ᖴᖇIEᑎᗪ Oᖇ ᔕTᖇᗩᑎGEᖇ
Doch bevor seine Hand den metallischen Griff erreichen konnte, ertönte unmittelbar hinter ihm ein markerschütterndes, donnerndes Knurren.
Nicht bewegen. Das Herz des jungen Mannes stoppte für einen Moment in seiner Brust, überwältigt von der ungeheuren Angst, die es erfasste. Er konnte kein Glied mehr rühren. Das Wesen hinter ihm verdeutlichte ihm mit seinem kehligen Geknurre, dass es ihm keinesfalls freundlich gesinnt war und er befürchtete, dass jede noch so kleine Bewegung sein Schicksal besiegeln könnte. Bevor er auch nur ansatzweise über sein weiteres Vorgehen nachdenken konnte, wurde er von der Seite zu Boden gerammt und dann erdrückt von einer gewaltigen Masse, die seinen strampelnden Körper mit ihrem Gewicht zu Boden pinnte. Panisch japste er nach Luft, stemmte seine Hände gegen das dichte, zottelige Fell der Kreatur und kniff die Augen zusammen, da er damit rechnete, sogleich ihre Klauen oder Zähne in seinem Fleisch zu spüren. Stattdessen leckte ihm ein weiche, feuchte Zunge einmal quer übers Gesicht und ein freudiges Winseln entfloh dem Maul des Wesens. Der Fellberg forderte ihn mit einem aufgeregten Kläffen dazu auf, seine Augen zu öffnen und stupste mit der feuchten Hase wiederholt die Wange des Tierpflegers an. Er erdrückte ihn mit seiner liebevollen Begrüßung - und seinem Gewicht natürlich. Der wohlgenährte Bernhardiner-Rüde brachte eine beträchtliche Zahl auf die Waage, die die seines Herrchens übertraf.
Kurz darauf gesellte sich auch die zierliche Blue Merle Sheltie-Hündin zu den beiden und versuchte, ihre Schnauze in der Achsel des am Boden liegenden Mannes zu vergraben. Collin lachte zu aller Erst erleichtert auf, als ihm die Angst wieder aus den Knochen wich und ihm die Absurdität dieser Situation bewusst wurde. Es war wirklich lachhaft, wie sehr er sich in diese Angst vor irgendeinem unmenschlichen Eindringling hineingesteigert und dabei vollkommen seine vierbeinigen Mitbewohner vergessen hatte. Erleichtert, dass sie augenscheinlich wohlauf waren, kraulte er die beiden flauschigen Hunde liebevoll hinter ihren Ohren, ehe er das Schwergewicht von seinem Brustkorb runter drückte. "Hey ihr beiden, habt ihr mich vermisst? Ja, das habt ihr, oder? Ich hab auch euch ganz doll vermisst.", säuselte Collin, die Höhe der Tonlage übertraf dabei selbstverständlich die gewohnte. Wie eine Mutter, die zu ihrem Neugeborenen redete, sprach er automatisch zwei Oktaven höher. Konsonanten verloren an ihrer Härte und Vokale wurden überspitzt langgezogen. Eine Eigenart, die sich die wenigsten Tierbesitzer verkneifen konnten.
Zustimmend bellten die beiden und für einen Moment wirkte alles so idyllisch und alltäglich wie jeder Abend in dieser Wohnung. Nur so lange, bis das hallende Schluchzen wieder an Lautstärke gewann und sich das Verhalten seiner Vierbeiner wieder veränderte. Neo, der Bernhadiner, hatte noch nie geknurrt. Weder Collin, noch seinen Freunden oder gar Fremden und anderen Hunden gegenüber war dem massigen Fellknäuel je ein einziger, bedrohlicher Ton entflohen. Trotz seiner kräftigen Statur fürchtete ihn niemand, der schon fünf Minuten mit ihm verbracht hatte. Dieses Tier war ausgeglichen und gemächlich. Statt den Postboten während einer Lieferung anzubellen bevorzugte er es, ihn mit einem freudigen Schwanzwedeln willkommen zu heißen. Doch nun, als diese fremdartigen Klagetöne die Räumlichkeiten erfüllten, distanzierte sich der übergroße Schoßhund von der Badezimmertür und somit zugleich von seinem Herrchen, das unmittelbar vor dieser saß. Und dann hoben sich seine Lefzen wieder auf diese ungewohnte Art, damit er dieses angsteinflößende Knurren herauspressen konnte. Dieses Knurren, dass gar nicht dem friedliebenden Gemüt des Hundes entsprach. "Neo, es ist alles in Ordnung. Das ist nur Joah, den kennst du doch.", sprach er ihm besänftigend zu und streckte sein Hand nach ihm aus, doch Neo wich zurück. Beunruhigt musterte Collin ihn, durch und durch verwirrt von der Furcht, die in seinen dunkelbraunen Augen funkelte.
