. ⋅ ˚̣- : ✧ : - ⭒Kapitel 13⭒ - : ✧ : -˚̣⋅ .

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Yoongi hat lange gebraucht, bis er einschlafen konnte. Die vielen Gedanken haben ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Immer wieder ist er die Gespräche mit Hoseok durchgegangen, er hat über Jimins Situation zu Hause nachgedacht und sich selbst versucht, auf die Schliche zu kommen. Schlauer ist er dadurch nicht geworden, nur zermürbter und verwirrter. Und kaum ist er irgendwann vor Erschöpfung endlich eingeschlafen, wird er wieder aus den Träumen gerissen. Nicht absichtlich natürlich, es ist eher so, als würde er in der Ferne dumpf etwas hören, was nach ihm ruft. Eine Stimme, die seine Hilfe braucht. Yoongi ist noch schlaftrunken und kann nicht einsortieren, was los ist, daher bleibt er einige Sekunden regungslos auf der Bettkante sitzen und versucht, wacher zu werden. Da, wieder. Die Stimme klingt verzweifelt.

Endlich kann Yoongi die Stimme zuordnen, es ist Jimins. Und kaum, dass er das realisiert, steht er auf und torkelt im Halbschlaf ins Wohnzimmer.

"Jimin?", fragt er besorgt und merkt selbst, wie belegt seine Stimme noch vom Schlaf ist. Sein Besucher liegt bäuchlings auf der Couch und vergräbt sein Gesicht in den Kissen. Er bemerkt ihn trotzdem, denn Yoongi erkennt, wie der andere leicht zusammenzuckt und sich tiefer in dem Stoff eingräbt. Yoongi wird sofort klar, dass da etwas nicht stimmt. "Jimin? Ist alles okay?", fragt er nochmal und sieht, dass er als Antwort zu nicken versucht.

"Ich seh doch, das was nicht stimmt." Mit den Worten geht er auf die Couch zu. Jimin dreht sich von ihm weg und schüttelt den Kopf. Yoongis Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Was soll er jetzt machen? Er versteht ja, dass Jimin nicht will, dass er sich Sorgen macht. Aber er kann ihn auch schlecht alleine hier liegen lassen, wenn er genau weiß, dass irgendwas passiert ist. Vorsichtig hockt er sich vor die Couch und streicht über den Rücken, den der andere ihm zudreht. "Was ist los, Jimin?", versucht er es ein weiteres Mal und endlich scheint Jimin sich überwinden zu wollen. Er hört, wie er nochmal tief Luft holt, bevor er antwortet. "I-ich... hatte nur... einen Albtraum."

Er glaubt ihm nicht. Da ist noch was anderes, oder? Zu gerne möchte er Jimin in die Augen sehen, sonst kann er nicht einordnen, wie der andere sich gerade fühlt. Seine Augen sind immer ehrlich, es ist der einzige Anhaltspunkt, den Yoongi hat. Er kann das nicht so gut. Meistens kann er noch nachvollziehen, aus welchen Gründen Menschen handeln, aber Emotionen begreift er nicht. Sie sind wechselhaft und folgen keinen Regeln, das ist schwierig für ihn. Jimins Blick dagegen zeigt ihm jedes Mal, ob es dem Jüngeren gerade gut geht oder nicht. Er muss in seine Augen sehen können, sonst weiß er nicht, was er machen soll.

"Sieh mich an, bitte", fleht er daher leise. Jimin scheint seiner Bitte nachkommen zu wollen, denn auch, wenn es etwas dauert, dreht er sich zu Yoongi und sieht ihn für einen winzigen Moment an. Yoongi verschlägt es die Sprache. Die Augen sind verheult, gerötet und von dunklen Schatten besetzt. Das ist das Schmerzhafteste, das Yoongi jemals gesehen hat. Sein ganzer Brustkorb zieht sich fest zusammen und bringt sein Herz völlig aus dem Takt. Er will nicht, dass Jimin so tieftraurig schaut, er möchte das Diamantenfunkeln wieder. Aber wie? Er weiß nicht, wie er ihm helfen kann und macht daher das Einzige, was ihm in der Situation einfällt. Er streicht über den Arm des anderen und rutscht noch etwas näher. Es scheint irgendwas in Jimin auszulösen, denn in dem Moment rafft er sich auf und klammert sich an Yoongi. Sie sagen nichts und für einige Zeit ist das Schluchzen alles, was den Raum erfüllt.

