♬ 7: ℓιgнтѕ ωιℓℓ gυι∂є уσυ нσмє
⊱ ────── ⋅♬ Chapter 7 ♬⋅ ───── ⊰
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Yoongi windet sich unter Taehyungs Frage wie ein Insekt. Gedanklich natürlich nur. Äußerlich sitzt er da wie der Freak, der er nunmal ist. Zur Salzsäule erstarrt, mit glimmender Zigarette zwischen seinen Fingern, die ungeraucht verglüht, weil die Frage so vollkommen unvermittelt ins Schwarze getroffen hat. Insofern sein Herz als schwarz bezeichnet werden kann. Was vermutlich zutrifft. Warum sonst sollte er so ein kompletter Vollidiot sein?
Wieso machst du dann überhaupt Musik?, hat Taehyung gefragt. Yoongi kann ihm jetzt ja wohl kaum antworten, dass eigentlich AgustD Musik macht. Und die Antwort ‘es ist kompliziert’ kommt auch nicht in Frage. Er beschreibt schließlich gerade nicht seinen Beziehungsstatus bei Facebook.
“Sorry”, rudert Taehyung schnell zurück, nachdem er Yoongis vollkommen entgeisterten Gesichtsausdruck folgerichtig gedeutet hat. “Das war vermutlich etwas… zu direkt von mir. Du musst nicht sofort antworten, wenn du nicht möchtest.” Seine Tonlage hat diese sanfte Farbe angekommen, die er auch vorhin benutzt hat, als er über sein Verhältnis zu Jimin gesprochen hat. Wo sie vorher aus Vertrautheit und Verbundenheit geboren war, wirkt sie im Umgang mit Yoongi deplatziert, weil sie sich doch gar nicht kennen. Es macht ihn irgendwie nervös, weil er nicht das Gefühl hat, diese Nachsicht mit seiner Inkompetenz zu verdienen, aber trotzdem mindert es die eiskalte Aufregung, die sich in seinem Nervensystem festgesetzt hat. Taehyungs weiche Tonlage macht die Frage weniger schwer und nimmt ihm die Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Weil er meistens in Gesprächen das Gefühl hat, dass es nur eine richtige Antwort gibt, die er natürlich nicht kennt.
“Das ist nur...”, beginnt Yoongi vorsichtig, nachdem er sich zweimal geräuspert und in einem Anfall von akuter Panik den halben Cocktail auf einmal durch den Strohhalm gezogen hat. Jetzt ist er leer. Scheiße. Yoongi fühlt sich immer noch nicht mutiger. Mission Mut-Cocktail gone wrong.
“Das ist nur... alles nicht so einfach.”
Es folgt ein verständnisvolles Nicken seitens Taehyung, der ihn wieder mit diesen aufmerksamen Augen beobachtet und mit seinem Schweigen verdeutlicht, dass er auf die Antwort warten wird, bis Yoongi seine Gedanken sortiert hat. Auch er greift nach dem Cocktail auf dem Tisch vor sich, nimmt ihn in seine eleganten Hände, den Strohhalm zwischen seine Lippen und einen verhaltenen Schluck. Er ist jetzt viel ruhiger als noch vorhin. In seinen aristokratischen Gesichtszügen liegt nichts weiter als pure Ernsthaftigkeit. Das Thema ist ihm wichtig. Seine ganze Positur strahlt es aus.
“Ich weiß, dass Musik Leben retten kann”, sagt Yoongi nach einer Weile. Seine Hände spielen mit dem leeren Glas. Trotz der lauten Musik spricht er leise. Irgendwie in der Hoffnung, dass Taehyung ihn dann gar nicht erst verstehen kann. Das macht es leichter, Worte auszusprechen, die er sich sonst nicht zutrauen würde. Wenn niemand hört, was er sagt, dann kann er sich wenigstens nicht noch mehr blamieren. So zumindest die Theorie.
“Also generell Musik. Nicht unbedingt meine. Manche Lieder sind so… BAM einfach.”
Gedanklich gibt er sich für diese saudoofe Aussage direkt eine schallende Ohrfeige. BAM einfach? Geht’s noch? Was soll das überhaupt heißen? Er muss das dringend weiter ausführen. Taehyung hält ihn doch sicher für bescheuert. Der eloquente AgustD, dem keine bessere adverbiale Bestimmung einfällt als bam einfach. Wahnsinn. Die Ironie dahinter ist echt knochentrocken. Yoongi nimmt noch einmal tief Luft. Probiert es nochmal und schließt die Augen dabei. Denkt an seine Seelenmelodie und all die anderen Tracks, die seinem Leben Licht geschenkt haben, wo bis dato nur Dunkelheit geherrscht hat. Davon sollte er sprechen. Und er versucht es.
“Diese Lieder… Die Lieder mit dem BAM-Effekt… Du hörst sie und du fühlst dich direkt damit verbunden. Die Melodie bewegt nicht nur deinen Körper, sodass du vielleicht dazu tanzen willst, sondern… sie bewegt dein Herz. Lässt es plötzlich im richtigen Rhythmus schlagen, nachdem sich wochenlang etwas falsch angefühlt hat. Oder es ist der Text. Manchmal sagen sie genau das, was du selbst nicht sagen konntest. Weil dir halt die Worte gefehlt haben. Sie übernehmen das dann für dich. Du kannst dich dann plötzlich mitteilen oder verstehst vielleicht selbst erst für dich, was da eigentlich gerade bei dir abgeht. Verstehst du, was ich sagen will? Lieder tragen Licht in sich, was wir nicht sehen, sondern nur hören können. Deswegen retten sie Leben. Sie verdrängen die Schatten. Selbst die in deinem Kopf.”