Im Gegensatz zu dem erschreckenden Verhalten des Rüden war die eigensinnige und wagemutige Maila schweigsamer als sonst. Die Hündin hatte eine recht freche Zunge und meldete sich lauthals, wenn sie nach Aufmerksamkeit verlangte. Unter normalen Umständen lief alles nach ihrer Schnauze. Sie war das Alphatier und Neo unterwarf sich ihren Wünschen ohne Widerspruch. Der Rüde ließ ihr den Vortritt, wenn es darum ging, welchen Futternapf sie nun bevorzugte. Es passierte nicht gerade selten, dass der Bernhardiner Maila seinen Napf überließ, dessen Inhalt natürlich viel zu viel für ihren kleinen Magen war. Jetzt hingegen hatte sich auch ihr Charakter plötzlich völlig auf den Kopf gestellt. Eingeschüchtert stand sie dort, dicht an den größeren Hund geschmiegt. Ihr bauschiger Schwanz klemmte zwischen ihren Hinterläufen und ihren Kopf hielt sie geduckt. Was könnte ihr solche Angst bereiten, dass sie ihren Stolz vergaß? Was verbarg sich hinter dieser Tür, dass den verschmusten Neo so einschücherte, dass er notgedrungen knurrte? Joah auf keinen Fall, denn dieser schüttete die beiden bei jedem Besuch mit Leckerlis und Streicheleinheiten zu. War es vielleicht - Nein. Unmöglich.
Wieder auf seinen zwei Beinen glitt der Blick des Mannes zu abermals zu der unscheinbaren, weißen Tür, welche etwas hinter sich verbarg. Etwas? Jemand war der richtige Ausdruck, der andere wäre absurd. Joah war ein menschliches Wesen und nicht eine Gestalt aus diesen lächerlichen Horrorgeschichten, auch wenn er sich gerade alle Mühe dabei gab, es so wirken zu lassen. Collin war weder hasenherzig, noch irgendeinem Aberglauben verfallen. Dämonen, Geister oder Fabelwesen gehörten nicht in seine Realität und wenn man ihn fragte, waren sie nur ein Produkt des menschlichen Verlangens nach eindeutigen Erklärungen. Diese Sicherheit, die einem eine Erklärung für etwas Unerklärliches bot, lässt sie schnell zu abstrakten Lösungen greifen. Menschen reagieren auf neu- und fremdartige Dinge immer zuerst mit Furcht, denn sie könnten eine Gefahr darstellen. Furcht verleitet dann den fantasievollen und kreativen Verstand unserer Spezies dazu, düstere Vorstellungen und Kreaturen heranzuziehen, um eine makabere Erklärung für unbegreifliche Ereignisse zusammenzubasteln. Aber hey, eine düstere Erklärung ist besser als keine, oder? Dann hat man immerhin nicht mehr das Gefühl, nicht in der Lage zu sein, etwas zu begreifen, was einem im Umkehrschluss die Unsicherheit nimmt. Und wehe, jemand findet dann eine plausible Deutung der Situation. Rationalität wird plötzlich verteufelt, denn sie ist ja nichts weiter als Ignoranz, als ein verzweifelter Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Collin bewegte sich auf dem schmalen Grad zwischen diesen zwei extremen Fronten, war weder spirituell angehaucht noch ein sturer Realist. Er glaubte nicht an Geister, doch zeitgleich wusste er, dass nicht immer alles eine rationale und eindeutige Erklärung hat.
