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"Entschuldigung", erklingt die Stimme einer jungen Frau neben Yoongi, "haben Sie die Schuhe auch nochmal in einer anderen Größe?" Er nimmt die Worte der Frau nur am Rande wahr und antwortet aus dem Grund nur mit einem desinteressierten Schulterzucken.

"Ähm... heißt das ja oder nein? Können Sie mal bitte nachsehen?" Wieder diese nervige Frau. Yoongi erhebt sich mit einem lang gedehnten Seufzen von seinem Hocker. "Keine Ahnung. Muss ich gucken." Es tut ihm beinahe leid, wie desinteressiert er ist. Selbst für seine Verhältnisse benimmt er sich heute ganz schön daneben. Aber er kann seit dem Vormittag keinen klaren Gedanken mehr fassen. In seinem Kopf sprudeln so viele Überlegungen, dass er fast durchdreht. Er möchte endlich nach Hause und in Ruhe darüber nachdenken, wie es jetzt weitergehen soll. Er hat zwar eine kurzfristige Lösung gefunden, aber er weiß, dass es damit noch nicht getan ist. Hoseok war zwar so nett und hat Jimin zunächst einmal mit zu sich genommen, aber im selben Atemzug beteuert, dass Yoongi sich selbst um ihn kümmern soll. Er kann es verstehen. Hoseoks Wohnung ist zwar nett eingerichtet, aber einfach viel zu klein für zwei Personen. Und zu ihm kann Jimin erst recht nicht wegen seiner Mutter. Er muss ihn also irgendwie dazu kriegen, dass er entweder wieder nach Hause geht, oder sich eine andere Bleibe sucht. Und eigentlich ist es gar nicht seine Aufgabe, Jimin zu helfen.

Im Lager bleibt Yoongi einige Sekunden einfach vor dem Regal stehen, in denen sie die Markentreter gelagert haben. Es kommt ihm vor, als wäre es Wochen her, dass seine einzige Sorge seine Mutter und ein seine kaputten Schuhe waren. Scheiße. Wieso musste er ausgerechnet dann an der Kreuzung sein, als dieser Jimin versucht hat, sich das Leben zu nehmen? Schuld ist die Apotheke. Hätten die das Medikament vorrätig gehabt, dann hätte er nicht zu einer anderen gehen müssen und dann wäre er Jimin nicht begegnet. Aber eigentlich weiß Yoongi auch, dass er selbst dafür verantwortlich ist, weil er das Medikament nicht vorbestellt hat. Schuld an dem Schlamassel trägt er selbst, dabei möchte er gerne jemand anderen dafür zur Rechenschaft ziehen, dass sein Leben noch mehr aus den Fugen gerät als ohnehin schon.

Yoongi steht verloren vor dem Regel und starrt die gestapelten Kartons böse an. Aber auch die können nichts dafür, dass er nicht weiter weiß. Zum Glück fällt ihm just in diesem Moment das Paar Schuhe ins Auge, auf das die Kundin wartet. Wenn sie denn überhaupt noch da ist. Wie lange steht er jetzt eigentlich schon hier? Wirklich, er kann es beim besten Willen nicht einschätzen. Er weiß nur, dass er sich beeilen sollte, und daher schnappt er sich zügig den Karton und geht wieder in den Verkaufsraum. Doch die Kundin ist weg. Yoongi steht einige Sekunden verloren im Laden und schaut zur Tür. Sie ist einfach durch diese Tür marschiert, ohne noch irgendein Wort zu sagen, und er kann nicht anders, als sich in dem Moment zu wünschen, dasselbe tun zu können. Einfach weg. Kein Tschüss, kein Danke. Einfach gehen und nie wieder kommen. Aber so einfach ist es nicht. Man kann nicht einfach aus seinem Leben gehen, durch die Gegend ziehen und nach einem anderen Leben suchen, indem man sich wohlfühlt.

