PoV. Jisung

Heute verbrachte ich meinen ganzen Tag am Balkon, auch wenn Jeongin mir davon abgeraten hat. Er wollte Zeit mit mir verbringen, doch ich bat ihm darum, mich in Ruhe zu lassen.

So war ich alleine. Ich dachte wie immer über alles nach. Ich dachte über die letzten Tage besonders viel nach, denn es passierte viel. Ich stellte mir die Frage, ob ich halluzinierte oder ich wirklich meinen Lee Minho sah? Oder es war einfach ein anderer Mensch, der Minho verdammt nochmal ähnlich sah oder sogar nahezu identisch. Wohl eher nahezu identisch. Ich musste diesen Typen finden. Wer auch immer es war. Hoffentlich war es nicht zu spät. Naja... wenn dieser Junge überhaupt existent war. Vielleicht hatte Jeongin recht und ich bildete mir nur alles ein. Ich war einfach krank im Kopf.
Hätte es Hyunjin mitbekommen, was mit mir und Jeongin auf der Straße passierte, dann hätte er mich in die Klapse gesteckt, weil er solche Themen ziemlich ernst nahm. Ich kannte meine Freunde sehr gut und Minho kannte ich selber sehr gut. An sich wusste ich sehr wenig über sein Privatleben, denn er erzählte nie sonderlich viel über sich. Deswegen wusste ich nicht, wieso er sich umgebracht hat? Ich wusste viel zu wenig über sein privates Leben. Ich wusste nur, dass er Adoptiveltern hatte und er nicht sonderlich gut in der Schule war. Musste er wirklich so viel Leid ertragen und ich wusste nichts davon?

Langsam merkte ich, wie sich in meinen Augenwinkeln Tränen bildeten, doch das war immer so, wenn ich über etwas trauriges nachdachte. Ich hatte so starkes Mitleid mit Minho, obwohl ich nichtmal wusste, was vorgefallen ist. Trotz dessen konnte ich mich in Menschen hineinversetzen. Minho hätte sich sonst nicht grundlos umgebracht. Er hatte seine Absichten und ich selber konnte es nicht sehen, wenn jemand leiden musste. Er muss sehr stark gelitten haben, sonst hätte er es nicht getan. Was war ich denn für ein schlechter Freund? Wieso konnte ich ihm nicht helfen? Wieso war ich so? Ich hätte so viel besser machen können.

Irgendwie spürte ich, seitdem ich in Seoul bin, diese Bindung, als wäre er hier.. oder war es einfach diese Kälte, die uns der Herbst mitbrachte. Der erste September war sein Todestag. Schon etwa 2 Jahre ist es her, als das vorgefallen ist. Wie wahrscheinlich wäre es denn bitte, dass er das überlebt hätte. Und.. wer war dieser Junge? Man merkte, wie verwirrt und verzweifelt ich war. Ich wollte doch nur wissen, was passiert ist. So viele Fragen, aber keine konnte beantwortet werden.

Nachdem ich auch die letzte Kippe von meiner Schachtel aufgebraucht habe, setzte ich mich hin und griff nach meinem Handy. Ich wollte auf meinen und Hyunjins Chat gehen, denn es war ein Notfall.
,Hyung? Kannst du mir bitte Changbins Nummer schicken?'
‚Klar gerne!'
Er antwortete mir ziemlich schnell, was ich auch gut fand. Ich bedankte mich, bevor ich Changbins Nummer einspeicherte und ihn anschrieb.
,Hey Binnie! Hier ist Jisung. Ich muss dich was wichtiges fragen.'