Als Yoongi den Blick hebt, muss er mit ansehen, wie Taehyung ihn mit offenem Mund anstarrt. Scheiße. Kein Wunder. Wie kommt er denn bitteschön auch auf die Idee, so viele sinnbefreite Worte am Stück aneinander zu reihen? Oh Gott. Yoongi hat nicht mal leise genug gesprochen. Was kann er eigentlich? Der arme Taehyung hat sie sich alle anhören müssen. Scheiße. Das stumme Starren ist zu viel für Yoongi. Er dreht den Blick weg und versenkt ihn in seinem leeren Cocktail. Mutcocktail. Pah. Von wegen. Eher ein Du fängst an übertriebenen Bullshit zu labern - Cocktail. Er will im Erdboden versinken.
“Und du machst Musik, weil…?”, bohrt Taehyung nach.
“Ich das auch will”, schiebt Yoongi schnell nach. War ja klar, dass er Ewigkeiten vor sich hin lamentiert und dabei nicht einmal die eigentliche Frage beantwortet. Das schafft auch nur er (und vielleicht ein Politiker. Kein ehrenhafter Vergleich). “Ich will auch, dass meine Musik die Schatten vertreiben kann.” Schließlich wird mein Kopf von ihnen übervölkert.
Den letzten Teil seiner Aussage spart Yoongi sich. Genug Bullshit. Er würde gerne an die Bar flüchten, um neue Getränke für sie zu ordern, aber da wird er Jimin begegnen und er will nicht schon wieder als stammelndes Opfer vor ihm stehen. Also besser sitzen bleiben, weggucken und so tun, als wäre nie was passiert. Er hat die Frage ja jetzt immerhin beantwortet. Könnten sie also bitte einfach weitermachen? Oder hat er Taehyung mit seinem Gelaber so abgeschreckt, dass er abhauen wird, nachdem er sich von seinem ersten Schock erholt hat? Wundern würde es Yoongi nicht. Ist ja nicht so, als wäre er in seinem Leben nicht schon öfter einfach sitzen gelassen worden.
Ein Räuspern lässt seinen Körper versteifen. Vorsichtig wendet er den Blick doch wieder Taehyung zu. Die Überraschung hat seine Gesichtszüge verlassen, jetzt blickt er ihm mit mildem Verständnis entgegen. Yoongi sieht, wie er zum Sprechen ansetzt und seine Hände verkrampfen sich nur noch umso fester um sein Cocktailglas. Egal, was jetzt kommt, er will es nicht hören. Er hat zu viel Angst vor einem Urteil, das Taehyung gar nicht fällen muss. Yoongis Kopf hat das schon lange für ihn übernommen. Und dabei fällt ihm gar nicht auf, dass sein Gegenüber eigentlich ganz andere Intentionen verfolgt.
Stattdessen beginnt Taehyung also zu zitieren:
“Von diesem Punkt an, habe ich mich nicht mehr dafür interessiert.
Scheiß egal, ob irgendwer anders meinen Weg akzeptiert.
Ich habe begonnen so zu leben, wie ich es wollte,
geleitet von meinem Glauben, meiner eigenen Revolte.
Also - hast du noch irgendwelche Rückfragen?
Sieht es für dich danach aus, als würde ich versagen?
Wir sind immer noch jung, noch nicht mal erwachsen.
Mach dir bitte nicht immer so viele Sorgen.
Nur Steine, die sich nicht mehr bewegen, sind moosbewachsen.
Weil du nicht umkehren kannst, denk nur an morgen,
übersteh’ deine Fehler mit erhobenem Haupt und lass’ sie hinter dir.
Du hast in der Hand, was ab jetzt passiert.
Kümmere dich nicht.
Es ist nicht einfach, aber gravier es in deine Haut:
Wenn du dich so fühlst, als würdest du zerbrechen, ist es kein Over-and-Out.
Du wächst nur sehr.
Nevermind - niemals mehr.
Wir sind immer noch jung, noch nicht mal erwachsen,
Nur Steine, die sich nicht mehr bewegen, sind moosbewachsen.
Unser oberstes Gebot:
Never give up, du Idiot.”
Das letzte Wort sagen sie gemeinsam. Yoongi bewegt eigentlich nur die Lippen, aber Taehyung spricht es mit vor Stolz geschwollener Brust aus, das gleiche Selbstbewusstsein inhärent, welches auch AgustD umgeben hat, als er diesen Text geschrieben hat.
“Nevermind.”
Taehyung nimmt einen weiteren Schluck von seinem Cocktail. Er schweigt, um dem Moment seine gebührende Wertschätzung entgegenzubringen. Den Strohhalm lässt er verspielt zwischen seine Lippen gleiten und blitzt seinem Gegenüber verschmitzt entgegen. Jeder andere würde das Verhalten sicherlich als Flirten interpretieren, aber Yoongi selbst schämt sich aufgrund der beinahe intimen Geste wieder nur in Grund und Boden und blickt hektisch weg, bevor sein Starren erneut als pervers abgestempelt werden kann. Dabei ist er nur viel zu perplex von der Reaktion, die er noch nicht deuten kann. Natürlich hat er die Lyrics erkannt. Die zweite Strophe und der Refrain von seinem Song Nevermind.
