Türchen 1▪blaugraue Wolken

,,Jetzt ist sie schon seit einer halben Stunde weg und das finde ich ganz schön frech".

Low kickte eine leere Blechdose über den Bürgersteig, bevor er Tabby antwortete. Die kleine Fledermaus, deren schmale Ohren ungefähr die Hälfte ihrer Körpermaße ausmachten, baumelte kopfüber an einem Dachvorsprung, weshalb Low nach oben sprechen musste: ,,Echt so! Sie hat sich einfach aus dem Staub gemacht und ließ sich nicht umstimmen, dieses mürrische Pelzvieh".

,,Bis zuletzt habe ich versucht, ihr diese Suizidmission auszutreiben! Aber nee, es geht immer nach ihrem Kopf- ein Wunder eigentlich, dass Malum kein Bock ist, so stur, wie sie sich gibt", quietschte Tabby in den Regen hinein, welcher auf die schwarze Straße vor ihnen prasselte. Stygische Nebelschwaden dämmten das Licht der flackernden, gekrümmten Straßenlaternen, welche gegen den Monsun anzukämpfen versuchten. Kalt war es, ja, aber von Schnee und Weihnachtsstimmung keine Spur. Dagegen bewirkten auch die Schwibbögen nichts, die Low und Tabby von etlichen Fensterbänken der Stadt aus angrinsten und die stürmische Nacht tüpfelten. Vielleicht lag es auch an der äußerst miesen Stimmung der beiden, dass noch so viel Weihnachtskram ihre Laune nicht hob, denn in dieser bestätigten sie sich gegenseitig- und das seit einer halben Stunde kontinuierlich. Eben, seit Malum fort war.

,,Hoffentlich hat sie ein schlechtes Gewissen", murmelte Tabby.
Low pflichtete ihm bei: ,,Hoffentlich!"
,,Und richtig nasse Pfoten von ihrem Hinweg, sodass die Bildertrulla sie gleich raus schmeißt".
,,So was von!"
,,Vermutlich bereut Malum ihre Entscheidung gerade, weil ihr auf ihrem Modesofa sterbenslangweilig ist".
,,Echt so".
,,Lächerlich, das Ganze".
,,Lächerlich!"
,,Kannst du auch mal etwas eigenes beisteuern?", schimpfte Tabby und flatterte aufgebracht mit den dünnen Flügelchen.
,,Sorry", krächzte Low. Beschämt pickte er auf der Blechdose herum, welche sich scheppernd beschwerte.

,,Aber ich glaube, das wird ab heute öfters so sein... Oder gar für immer", fiepte Tabby nun ruhiger, beinahe traurig. Er schlang die Flügel eng um seinen Leib. ,,Dass Malum weg ist".
Erschrocken fuhr Low von der malträtierten Blechdose auf. ,,Meinst du?"
,,Ihr schien das ernst zu sein mit ihrem Gerede vom ,neuen Leben, das der kreativen Schöpfung gewidmet ist'. Sie hat uns für solche Flausen verlassen". Tabby wurde immer kälter, und das lag nicht nur an diesem elenden Regen.
Low seufzte, was so annehmlich klang wie das Scharnier eines sich langsam schließenden Sargs. ,,Malum ist zu dieser Gräfin... oder wie das hieß-"
,,Grafikdesignerin", korrigierte Tabby.
,,...genau, zu dieser Grafikdesignerin spaziert, als wären wir völlig egal. Jetzt ist sie weg, schon seit einer halben Stunde! Dreißig Minuten! Und es werden immer mehr!" Theatralisch legte er den Kopf in den Nacken.

Tabby stierte in den verlassenen Bahnhof, dessen Reklamen sich durch den schneidenden Wind von den Litfaßsäulen schälten. Das einst moderne Glasdach verstärkte das Trommeln des Regens. Meist schlief Tabby irgendwo dort oben, wenn der Tag anbrach. ,,Sicherlich vermisst Malum uns fürchterlich!", jammerte er.
Low senkte sein schwarz glänzendes Haupt. ,,Wie kann man denn auch unser gemütliches Stadtleben für so etwas opfern? Das hat die sich nicht richtig überlegt!"
,,Es ist unsere Pflicht als Freunde, zu prüfen, ob es ihr gut geht".
,,Hat sie nicht circa hundertmal gesagt, dass wir sie nicht stören sollen?", fragte Low skeptisch.
,,Wieso sollten wir es dann nicht tun, wenn sie eh weiß, dass wir es tun werden?" Tabby grinste. ,,Und von Störung hat keiner gesprochen. Das wird 'n Undercover-Einsatz!"

,,Du hast recht, sie hat Besseres verdient. Denn am ersten Dezember sollte man sich eigentlich entspannen, statt zu seinem ersten Arbeitstag zu gehen. Und an allen anderen Tagen auch!", krähte Low überzeugt. Er hüpfte zu dem ramponierten Holzkästchen, in welchem sie den Flyer aufbewahrten, den Malum eines Tages angeschleppt hatte und der sie dazu brachte, ihr ganzes Leben zu ändern. Tabby und Low hatten das zerknitterte Blatt, welches unbeschädigt eine ziemliche Augenweide war, schon seit mindestens fünf Minuten nicht mehr angeschaut. Über Adresse und Telefonnummer der mysteriösen Frau prangten in Hochglanz-Qualität beispielhafte Abdrucke ihrer kreativen Ergüsse. Einen bemerkte Tabby gerade besonders, denn die Farben beschrieben seinen Gemütszustand, obwohl er das bei seinem Hass auf diese Grafikfrau ungern zugab, perfekt.

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Sie würden Malum einen Besuch abstatten.

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