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Da Hoseok die Mittelschicht und dementsprechend schon um sechzehn Uhr Feierabend hatte, waren die restlichen Stunden für Yoongi um einiges ruhiger. Die wenigen Kunden, die sich zu später Uhrzeit noch in den Laden verirrt hatten, waren allesamt Stammkunden gewesen und brauchten daher keine Beratung. Sie kamen rein, suchten sich etwas aus, bezahlten und gingen wieder. Damit konnte Yoongi leben. Sowieso hatte er heute zumindest bei den Kunden Glück. Es ist wenig los gewesen und als er um kurz vor sieben den Laden zumachen kann, fühlt er sich nicht so erschöpft wie sonst.

Yoongi dreht das Schild von ‚Open' auf ‚Closed' um und atmet dabei erleichtert aus. Nur noch die Kasse abrechnen und dann kann er nach Hause. Nicht, dass er dort seine Ruhe hat, da fängt seine eigentliche Arbeit erst richtig an, aber das ignoriert er, solange es geht.

Als er die Kasse öffnet, um die Abrechnung zu machen und das Geld in den Tresor zu räumen, hält er kurz inne. Darin ist nicht nur genug Geld für ein neues paar Schuhe. Es würde ausreichen, um einige Tage sorgenfrei zu leben. Yoongi sieht die Scheine lange an. Er weiß, dass es dumm wäre und er dadurch den einzigen Job riskieren würde, den er gefunden hat. Dennoch kann er sich nicht von dem Anblick lösen. Er spielt mit dem Gedanken, das Geld einfach einzustecken und zu sagen, dass sie ausgeraubt wurden, aber das würde nicht funktionieren. Die Kameras würden alles detailliert dokumentieren und ihn verraten.

Er verwirft die Überlegung und rechnet eilig die Kasse ab, bevor er es sich doch nochmal anders überlegt. In Gedanken klammert er sich daran, dass er gleich für wenige Minuten ein bisschen Freizeit hat. Er nimmt sich nach Feierabend immer diesen kurzen Moment. Ohne ihn wäre er wahrscheinlich längst durchgedreht oder zusammengebrochen. Er klammert sich daran, weil es das Einzige ist, an dem er überhaupt noch festhalten kann.

Als Yoongi alles gecheckt hat, schnappt er sich seine Jacke und seine Wertsachen, und verlässt das Shadow. Das vertraute Türglöckchen erklingt und der kalte Wind fegt ihm um die Nase. Schnell verschließt Yoongi seine Jacke und bereut, dass er seinen Schirm zu Hause vergessen hat. Natürlich muss es ausgerechnet jetzt regnen, aber was wundert er sich? Den ganzen Tag war der Himmel schon von dunklen Wolken behangen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis es zu regnen anfing. Das erklärt jedoch, wieso die Straßen von Seochon geradezu verlassen wirken. Bei dem Wetter sind kaum Leute unterwegs, zumal es schon längst dunkel ist. Und mal ehrlich, die Laternen erhellen die Straßen nur notdürftig und sorgen mit ihrem gelblichen Licht eher für eine unangenehme Stimmung, als für Helligkeit.

Yoongi ignoriert den Regen und fischt ungeduldig in seiner Hosentasche nach der Zigarettenschachtel und seinem Feuerzeug. Als er die eingedrückte Packung endlich zu fassen kriegt und sie öffnet, stellt er fest, dass nur noch fünf Zigaretten übrig sind. Er war heute sehr verschwenderisch. Das kann er sich eigentlich nicht leisten und das weiß er. Trotzdem zögert er keinen Moment länger und steckt sich die nächste Kippe an, auch wenn es durch den Wind und den Regen einiges an Geschick erfordert. Es ist eine Wohltat für ihn, als die beruhigende Wirkung des Nikotins einsetzt. Den bitteren Geschmack nimmt er längst nicht mehr wahr, genauso wenig wie dessen schädliche Wirkung. Bei seinen ersten Zigaretten hat sein Körper noch eisern versucht, ihm zu zeigen, dass er es lassen soll, aber das hat er schon vor Jahren aufgegeben. Natürlich ist es immer noch genauso gesundheitsschädlich, doch Yoongi findet die bläulichen Rauchschwaden, die er wieder auspustet, haben etwas Malerisches. Zusammen mit dem Regen, der vom Licht der Straßenlaternen zu glitzern scheint, sieht der blaue Dunst aus wie ein Gemälde. Es ist für ihn kein Nervengift. Es ist sein persönliches Stück Freiheit, das ihm niemand nehmen kann.

