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Manche Dinge im Leben sind so stark in uns verankert, dass sie sich niemals ändern. Dass Yoongi in den letzten Minuten zu viel geraucht hat ist ein gutes Beispiel. Und dass er immer noch die kaputten Lederboots trägt, durch die das Regenwasser sickert. Oder die Tatsache, dass er vor dem Kaleidoskop steht, die blaue Aufschrift mustert und nicht mehr weiter weiß.

Zum Leben gehört nur leider ebenso eine vielzahl an Ereignissen, die alles ändern und eine Entscheidung von einem einfordern. Genau diese Ereignisse sind der Grund, weshalb Yoongi überfordert ist. Woher weiß man, welche Entscheidung die richtige ist? War es richtig, Jimin bei sich zu Hause zurückzulassen, anstatt ihn zu seinen Eltern zu schicken? Sicher wird er gerade heulend in seinem Bett liegen. Allein. Er wollte es, hat gesagt, dass er klarkommt. Yoongi hat ihm nicht geglaubt, und trotzdem hat er es dabei belassen. Aber warum? Er hätte Jimin genauso gut davon überzeugen können, zu seinen Eltern zu gehen und sich mit ihnen zu vertragen. Das klingt nach einer weitaus besseren Entscheidung. Wieso hat er sich dann dagegen entschieden? Und vor allem, zu welchen Konsequenzen wird das führen? Man kann im Leben keine Entscheidung treffen, ohne dass es sich in einem oder mehreren Bereichen ändert. Und weil man vorher nie weiß, wohin der Weg führt, ist es so verdammt schwierig den Richtigen auszuwählen.

Aus Schuldgefühlen mit jemanden zusammen zu kommen, ist wahrscheinlich nicht der richtige Weg. Aber wenn man an nichts anderes mehr denken kann, als an diesen Menschen, dann ist es doch Liebe, oder? In dem Fall wäre eine Beziehung die einzig logische Schlussfolgerung. Aber was, wenn eine vielzahl von Umständen, die er nicht ändern kann, dagegen sprechen? Allem voran der Altersunterschied von über zehn Jahren.

Yoongi grübelt und grübelt. Er versucht ja, die richtige Entscheidung zu treffen, aber es ist so verdammt schwer. Eins weiß er aber. Er kriegt das nicht alleine hin und braucht dringend Rat von einem Freund, der ihn für seine Situation nicht auslacht oder für verrückt erklärt. Diese Entscheidung wiederum ist eine, die ihm ausgesprochen leicht fällt. Es gibt sowieso nur eine Person, die er als Freund bezeichnen würde. Hoseok. Warum kann nicht alles im Leben so einfach sein?

Leider kommt er, wie die gesamte Woche auch, erst zur Spätschicht ins Shadow. Yoongi bleibt also nichts anderes übrig, als seine Schicht mit seinem anderen Kollegen, bis zu dessen Feierabend, auszuhalten und auf Hoseok zu warten.

Als es Nachmittag ist und Hoseok dann endlich zum Dienst kommt, hat Yoongi sich schon längst wieder in seinem Gedankenlabyrinth verlaufen. Natürlich entgeht es seinem Freund nicht und spricht ihn direkt darauf an. Er fragt, was passiert ist, aber Yoongi weiß nicht, wo er anfangen soll. Fakt ist, es ist zu viel passiert in den letzten Wochen. 

"Ich hätte die Scheiß Tabletten vorbestellen sollen", antwortet Yoongi nach einiger Zeit und ignoriert dabei die Tatsache, dass sein Freund mit dieser Information herzlich wenig anfangen kann. Hoseok sieht ihn perplex an, und hakt nach, was er damit meint.

"Die Tabletten. Für meine Mutter. Dann hätte ich sie hier in der Apotheke abholen können. Dann hätte ich nicht in die am Stadtrand rennen müssen, ich wäre Jimin nicht an der Kreuzung begegnet und dann hätte ich mein altes Leben wieder. Alles so wie früher. Keine Entscheidungen, keine Fragen, keine Gespräche nach der Arbeit, ob man eine Beziehung jetzt will oder nicht." 