“Und du willst mir sagen, dass du das Licht nicht erkennst, dass in deinen eigenen Songs scheint?”, grinst ihm Taehyung entgegen. Seine Lippen glänzen feucht. Mit dem Strohhalm klickt er immer wieder gegen seine Zähne, während er Yoongi stur mit seinem Blick gefangen hält. “Dann musst du blind sein.”
Manchmal bin ich das, will Yoongi sagen. Zumindest in meinen Träumen ist es immer zu dunkel zum Sehen. In meinem Kopf sind schwere Wolken und es ist immer Nacht ohne Sterne. Aber er schweigt, weil er eben schon zu viel gesagt hat, sich immer noch dafür schämt und außerdem nicht noch verrückter wirken will, als er es ohnehin schon tut. Es ist die eine Sache, Taehyung davon zu überzeugen, dass er keine grandiose Lichtgestalt ist, aber er muss ihm ja nicht unbedingt sofort klar machen, dass er einfach nur ein bekloppter Freak ist. So ‘n Mittelding wär’ eigentlich ganz passabel. Aber nicht mal das bekommt Yoongi auf die Reihe.
“Manchmal”, bekommt er deswegen nur über die Lippen. Der Rest bleibt in seinem Kopf.
“Nur weil du das Licht nicht siehst, Yoongi, heißt das nicht, dass es nicht da ist,” erwidert Taehyung mit ernsten Augen und diesem Lächeln auf den Lippen, dass schon größere Männer als Yoongi auf die Knie gezwungen hat. Und Frauen. Frauen natürlich auch.
“Meine Schatten hat es jedenfalls vertrieben”, setzt Taehyung nach und seine Stimme schwimmt, nein, sie läuft über, mit so viel Nachdruck, dass die Wellen fast bis zu Yoongi überschwappen. “Jetzt mal ehrlich - nur Steine, die sich nicht bewegen, sind mossbewachsen - unser oberstes Gebot - never give up, du Idiot - NEVERMIND. Hallo?
Hallo? Ziemlich selbstredend, oder? Vor allen Dingen in meiner Situation. Ich mein’, ich hab mich nach der versauten Aufnahmeprüfung genauso gefühlt, wie du es eben beschrieben hast. Ich war richtig deprimiert. Ich dachte, ich muss mein restliches Leben als scheiß Farmer in unserem Familienbetrieb fristen. Ich dachte, ich zerbreche, weil mein Traum zerbrochen ist. Und wie gesagt, alle in meinem Umfeld wollten, dass ich aufgebe. Dann kam dein Song und ich dachte nur: Wow. Das ist es. Du hast mir gesagt, dass ich verdammt nochmal nur wachse. Dass ich zu jung bin, um aufzugeben. Dein Song war der Freund, den ich gebraucht habe, um es durchzuziehen. Der Song, der das Licht gebracht hat. Du hast mir damit Mut gemacht.”
Yoongi friemelt verzweifelt eine neue Zigarette aus seiner zerknitterten Packung. Diese Skinnyjeans sind echt zu nichts zu gebrauchen. Die Taschen sind viel zu eng, da passt nicht mal ordentlich ein Big Pack rein. Die Kippe ist entsprechend deformiert und Yoongi betreibt viel zu viel Aufwand damit, sie nach Bruchstellen zu untersuchen, sie gerade zu biegen und schlussendlich anzuzünden. Seine Lunge füllt sich mit dem giftigen Rauch, der seine giftigen Gedankengänge beruhigt.
Taehyungs Worte sind… schön.
Nur weil du es nicht siehst, heißt das nicht, dass es nicht da ist.
Sie rütteln an ihm. An irgendeiner Saite, die eigentlich schon vor Jahren verstummt ist. Jetzt gibt sie wieder leise Töne von sich. Natürlich vollkommen verstimmt, weil sie so lange nicht gespielt wurde. Yoongi kann das Gefühl nicht greifen. Weiß nicht, welche Melodie da so schief in seinem Inneren gespielt wird. Sie ist auf jeden Fall anders als seine Seelenmelodie. Sie rettet ihn nicht, aber… irgendwie macht sie es besser. Macht scharfe Kanten wieder rund und schlimme Gedanken weniger spitz. Sie lässt es weniger weh tun.
Nur weil du es nicht siehst, heißt das nicht, dass es nicht da ist.
Er will sich die Aussage wirklich nicht selbst zerreden. Zieht noch einmal an seiner Zigarette und lässt das Nikotin mit den Tönen spielen, um gemeinsam gegen die destruktiven Gedankengänge in den Ring zu steigen. Es ist das erste Mal seit einer sehr langen Zeit, dass er immerhin versucht, dagegen anzukämpfen.