"Kann ich was tun, damit es dir besser geht?", traut Yoongi sich schließlich zu fragen, als die herzzerreißenden Töne langsam verstummen. Sie verharren in ihrer Position, auch dann noch, als Jimin antwortet. "Nein, schon gut. Es geht gleich wieder."

"Was... hast du denn geträumt? Wenn du re... -" "Ist nicht so wichtig, Yoongi", unterbricht Jimin ihn harsch, "D... danke, dass du nach mir gesehen hast. Aber du... solltest wieder ins Bett. Ich... ich komme schon klar." Wieso wusste Yoongi nicht von vornherein, dass Jimin seine Hilfe nicht annehmen würde? Er hat ja schon Probleme, dass er ihm Unterstützung beim Lernen anbietet. Sieht er nicht, dass sie sich gegenseitig helfen? Dass Yoongi ihn genauso braucht, wie er ihn?

"Ich will dich hier nicht alleine zurücklassen, Jimin. Ich bleibe", spricht er seine Gedanken aus und überwindet sich im nächsten Moment dazu, die Frage zu stellen, die ihm auf dem Herzen liegt, die für ihn aber schwer auszusprechen ist. "Oder du... kommst mit in mein Bett. Such es dir aus."

Jimin bringt so plötzlich mehr Abstand zwischen ihre Körper, dass Yoongi befürchtet, etwas Falsches gesagt zu haben. War das doch zu viel? Wieder sucht er in seinem Blick einen Anhaltspunkt und findet ihn sogleich. Erleichtert stellt er dest, dass darin keine Ablehnung oder Ekel zu erkennen ist, sondern eine Mischung aus Dankbarkeit und dem Suchen nach Hilfe.

"Das... wäre wirklich okay für dich?" Jimins Stimme ist schwach. Man hört ganz deutlich heraus, dass er bis gerade eben noch geweint hat.

"Natürlich, sonst hätte ich es dir nicht angeboten", ist alles, was Yoongi noch dazu sagen kann, ehe Jimin sich auch schon an ihn schmiegt. Vorsichtig hilft er ihm von der Couch auf und gleichzeitig wundert er sich, wie schwach der junge Mann auf den Beinen ist. "Geht's?", fragt er daher leise, ohne ihn loszulassen. Jimin nickt, ehe er sich zu seinem Bettzeug umdreht.

"Ich mach schon", sagt Yoongi jedoch leise und nimmt im selben Moment die Bettdecke an sich. Bevor er nach dem Kissen greifen kann, schnappt Jimin es sich und presst es gegen seine Brust. Der Blick, den er Yoongi daraufhin zuwirft, ist aussagekräftig genug. Er will nicht bemuttert werden, nicht einmal von Yoongi. Ohne etwas dazu zu sagen, akzeptiert er seinen Wunsch und geht mit ihm zusammen in sein Schlafzimmer.

Es fühlt sich seltsam an, den Raum mit jemand anderem zu betreten. Sonst ist er hier immer allein. Es ist der einzige Ort in der Wohnung, in dem er sich zurückziehen kann, wenn es mit seiner Mutter wieder zu heftig ist. Bis jetzt war noch niemand mit ihm zusammen hier, aber es ist okay, auch wenn es sich im ersten Moment seltsam anfühlt.

"Du kannst dir aussuchen, auf welcher Seite du schlafen willst", sagt Yoongi unsicher und deutet auf sein Bett. Jimin steht währenddessen vor einem Wandbild, das er eingehend mustert. "Mir egal", antwortet er monoton und ohne den Blick vom Bild zu lösen, "Das ist echt schön."

"Hab's selbst gemalt, aber das ist lange her." Yoongi schaut ebenfalls kurz zur Leinwand. Er fühlt sich geschmeichelt, auch wenn er nicht weiß, was er dazu noch sagen soll. Das Bild würde er jetzt nicht unbedingt als schön bezeichnen. Es ist in dunkelblauen und schwarzen Tönen gehalten und wirkt eher düster. Das einzig Helle darauf ist die weiße Linie, die mittig auf dem Bild platziert ist. Auf Jimin scheint es eine enorme Faszination auszuüben.