Yoongi beschließt, den Schuhkarton wieder wegzuräumen, und hofft inständig, dass es heute nicht nochmal zu so einer Situation kommt.

Am Abend ist er sich sicher, dass dies wirklich nicht sein Tag ist. Es war nicht die einzige Kundin, die ihn auf die Probe gestellt hat, und die letzte hat ihm sogar angedroht, dem Inhaber von seinen mangelnden Fähigkeiten in Kenntnis zu setzen. Wundervoll. Wenn Yoongi jetzt auch noch seinen Job verliert, ist alles vorbei. Er muss dringend die Sache mit Jimin geregelt kriegen, ansonsten wird ihn das tagelang von seiner eigentlichen Arbeit ablenken.

Aus dem Grund wählt er nach der Schicht direkt Hoseoks Nummer, um sich nach Jimin zu erkundigen. Und das erste Mal, seit er seinen Arbeitskollegen kennt, ist er wirklich froh, dass dieser so unfassbar ehrlich ist. Er berichtet, dass Jimin sich an der Kreuzung tatsächlich versucht hat, das Leben zu nehmen, und es ihm gar nicht gut geht. Er wollte anscheinend zuerst nicht zurück zu seinen Eltern, aber Hoseok konnte ihn davon überzeugen, dass es besser ist. Yoongi bedankt sich dafür, dass er ihm das erzählt hat und auch dafür, dass er sich stellvertretend um Jimin gekümmert hat.

"Noch was", hört er Hoseoks Stimme erneut, als er sich gerade verabschieden will, "Ich soll dir von Jimin ausrichten, dass er dir sehr dankbar ist, dass du ihn abgehalten hast. Und dass du dich gekümmert hast. Der Kleine hatte sogar Tränen in den Augen, als er das gesagt hat." Das kann Yoongi sich tatsächlich gut vorstellen und vor seinem inneren Auge projizierten seine Erinnerungen das Bild des weinenden jungen Mannes. Wieder bricht es ihm das Herz, auch wenn er weiß, dass es nur eine Vorstellung ist. Er verabschiedet sich von Hoseok, steckt das Handy weg und holt stattdessen seine Schachtel Zigaretten raus, um seine blankliegenden Nerven zu beruhigen.

Auf dem Nachhauseweg beschäftigt sich Yoongi gedanklich nur noch mit der Frage, was einen Menschen dazu bringen kann, sich das Leben nehmen zu wollen. Er selbst hat auch genügend Probleme und wünscht sich nicht das erste Mal, dass dieser ganze Mist einfach aufhört. Aber er würde niemals ernsthaft über einen Suizid nachdenken. Was treibt einen Menschen nur dazu? Und noch viel wichtiger: Wie hält man jemanden langfristig davon ab?

In seiner Hilflosigkeit holt er sein Handy erneut hervor und tippt in die Suchmaschine "Jeongguk Suizid" ein. Sofort werden ihm mehrere Seiten angezeigt, die sich allesamt damit befassen. Aber wie Hoseok schon sagte, die Medien kannten kein anderes Thema mehr. Seufzend wählt er die erstbeste Seite und liest im Gehen, was die Medien darüber schreiben.
     

"22 Jähriger begeht Suizid. Nur einer von vielen?

Südkorea hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem Spitzenreiter der Suizide unter OECD- Ländern entwickelt. Leider konnten noch keine Maßnahmen für eine erfolgreiche Senkung der Suizidraten etabliert werden. Als Grund werden oftmals unbehandelte psychische Erkrankungen genannt. Aber warum steigt vor allem bei der Jugend diese Rate? Ein wichtiger Faktor soll das Schulsystem sein, dass mit seinen hohen Anforderungen immer mehr Jugendliche in klinische Depressionen treibt. Aber auch das Gesundheitssystem zeigt hier deutliche Schwächen. Die öffentlichen Ausgaben im Bereich geistiger Gesundheit betragen in Südkorea nur etwa drei Prozent. Ein alarmierend geringer Prozentsatz."
    