“Mhm?”, erkundigt sich Taehyung über seine andauernde Sprachlosigkeit. “Hab ich dich damit überzeugt? Akzeptierst du jetzt endlich, dass du mein Held bist?” Er lehnt entspannt in seinem Sitzpolster zurück. Die perfekten Lippen zu einem kleinen Schmunzeln verzogen und in den Augen immer noch diesen ernsten, nachdrücklichen Ausdruck, der keine Grundlage für einen Widerspruch bietet. Die Lichter des Blue Moon malen ihm Sternenkonstellationen auf die Haut. Er ist so wunderschön wie ein Nachthimmel in einer Gegend ohne Streulicht. Quer über seine rechte Wange verläuft die Milchstraße. Er sieht aus wie das Gebilde, an denen sich die Seefahrer in früheren Jahren orientiert haben, um den sicheren Weg über das Meer zu finden. Es ist nicht vorstellbar, dass dieses überirdische Wesen die dunklen Schatten kennt, die Yoongis Gedanken in regelmäßigen Abständen überfallen und nie so richtig loslassen. Wohingegen Yoongi ein riesiges Leuchtfeuer benötigt, um in der Dunkelheit einen Orientierungspunkt zu finden, hat Taehyung höchstwahrscheinlich nur ein Teelicht benötigt. Den restlichen Weg hat er aus sich heraus gestrahlt.
Und mit der Begründung kann sich Yoongi schließlich abfinden. Seine Musik spendet kein Licht. Seine Lieder sind allerhöchstens schwache Teelichter. Aber manchen Menschen reicht ein Funke, damit sie im vollen Glanz erstrahlen können. Jimin ist so ein Mensch. Und Taehyung anscheinend auch.
Yoongi nickt, damit er nichts weiter sagen muss. Taehyungs Mund verzieht sich zu einem triumphalen Grinsen, das nichts mit Übermütigkeit oder Arroganz gemein hat, sondern viel mehr an ein Kind erinnert, das seine Mutter nach dem ersten Eis tatsächlich noch zu einer zweiten Kugel überreden konnte.
“Wunderbar”, proklamiert er euphorisiert. Seine Ernsthaftigkeit hat er in einem einzigen Wimpernschlag über Bord geworfen. “Dann ist es sicher nicht zu viel verlangt, wenn du mir das jetzt signieren könntest?!”
Wie aus dem Nichts zaubert Taehyung plötzlich ein Mixtape von AgustD hervor. Es ist sein Erstes. Das mit dem Auge, welches als Erkennungsmerkmal für Jimin ausgereicht hat, um Yoongi auf der Straße anzusprechen.
“Öhm… Hast du… ‘nen Stift?”, antwortet Yoongi perplex. Er hat noch nie ein Autogramm gegeben. Er wurde noch nie darum gebeten. Nicht mal online. Okay, ein paar Kommentare gab es da schon unter seinen Tracks, aber sowas meint ja ohnehin nie jemand ernst. Kurz denkt er darüber nach, ob er auch gerade verarscht wird, aber eigentlich wurde ihm ja ziemlich glaubhaft versichert, einen Fan vor sich zu haben. Als Fan macht man solche Dinge, oder nicht? Man fragt nach Autogrammen, alles ganz normal. Kein Grund für Yoongis Hände so abartig zu zittern, als hätten sie noch nie ein Wort geschrieben und müssten nun das Abitur im Fach Deutsch ablegen. Schriftlich natürlich.
Taehyungs Grinsen wird größer. Es ist beinahe eckig, wie ein Kasten, und offenbart alle seine makellosen Zähne auf einmal. “KLAR! Bin doch kein Anfänger…”, kichert er fröhlich in sich hinein und drückt seinem Gegenüber einen Edding in die Hand. “Ich hab’ schon ziemlich oft mit Jimin über diesen Moment geredet und glaub’ mir… ich bin auf alles vorbereitet.”
Der Unterton in Taehyungs Stimme ist so eindeutig zweideutig, dass er sogar Yoongi auffällt.
“Wie meinst du das? Ihr… habt drüber geredet?”, fragt Yoongi mit dem gleichen Zittern in der Stimme, das auch seine Finger befallen hat. Hält nun das Mixtape und einen Stift in der Hand, als würde er diese Gegenstände zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Eine Unterschrift zu geben, zur Hölle, das hat er schon so oft gemacht, das kann doch nun echt keine Herausforderung sein. Aber es ist nicht nur eine Unterschrift, es ist ein Autogramm, erinnert ihn seine diabolische innere Stimme. Das ist ein Unterschied.
“Öhm”, stottert er schon wieder, ohne eine Antwort auf seine vorherige Frage abzuwarten. “Soll ich.. äh… was bestimmtes schreiben oder so?”
Anscheinend war es die richtige Frage. Wenigstens einmal in Yoongis Leben hat er wohl nicht nur verdammten Scheiß von sich gegeben. Taehyungs Augen leuchten strahlend glücklich auf und sein Grinsen wird, kaum vorstellbar, aber es wird noch ein bisschen breiter.
“Für Taehyung, den bestaussehendsten Mann, dem ich je begegnet bin… oder so ähnlich”, diktiert er und wirkt bei dem riesigen Eigenlob kein Stück verlegen.
Die ersten zwei Worte hat Yoongi noch anstandslos mitgeschrieben. Dann stockt er. Der bestaussehendste Mann? Klar, Taehyung sieht ohne Zweifel wahnsinnig gut aus, mit den Sternenkonstellationen auf seiner Haut, den vollen Lippen, den dunkelverheißungsvollen Augen, aber… Es wäre trotzdem gelogen. Seit Yoongi Jimin begegnet ist, hat die Schönheit einen Namen bekommen und Laufen gelernt. Jimin ist unvergleichbar. Er kann doch bei seinem ersten Autogramm nicht lügen. Das bringt bestimmt Unglück oder so. Nicht, dass Yoongi besonders abergläubisch wäre, aber noch Unglück in seinem Leben kann er nun mal echt nicht gebrauchen.