Hoseok ist ein geselliger Mensch. Er schafft es beinahe mühelos, sich mit anderen anzufreunden. Er weiß immer, was er sagen muss, trifft aus dem Bauch heraus die richtigen Entscheidungen und kann andere verdammt gut überzeugen. Nur in diesem Moment scheint nicht mal er die passenden Worte zu finden. Yoongi hat seinen Kollegen noch nie so derart sprachlos erlebt. Seit geschlagenen fünf Minuten starrt er ihn an, ohne etwas zu sagen. Vielleicht kommt ihm das auch nur so lange vor, aber Fakt ist: selbst Hoseok hat die richtige Lösung nicht parat. Also erklärt er ausführlich, was passiert ist und hofft, dass Hoseok die Situation dadurch besser einschätzen kann. Er erzählt davon, wie furchtbar Jimin ausgesehen hat, als er ihn an der Ruine gefunden hat. Er berichtet vom Taxi, vom Streit zwischen Jimin und seinen Eltern, von seinem Liebesgeständnis. Er lässt kein Detail aus. 

"Und jetzt muss ich Jimin sagen, ob ich eine Beziehung will oder nicht. Aber ich weiß einfach nicht, wofür ich mich entscheiden soll." 

"Das kann ich dir nur leider auch nicht sagen, Yoongi." Hoseoks Stimme klingt ungewöhnlich weich. Nicht so zartsamtig wie Jimins, eher wie flüssiges Karamell. "Sowas kann man nicht abwägen. Es gibt kein richtig und falsch. Nur du kannst wissen, wie du Jimin gegenüber fühlst. Schalt den Kopf aus, und lass dein Herz entscheiden. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen." 
Yoongi fragt, wie das geht. Wie schaltet man seinen Kopf aus? Wie kann man die unterschiedlichen Stimmen voneinander unterscheiden? 

Hoseok wendet seinen Blick ab und seufzt frustriert. "Ich weiß nicht. Das kann man nicht erklären. Man fühlt es einfach." 

Es versteht sich wohl von selbst, dass Yoongi mit dieser Information rein gar nichts anfangen kann und sich lieber wieder auf das besinnt, was er am besten kann. Nachdenken, Fakten sammeln, analysieren. 
  
   

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Als er an der Ruine ankommt, erkennt er Jimin schon von Weitem. Er hat ihm während seiner Schicht geschrieben, dass ihm die Decke auf den Kopf fällt und er dringend raus muss. Er meinte, dass er Mochi besuchen würde und hat im selben Moment gefragt, ob sie ihr Gespräch nicht direkt dort führen können. Yoongi hat zugestimmt. Er verbindet viel mit dem Ort, aber vor allem fällt es ihm da leichter, ehrlich zu sich zu sein. Dort muss er sich nicht verstellen. Es ist eine Ruine. Ein kaputter Ort, an dem kaputte Seelen ein Zuhause finden. Kein Ort wäre besser geeignet.

Jimin bemerkt ihn sofort, als er auf ihn zugeht. Mochi liegt wie immer auf seinem Schoß, nur diesmal springt sie sofort runter. Sie scheint die angespannte Stimmung zu spüren und verkriecht sich lieber in ihrer sicheren Festung. Jimin schaut ihr hinterher. Schweigt. Es ist kaum auszuhalten. 

"Wie geht es dir?", fragt Yoongi unbeholfen und setzt sich ebenfalls auf den Boden. Zwischen ihnen sind einige Zentimeter Platz. Für Yoongi fühlt es sich an, als wären es Kilometer, die sie voneinander entfernt sind. 

"Ich… weiß nicht so genau. Ich… glaube, ich hab… einfach Angst." 

Yoongi glaubt ihm. Die Angst, von der Jimin spricht, ist geradezu greifbar. Es ist, als säße sie zwischen ihnen, damit sie sich nicht zu nah kommen. Sie lässt die Luft um sie herum tonnenschwer werden. Mit jedem Atemzug wird das Gefühl in seiner Brust beklemmender.  