Zielstrebig bewältigte er ein weiteres Mal die kurze Distanz zu der geschlossenen Tür und klopfte drei Mal bestimmt. Er glaubte zu hören, wie jemand erschrocken nach Luft schnappte und dann hektisch, aber gedämpft atmete. Dieses mulmige Gefühl meldete sich wieder. Etwas stimmte nicht. Jede Faser seines Körpers schrie ihn an, auf der Stelle kehrt zu machen und zusammen mit den Hunden zu verschwinden. Neo und Maila erging es ähnlich. Der große Rüde mit dem molligen Gesicht knurrte warnend, während die kleine Hündin bereits winselnd Schutz unter dem niedrigen Couchtisch gesucht hatte. Das war die Bestätigung, die auch noch den letzten Faden zum Reißen brachte, der seine erste Theorie aufrechterhielt. Die Tatsache, die einen Schalter in dem jungen Mann umlegte. Was auch immer sich in seinem Badezimmer verkrochen hatte, es war nicht Joah. Kein Freund. Collin verlor jegliches Gefühl von Sicherheit. Seine Erklärung machte keinen Sinn, seine Wohnung spendete ihm keine Geborgenheit mehr, seine Hunde keinen Trost. "Wer ist da?", verlangte er nun zu wissen, seine Stimme knurrend wie die seines vierbeinigen Freunds. In seiner Tonlage war keine Spur seiner Angst zu finden, er sprach so trocken und unbeeindruckt wie möglich. Keine Antwort. Vollkommene Stille. Die ersten kalten Schweißperlen kullerten von seiner Stirn hinab. Sein Rachen fühlte sich staubtrocken an und der Klang seiner Stimme stolperte über seine steifen Stimmbänder.
Collin räusperte sich, um seinen Hals von den unangenehmen Symptomen der Angst zu befreien. "Wer ist da?", wiederholte er, dieses Mal mit mehr Nachdruck. "Ich.", drang der Klang einer leisen, nuschelnden Stimme zu ihm hindurch. Doch sie war nicht gedämpft von dem Holz der Tür, nein. Dieses einzelne Wort hallte durch seinen Schädel wie ein Gedanke, doch das war es nicht. Er hatte sich diese Antwort nicht ausgedacht, sie gehörte nicht ihm. Nicht zu seiner inneren Stimme. Erschrocken stolperte Collin nach hinten, prallte dabei ungeschickt gegen Neo. Er konnte das Rauschen des Blutes in seinen Ohren klar und deutlich hören, seinen Herz gegen seine Brust trommeln spüren. Die Stimme war fremd. Ihr Klang unbekannt und ihre Antwort unerwartet. Es war schwer einzuordnen, ob sie zu einer männlichen oder weiblichen Person gehörte. Nicht zu hoch, nicht zu tief. Nicht rau, nicht samtweich. Zwei Dinge ließen sich jedoch mit Sicherheit aus ihr heraushören: Ihr Besitzer schien verängstigt zu sein und beherrschte diese Sprache nicht wirklich. Das Wort war zwar nicht mehr als ein Flüstern, doch die Betonung war völlig daneben. Die letzten zwei Buchstaben ähnelten einem Zischen, der Fokus der Stimme lag auf ihnen.
Neo winselte ein weiteres Mal, vergrub seine Zähne vorsichtig in dem Hosenbein seines Herrchens und startete einen verzweifelten Versuch, diesen von der Tür wegzuzerren. Dessen geweiteten Augen trafen auf die des klobigen Hundes, die ihn dazu anflehten, diese Tür unter keinen Umständen zu öffnen. So sehr er seinem treuen Beschützer auch dankbar war für seine Sorge, musste er wissen, wer in sein Zuhause eingedrungen war. Wer eine potenzielle Gefährdung für das Leben seiner geliebten Vierbeiner oder gar das seine darstellte. Wer wusste es schon. Dieses bittere Geflenne könnte eine Art Ablenkungsmanöver sein, ein billiger Versuch, dass sein menschliches Mitgefühl über seinen Verstand siegen könnte und er dem Eindringling zu Hilfe eilen würde. Collin konnte nicht zulassen, dass jemand - aus welchen Gründen auch immer - seine Hunde gefährdete. Und ihrem Verhalten nach befürchtete er, dass diese Person ihnen bereits Schaden hinzugefügt hatte. Äußerlich schienen sie unversehrt, doch viele Verletzungen wären unter ihren dichten Pelze unerkennbar.
Da er nun neuen Mut gefasst hatte und allmählich das Adrenalin zu spüren bekam, entschuldigte er sich leise bei Neo, schob in zur Seite und griff unbedacht nach dem nächstbesten Gegenstand, der ihm als Verteidigung oder Waffe dienen könnte. Dann, bewaffnet mit einem Controller seiner Konsole, öffnete er die Badezimmertür mit einem kräftigen Ruck. Der schaurige Anblick, der sich dem Trio bot, brachte Neo dazu, jaulend die Flucht zu ergreifen und sich neben Maila unter dem viel zu niedrigen Glastisch zu verkriechen. Und Collin erstarrte zu einer Salzsäule, wobei seine improvisierte Waffe mit einem dumpfen Knall dem Boden begegnete.
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