Für Taehyung, der nie ein fremdes Licht brauchen wird, weil eigene Sterne auf seiner Haut leuchten und ihm den Weg weisen
schreibt er schließlich. Das Ergebnis ist so krakelig, dass er es am liebsten durchstreichen und neu schreiben würde, aber so viel Platz ist da nicht und er will es auch nicht noch mehr ruinieren. Er bekommt echt gar nichts auf die Reihe. Und es ist auch zu kitschig oder nicht? Definitiv zu kitschig. Scheiße. Als hätte er heute Abend nicht schon genügend Trash-Talk betrieben.
“... und deine Nummer.”
“Hä?”, erwidert Yoongi wenig elegant. Hat Taehyung noch mehr gesagt? Er hat nichts mitbekommen.
“Und deine Nummer. Nach deiner Unterschrift. Das wär SUPER. Wirklich GROßARTIG. Ich schwöre, ich geb’ sie auch nicht weiter oder so, GROßES Ehrenwort!”, betont Taehyung selbstbewusst. Zur Unterstreichung seiner Worte hebt er eine Hand und legt die andere auf seine Brust.
Es ist eine so süße, kindliche Geste, dass selbst Yoongis Mundwinkel nicht anders können,
als verhalten nach oben zu zucken und darüber zu schmunzeln.
Schnell blickt er zurück auf seine geschriebenen Zeilen und setzt ein großes geschwungenes A darunter, ein paar zackige Bewegungen, ein noch größeres D - fertig. Er hätte das üben sollen. Andererseits ist er niemals davon ausgegangen, dass irgendwo auf der Welt tatsächlich ein Fan aus Fleisch und Blut existiert, der so etwas von ihm fordern würde. Anschließend schreibt er tatsächlich seine Handynummer darunter. Scheiß drauf. Jimin hat seine Nummer ohnehin schon und vermutlich würde Taehyung sie auch von ihm bekommen, wenn er lange genug darum betteln würde. Warum also nicht?
Als er das Album zurückreicht, erstickt sein Gegenüber fast an seinem eigenen Atem. Das Quietschen ist mindestens zwei Oktaven zu hoch für seine normale Stimmlage und viel zu langanhaltend.
“SCHEIßE - IST DAS WIRKLICH DEINE NUMMER?”
Yoongi nickt verhalten. War das falsch? Zu aufdringlich? Hat Taehyung vielleicht nur einen Scherz gemacht und er ist voll drauf reingefallen? Alter, in welcher Welt lebt er denn bitte, dass er wirklich gedacht hat, dass ein Mensch wie Taehyung mit einem Wesen wie ihm in Kontakt bleiben wollen würde?! Vollkommen hirnrissig. Yoongi, du bist so bescheuert. Scheiße, wie dämlich… Aus der Nummer - haha, schlechter Wortwitz, immerhin bleibt ihm der Galgenhumor, - kommt er doch nie wieder raus.
“ICH KANN NICHT GLAUBEN, DASS ES FUNKTIONIERT HAT!” Taehyungs Tonlage ist weiterhin viel zu hoch und schrill. “DARF ICH DICH UMARMEN? BITTE. ICH MUSS DICH UMARMEN!”
“Öhm… okay?”, antwortet Yoongi, der erstens weiterhin im konstanten Zustand der vollkommenen Überforderung schwebt und zweitens mittlerweile verstanden hat, dass sein Gegenüber ohnehin niemals ein Nein akzeptiert.
Den Bruchteil einer Sekunde später klebt der junge Mann wie eine zweite Haut an ihm und schmiegt sich vertrauensvoll an seinen Körper.
“Das ist wie ein Traum”, erklärt Taehyung atemlos. “Dass ich dich treffe und wir uns tatsächlich unterhalten und … alles einfach. Sorry, ich will das einfach nur kurz… genießen.” Er haucht die Worte in Yoongis Ohr, den bei der ungewohnten Berührung eine Gänsehaut am ganzen Körper überfällt. Die Umarmung dauert an und mittlerweile ist es fast wie… kuscheln? Nur, dass Yoongis Körper stocksteif in der Berührung hängt und nicht mal richtig atmet, weil er Angst davor hat, etwas falsch zu machen. Er würde so gerne noch eine rauchen. Und noch was trinken. Er braucht dringend mehr Alkohol.
Sie umarmen sich weiter. Alter. Das ist aber nicht mehr normal, oder? Ist Taehyung eingeschlafen?! Ein anderer Grund fällt Yoongi nicht dafür ein, warum eine andere Person ihn freiwillig so lange berühren sollte.
Mal wieder so ein Fall, wo ein bisschen mehr zwischenmenschliche Kompetenz gefragt wäre. Mittlerweile wird ihm die Berührung echt zu viel, aber wie beendet man sowas?
“NA IHR HÜBSCHEN”, unterbricht eine bekannte Stimme den Moment. Sie klingt wie Honig, der zu lange offen rumstand und dessen Oberfläche ganz hart geworden ist. “Ich hab gesehen, dass eure Getränke leer sind und schwupps, schon bin ich da, um euch Neue zu bringen. WIE NETT VON MIR, ODER?!”