Yoongi verfolgt den Rauch mit seinem Blick, als er etwas im Augenwinkel bemerkt. Neben ihm, direkt vor den Schaufenstern des Buchladens, steht ein junger Mann. Yoongi versteht nicht genau, was er da tut. Für ein Schaufensterbummel ist es definitiv zu spät, zu kalt und zu nass. Außerdem hat das Kaleidoskop schon vor zwei Stunden zu gemacht. Was sucht der Junge also da? Weiß er nicht, dass der Laden kurze Öffnungszeiten hat? Was hat er vor? Sich den Tod holen? Yoongi sieht ihn sich genauer an. Der Typ scheint ziemlich jung zu sein, jünger als Yoongi. Er schätzt ihn auf Anfang zwanzig. Das eigentlich Interessante an ihm ist jedoch seine Kleidung. Der Kerl ist entweder verdammt hart im Nehmen oder noch ärmer dran als Yoongi.

Er trägt über seinem Pullover wenigstens noch eine dünne Lederjacke, die ehrlich gesagt auch schon viel zu wenig Schutz vor der Februarkälte bietet. Wie soll es dann erst dem anderen gehen? Eine Jeans mit handflächengroßen Löchern an den Knien und ein dünner Pullover, der an vielen Stellen trotz Regenschirm schon durchnässt ist, ist keine angemessene Kleidung bei diesem Wetter. So gar nicht. Der Fremde scheint trotzdem nicht zu frieren, zumindest sieht er nicht, dass der andere zittert. Dabei friert Yoongi trotz Jacke schon so stark, dass er die Arme vor der Brust verschränkt und hofft, dass ihm dadurch wärmer wird. Kurz überlegt er, was sinnvoller ist, sollte er zufälligerweise an Geld kommen. Eine neue Jacke wäre sicherlich auch keine schlechte Idee. Am besten eine mit Kapuze, damit er nicht jedes Mal total durchnässt wird, wenn er seinen Regenschirm mal wieder vergessen hat.

"Der Laden ist schon längst zu", ruft Yoongi dem Fremden zu, weil er sich damit erhofft, den anderen zum Gehen überzeugen zu können, "Geh nach Hause, wenn du dir nicht den Tod holen willst." Der Regen wird stärker und dämpft seine Worte, obwohl er schon lauter spricht als sonst. Kurz überlegt er, ob der Fremde ihn nicht gehört hat, doch da hebt dieser seinen Kopf und schaut in Yoongis Richtung. Er scheint ihn erst jetzt bemerkt zu haben und davon ziemlich irritiert zu sein. Er antwortet nicht, sondern starrt Yoongi lange an, als müsse er überlegen, wie man reagiert, wenn man das erste Mal auf einen Menschen trifft. Yoongi hält dem Blick stand und will seine Worte wiederholen, als der Fremde wieder in das Schaufenster des Buchladens schaut.

"Ich... ich kann nicht", erklärt er leise. Seine Stimme zittert so stark, dass Yoongi sich fragt, wie lange er schon da steht. Um ihn richtig verstehen zu können, geht er ein paar Schritte auf den jungen Mann zu. Dieser räuspert sich und redet schließlich etwas lauter weiter. "Früher, als ich noch klein war, da meinte meine Mama immer zu mir, dass ich nach Hause kommen soll, sobald es dunkel wird." Er lächelt traurig, als er seinen Schirm nach hinten kippen lässt, um in den wolkenbehangenen Himmel zu sehen. Nur langsam fällt sein Blick wieder gen Boden und im selben Moment verschwindet das Lächeln. Das Einzige, was zurückbleibt, ist der traurige Ausdruck seiner Augen. "Jetzt ist es dunkel. Dunkel und kalt. Aber... ich kann nicht nach Hause. Es gibt keinen Ort mehr für mich, der warm und hell genug ist."