Yoongi seufzt und scrollt weiter. Etwas weiter unten im Artikel findet er weitere Angaben zu dem jungen Mann, der sich das Leben genommen hat.


"Jeongguk (22) nimmt sich auf tragische Weise das Leben. Seine Familie ist erschüttert. Sie sollen nicht gewusst haben, dass der junge Mann seit Jahren unter schweren Depressionen litt. Sie haben ihn immer als sorgenfreien Menschen wahrgenommen, seine schulischen Leistungen waren durchweg gut. Laut Angaben der Polizei soll den einzigen Hinweis für Depressionen der Abschiedsbrief geliefert haben, den der junge Mann hinterlassen hat. Die Polizei ermittelt in diesem Fall weiter."
    

Yoongi ist erschüttert. Er weiß, dass viele Menschen in diesem Land an psychischen Erkrankungen leiden. Es aber schwarz auf weiß zu sehen, nimmt ihn mehr mit, als er zunächst angenommen hat. Sofort denkt er an Jimin und dem tieftraurigen Ausdruck seiner Augen. Er hofft, dass Jimin nicht dasselbe Problem hat. Aber selbst, wenn das der Fall sein sollte, wäre Yoongi machtlos. Er könnte ihm niemals helfen. Er ist schließlich kein Arzt. Außerdem hat selbst genug Probleme. Er will und kann sich nicht um noch mehr Menschen in seinem Umfeld kümmern.

Daher macht er das Einzige, was ihm gerade logisch erscheint. Er geht nach Hause und kümmert sich um die Frau, die längst vergessen hat, dass eigentlich sie die Fürsorge tragen sollte. Sie braucht seine Hilfe viel dringender als Jimin.


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"Mama, bitte! Ich hab echt nicht mehr die Nerven für den Scheiß heute!" Seine Stimme zittert. Seine Hände zittern. Er kann nicht mehr. Heute ist ein grauenvoller Tag. Es ist, als würde seine Mutter mitbekommen, wie überfordert er sowieso schon ist und als würde sie alles daran setzen, es noch schlimmer zu machen. An der Grenze der Belastbarkeit ist er längst angekommen, trotzdem hört sie nicht auf. Egal, was er tut, seine Mutter sträubt sich mit allem, was sie hat. Plötzlich hält sie inne.

"Dein Papa wollte es immer", fängt sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen an zu erzählen. Yoongi starrt seine Mutter ungläubig an, lässt den Schlafanzug von ihr fallen und setzt sich zu ihr aufs Bett. "Ich wollte ihn gar nicht kennenlernen, aber er hat nicht locker gelassen. Ich weiß noch, dass er einen furchtbar hässlichen Strauß Blumen dabei hatte, als er mich zum Date eingeladen hat. Nelken, Lilien und Rosen sollte man nicht wahllos zusammenstellen. Das hab ich ihm gesagt. Aber er wollte trotzdem, dass ich ihm eine Chance gebe."

Yoongi schweigt. Seine Mutter hat bislang nie über seinen Vater gesprochen. Sie haben sich getrennt, als er noch ganz klein war. Natürlich hat er sie als Kind oft nach ihm ausgefragt, aber jedes Mal hat sie ihn auf später vertröstet. Er freut sich, auf der einen Seite. Auf der anderen versteht er nicht, wieso sie ausgerechnet heute davon erzählt. Sie weiß ja nicht einmal mehr, wie man den Herd anschaltet oder wie man sich umzieht. Wie kann es sein, dass sie sich so detailliert an etwas erinnert, das schon viele Jahre zurückliegt?