"Wovor?", erkundigt sich Yoongi. Das Sprechen fällt ihm schwer. Die erdrückende Luft ist Gift, schnürt seine Kehle zu und macht es beinahe unmöglich, ein richtiges Gespräch zu führen. Jimin scheint es ähnlich wahrzunehmen. Unter der Last ist seine Körperspannung zusammengesackt. Er spricht leise, zittrig. "Dass du mich wegschickst." 

Noch immer klafft ein kilometerweiter Abstand zwischen ihnen. Jimin sieht ihn immer noch nicht an. Stattdessen schlingt er seine Arme um seine Beine und zieht sie nah an seinen Körper heran. Es ist eine Schutzhaltung. Jimin will nicht, dass Yoongi ihm zu nah kommt. Aus Angst vor Yoongis Entscheidung, hält er ihn auf Abstand. Es tut weh, wenn Jimin ihn auf diese Art von sich stößt. Ein positives hat es aber. Yoongi fällt es unter den Bedingungen etwas einfacher zu sprechen.  

"Ich habe dich heute Morgen nicht weggeschickt, und das werde ich auch jetzt nicht machen. Egal, für was ich mich entschieden habe, Jimin. Du bist mir wichtig und ich will nicht, dass es dir schlecht geht."

Jimin zuckt erschrocken zusammen. Zieht die Beine noch näher an sich heran, bettet den Kopf auf seine Knie. Es dauert lange, bis Jimin endlich in der Lage ist, zu antworten. "Ich... hab schon verstanden, Yoongi. Du hast dich gegen eine Beziehung entschieden."

Kann ein Herz ertrinken? Wenn ja, dann ist dies gerade mit Yoongis Herz passiert. Er kriegt keine Luft. Er erstickt, während sich ein elendig stechender Schmerz von seinem Brustkorb ausgehend immer weiter in ihm ausbreitet. Jimin weint nicht und doch glaubt Yoongi, dass er Jimin niemals so derart niedergeschlagen erlebt hat. Wie kann das sein? Es sollte doch schlimmer sein, wenn jemand weint, oder nicht? Wie kann sich eine fehlende Regung nur so grausam anfühlen? Wenn es nicht absolut falsch wäre, würde Yoongi jetzt aufstehen und wegrennen. Weg von dem Schmerz. Aber das geht nicht. Er hat sich entschieden und jetzt muss er Jimin das möglichst schonend beibringen. Aus dem Grund rutscht er näher an ihn heran, versucht aus Kilometern nur noch Millimeter zu machen und legt seine Hand auf Jimins Rücken. "Aber nicht, weil du mir nicht wichtig bist, Jiminie. Ich mag dich, sehr gerne sogar. Aber ich kann das nicht. Bitte versteh das nicht falsch. Es liegt nicht an dir. Es spricht nur einfach zu viel dagegen. Wir führen zwei völlig unterschiedliche Leben. Du… machst jetzt deinen Abschluss. Ich dagegen werde bald noch mehr arbeiten müssen, damit ich meine Mutter in eine Einrichtung geben kann. Es wird nicht besser und lange kann ich sie nicht mehr zu Hause versorgen. Und deine Eltern… ihr habt euch gestritten. Wegen mir. Setz das nicht für jemanden aufs Spiel, der dir nichts im Leben bieten kann. Ich kann mir ja nicht mal ein Paar neue Schuhe leisten. Ich hab bald noch weniger Zeit und du wärst jeden Tag allein. Verstehst du? Das kann nicht gut gehen und… ich will nicht, dass du dann leidest. Lieber fange ich dann gar nicht erst eine Beziehung mit dir an. Das ist einfacher. Das wirst du viel besser verkraften können." 

