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Yoongi sieht im letzten Moment, dass er Junge nicht vorhat, wieder stehen zu bleiben. Seine Schritte zeugen von Entschlossenheit, während er auf die große Kreuzung zusteuert. Auf seinem Gesicht findet ein seltsam entspanntes Lächeln platz. Er begreift, was der andere vorhat und plötzlich ist Yoongis Kopf wie leergefegt. Seine Handlungen ein rein mechanisch ablaufender Prozess und nur möglich durch das Adrenalin, dass durch seine Adern gepumpt wird. Die nächsten Sekunden fühlen sich an wie ein kaputter Film in Standbildern. Es sind Momentaufnahmen. Yoongi sieht die roten Bremslichter der Autos. Klick. Er hört das Quietschen der Reifen. Klick. Schockierte Passanten kreischen. Klick. Er sieht den Jungen in die Frontscheibe des herannahenden Autos blicken. Klick. In der nächsten Momentaufnahme ist das Auto kurz davor den Jungen zu erfassen. Klick.

Du solltest Momentaufnahmen festhalten. Die Erinnerung seiner Erkenntnis fühlt sich an wie ein schlechter Scherz. Yoongi blendet alles um sich herum aus, als er nach vorne hechtet. Die kreischenden Passanten verstummen, die Autos lösen sich im Nebel des Adrenalins auf. Die Lichter verblassen. Er spürt den Boden unter seinen Füßen erst wieder, als er es im letzten Moment schafft, die Kapuze des jungen Mannes zu fassen zu kriegen. Das Quietschen der Reifen und das aufeinanderfolgende Hupen der Autos erschüttert Yoongis Trommelfell. Sie vermischen sich zu einer angsteinflößenden Melodie, die von aufgebrachten Stimmen durchzogen wird. Mit aller Kraft zieht er den jungen Mann zu sich, schlingt seine Arme wie eine Schutz bietende Jacke um ihn und landet unsanft auf dem Asphalt des Bürgersteigs. Ein blitzartiger Schmerz durchschießt seine Schulter an der Stelle, wo er aufkommt. Yoongi kneift die Augen zusammen und umklammert den anderen, während sie ein paar wenige Meter von der Wucht des Aufpralls weiterrollen. Yoongis Puls rast. Sein Herz schlägt so feste gegen das Innere seines Brustkorbes, dass ihm schwindelig wird.

"Scheiße! Was sollte das denn?", keift er den jungen Mann unter sich laut an, wobei nicht zu überhören ist, wie gestresst er von den letzten Sekunden ist. Die anderen Passanten haben sich und zu einer Traube Schaulustiger angesammelt, doch Yoongi blendet sie vollständig aus. Er ist viel zu konzentriert darauf, seine Atmung wieder einigermaßen in den Griff zu kriegen und die Übelkeit auszublenden, die sich in ihm ausbreitet, kaum lässt die Adrenalinkonzentration in seinem Blut nach. Er bekommt nicht viel Zeit, sich von dem ersten Schreck zu erholen, denn da spürt er, wie der Junge sich regt.

"Lass mich!", faucht der Fremde ihn an, ehe er wild zu strampeln anfängt. Yoongi ist sich nicht sicher, ob der Typ weiß, dass er ihm gerade das Leben gerettet hat, denn der führt sich auf, als habe er etwas Falsches getan. „Lass mich los!", wiederholt der junge Mann und fängt an, auf Yoongis Brust einzuschlagen. Seine Schläge sind nicht fest und trotzdem tut es weh. Nicht körperlich. Die Schläge des Fremden treffen seine Seele. Er hat ihm doch nur helfen wollen. Wieso rastet er jetzt aus?

"Sag mal! Geht's noch?", brüllt Yoongi. Er will sich nicht länger verletzen lassen, darum greift er nun selbst an. Angriff ist die beste Verteidigung, das weiß jeder.

Endlich kriegt er die Handgelenke des anderen zu fassen und pinnt ihn daran festhaltend auf dem Bürgersteig fest. Erst wehrt der jüngere Mann sich noch, aber der Widerstand lässt schnell wieder nach. Yoongi will ihm klar machen, dass er gerade sein Leben riskiert hat, um ihn zu retten. Dass der andere mit Sicherheit draufgegangen wäre, hätte Yoongi nicht so schnell reagiert, aber ihm bleiben die Worte im Halse stecken. Er erstarrt bei dem Anblick tränengefüllter Augen. Der junge Mann unter ihm sieht ihn so verzweifelt an, dass er nicht mehr reagieren kann. Er erkennt, wie viel Kraft es dem anderen kostet, seine Tränen zurückzuhalten, und wahrscheinlich wendet er aus dem Grund seinen Blick ab. Aus Überforderung nimmt Yoongi einen tiefen Atemzug, lässt von den Handgelenken des anderen ab und richtet sich wieder auf. Dabei spürt er, dass seine Schulter schmerzt, aber es gibt Wichtigeres, um das er sich gerade kümmern muss. Er ist sich unsicher, wie er nun reagieren soll, fasst sich schließlich aber doch ein Herz, um den anderen zu fragen, ob er aufstehen kann. Der junge Mann nickt daraufhin zaghaft und setzt sich vorsichtig auf. Yoongi hält ihm eine Hand hin und hilft ihm auf die Beine. Ihre Finger berühren sich und gleichzeitig treffen ihre Blicke aufeinander.