Am liebsten würde er Jimin auf der Stelle fragen, warum ein so düsteres Bild auf ihn schön wirkt, aber er verkneift es sich. Wer weiß, was er damit aufwühlt, wo Jimin eh schon in keiner guten Verfassung ist.

"Na komm", versucht er den anderen zu ermutigen wieder schlafen zu gehen und tatsächlich klappt es. Er dreht sich zu ihm um, aber was Yoongi dann sieht, schockiert ihn. In den Augen des anderen haben sich schon wieder neue Tränen geschlichen und drohen jeden Moment aus ihm herauszubrechen. Es ist unmöglich für ihn, darauf zu reagieren und bleibt wie angewurzelt stehen. Jimin benötigt jedoch keine weiteren Worte, denn im nächsten Moment geht er aufs Bett zu und krabbelt unbeholfen hinein. Yoongi sieht, dass sein Besucher sich dazu entschieden hat, an der Wand zu schlafen, aber darüber ist er insgeheim dankbar. Er weiß nicht, wie er sich jetzt verhalten soll und wenn es ganz schlimm wird, ist zumindest sein Fluchtweg einfacher.

Ein letztes Mal spricht er sich selbst noch Mut zu, ehe er es ihm gleichtut und ebenfalls ins Bett krabbelt. Die Stille breitet sich über sie aus, wie eine zusätzliche Decke, obwohl Yoongi das Gefühl hat, noch irgendwas sagen zu müssen. Aber er schweigt. Jimin schweigt ebenfalls. Vielleicht benötigen solche Momente auch einfach keine Worte.

Yoongi versinkt in seinen verworrenen Gedanken und spürt, wie sich die Müdigkeit allmählich zurück in seine Knochen schleicht, als er mit einem Mal wieder hellwach ist. Er hört ein Schluchzen und ist augenblicklich erneut in Alarmbereitschaft versetzt.

"Jimin? Weinst du?", fragt er überfordert und unterdrückt den Impuls, den anderen zu sich zu ziehen. Es fühlt sich nicht richtig an. Einfach weiter regungslos neben ihm zu liegen, fühlt sich aber ebenso falsch an. Einige Male ringt er mich sich und seiner Unsicherheit, bis er sich überwindet und vorsichtig seinen Arm um Jimin legt. Dieser zuckt kurz zusammen, entspannt sich jedoch sofort wieder. Es vergehen vielleicht zehn Sekunden, bis Jimin sich urplötzlich zu Yoongi dreht und sich an ihn klammert, als wäre Yoongi inmitten des Ozeans die einzige rettende Boje, die ihn vor dem Ertrinken rettet. Yoongi ist überfordert. Nicht nur von Jimin, sondern auch von dem seltsam warmen Gefühl, das sich in ihm ausbreitet. Er will es sich nicht eingestehen, aber es fühlt sich verdammt gut an, jemanden im Arm zu halten. Das ist auf so vielen verschiedenen Ebenen falsch, dass Yoongi gar nicht weiß, was er jetzt schlimmer findet. Jimin ist ein Junge, er sollte es nicht genießen, ihn im Arm zu halten. Schon gar nicht, wenn er bedenkt, wie groß der Altersunterschied der beiden ist. Elf Jahre kann er nicht schönreden.

Viel schlimmer ist aber wahrscheinlich die Tatsache, dass Jimin so furchtbar herzzerreißend weint und Yoongi trotzdem nicht möchte, dass der Moment endet. Er möchte daran festhalten, diese Momentaufnahme abspeichern und für immer an einem sicheren Ort aufbewahren. Was ist er nur für ein furchtbarer Mensch.

"Es... es tut mir so Leid", wispert Jimin schwach, als das Schluchzen weniger wird. Es tut weh. Unglaublich weh, wie ernstgemeint diese Worte klingen. Yoongi ist derjenige, der sich entschuldigen sollte, nicht er. "Jimin, hör auf dich zu entschuldigen", antwortet er daher verzweifelt und schafft es, dass Jimin gänzlich verstummt. Ihre Blicke treffen aufeinander und wieder hat Yoongi das Gefühl, in dem Meer zu ertrinken, während die Welt um sie herum stillsteht.