Jimin löst seine Arme und schaut das erste Mal wieder zu Yoongi. In seinem Blick funkelt etwas, das er noch nie in den Augen des anderen gesehen hat. Es gleicht ein bisschen den Diamanten, nur mit dem Unterschied, dass sie klingenartig in Yoongis Seele vorpreschen und dort blutige Wunden hinterlassen. Er will was sagen, Jimin besänftigen. Stattdessen schweigt er und sieht zu, wie Jimin aufsteht. "Weißt du was? Ich glaube, das sind Ausreden, Yoongi. Wenn man sich wirklich liebt, dann kriegt man auch sowas hin! Das ist doch nicht wirklich der Grund, warum du das nicht willst. Wenn du keine Gefühle für mich hast, ist das okay. Aber dann sag es auch so! Alles andere ist feige! Wie soll ich denn bitte von dir loskommen, wenn du mich so zappeln lässt? Sag es einfach!" 

Er durfte nun schon so viele Emotionen von Jimin erleben. Aber eine solche ist völlig neu für ihn. Noch nie ist er derart laut geworden. Er verliert ihn, wenn er jetzt nicht handelt. Schnell steht auch Yoongi auf. Sein Kopf pocht. In seinem Adern pusliert die pure Angst. Er greift nach der Hand des anderen, um ihn davon abzuhalten wegzulaufen. Er will so nicht mit ihm auseinander gehen. Jimin scheint das aber als Angriff zu werten, denn er geht auf Yoongi zu und sieht ihn eindringlich an. Da begreift er, was dieses andersartige Funkeln bedeutet. Das ist dieser Moment, wenn Hoffnung, Angst und Wut aufeinanderprallen. Eine gefährliche Mischung. Jimins Augen sind ein Ozean an Gefühlen und Yoongi hat nie gelernt, darin zu schwimmen. Bislang hat er es immer zurück an die Wasseroberfläche geschafft. Nur diesmal wird es ihm nicht mehr gelingen. Er wird qualvoll ertrinken. 

Unsicher, welche Welle an Emotionen ihn als nächstes treffen wird, bereitet er sich auf den Aufprall vor und schließt die Augen. Die Wucht ist enorm und obwohl er wusste, dass es heftig wird, trifft sie ihn, als sei er völlig unvorbereitet. Es ist nicht die Angst. Auch nicht die Wut. Es ist die Hoffnung, die sich just in diesem Moment auf seinen Lippen niederlässt. Jimin küsst ihn. So zart und liebevoll, dass es ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Die Zeit scheint still zu stehen. Er verdrängt, warum sie hier stehen und für einen Augenblick lässt Yoongi sich einfach in der Schwerelosigkeit ihrer Zweisamkeit fallen. 

Als sie sich lösen, lächelt Jimin für den Bruchteil einer Sekunde. Leider stirbt es sofort, als sich ihre Blicke treffen. Er vermisst seine Lippen jetzt schon. Er wollte nicht, dass der Kuss so früh endet. Er wäre gerne noch ein bisschen in der Schwerelosigkeit geblieben. 

"Yoongi. Sieh mich an, und sag mir, dass du mich nicht liebst." In den Worten ist kein Angriff herauszuhören, dennoch klingt die Stimme ungewohnt rau. Seine Finger, die immer noch auf Yoongis Wangen liegen, fühlen sich dagegen unnatürlich weich an. Er kann sich nicht aus der Berührung befreien. 

"Das kann ich nicht", schafft er schließlich zu sagen. Wie schwach. Er sollte sich dazu überwinden und Jimin damit die Chance geben, ihn zu hassen. Aber er kann nicht. Er kann ihn nicht anlügen. Der Wunsch, ihre Lippen wieder zu einem Kuss zu vereinen, wird so stark, dass Yoongi sich nicht mehr dagegen wehren kann. Nur noch einmal. Mehr will er gar nicht, auch wenn es egoistisch ist. Er beugt sich vor und lässt sich erneut in dem schwerelosen Gefühl fallen. 

Jimins Mund ist noch leicht geöffnet, als sie sich wieder trennen. Sein sehnsüchtiger Blick ist starr auf Yoongis Lippen gerichtet. "Dann lass es uns doch wenigstens probieren. Bitte, Yoongi. Ich glaube, dass es funktionieren kann." 