Scheiße. Yoongi ist Jimin so dankbar.
Taehyung lässt tatsächlich von ihm ab, als das Geräusch von klirrenden Gläser auf dem Tisch erklingt. Er wirkt ziemlich unbeeindruckt von der rüden Unterbrechung und blickt nur mit einem verschmitzten Grinsen zum Störenfried hinauf. Yoongi nutzt den Moment, um dringend noch etwas mehr Abstand zwischen ihre Körper zu bekommen.
“Du hättest ruhig auch noch etwas mit den Getränken warten können. Wir waren gerade ganz gut beschäftigt”, erklärt Taehyung frech und übernimmt damit mühelos das Antworten für sie beide.
“Ach, ich wollte doch nicht, dass meine LIEBLINGSGÄSTE den Abend durstig verbringen müssen”, schiebt sich die honigharte Stimme neben Yoongi und nimmt warm den Platz direkt an seiner Seite ein. Obwohl die Couch genug Sitzfläche bietet, berühren sich ihre Oberschenkel und Arme. Er müsste sich nur einen Millimeter zur Seite beugen und ihre Körper würden aneinander reiben. Sie würden sich ähnlich berühren, wie er eben Taehyung berührt hat, nur lässt ihn die Vorstellung, das mit Jimin zu wiederholen, anders nervös werden. Er schluckt schwer. Bloß nicht bewegen, um kein falsches Zeichen zu senden. Oder überhaupt ein Zeichen zu senden. Kein Zeichen ist besser als ein falsches Zeichen, oder? Lieber tot stellen. Ja, tot stellen klingt gut. Vollkommen zu verkrampfen und keinen Laut von sich zu geben, wird sicher hervorragend ankommen. Er ist so ein Vollidiot.
“Ich bin eigentlich noch gar nicht durstig”, entgegnet wiederum Taehyung, greift aber trotzdem nach dem Glas vor sich und lässt den Strohhalm langsam zwischen seine Lippen gleiten, um einen kleinen Schluck von seinem neuen Getränk zu probieren. “Schmeckt aber ziemlich gut. Das muss ich zugeben.”
Mit einem Spitzen seiner Lippen und einem leisen Plopp lässt er den Strohhalm wieder aus seinem Mund herausgleiten. Er zwinkert Yoongi vergnügt zu, dem bei der obszönen Geste vor Scham das Blut in die Wangen läuft und sie sicher innerhalb von Millisekunden leuchtend rot färbt.
“Ich hab eigentlich schon Durst…”, versucht sich Yoongi zurückhaltend in das Gespräch einzubringen. “Danke Jimin.”
“Kein Problem, Yoongi. Ich hab ja gesagt, dass ich ein Auge auf euch haben werde….”, antwortet der verführerische Barkeeper und wirft ihm einen tiefen Blick zu. Taehyung hingegen betrachtet er irgendwie tadelnd und seine nächste Frage ist definitiv an ihn gerichtet: “Womit wart ihr denn eigentlich so… beschäftigt?”
“Ach mit dies und das… Yoongi hat mir eben seine Handynummer gegeben.” Taehyung versucht es beiläufig klingen zu lassen, aber der Stolz in seiner Stimme ist selbst für Yoongi unüberhörbar.
“Ich hab seine Handynummer auch schon”, wirft Jimin ein.
“Schön.”
“Schön”, sagt auch Jimin und klingt dabei irgendwie patzig, bevor er sich energisch Yoongi zuwendet: “Bekomme ich deine Adresse?”
Okay, was auch immer das hier gerade ist, Yoongi will sich da echt nicht mit reinziehen lassen. “Öhm… klar”, antwortet er deswegen nur und hofft, dass es das Richtige gewesen ist.
“Ich bekomme seine Adresse.” Jimin wiederholt das, als wäre Taehyung nicht gerade bei ihrer Unterhaltung dabei gewesen.
“Schön.”
“Schön.”
“Schön”, sagt diesmal auch Yoongi, weil er nicht noch mehr Außenseiter als ohnehin schon sein will und ertränkt seine Unsicherheit in Alkohol.
Taehyungs Grinsen wird breiter, versöhnlicher. Er lehnt sich in den bequemen Kissen der Couch zurück und lenkt das Gespräch in eine neue Richtung: “Ich kanns immer noch nicht richtig glauben, dass du es echt geschafft hast, AgustD aufzugabeln.”
“Der Glauben versetzt Berge”, zuckt Jimin entschuldigend mit den Schultern und senkt den Blick etwas beschämt. Yoongi bildet sich ein, auch einen kleinen roten Schimmer auf seinen Wangenknochen ausmachen zu können. Aber wahrscheinlich sind es nur die Partylichter, die ihn blenden.
“Und es gibt echt keinen größeren Sturkopf als dich, ey”, lacht Taehyung. “Was machst du eigentlich schon hier? Musst du nicht noch arbeiten?”
Jimin wirkt ziemlich unangenehm berührt von der Frage und Yoongi schießen gleich hunderte Möglichkeiten auf einmal in den Kopf, warum das so sein könnte. Vielleicht ist sein Chef sehr streng und hat was dagegen, wenn Jimin zu lange mit den Gästen spricht? Gehört es überhaupt zu seinen Aufgaben, Getränke bis an den Tisch zu liefern? Und Yoongi hat bisher auch noch gar nichts bezahlt. Nicht, dass Jimin wegen ihm Ärger bekommt.
