob sich der Richter und verließ mit einem letzten Abschiedsgruß den Raum.
„Sie werden sich wünschen, diesen Fall niemals angenommen zu haben, Mr. Floyd. Abschaum wie er", sie zeigte mit einer Handbewegung auf mich, „... gehört aus dem Weg geschafft. Selbst nach dem Tod Ihres eigenen Bruders verstehen Sie es noch nicht."
Ich trat automatisch einen Schritt in ihre Richtung und sofort wich sie vor mir zurück. Dummes Stück!
„Sie sollten besser gehen, Ms. Brown. Wir wollen doch nicht, dass es hier zu einer eher unschönen Auseinandersetzung kommt", sagte Seth und sein Ton war immer noch kühl.
Ohne ein weiteres Wort an uns zu richten, machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Zurück blieben Seth und ich. Da ich nicht wirklich wusste, was ich sagen sollte, wartete ich schweigend, bis er seine Unterlagen eingesammelt hatte und beobachtete ihn währenddessen.
Scheiße, er machte es mir wirklich nicht einfach, mich von ihm zu distanzieren. Es war egal, ob ich in einem Raum mit einem Richter saß oder nicht. Jedes Mal, wenn er mich verteidigte, fühlte ich nicht das gewohnte Bedürfnis, mein Ego unter Beweis zu stellen, sondern ließ es passieren. Noch viel schlimmer, es machte mich an.
Wie zum Teufel sollte ich eine Gerichtsverhandlung mit ihm als Verteidiger durchstehen, wenn ich dabei Gefahr lief, einen Dauerständer zu haben?
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