Verdammt. Wieso hat Yoongi plötzlich das Gefühl, dass der andere geradewegs in seinen Brustkorb greift und sein Herz umklammert? Er bekommt keine Luft, wenn dieser Typ ihn so festhält und mit diesem Blick mustert. Yoongi will fliehen. Er kann das nicht. Dieser Typ lockt so viele Emotionen in Yoongi hervor, dass er von sich selbst völlig verwirrt ist. Er muss weg, aber auf der anderen Seite hat er Zweifel. Wer garantiert ihm, dass der Fremde nicht direkt wieder auf die Straße rennt? Unfreiwillig erinnert sich Yoongi an das Gespräch mit Hoseok zurück. Es interessiert ihn nicht, was aus Menschen wird, die er nicht kennt. Das waren seine Worte. Er meinte sie ehrlich, sein ganzes Leben hat er immer nach diesen Grundsätzen gehandelt. Wieso schafft er es bei diesem dahergelaufenen Spinner einfach nicht? Es kann ihm im Grunde genommen doch egal sein, ob er nun vor dem Laden erfriert, von einem Auto überfahren wird oder sonst was. Aber das ist es ihm aus irgendeinem Grund nicht. Sobald er in die Augen des jungen Mannes sieht, wird Yoongi von einer Flutwelle an Emotionen mitgerissen. Sie sind so intensiv, dass sie in dem Körper des anderen nicht ausreichend Platz finden, aus ihm heraus brechen und sich auf jeden übertragen, der ihm zu nahe kommt. Auch auf Yoongi. Er ist überfordert von so vielen Gefühlen.

"Wie heißt du?", fragt er daher und hofft, damit diese ohrenbetäubende Stille endlich zu unterbrechen, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hat. Der andere zieht daraufhin seine Hand zurück und endlich kann Yoongi wieder atmen. Mit großen Augen schaut er ihn an, blinzelt einige Male und scheint nicht die leiseste Ahnung zu haben, was er mit der Frage bezwecken will. In Yoongi steigt die Sorge, dass der Typ sich schwerer verletzt hat, als es gerade aussieht. Was, wenn er mit dem Kopf auf dem Boden aufgekommen ist und dadurch sein Gedächtnis verloren hat? Er hat alles versucht, damit der andere nicht zu stark aufprallt, und die Wucht des Sturzes abzufangen. Wenn es nach den Schmerzen in seiner Schulter geht, ist ihm das auch gelungen, aber sicher ist er sich nicht. Dazu kommt, dass Yoongi gar nicht weiß, ob eine Amnesie überhaupt durch einen solchen Aufprall ausgelöst werden kann. Wahrscheinlich schon, aber selbst wenn, hat er immer noch keine Ahnung, ob dieser junge Mann davon betroffen ist.

"Wie...", beginnt er daher seine Frage zu wiederholen, doch da unterbricht ihn die dünne Stimme seines Gegenübers. "Jimin."

Okay. Zumindest scheint er noch zu wissen, wie er heißt. Es ist also doch keine Amnesie. Und wenigstens kennt er jetzt den Namen des jungen Mannes, vor dem er am liebsten Reißaus nehmen möchte. Das ist schon mal ein Anfang, aber wie geht es weiter? Yoongi hat noch nie jemanden das Leben gerettet. Er hat keine Ahnung, was er jetzt tun soll. Kurz überlegt er, ob er einen der anderen Passanten fragen soll, aber die haben sich desinteressiert schon wieder von ihnen abgewendet. Aus Film und Fernseher weiß er, dass die meisten in einer solchen Situation einen Krankenwagen rufen. Vielleicht sollte er das machen. Es klingt zumindest nach dem besten Plan, der Yoongi gerade in den Sinn kommt.

"Ich ruf jetzt 'nen Arzt", verkündet er, während er sein Handy aus der Hosentasche hervor zieht. Weit kommt er jedoch nicht, denn er wird zugleich von einem aufgebrachten Jimin unterbrochen. "NEIN!" Der junge Mann sieht ihn entsetzt an, schließt kurz darauf die Augen und wiederholt seine Worte, diesmal jedoch leiser. "Nein. Kein Krankenwagen. Mir geht's gut. Ich brauch keinen Arzt."