So vertieft in seine Gedankengänge, bemerkt er kaum, dass sich Jimin zwischenzeitlich zu einer Antwort hat hinreißen können. Er stottert ein wenig verlegen: “Mh.. ja.. also… Ich hab überlegt, vielleicht… vielleicht ein bisschen früher Feierabend zu machen. Ich mein, also, ich hab’ echt viele Überstunden und… heute ist ja eh nicht so viel los und… deswegen halt.”
“Deswegen halt”, wiederholt Taehyung und grinst wissend. “Viele Überstunden und wenig los, ja ja, du fleißige Biene…”
Eigentlich wirkt das Blue Moon auf Yoongi brechend voll. Aber gut, er war ja auch noch nie zuvor hier. Er hat keinerlei Vergleichsmöglichkeiten und er fühlt sich unter vielen Menschen auch nicht sonderlich wohl. Entsprechend wird sein Eindruck kaum objektiver Natur sein. Jimin wird sich damit schon besser auskennen und wenn er früher Feierabend machen kann, bekommt er zumindest keinen Ärger dafür, dass er sich zu viel bei den Gästen aufhält.
“Genau. Ich bin sehr fleißig”, bringt Jimin das Thema zu einem schnellen Ende und bemüht sich umgehend um einen neuen Gesprächsansatz.
“Und deswegen bin ich auch sehr durstig. Und Yoongi scheinbar auch. Deswegen lasst uns anstoßen, ja? Auf einen wirklich legendären Abend -”
“LeJINdary”, wird er dabei nur kurz von Taehyung unterbrochen.
“Äh.. genau. Also auf einen LEJINDARY Abend und … mit viel Spaß und so. PROST!”
Weil sie alle nach ihren Gläsern greifen, tut Yoongi es ihnen nach. Endlich kann er sich wieder an etwas festhalten. Und mehr Mut wird er heute Abend echt noch brauchen. Hoffentlich ist diesmal wirklich etwas davon in seinem Getränk erhalten und nicht nur diese Ich-laber-unkontrollierte-Scheiße-Dosis.
“Lejindary?”, fragt Yoongi etwas planlos nach, nachdem er probiert hat. Irgendwas anderes als vorher. Aber auch lecker.
“Ein Freund von uns”, erklärt Jimin sanft lächelnd. “Du wirst ihn auch noch kennenlernen. Dann verstehst du, was wir damit meinen…”
Die Sternenlichter des Clubs zeichnen ihn so sanft wie Seide. Seine lidstrichbetonten Augen sind so dunkel wie eine wolkenverhangene Wintersonne, nach deren Wärme du dich am meisten verzehrst. Wieder mal fällt Yoongi vollkommen atemlos auf, dass Jimin wirklich der schönste Mann der Welt ist. Man kann gar nicht anders, als sich von ihm angezogen zu fühlen.
Das wird noch ein langer Abend für ihn. Er zündet sich die nächste Zigarette an. Zum Glück hat er das Big Pack doch noch irgendwie in seine Hosentasche gezwängt.
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Yoongi rennt wieder.
Er weiß immer noch nicht, wofür eigentlich.
Läuft er schon wieder weg?
Dieser Ort ist eine Stadt. Menschenverlassen und mit meterhohen Wolkenkratzern, die in einen Himmel ohne Sterne ragen. Alle Türen sind verschlossen. Die Stadt ist ein Labyrinth und Yoongi kennt den Ausgang nicht. Flackernde Straßenlaternen beleuchten den Weg. Sie fallen immer mal wieder aus. Es ist so dunkel, dass man nicht einmal die Schatten richtig sehen kann.
Obwohl er alleine ist, fühlt er sich verfolgt. Aus den Augenwinkeln erkennt er Umrisse und Bewegungen hinter den Fenstern, aber wenn er sich umdreht, ist niemand mehr zu sehen. Er ist ein Insekt und die Stadt ist ein Forscher ohne Gesicht. Wenn er nicht aufpasst, wird er zerquetscht. Ein Beben geht durch die Straßen und lässt ihn atemlos zurück. Die ganze Erde wackelt. Yoongi kann sich kaum auf den Beinen halten, stolpert und fällt beinah. Große Gesteinsbrocken lösen sich aus den Wolkenkratzern und fallen auf ihn nieder wie ein Meteoritenschauer. Es ist ein Spießrutenlauf. Ein Wettbewerb auf Zeit. Über kurz oder lang wird er getroffen werden.
Dann fallen die unzuverlässigen Straßenlaternen komplett aus. Jetzt ist er blind und vom Himmel fallen schwere Steine, die ihn töten wollen.
Das Gefühl in seiner Brust ist kein Herzschlag mehr. In seinen Adern pulsiert Panik statt Blut.
Er muss weiterlaufen, um dem Gefühl zu entkommen. Er muss raus aus dieser gesichtslosen Stadt, die ihn umbringen will. Die Forscher lassen die Erde beben, was werden sie als nächstes tun? Wenn er sich nicht beeilt, wird er sterben. Ein paar kleinere Splitter haben ihn bereits getroffen. Er blutet aus zahlreichen Wunden am ganzen Körper. Seine Kleidung ist zerrissen.