Der Fremde fängt heftig an zu zittern, und kurz überlegt Yoongi, ob er ihm nicht doch seine Lederjacke geben sollte. Aber mal ehrlich. Er kennt den Typen nicht und Yoongi ist zu arm, um sich eine neue Jacke zu leisten. Er ist froh, dass er überhaupt noch eine hat, die wenigstens ein bisschen Schutz vor der Kälte bietet. Er kann ihm nicht helfen. Er kann sich ja nicht mal selbst helfen. Außerdem, wer weiß, was das für einer ist. Vielleicht ist er auf Drogen, obdachlos oder geisteskrank. Oder alles, normal ist er auf jeden Fall nicht, da ist er sich sicher. Er ist bestimmt jemand, der immer nur Probleme macht und wenn er eines in seinem Leben nicht braucht, sind es zusätzliche Probleme.

"Dann geh halt woanders hin. Hier kannste auf jeden Fall nicht bleiben, wenn du nicht krepieren willst. Gibt doch genug Möglichkeiten einen Unterschlupf zu finden."

Elegant ist es nicht, das weiß Yoongi selbst. Aber was soll er sonst antworten? Dennoch hat er das Bedürfnis ihm noch was sagen zu müssen. Irgendwie mitteilen, dass er sich Hilfe suchen soll. Aber seine Worte sind wirklich nicht gut gewählt, das merkt er daran, dass der Mund des Fremden aufklappt, aber keine Silbe seine Lippen verlässt. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er ihn an. Es ist unangenehm. Yoongi mag es nicht, so lange angesehen zu werden, oder besser gesagt, er hasst es. Es fühlt sich dann immer so an, als könne sein Gegenüber bis auf den Grund seiner Seele sehen, jeden Gedanken mitverfolgen und jede Schwachstelle entdecken. Er meint dann nichts mehr von seinem Inneren verbergen zu können. Und das macht ihn verwundbar. Yoongi ist zu schwach, um weiteren Verletzungen standzuhalten. Daher entscheidet er sich für den Weg, den er immer wählt, wenn er nicht weiter weiß. Flucht.


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Seit über zehn Minuten sitzt er auf der Steinmauer und starrt auf die Ruine, die sich vor ihm erstreckt. Der Regen hat zwar nachgelassen, aber dennoch wirkt der Ort grau und trist. Wo einst Gebäudefenster waren, klaffen nun große Löcher. Wer weiß, ob dort jemand absichtlich die Scheiben eingeworfen hat oder ob sie einem Sturm zum Opfer gefallen sind. Die Farbe der Außenwände ist abgeblättert und präsentiert das graue Mauerwerk, das an vielen Stellen zunehmend zerbröselt. Kein begrüßenswerter Anblick. Bestimmt war es vor Jahren ein schönes Gebäude, denkt Yoongi sich. Aber das ist es schon lange nicht mehr. Er fragt sich, was passiert ist, dass es so weit kommen musste. Oder ist es bei Gebäuden ähnlich wie bei Menschen?

Wenn du dich nicht genug darum kümmerst, zerfallen sie. Am Anfang fällt es kaum auf, aber irgendwann sind die Schäden irreparabel und so deutlich erkennbar, dass keiner sich mehr in Nähe wagt. Es ist traurig. Das Gebäude vor ihm kann genauso wenig für dessen Verfall, wie Yoongi für seinen, aber vielleicht gehört es einfach zum Leben dazu. Manche Dinge kann man nicht aufhalten, sie passieren, ohne dass dafür ein triftiger Grund vorliegt. Genau wie Unfälle.

Yoongi seufzt, als er beschließt, dass es für heute keinen Sinn mehr hat. Sie wird nicht kommen, egal wie lange er wartet. Schade. Er hat von seinem wenigen Geld extra etwas mitgebracht, weil er findet, sie hat es verdient, einmal am Tag eine Kleinigkeit zu Essen zu kriegen. Mehr kann er nicht für sie tun. Leider scheint sie sich heute nicht raus zu trauen. Yoongi hofft, dass es nicht an seiner grausigen Existenz liegt, sondern lediglich den ungemütlichen, kaltnassen Wetterverhältnissen.