"Mama, warum erzählst du mir das? Du musst ins Bett. Ich muss morgen wieder arbeiten und..." "Sei nicht so stur, hat er gesagt", erzählt sie weiter, ohne auf die Worte ihres Sohnes einzugehen, "Erst dachte ich, dass ich mich verhört habe. Aber so war er. Direkt und ehrlich. Ich war beeindruckt. Du erinnerst mich manchmal an ihn. Wirklich, ihr seid euch sehr ähnlich."

"Das kann ja sein, aber trotzdem musst du dich jetzt umziehen. Echt mal, ich hatte einen verdammt langen, verdammt anstrengenden Tag. Ich...-" Wieder wird er von der Frauenstimme unterbrochen. "Ich hab mich immer gefragt, ob es ein Fehler war, mich auf ihn einzulassen. Aber mittlerweile weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war."

"Mama, bitte. Lass uns da morgen drüb...-" „Wäre er damals nicht einfach mit einer anderen abgehauen, dann hätten wir wirklich eine gute Ehe gehabt. Es tut mir so Leid, dass du ihn niemals kennenlernen konntest." Yoongi rutscht zu seiner Mutter, schließt sie in seine Arme und sagt, dass alles okay ist. Auch wenn er viele Jahre gerne vielmehr über seinen Vater wissen wollte, wirkt es jetzt auf einmal nicht mehr wichtig. Er ist dreißig Jahre ohne Informationen über ihn zurechtgekommen. Jetzt braucht er sie auch nicht mehr. Außerdem ist er zu müde, um mit solchen Infos umgehen zu können. Seine Nerven sind überstrapaziert. Seine Kopf platzt fast, auch ohne weitere Gedanken an seinen Vater.

Es dauert ewig, bis er seine Mutter beruhigt hat, sie ihren Schlafanzug anhat und im Bett liegt. Als er es geschafft hat, ist er erleichtert, auch wenn er durch das Gespräch verwirrter ist, als zuvor.

Schnell flüchtet er sich auf den kleinen Balkon, starrt in die Dunkelheit Seochons, und steckt sich eine Zigarette an. Der blaue Dunst verwirbelt vor seinen Augen, doch im Vergleich zu seinen Gedanken wirkt der Rauch sogar geordnet.

Wieder denkt er über den Bericht nach, den er auf dem Nachhauseweg gelesen hat. Und über Jimin. Vielleicht in der Hoffnung ein Indiz dafür zu finden, dass er nicht dieselben Probleme wie dieser Jeongguk hat. Er hofft, dass es nicht so ist. Scheiße. Jetzt macht er sich doch Sorgen um diesen dahergelaufenen Spinner, dabei kann er doch sowieso nichts ändern. Oder?

Und wieso musste seine Mutter ausgerechnet heute über seinen Vater sprechen und wie froh sie ist, dass sie ihm eine Chance gegeben hat? Hat sie einen sechsten Sinn für sowas? Immerhin hat er sich im Laufe des Tages immer wieder gefragt, ob er Jimin nicht vielleicht doch eine Chance geben sollte und ihm seine Hilfe anbietet. Vielleicht ist es aber auch nur dieser seltsame Effekt, von dem sich niemand freisprechen kann, dass man alles auf das eben erlebte Gedankenchaos bezieht. An sowas wie Schicksal oder Fügung glaubt Yoongi nicht. Er braucht Fakten. Und Fakt ist, dass er alles auf Jimin beziehen würde, egal was er erzählt bekäme.

Bleibt nur die Frage, ob Yoongi sich an seine alten Muster hält oder ob er sich eingestehen kann, mehr in diese Begegnung rein zu interpretieren. Eventuell ist es mehr als ein Zufall. Wer weiß, vielleicht ist dies ein Zeichen, dass er sich kümmern sollte. Vielleicht denkt er in dreißig Jahren ebenfalls positiv über ihr erstes Treffen, so wie seine Mutter über die Begegnung mit seinem Vater denkt. Vielleicht sendet das Universum ihm ein Zeichen, dass Jimin dringend Hilfe benötigt. 


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