Er kann kaum noch atmen, aber er läuft und läuft und läuft.
Ein Donnergrollen zieht sich durch die Geisterstadt. Tief und laut und wütend. Die Fenster splittern. Vielleicht aufgrund des Geräusches. Aber vielleicht sind hier auch einfach alle geisteskrank, auch wenn Yoongi immer noch niemanden sieht. Es ist wieder eine dieser Gewissheiten, von denen er nicht weiß, woher er sie kennt. Aber er weiß, dass es Forscher sind, welche die Stadt langsam sterben lassen. Am liebsten experimentieren sie mit Menschen und immer nur am lebenden Objekt.
Glasscherben regnen auf ihn nieder und reißen die Wunden noch weiter auf. Hinter ihm erleuchten Flammen die Nacht. Es riecht nun nach Rauch. Immerhin kann er in der Dunkelheit jetzt etwas sehen. Die Mauern sind dunkelgrau schwarzverbrannt. Orange und Rot tanzen auf dem toten Untergrund zu einer grausamen Melodie von Zerstörung. Nirgendwo gibt es Hoffnung. Nur Feuer und Wände und Gänge und Straßen. Keinen Ausgang, keine Leiter, keinen Schutz.
Fast wünscht sich Yoongi die Dunkelheit zurück. Wenn er nichts sieht, dann kann er sich zumindest einreden, dass er kurz davor ist anzukommen.
Jetzt sieht er nur die Weite, die nichts als Trostlosigkeit für ihn bereit hält.
Der Rauch kriecht langsam in seine Lungen und besetzt die Anlaufstellen, die eigentlich für Sauerstoff gedacht sind. Er beginnt zu röcheln. Schleppt sich nur noch mühsam weiter. Er hat keine Kraft mehr zum Laufen. Seine Muskeln zittern unkontrolliert. Yoongi würde so gerne auf den Boden sinken und einfach aufgeben. Es ist so schwer weiterzumachen, wenn du einfach nicht weißt wofür.
Ob sie den Spaß an ihm verlieren würden, wenn er sich nun einfach auf den Boden legt und sich seinem Schicksal ergibt? Eine Laborratte ist doch auch nur so lange interessant, wie man sie noch um ihr Leben laufen lassen kann. Ist sie einmal zu Tode gehetzt, wird sie achtlos in den Mülleimer geschmissen.
Genauso fühlt Yoongi sich. Er ist müde, bereit für den Abfall, bereit weggeschmissen zu werden.
Er versucht zu atmen, aber da ist einfach zu viel Rauch in seiner Lunge. Stattdessen beginnt er zu husten. Ein paar armselige Geräusche, die seinen Körper noch verlassen. Ihm wird schwarz vor Augen und sein Sichtfeld verschwimmt immer mehr. Gerade als ihn ein dankbares Nichts willkommen heißen will, wird ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht gedrückt.
Es ist ein Reflex, der Yoongis angeschlagene Lungen wieder gierig mit dem so benötigten Sauerstoff füllt. Mit einem freien Willen hat das nichts mehr zu tun. Wenn er könnte, würde er aufgeben. Aufgeben ist auch eine Form der Erlösung. Und heute ist sie die, nach der er sich am meisten verzehrt,
Er schlägt die Augen auf und da sind sie wieder. Die gesichtslosen Kreaturen mit den Zähnen als Gesicht und mit dem Atem wie Verwesung. Eine von ihnen drückt Yoongi die Maske auf den Mund und grinst ihm mit seinem riesigen, roten Mund gierig entgegen. Sie können ihn jetzt nicht ersticken lassen. Dafür wollen sie ihn viel zu gerne bei lebendigem Leibe fressen.
Als Yoongi die Hand ausstreckt, um die Kreaturen mit letzter Kraft von sich wegzuschieben, wird sie von einem herabfallenden Stein getroffen und zerquetscht. Seine Augen zucken unwillkürlich zu dem Anblick, den er nicht sehen will. Im ersten Moment fühlt er nichts, da ist nur Schock und wahnsinniger Unglaube, der ihn kitzelt, bis er den Verstand verliert. Dann explodiert das Nichts-Gefühl in unbeschreibliche Schmerzen. Yoongi fühlt nur noch Matsch und Schmerzen und Qual an der Stelle, wo seine Nervenenden eben noch mit einem funktionierenden Körperteil verbunden waren. Das hier ist kein Traum, oder? Kein Traum kann so weh tun.
Er möchte schreien, aber kann nicht. Die Sauerstoffmaske verschluckt jeden Ton. Eine der gesichtslosen Kreaturen legt sich neben ihn auf den Boden. Es kriecht langsam auf ihn zu. Sie verschmelzen wieder an den Stellen, an denen sie sich berühren.
Yoongi starrt immer noch fassungslos auf den Stein, der seine Hand unter sich begraben hat. Er will, dass es aufhört. Er will einfach nur, dass es endlich aufhört. Bitte. Es muss aufhören. Er erträgt es nicht mehr.
Zittere nicht,
halt stattdessen meine Hand
Womit?, denkt er ironisch, da ist nichts mehr, mit dem ich mich festhalten könnte.
gemeinsam werden wir ein “wir”
lass mich dich lieben
Was kann man da schon lieben? Aber es macht keinen Unterschied. Die Stimme ist da, sie singt sein Lied und Yoongi darf endlich aufwachen.
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