Apropos Kälte. Ob der Typ vor dem Kaleidoskop mittlerweile weg ist? Yoongi hat keine Lust, ihn morgen erfroren vor dem Laden zu finden. Zum Glück hat er wieder Spätschicht. Andere werden ihn zuerst auf ihn aufmerksam werden und Yoongi muss sich allerhöchstens Hoseoks Erörterung anhören, wie dramatisch es ist, einen jungen Mann tot auf offener Straße vorzufinden. Verdammt. Sein Arbeitskollege hat Recht. Yoongi ist ein gefühlskaltes Arsch geworden. Nicht freiwillig natürlich, aber es lässt sich nicht mehr abstreiten, dass seine soziale Kompetenz stetig abnimmt.

Das zweite Mal an diesem Tag schlingt er seine Arme noch enger um seinen dünnen Körper. Wenn es nicht so kalt wäre, würde er noch einen Moment länger bleiben und auf sie warten. Er hat doch sonst nichts. Nur hier, nur in ihrem Beisein, fühlt er sich besser. Menschlicher. Sie ist die Einzige, die seine weiche Seite zum Vorschein bringen kann und bei der er sich nicht verstellen oder Angst haben muss, falsch zu reagieren. Hier kann er einfach er selbst sein. Dieser kaputte Ort ist der einzige, an dem kaputte Seelen wie sie oder Yoongi ein Zuhause finden.

Er schließt kurz die Augen, nimmt einen tiefen Atemzug und steht niedergeschlagen von der Steinmauer auf. Er dreht dem maroden Gebäude den Rücken zu und bereitet sich mental auf die nervenaufreibende Situation zuhause vor, als er ein klägliches Miauen hört. Augenblicklich dreht er sich um und schaut in die smaragdgrünen Augen einer Katze. „Da bist du ja", spricht Yoongi erleichtert aus. Er geht langsam in die Knie und hält der Katze eine Hand hin. Sie schnuppert aus sicherer Entfernung, wagt sich aber erst ein paar Schritte nach vorne, als Yoongi die Futterschale aus der Jackentasche hervorholt. Er zieht die Folie des bekannten Katzenfutterherstellers ab, stellt das Schälchen mit Nassfutter auf den Boden und geht einige Schritte zurück. Die Katze wagt sich nur langsam näher an Yoongi heran, um etwas zu fressen. Er nutzt die Zeit, um sie zu beobachten und seinen Gedanken nachzuhängen. Seit wann kommt er jetzt schon jeden Tag hierher? Es ist bestimmt schon ein Jahr her, dass er das erste Mal auf diesen Ort aufmerksam geworden ist und die braun-weiß gefleckte Katze entdeckt hat. Damals hat er sofort gespürt, dass sie anders ist. Sie wurde von den anderen Katzen gemieden, die sich ebenfalls an diesem Ort ein halbwegs sicheren Unterschlupf gefunden haben. Er vermutet, dass die anderen sie deswegen verstoßen haben, weil sie alleine nicht überlebensfähig ist. Sie hat ein abgebissenes Ohr und ihr Schwanz ist nur halb so lang, wie er sein sollte. Außerdem humpelt sie ein wenig. Yoongi glaubt immer noch, dass ihre Besitzer sie misshandelt und ausgesetzt haben. Das würde erklären, weshalb sie ihm gegenüber so ängstlich ist. Das wirklich traurige ist aber, dass ein solch malträtiertes Tier auf mehr Hilfe angewiesen ist, als die anderen bereit sind, zu geben. Das ist bei Katzen nicht anders als bei Menschen.

„Ich muss leider schon gehen", erklärt er ihr, als sie aufgefressen hat und sich putzt. Auf seine Worte hin, hebt sie das Köpfchen und sieht ihn dankbar an, was Yoongi mit einem Lächeln erwidert. „Ich komme morgen wieder. Lass dir von den anderen nichts gefallen, wenn ich weg bin." Yoongi weiß, dass die Katze ihn unmöglich verstehen kann, und schmunzelt deshalb über sich selbst. Als würde sie die Bedeutung seiner Worte ernsthaft kapieren können. Sie kommt nur, weil sie von Yoongi annähernd jeden Tag was zu Fressen bekommt, mehr nicht. Es ist albern, dass er in ihr eine Gemeinsamkeit sieht, eine Art Verbindung, weil sie schlichtweg an den Haaren herbei gezogen ist. Yoongi sollte seine wenige Energie nicht in solche Hirngespinste stecken, sondern darin, sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.
     

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