"Sicher?", hinterfragt Yoongi. Er hebt dabei eine Augenbraue und streicht sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht, die ihn schon die ganze Zeit stören. Jimin sieht an sich runter, klopft seine Hose ab und kontrolliert, ob seine Klamotten durch den Sturz dreckig geworden sind. Er nickt, aber überzeugt ist Yoongi nicht. Die Frage, weshalb Jimin so leichtsinnig war, läuft die ganze Zeit im Hintergrund seiner Gedanken. Er muss sie aussprechen, sonst wird sie ihn noch in den Schlaf verfolgen. "Das war ganz schön leichtsinnig. Hätte echt schief gehen können. Warum bist du einfach losgelaufen?"

Jimin schaut ihm für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen. Yoongi sieht, wie schwer ihm die Antwort fällt und fragt sich, ob er etwas Falsches gesagt hat. Jimins Stimme ist dünn und brüchig, als er endlich auf Yoongis Worte reagiert. "Wegen der Dunkelheit."

"Bitte?", platzt es aus Yoongi heraus. Es ist nicht dunkel. Definitiv nicht. Leidet dieser Jimin an Halluzinationen?

"Ich hab dir doch davon erzählt. Es ist immer dunkel. Ich hatte gehofft, dass ich der Dunkelheit endlich entkomme, wenn ich einfach weiter gehe."

"Warte...", stößt Yoongi entsetzt aus, "Heißt das, du bist wirklich absichtlich über Rot gelaufen?" Das würde bedeuten, dass seine erste Vermutung richtig war, aber glauben will Yoongi es nicht. Hat er grade einen Fremden von einem Selbstmord abgehalten, ohne es zu wissen? Das klingt alles so surreal.

Jimin antwortet nicht. Nicht mit Worten zumindest. Dafür spricht sein Blick mehr als genug. Es war tatsächlich Absicht. Das ist alles ein schlechter Scherz. Was hat dieser beschissene Tag nur an sich? Er treibt Yoongi noch in den Wahnsinn, aber vielleicht war das Geständnis von Jimin der Höhepunkt des Ganzen und, der restliche Tage verläuft friedlicher. Er hofft es, denn langsam zweifelt er nicht nur an Jimins Verstand, sondern auch an seinem eigenen. Hoffentlich geht heute nicht noch mehr schief.

"Ach fuck!", brüllt Yoongi, als er sich daran erinnert, dass er längst auf dem Rückweg zur Arbeit sein müsste. Er hat völlig vergessen, dass die Zeit rennt. Nach einem prüfenden Blick auf seine Armbanduhr weiß er, dass er mit Sicherheit zu spät kommen wird. Er beißt sich auf die Unterlippe, während er sein Handy hervorholt und seinem Kollegen eine Nachricht schreibt, dass er sich wegen einem Unfall leider etwas verspätet und er nachher alles genauer erklärt. Hoffentlich hat er Verständnis dafür, dass er zu spät kommen wird. Wieso hat Hoseok auch ausgerechnet heute frei?

"Alles okay?", fragt Jimin leise. Yoongi will ihn anschnauzen, ihm mitteilen, dass es seine Schuld ist, doch wieder irritiert ihn der Blick des jungen Mannes so sehr, dass seine Stimme ihren Dienst quittiert. Wie soll er ihm bei diesen Augen denn böse sein? Er scheint wirklich ein schlechtes Gewissen zu haben, scheint sich aufrichtig zu sorgen, ob Yoongi wegen ihm nun Schwierigkeiten bekommt. Scheiße, er hat noch nie so aufrichtige, klare Augen gesehen. Yoongi ist in diesem Moment fest davon überzeugt, dass er bei anderen Menschen bislang immer nur in trübe Sumpfgewässer gesehen hat, ohne es zu realisieren, weil es normal war. Erst jetzt erkennt er es. Jimins Augen sind anders. Bei dem klaren Wasser kann man bis auf den Grund des Ozeans sehen. Yoongi ertrinkt. Er muss wirklich ganz dringend weg von diesem Kerl. Vor allem muss er dringend zur Arbeit, wenn er nicht will, dass sein Kollege ihn noch beim Chef anschwärzt. Aber er kann den anderen nicht alleine hier zurücklassen. Genauso wenig kann er ihn nach Hause schicken, denn das hat beim letzten Mal schon nicht funktioniert. Was soll Yoongi tun?

Jimin weiß wirklich nicht, wo er hingehen soll, oder? Anders kann sich Yoongi nicht erklären, weshalb er ihn so hoffnungsvoll ansieht. Was erwartet er jetzt? Er kann ihn nicht einfach mitnehmen, als wäre er ein ausgesetzter Hund, den er gerade aufgelesen hat. Selbst, wenn Yoongi ihn gerettet hat. Er kennt ihn nicht. Yoongi würde niemals einfach so mit jemanden mitgehen, den er nicht kennt. Er wäre viel zu misstrauisch. Jimin dagegen scheint geradezu zu hoffen, dass jemand anderes ihm einen Weg zeigt, dem er blind folgen kann.

Was Jimin jedoch nicht weiß; Yoongi verläuft sich selbst oft, er kennt den richtigen Weg nicht. Er kann niemandem helfen, wenn er sich selbst nicht helfen kann. So ist es doch, oder? 


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