Eine Ewigkeit schauen die beiden sich einfach an, und schweigen. Das einzige, was nicht schweigt, ist Yoongis Herz. Es pocht so stark, als würde es um sein Überleben kämpfen, dabei scheint Jimins innerer Kampf viel brutaler zu sein als seiner. Wie gerne würde er wissen, was in dem Kopf des anderen vorgeht, aber er traut sich nicht, zu fragen, weil er Angst vor der Antwort hat. Eine weitere Erschütterung würde sein Herz nicht verkraften.

Yoongi erschrickt, als er Jimins dünne Stimme hört. "Yoongi?"

Sein Herz nimmt erneut an Fahrt auf, er will antworten und ihn fragen, was los ist. Stattdessen bringt er nur ein leises "Hm?" zustande.

"Danke. Ich... es... danke." Jimin will noch viel mehr sagen, oder? Warum bricht er ab? Warum sagt er nicht einfach, was los ist?

"Du musst dich nicht andauernd bedanken", flüstert er und überlegt gleichzeitig, was er noch sagen kann, um besser verstehen zu können, was in dem anderen vorgeht. Er seufzt, baut erneut Blickkontakt auf und streicht dem anderen behutsam über den Arm, bevor er weiterspricht. "Und auch nicht entschuldigen. Es ist okay. Auch wenn ich mich frage, was los ist. Hab ich was falsch gemacht? Liegt es an mir?"

"Nein!", antwortet Jimin energisch, "Nein, natürlich liegt das nicht an dir. Im Gegenteil... du... ich fühl mich wohl bei dir, weißt du? Ich... mag es, wie du mich hältst. Das... das vertreibt die Schatten ein bisschen."

Die Wärme in Yoongis Brust wird intensiver und treibt, ohne dass er es kontrollieren kann, ein Lächeln auf seine Lippen. Jimin fühlt sich wohl bei ihm. Dieser Satz läuft so oft in deinem Kopf auf Repeat, dass er sich für immer in seinen Nervenbahnen einbrennen wird. Er möchte sagen, dass er es genauso schön findet, aber die Worte kommen einfach nicht über seine Lippen. Stattdessen zieht er Jimin wieder näher zu sich, schließt er die Augen und atmet seinen angenehmen Geruch ein. Er spürt, wie Jimin sich merklich entspannt und weiß endlich, dass dieser Moment auch ohne ein weiteres Wort sehr gut auskommt.
   
    

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„Danke für alles, Yoongi", sagt Jimin mit einem strahlenden Lächeln zum Abschied. Zum Glück war die gesamte Traurigkeit von gestern Abend verflogen, als sie heute morgen nebeneinander aufgewacht sind. Sie haben die ganze Nacht aneinander gekuschelt geschlafen, zumindest vermutet Yoongi das. Eigentlich wollte er Jimin nochmal auf den Nervenzusammenbruch ansprechen, aber letztlich hat er sich doch nicht getraut, aus Angst, dass der anderen wieder anfangen würde, so traurig zu sein. Den Morgen haben sie mit Lernen, Frühstücken und lockeren Gesprächen verbracht. Es war durchweg eine angenehme, entspannte Stimmung. Vielleicht schafft er es bald, Jimin zu fragen, was los war.

Jetzt erlaubt er sich erstmal, ein letztes Mal die Nähe des anderen zu genießen, als er ihn in eine Umarmung zieht. Er kann nicht einschätzen, wie lange sie so dort stehen, aber als Jimin sich löst, fühlt es sich an, als wären Stunden vergangen und als würde ein Stück von ihm wegbrechen. Wie kann es sein, dass er sich an diesen Menschen jetzt schon so sehr gewöhnt hat? Wie kann es sein, dass er ihn vermisst, obwohl sie noch so nah beieinanderstehen? Und viel wichtiger: was sagt er jetzt?
Yoongi entscheidet sich für ein leises "Komm gut nach Hause".

"Werd ich. Sehen wir uns morgen?", fragt Jimin, als er von der Wohnung in den Hausflur tritt und sich nochmal zu Yoongi umdreht. Das strahlende Lächeln ist noch nicht verschwunden und sorgt direkt für den nächsten warmen Schauer in Yoongis Innerem. "Ähm, ja. Klar."