Das wird es nicht. Sieht Jimin das nicht? Sie sind jetzt schon viel zu abhängig voneinander, sowas ist noch nie gut ausgegangen. Es ist wie bei Drogensüchtigen. Im ersten Moment verpasst es dir den Kick des Lebens. Erst im Nachhinein verstehst du, dass du den Verfall deines Körpers damit nur vorangetrieben hast. Du wirst an deiner Sucht sterben.

"Nein, Jimin. Es geht nicht." 

Die nächste Welle, die Yoongi trifft, ist Wut. "Verdammt! Wovor hast du denn so ne Angst?" Jimin ist sauer und er kann es sogar verstehen. Er hat was besseres verdient. Yoongi ist egoistisch. Er ist Gift für den anderen. Verdammt, wieso hat Jimin es zugelassen, dass er sich so sehr in den anderen verliebt? Er hasst ihn dafür, dass es soweit kommen konnte. Das hat Yoongi jetzt davon. Sein Herz ist schon ertrunken. Seine Seele nur noch ein vereinsamtes Stück Treibgut, das auf dem Ozean schwimmt. Jimins Wut verwandelt das Gewässer in eine Todeszone. Er wird von der Welle in die Tiefen des Ozeans gezogen und steht plötzlich unter Wasser. Wovor hast du denn so ne Angst? Die Frage läuft auf Repeat, während er versucht, wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. Scheiße. Er ist völlig orientierungslos in der Dunkelheit der Tiefsee. Er muss wissen, wo er hinschwimmen muss, wenn er nicht ertrinken will. Er kennt den verfluchten Weg doch nicht! Den hat er noch nie gekannt! Yoongi kann keine Entscheidungen treffen. Er will nicht mehr. Es ist zu laut in seinem Kopf. Wovor hast du denn so ne Angst? Wieder diese Frage. Sie quält ihn. Er muss auftauchen. JETZT. 

Als er es endlich schafft, für einen Moment die Augen zu öffnen, wird es plötzlich still. 

Frühlingssonnenstrahlen treffen auf sein Gesicht und wärmen ihn. Im Hintergrund kann er seine Mama lachen hören. Diamanten schimmern. Eine kleine Blume am Wegesrand kämpft sich aus der Erde. Mochi schnurrt. Dann sieht er auf einmal die Bremslichter herannahender Autos. Das Fenster ist offen. Kami fliegt davon. Schockierte Passanten kreischen. Ein Quietschen. Lass nicht zu, dass er so endet wie Jeongguk. Nebel. Der Taxifahrer schaut sie an. Kein Krankenhaus. Es ist ihr erster Kuss. Es ist zu viel passiert. 

Klick

Er hat jede Momentaufnahme festgehalten. Jetzt brechen sie allesamt auf einmal über ihn herein. Hoseok hatte Recht. Yoongi fühlt es. Der sichere Ort, an dem er diese Erinnerungen aufbewahrt hat, zerbricht. Yoongi zerbricht. Endlich versteht er es. Endlich macht es Sinn. Er begreift, dass der Altersunterschied und alle anderen Probleme nur vorgeschobene Argumente sind, um zu verschleiern, wovor er wirklich Angst hat.
Jimins Stimme reicht ihm eine Hand. Sie führt ihn. Er kennt jetzt den richtigen Weg. Als er wieder auftaucht, schmeckt er das salzige Wasser auf seiner Haut. 

"Yoongi, du… du weinst." 

Mit schockgeweiteten Augen starrt er den jüngeren an. Er sieht verzweifelt aus. Er hat Yoongi noch nie weinen sehen. Kaum einer hat das. Er muss es erklären. Jimin muss wissen, dass Yoongi die ganze Zeit falsch gelegen hat. Wieder greift er nach der Hand des anderen. Diesmal will er nicht, dass Jimin wegläuft. Er braucht ihn. Er zittert.  