Wie schön es ist, Jimin lachen zu sehen. Yoongi könnte wirklich stundenlang nichts weiter tun, als sein Lächeln zu betrachten. Jimin ist jemand, der nicht nur mit den Mund lacht, sondern mit seinem ganzen Körper. Es ist diese Ausstrahlung, die Yoongi so wohlig fühlen lässt. Er ist so froh, dass es wieder da ist. Gestern Abend hatte er Bedenken, ob er das Diamantenfunkeln jemals wieder zu Gesicht bekommen würde.

"Dann bis morgen, Yoongi", sagt Jimin, ehe er in den Flur hopst und geht. Yoongi bleibt lange dort stehen und schaut ihm hinterher, obwohl er längst aus Sichtweite ist. Sein Herzschlag beruhigt sich dabei nur sehr langsam und das gibt ihm zu denken. Was, wenn das noch schlimmer wird? Das wäre nicht gut, Jimin würde es bestimmt nicht gutheißen, wenn Yoongi jedes Mal Herzklopfen bekommt, wenn er ihn sieht. Aber auf der anderen Seite möchte er sich deswegen nicht von ihm fernhalten. Er wird das in den Griff kriegen. Wer weiß, vielleicht gewöhnt er sich irgendwann einfach an den anderen und es wird wieder normaler.

Mit einem schweren Seufzen schafft er es endlich, die Wohnungstür zu schließen und sich wieder der Versorgung seiner Mutter zu widmen. Witzig, jetzt wo Yoongi so darüber nachdenkt, fällt es ihm auf. Es ist gar nicht mehr so anstrengend wie früher, sich um sie zu kümmern. Er kann nur noch nicht sicher sagen, ob seine Mutter sich dank Jimins Hilfe wirklich zum Positiven verändert hat oder daran, dass er die Sache einfach etwas entspannter angehen kann, wobei auch das wiederum an Jimin liegen würde. Verrückt. Wenn er bedenkt, welch miserables Bild er am Anfang von ihm hatte und wie dankbar er ihm jetzt ist, dass er sein Leben leichter macht. Bei der nächsten Gelegenheit muss er ihm dafür unbedingt danken. Jimin soll nicht denken, dass es für ihn selbstverständlich ist. Aber jetzt ist erstmal seine Mutter dran. Er sucht sie und findet sie schließlich im Wohnzimmer. Sie sitzt auf der Couch und hat das Kaleidoskop in der Hand, das er von Jimin geschenkt bekommen hat. Sie schaut jedoch nicht rein, sondern betrachtet es konzentriert von außen. Ob sie noch weiß, dass sie ihm damals auch eins geschenkt hat? Oder ob die Erinnerung mittlerweile genauso verblasst ist, wie die vielen anderen auch?

"Mama, was machst du da?" Sie reagiert nicht. Für gewöhnlich wäre er durch sowas gestresst, weil es ihn wahnsinnig macht, wenn sie ihn nicht beachtet. Jetzt kann er es jedoch gelassen hinnehmen. Mit einem schmalen Lächeln setzt er sich zu ihr auf die Couch und fragt, was sie da hat. Das hat er sich von Jimin abgeguckt. Dann reagiert sie oft, selbst wenn sie keine adäquate Antwort geben kann, sondern meistens mit wirrem Zeug antwortet. Es ist immer noch besser als das Schweigen.

Seine Mutter dreht sich wirklich kurz zu ihm um, sieht ihn verwirrt an und schaut wieder auf den Gegenstand in ihren Händen. Sie scheint nicht direkt zu wissen, was es ist, daher ergreift Yoongi die Initiative. Er nimmt es vorsichtig aus ihren Händen und erklärt ihr, dass sie in die kleine Öffnung gucken muss. Sie folgt seinen Anweisungen und ist plötzlich ganz aufgeregt. Um sie zu beruhigen, fängt er an zu erzählen. "Weißt du noch? Du hast mir damals auch so eins geschenkt. Du hast unser restliches Geld dafür ausgegeben. Erst dachte ich, dass du total verrückt geworden bist, aber du warst so fasziniert davon und ich dann auch. Schade, dass es damals verloren gegangen ist." Seine Mutter schaut ihn immer mal wieder kurz an, sieht dann aber erneut ins Kaleidoskop. "Das hat Jimin mir geschenkt", erzählt er weiter und diesmal schaut seine Mutter ihm direkt in die Augen. Es sieht so aus, als würde sie angestrengt über etwas nachdenken, daher redet Yoongi nicht weiter. Er kann noch nicht so gut einschätzen, wann er seine Mutter überfordert. Jimin scheint ein natürliches Gespür dafür zu besitzen. Yoongi nicht. Er muss ganz genau hinsehen und überlegen.

"Wo...?", fragt sie verwirrt und schaut sich hektisch suchend in der Wohnung um. Er hakt nach, was los ist, aber sie antwortet nicht. Sie scheint nicht zu finden, was sie sucht und steht daher auf. Sie ist schon ziemlich wackelig auf den Beinen geworden, deswegen springt Yoongi ebenfalls sofort von der Couch auf. Er weiß ja, dass er sie nicht festbinden kann, aber Angst, dass sie fallen könnte, hat er dennoch. An manchen Tagen geht es ganz gut, heute aber ist sie besonders unsicher auf den Beinen. Er stellt sich neben sie. Sie ignoriert ihn und schaut stattdessen weiter hektisch durch die Wohnung. Er will sie schon fragen, was sie sucht, aber da begreift er es. Natürlich. Es ist offensichtlich. Sie sucht Jimin.

"Jimin ist schon gegangen, Mama. Er muss ja morgen wieder zur Schule", erklärt Yoongi, aber das scheint seine Mutter nicht verstehen zu können, denn ihr suchender Blick geht weiter durch die Wohnung. "Jimin?"
Yoongi hält inne, weil er die Tragweite ihres Verhaltens endlich versteht. Seine Mutter vergisst so vieles. Sie erinnert sich nicht mal an den Namen der Nachbarin, dabei ist sie da fast jeden Tag. Jimin muss für sie etwas ganz Besonderes sein.

Wieso wundert es Yoongi überhaupt? Wenn er bedenkt, wie schnell er Mochi dazu gekriegt hat, ihm zu vertrauen, sollte er sich über nichts mehr wundern. "Du magst ihn wirklich, hm?", traut Yoongi sich zu fragen, als er seine Mutter wieder zur Couch zurückbegleitet. Als Antwort reicht ihm der Blick. Er ist erfüllt von Sehnsucht, von Hoffnung und Vertrauen.

"Ich auch", rutscht es Yoongi über die Lippen, obwohl er das gar nicht laut aussprechen wollte. Seine Mutter lächelt ihn an. Versteht sie es? Sein Brustkorb wird schon wieder von dem warmen Gefühl geflutet und genauso das scheint seine Mutter zu sehen. Oder besser gesagt: zu fühlen. Es ist verdammt lange her, dass sie ihre Hand auf seine Schulter gelegt hat, ihm verständnisvoll angesehen hat und das Gefühl gegeben hat, ihn verstehen zu können. Seit Monaten ist sie das erste Mal wieder seine Mutter, so wie sie es früher war. Er ist überwältigt von den vielen Emotionen und muss sich losreißen, obwohl er es eigentlich sehr genießt. Er braucht eine Pause. Von seinen Gefühlen, von der Wärme, von allem.

"Ich geh eben eine rauchen, Mama. Bleib hier, ja? Ich bin gleich wieder da."
Lange sehen sie sich einfach an, bis Yoongi es endlich schafft, sich zu lösen. Er schaltet den Fernseher an, sucht nach ihrer Lieblingssendung und rennt förmlich auf den kleinen Balkon. Er braucht eine Pause. Der dicke Klos, der sich in seinem Hals gebildet hat, ist kein gutes Zeichen. Sein Herz flattert. Das Nikotin beruhigt seine Nerven nicht so wie sonst. Was er jetzt braucht, ist Ruhe. Und Zeit zum Nachdenken. Dabei würde er gerne anders klarkommen. Ohne Analyse. Ohne Denken. Er würde gerne intuitiv verstehen, warum sein Körper sich gerade so aufführt.

Aber er ist nicht wie Jimin.
   
  

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