"Mein Papa hat uns verlassen, als ich noch ganz klein war", fängt Yoongi an, aber es ist so scheiße schwer ehrlich zu sein. "Und… damals, als ich noch ganz klein war, da hab ich den Käfig offen gelassen. Kami, unser Wellensittich, ist einfach davongeflogen. Weg. Für immer. Meine Mama ist schwer krank. Sie wird vergessen, wer sie ist. Wer ich bin. Sie wird bald sterben. Und ich habe Jin niemals wieder gesehen. Er war der einzige Freund damals, den ich hatte. Es… ist immer so. Immer, wenn mir jemand viel bedeutet, verschwindet er aus meinem Leben. Deswegen habe ich Mochi keinen Namen gegeben. Ich hatte Angst. Angst, dass sie geht, sobald ich mich an sie gewöhnt habe. Es ist so albern. Es ist nur eine Katze, aber… ich hab Angst, dass sie mich auch verlässt. Ich hab Hoseok mal gesagt, dass es mir egal ist, wenn jemand stirbt. Aber… aber das stimmt nicht. Ich komme nicht damit klar, wenn… jemand geht. Bei dir wäre es noch viel schlimmer, Jiminie. Ich will nicht abhängig von dir sein, weil das bedeutet, dass ich mich irgendwann von dir verabschieden muss. Das würde ich nicht verkraften." 

Arme schlingen sich um seinen Körper. Es tut weh, endlich zu begreifen, dass man sich all die Zeit nur was vorgelogen hat. Aber Jimin ist da. Er hält ihn. Mal wieder. 

"Ich habe auch Angst, Yoongi. Die Wahrheit ist, dass ich ohne dich auch nicht klarkomme. Du hast mich davon abgehalten, aufzugeben. Du hast meinem Leben einen neuen Sinn gegeben. Du hast mir, ohne es zu merken wahrscheinlich, die schönsten Tage der gesamten letzten Jahre geschenkt. Das Riesenrad, Mochi, die langen Abende zusammen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du mich allein lässt. Ich habe sogar wieder angefangen richtig zu lernen. Die Wahrheit ist, ohne dich schaffe ich es nicht." 

"Und was, wenn es nicht funktioniert?" 

Jimin lächelt schmal. Er verschränkt seine Finger mit denen von Yoongi. Die Distanz zwischen ihnen hat sich endlich verflüchtigt. "Ach, Yoongi. Man weiß vorher nie, ob es funktioniert. Das kann man erst sagen, wenn man es versucht hat. Aber ich glaube, dass wir es schaffen. Ich fühle es." 

Jimins Worte lassen ihm an Hoseok zurückdenken.
"Ich weiß nicht. Das kann man nicht erklären. Man fühlt es einfach."

Jimin ist anders als er. Er fühlt es. Aber nicht nur die Worte geben ihm Sicherheit. Es ist vor allem sein Blick, der pure Überzeugung ausstrahlt. Er vertraut Jimin ja, aber was, wenn er Unrecht hat? Wenn Yoongi hinterher alleine dasteht und niemals mehr die Frühlingssonne auf seinem Gesicht spüren kann? Auf der anderen Seite ist Yoongi noch nie gut darin gewesen, die richtige Entscheidung zu treffen. Er kann nicht einschätzen, wohin der Weg sie führen wird. Jimin scheint das anders zu sehen. Er ist sich so sicher, warum sollte Yoongi nicht auf seine Worte vertrauen?

Damals, als er Jimin auf der Kreuzung davon abgehalten hat, sich das Leben zu nehmen, war er hilflos. In dem Moment wusste er nicht, wo er hingehen soll. Er hat Yoongi blind vertraut und ist ihm gefolgt, obwohl er den Weg selbst nicht kannte. Jetzt ist es umgekehrt. Vielleicht hat er Pech und er folgt Jimin nur auf weiteren Umwegen in seinem Leben. Aber vielleicht hat sich auch etwas verändert und Jimin weiß endlich, wohin sie laufen müssen. Vielleicht haben sie ja doch eine Chance. Yoongi will daran glauben, dass es so ist und schließt Jimin in seine Arme.

"Okay, Jiminie. Ich vertraue dir. Lass es uns wenigstens versuchen."
  

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